5. Tag Dörpen – Papenburg – Weener – Leer (Arnold Illhardt)
Der Regen, der aufs Blechdach fällt! Diese poetisch anmutenden und an einen Krimititel erinnernden Worte kommen mir in den Sinn, als wir an diesem Morgen in dem Hotelzimmer mit den Baumarktdrucken „Rote laszive Frauen an der Bar“ wach werden. Auf der von mir bei einer Radtour durch Irland entwickelten 10poligen Regenskala ergibt dieser Schauer sicherlich einen stolzen 7er-Wert! Glücklicherweise hält sich dieser Zustand nur bis zum Frühstück, das wir an diesem Morgen allein im Gastzimmer einnehmen. So muss man wenigstens nicht den Gesprächen der Frühstücksnachbarn lauschen, bei denen es durchaus um entzündete Zehennägel oder wahlweise Beziehungskontroversen a la „nun mach du doch mal einen Vorschlag für den heutigen Tag“ gehen kann. Braucht man nicht!
Die heutige Tour ist bei weitem nicht so spektakulär wie in den letzten Tagen. Das erste Mal müssen wir auf unsere Regenkleidung zurückgreifen. Die Ems ist kein normaler Fluss mehr, der durch die Landschaft mäandert, sondern tatsächlich ein Strom, der seinem Namen mehr als gerecht wird. Da er aber im Gegensatz zu vielen anderen Stromkollegen auch an Attraktivität eingebüßt hat, muss man ihn durch hohe Dämme vor den Blicken neugieriger Radler schützen. Dennoch finden sich immer wieder Wegverläufe, die es lohnen, in die Pedalen zu treten. Besonders amüsant, wie überraschend ist es, sich plötzlich den Weg mit einer ganzen Schafherde teilen zu müssen. Blöde Blicke auf beiden Seiten!
Anders als auf der Wegführung vorgesehen, umfahren wir Papenburg. Wie ein unheimlicher Koloss am Horizont kündigt sich die Meyer Werft schon von weitem an. Wir machen einen kurzen
Abstecher zur Fertigungshalle, durch dessen gewaltiges Tor noch letzte Woche der gigantischer Hochseekreuzer Norwegian Escape ausgedockt wurde. Bei aller Faszination bleibt bei diesem Betrieb doch ein schales Gefühl zurück. Die Meyer Werft bietet vielen Menschen im der Gegend Arbeit und ein Stapellauf gilt unter Kennern als beeindruckendes Schauspiel der besonderen Art. Doch für die irreparablen Schäden an der Ems, die durch das ständige Ausbaggern, um die Fahrstraße für die Ozeanriesen passierbar zu machen, entstehen, kommt der Betrieb nicht auf. Übrigens muss das Land die Kosten für die Arbeiten an dem Fluss übernehmen, Meyer sieht sich da in keiner Verantwortung. Was für die einen Spektakel, ist für die Natur ein Desaster. Der Kapitalismus darf alles und muss nichts!
Wir durchfahren ein Naturschutzgebiet, radeln an endlosen Deichwegen entlang und sind über Kilometer auf uns allein gestellt. Dann fallen wir in Weener ein, was aber, und damit sei die Tragödie dieses Ortes gleich in den Fokus gerückt, niemand mitbekommt. Denn diese „grüne“ Stadt im Rheiderland, wie sie unser Radführer anpreist, wirkt wie ausgestorben. Es gibt ein herrschaftliches Rathaus, edle Bankgebäude und Spielhallen, was sich ja inhaltlich wenig unterscheidet, aber Lebendigkeit sucht man in diesem Ort vergebens. Wohin das getrübte Auge schaut, herrscht trostloser Leerstand. Dabei bietet der Altstadtkern mit seinen imposanten Häusern durchaus Potential für eine Stadt mit Profil. Ebenso verlassen wirkt der alte Hafen. Wäre man in Holland, so fände man dort sicherlich drei bis vier muntere Kneipen, ein nettes Restaurant und mindestens ein Cafe mit Stil. Doch hier kommt man sich vor wie einreitende Cowboys in Goldgräber-City, über die Straße taumelnde tumble weeds inklusive. Eher zufällig finden wir ein von sehr netten und „lebendigen“ Holländern geführtes Restaurant (Zum Klabautermann), in dem ich endlich meinen bereits verschobenen und lang ersehnten Geburtstagskuchen erhalte.
Wie eine Belohnung für die heutigen Strapazen wirkt unser Etappenziel Leer auf uns. Die quirlige Stadt gefällt uns auf den ersten Blick und wir können es kaum erwarten, nach dem auf dem
Hotelzimmer eingenommenen Abendessen auf Entdeckungstour zu gehen. Vor allem die „Neue Straße“ mit ihren alten Häusern, kleinen Parks, Kunstwerken, kreativen Geschäften und Ausblicken auf die Hafenzeile hat es uns angetan. Den Abend lassen wir im Tatort-Taraxacum bei einem Fläschchen Wein ausklingen. Der „Tatort“ ist Buchladen, Restaurant und Cafe zugleich und wird ab sofort Einzug in unser Archiv der Cafes mit EigenSinn halten. Es ist ein „…Ort, an dem die Kreativen Zerstreuung finden und die Zerstreuten kreativ werden!“ (Motto auf der Homepage des Cafés). Ein perfekter Abschluss für einen Tag auf Fahrradachse!