Was passiert, wenn der Zuhörer mit plastischen Klangbildern konfrontiert wird? Mit Sequenzen, die nur noch rudimentär mit Musik zu tun haben? Was passiert bei Tonfrequenzen, die uns völlig unbekannt sind oder die wir normalerweise in einer ganz anderen Umgebung verorten würden? Und ist Stille eigentlich erstrebenswert? Fragen an Marcus Beuter, Klangkünstler, elektroakustischer Komponist, field recordist und Improviser.
Telgte/Oerlinghausen. Man stelle sich einen Rundgang in einem Museum oder einer Galerie vor. Beim Betrachten der zumeist visuellen Werke ist der Zuschauer manchmal überrascht, welche Wirkung ein Bild auf die Stimmung, auf Gefühle allgemein oder auch kognitive Prozesse haben kann. Das wahrnehmende Auge überträgt Farbe und Gestalt, das Gehirn vermischt das Gesehene mit Erfahrungen, Erkenntnissen und Assoziationen und formt so Emotionen und Launen. So kann ein Bild oder eine Grafik Wut erzeugen, einen Menschen betroffen oder traurig machen oder auch glücklich stimmen. In seinem Buch „Das Zeitalter der Erkenntnis“, in dem der Autor Eric Kandel beschreibt, wie sich der Geist zur Kunst verhält, spricht er von dem Gehirn als kreatives Instrument. Laut Kandel reagiert der Verstand beim „Kunstschauen“ nicht rational, sondern er wird von tiefer liegenden sexuellen, aggressiven Trieben gesteuert.
Auch in der Musik sind solche Reaktionen durchaus bekannt. Ein Lied kann beruhigen und anstacheln zugleich. So weit, so nachvollziehbar. Doch was passiert, wenn der Rezipient mit plastischen Klangbildern konfrontiert wird? Mit Sequenzen, die nur noch rudimentär mit Musik zu tun haben? Was passiert bei Tonfrequenzen, die uns völlig unbekannt sind oder die wir normalerweise in einer ganz anderen Umgebung verorten würden?
Im Juli 2015 lernte ich bei einer Veranstaltung der Telgter Kulturnomaden, einer Gruppe von Künstlern und Kulturschaffenden (der ich ebenfalls angehöre) den Klangkünstler Marcus Beuter kennen, der zusammen mit zahlreichen anderen Künstlern aus unterschiedlichen Hansestädten an der HANSElievartWorks 2015 in Viljandi (Estland) teilnahm. In der von mir moderierten Veranstaltung berichtete Beuter nicht nur von seinen zahlreichen Reisen, bei denen er Klangerlebnisse „konservierte“, sondern gab vor allem Einblicke in ein Kunstgenre, das sich zwar längst als eigenständiges Gebiet etabliert hat, aber im allgemeinen Kunstbetrieb eher ein Nischendasein fristet.
Arnold Illhardt (AI): Marcus, ist es tatsächlich so, dass Klangkunst einen gewissen Outsider-Status besitzt? Und wenn ja, warum?
Marcus Beuter (MB): Klangkunst ist tatsächlich immer noch eine wenig beachtete Kunstform, auch wenn sich natürlich viel in den letzten Jahren getan hat. Die Ursachen sind sicherlich vielfältig und ich kann über einige nur spekulieren. Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich, dass sich Klangkunst sehr schwierig dokumentieren lässt und dadurch sich nicht über andere Medien erschließt. Viele Menschen kennen Gemälde mehr aus Büchern und Musik mehr von Tonträgern, als aus der direkten Begegnung.
Dann sind die meisten Klangkunstaustellungen für einen bestimmten Raum konzipiert. Sie lassen sich also schlechter auf eine „Tournee“ schicken. Und schließlich ist es für viele Museen und Galerien sicherlich auch ein logistisches Problem. Visuelle Kunstwerke lassen sich leicht voneinander entkoppeln, akustisch ist dies oft schwierig.
AI: Wie ist die richtige Bezeichnung für die Art Deines künstlerischen Schaffens bzw. wie bezeichnest du dich selbst?
MB: Mit dieser Frage triffst du eine Problematik, mit der ich mich lange auseinander setze. Ich bin kein klassischer Klangkünstler, da ich selten Objekte schaffe, die einen Klang erzeugen. Ich bin kein klassischer Neuer Musiker und schon gar nicht, wie oft vermutet, da ich mit einem Laptop arbeite, ein Elektroniker. Ich bin in gewissem Sinne ein field recordist, aber wenn ich genauer in diese Szene schaue, dann arbeite ich wahrscheinlich nicht puristisch genug.
Ich stelle mich zumeist als Klangkünstler, elektroakustischer Komponist, field recordist und Improviser vor. Dies ist natürlich sehr lang und sperrig. Manchmal sage ich deshalb einfach ich sei „Hörkünstler“. Die Basis meiner Kunst sind jedenfalls durchweg Umweltaufnahmen.
AI: Was war die berühmte Initialzündung, die dich veranlasst hat, dich mit dieser akustischen Kunst akustischen Reizen auseinanderzusetzen?
MB: Ich kann mich nicht an eine Initialzündung erinnern. Es gab immer schon das Interesse in der Musik dem Experimentellen zu folgen, es gab das Interesse aus dem Urlaub nicht nur Fotografien mitzubringen, sondern auch die Klänge. Sendungen wie das Studio Akustische Kunst auf WDR3 waren sicherlich Ohrenöffner. Es war eher ein Prozess von den privaten Spielereien irgendwann den Schritt zu machen und meine Arbeit im öffentlichen Raum einer Rezeption und Kritik Dritter anzubieten.
AI: In einem Interview mit Christina Kubisch, einer deutschen Installationskünstlerin, definierte sie Klangkunst als „…die Integration von Dingen, die üblicherweise getrennt sind oder historisch getrennt waren.“ Eine von vielen Auslegungen zu diesem Kunstgenre. Wie würdest Du Klangkunst umschreiben?
MB: Klangkunst wird in Deutschland im Allgemeinen als ein Genre der Bildenden Kunst verstanden. Eine Installationsform von Objekten, Klängen und dem Raum. Ich würde es gerne für mich erweitern. Denn auch eine reine Lautsprecherinstallation ist für mich Klangkunst. Es gibt m.E. immer noch eine geringe Bereitschaft, sich auf einen Raum, in dem „nur“ Lautsprecher stehen, sich ganz auf das akustische Erleben einzulassen. Ebenso wie reine Lautsprecherkonzerte immer noch ein Nischendasein führen oder die Diskussionen um die performativen Anteile eines Laptop-Auftritts nicht abreißen. Ich will hier keinem Purismus folgen, sondern lediglich aussagen: Warum nicht auch einmal? Warum nicht auch einmal ein Konzert, in dem sich niemand bewegt, die Veränderungen des Klangs nicht visuell beim Musiker nachvollziehbar sind? Warum nicht auch einmal eine Installation, die dem Auge – scheinbar – nichts bietet und bei der die reine akustische Erfahrung gilt?
AI: Klang kann Musik sein, Musik aber auch Klang. Wo liegt für Dich die Grenze zwischen Musik als organisiertem Schallereignis und Klangkunst? Und wo gibt es Schnittmengen?
MB: Ich würde eher sagen: Klang ist Musik. Es ist mehr eine Frage des Hörers, ob er sich darauf einlassen kann, einen Klang, ein Geräusch als Musik wahrzunehmen.
Klangkunst ist in der Regel auch ein organisiertes Schallereignis. Es gibt eher Unterschiede in der Art der Organisation des Klangs. Abgesehen davon, dass es auch Musiker und Klangkünstler gibt, die mit Zufallsoptionen arbeiten.
Ich persönlich suche auch weniger nach dem Trennenden zwischen der Musik und der Klangkunst als in den Möglichkeiten der Vermischung. Formen installativer Performance (und performativer Installation) sind sehr spannend dafür.