Radwandern ist eine vorzügliche Möglichkeit, wieder zu sich zu kommen und von all dem abzuschalten, was einen Menschen vom eigentlichen Leben abhält. Das Reiseland heißt „Unterwegs“ und das Tagesziel „Mal schauen“. Ein Reisebericht von Zweien, die auszogen, um herauszufinden, wo eigentlich der Fluss bleibt, der hinter ihrem Haus entlangfließt.
1. Tag: Telgte – Emsdetten (Arnold Illhardt)
Telgte. Hier bin ich geboren, hier lauf ich durch die Straßen, hier saß ich schon als lebenshungriger Teenager an der Ems und versenkte meine Träume und Sehnsüchte in den grünen Fluten des kürzesten Stroms Deutschlands. An ihren Ufern wurde billiger Kröwer Nacktarsch verköstigt, geknutscht und gefummelt, sowie gedankliche Vorbereitungen für die Weltrevolution getroffen. So ein Fluss im Ort kann in jungen Jahren ungemein helfen, dem freiheitlichen Triebstau zumindest visuell ein Ventil zu geben. Vielleicht ist die Welt ja in Papenburg oder Emden ganz anders, aufregender und abgefahrener, als in den spießigen Gassen von Telgte meiner Jugendzeit?!
So gab es schon in jungen Jahren die Idee, dieser Frage auf den Grund zu gehen, allerdings existierte früher noch keinen EmsRadweg und außerdem war die ferne Welt zunächst einmal zigmal interessanter als das – wie ich dachte – langweilige Norddeutschland. Was liegt also näher, als – wenn auch mit vielen Jahrzehnten Verspätung – dem Fluss, der in Telgte noch nicht den Anschein macht, Deutschlands fünftgrößter Fluss zu sein, beim Fließen zu begleiten. Im Jahre 2000 wurde der gut kartierte und auch entsprechend ausgezeichnete EmsRadweg eröffnet. Sein elementarer Vorteil liegt für uns in der Tatsache begründet, dass er direkt hinter unserem Haus entlang verläuft und somit ein Einstieg in medias res besser nicht gegeben sein kann. Also die Fahrradketten geölt, die Radtaschen gepackt, einen Ersatzschlauch besorgt und los. Zum besseren Verständnis sei angemerkt: Wir, meine Frau und ich, sind Genussradler, d.h. unsere Etappen sind vermutlich lachhaft für jene Tornado-Biker, die man an den Fliegen auf den stets vor Anstrengung gebleckten Zähnen erkennt. Mit Emden als Fernziel lagen an jenem Samstag gut 260km vor uns. Darüber wurde man bei der Tour de France vermutlich nur müde lächeln, aber die Radrennfahrer fotografieren unterwegs nicht, müssen ihre Liebste nicht ständig vor Wonne küssen, kehren nicht in lauschige Biergärten ein und müssen sich nicht durch vollgeregnete, matschige Feldwege quälen!
Natürlich beginnt jeder Urlaub vor der eigenen Haustür, aber nicht bei jedem Urlaub taucht man gleich in das Urlaubsland ein, das ja bei uns den poetischen Namen „Unterwegs“ trägt. Die ersten Kilometer stellen natürlich keine Herausforderung dar, war man doch hier bei schönem Wetter bereits Dutzende Male entlanggeradelt. Doch schon bald beginnt für uns Neuland und ab jetzt wird jede Kurve zur Überraschung. Gleich die Anfangsroute glänzt mit sehr schönen Wegverläufen, vor allem hinter Westbevern-Vadrup. Wie schlecht man doch seine Umgebung kennt!
Wir erreichen Gimbte. Eigentlich ein wunderschöner kleiner Ort, aber eben nicht, wenn dort bereits ein vollzähliger männlicher Kegelclub zecht und entsprechend lautstark den Platz beschallt. Warum machen solche Vereine nicht das, was sie zusammengeführt hat: Kegeln? Warum müssen sie zur allgemeinen Belästigung scharenweise in unschuldige Dorfgaststätten einfallen? Wir finden in einer hölzernen Bushaltestelle ein kegelclubfreies Plätzchen und lassen uns dort Kartoffelsalat, hartgekochte Eier und andere radtourtaugliche Leckereien schmecken.
Weniger radtourkompatibel ist in den ersten Tagen das Wetter: Bewölkt mit einzelnen Regenschauern! Irgendwann bekommt man einen Blick
für geeignete Unterstände, von denen es auf der Strecke viele gibt (die übrigens in der Karte nicht alle eingezeichnet sind). Ansonsten tut´s aber auch schon mal die Scheune eines Bauernhofes oder eben eine Gaststätte, mit denen der Weg ebenfalls reich gesegnet ist. In Greven müssen wir in einem netten Innenstadt-Cafe (Cafe Mandela) abwarten bis uns erträglicheres Wetter weiterziehen lässt. Wir erleben z.T. weitläufige und faszinierende Hügellandschaften, die man so “um die Ecke“ nicht vermutet hätte. Dörfer und Städte streifen wir nur beiläufig, allerdings sind wir auf geballte Zivilisation nicht sonderlich erpicht. So wird man in erstaunlich schneller Zeit dermaßen eins mit der Natur, dass jede Menschenansammlung nur stören würde. Jedes Autogeräusch wird mit einem Mal zu einem lästigen Missklang. Und schneller als erwartet schalte ich bei all dem Grün und Naturbunt ab: Die Gedanken verweilen nur noch bei dem Moment. Man bekommt, wie man so schön sagt, den Kopf frei. Vielleicht sogar frei für das eigentlich Essentielle!
Unser Etappenziel ist Emsdetten. Hier steigen wir im Hotel Wefers (sehr zu empfehlen) ab, dass uns nicht nur bestens beherbergt, sondern auch mit einer gemütlichen Gastronomie aufwartet.
Und die Ems? Ja, wo war eigentlich die ganze Zeit die Ems??