Am Puls der Klangzeit
Interview mit dem Klangkünstler Marcus Beuter

Marcus Beuter "ruin sounds, Eriwan"
Marcus Beuter „ruin sounds, Eriwan“

AI: Mal abgesehen von deinen Reisen: Wo wirst du fündig, wenn du dich auf die Suche nach Klängen begibst?

MB: Überall. Es kann zu Hause sein oder an der nächsten Straßenecke. Zumeist suche ich die Klänge auch weniger, ich höre sie und nehme sie dann auf. Spannende Klangereignisse passieren ständig um uns herum. Wenn ich allerdings ein Projekt habe, für dessen Konzept ich bestimmte Klänge benötige, dann versuche ich an die Orte zu kommen.

 

AI: In Verbindung mit der Klangkunst taucht auch immer wieder der Ausdruck Field Recordings auf. Was genau ist darunter zu verstehen und welche Rolle spielt diese Technik in deinem Tun?

MB: field recordings ist im Grunde keine Technik, sondern ein Kunstgenre. Aber es führt ein noch stärkeres Nischendasein als die Klangkunst. Es bedeutet in erster Linie Aufnahmen von Umweltgeräuschen zu machen und mit diesen zu arbeiten. Es ist die Basis meiner Kunst, da ich ausschließlich mit Umweltaufnahmen arbeite.

 

AI: In einem Interview in der TAZ (2.9.2015) äußerte sich Hans-Joachim Roedelius, der mit der Krautrockband Cluster und Harmonia Musikgeschichte geschrieben hat, zu dem Phänomen der Stille: „Auch wenn nicht viel passiert, passiert etwas – man muss halt die Ohren aufsperren.“ Nun werden wir in der heutigen Zeit eher mit Krach und Lärm konfrontiert und sind mit Stille häufig überfordert, obschon sich viele gestresste Zeitgenossen danach sehnen. Wie siehst du diese Gegensätze zwischen dem Lauten und dem Leisen? Verbergen sich für Dich auch in der Stille Klänge? Und: Ist auch Stille ein Klang?

MB: Ja, Stille ist ein Klang. Zum einen hat John Cage da sicherlich die Wahrnehmung in der Kunst geändert, in dem er auch sagte, dass immer etwas da ist, selbst in der Stille. Zum anderen ist die Stille – hier die Pause – in der Musik schon seit langem ein wichtiges Element. Gegensätze sind immer hilfreich, um etwas stärker und eindrücklicher erfahren zu können. Lautstärke nehmen wir umso intensiver wahr, wenn sie plötzlich nachlässt.

Aber ich stelle auch immer wieder fest, dass die Diskussion um Stille ungenau geführt wird. Es gibt viele Beschwerden über Lärm und Krach – die sicherlich ihre Berechtigung haben, andererseits ist die absolute Stille – im Sinne von keiner Lautstärke – kein lebendiges Moment. Es ist in der Welt nicht vorgesehen. Ich glaube eher, dass die meisten Menschen sich nach Stille im Inneren sehnen. In meinen Zuhören-Workshops beschäftigen sich die Teilnehmer auch in einigen Übungen mit der Stille. Am Ende suchen wir die Stille in uns selbst auf. Es ist durchaus einfacher als eine vierspurige Straße abzuschaffen.

 

AI: Wenn man sich mit deinen Werken beschäftigt, fällt auf, dass du nicht in der künstlerischen Abgeschiedenheit mit Klängen experimentierst, sondern immer wieder die Zusammenarbeit mit Künstlern suchst, die aus einem ganz anderen Metier kommen, so wie z.B. dem Objektbauer Mario Krohnen in dem Projekt panta rhei, wo ihr mit Licht, Klang und Materie arbeitet. Was fasziniert dich an dieser Symbiose?

MB: Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern gibt mir immer die Chance mich zu öffnen. Ich lerne eine andere Perspektive einzunehmen. Zudem lassen sich Kunstwerke erschaffen, die ich alleine nicht realisieren könnte. Die Überschreitung der Genregrenzen setzt häufig eine neue Erfahrung frei.

 

(Quelle marcusbeuter.fragmentrecordings.de)
(Quelle marcusbeuter.fragmentrecordings.de)

AI: Vielfach erlebt man dich auch als Teil, nämlich als Instrumentalist in Musikprojekten, wo deine Sounds auf eher gängige Musikabläufe treffen und sich mit ihnen verschmelzen. Musik verläuft ja zumeist eher in organisierten Mechanismen, sei es durch Kompositionen oder aber durch ein halbwegs aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel der Musiker. Wie integrierst du Geräusche in diese Musik? Geschieht dies eher als geplanter Akt oder nach einem Zufall- und/oder „Gefühls“prinzip?

MB: Das ist sehr unterschiedlich. In den meisten Konzertprojekten handelt es sich um freie Improvisation. Also um den Moment, das Zusammenspiel, auch hier wieder: den Raum, und natürlich auch um das Publikum. Es sind intuitive Entscheidungen, die gefällt werden, die sich rational schlecht erläutern lassen.

Dann gibt es noch Arbeiten in Ensembles, für die Kompositionen erstellt wurden. Da halte ich mich dann an die Partitur. Und spiele ein Geräusch, was aber in der Neuen Musik nichts Ungewöhnliches ist, auch nicht für die Instrumentalisten.

 

AI: Arbeitest du selbst mit Musikinstrumenten?

MB: Ja, mit dem Laptop und den Umweltgeräuschen…

Nein, im Ernst: das überlasse ich den Spezialisten für das jeweilige Instrument.

 

 AI: Gibt es Töne oder Geräusche, die dir besonders am Herzen liegen oder dein Schaffen in besonderer Weise beeinflussen? Und andersrum: Gibt es Geräusche, die dich abschrecken?

MB: Dies kann ich nicht generell beantworten. Es kommt auf den Kontext an. Ein Geräusch ist zumeist eine Frage des Kontextes. Abgesehen von Schmerzensschreien, die sind natürlich immer furchtbar. Aber wahrscheinlich auch nur, weil ich dahinter gleich eine Verbindung zu einem leidenden Menschen aufbaue und nicht, weil das Geräusch an sich abschreckt. Es ist mir nur unmöglich, es rein als Geräusch zu hören.

Viele Geräusche liegen mir besonders am Herzen. Es ist schwierig, da etwas heraus zu heben. Es kann eine Klanglandschaft in der Natur sein, aber auch ein Ventilator in einer Tiefgarage.

 

AI: Alles wird immer lauter und hektischer. Als Manko des industrialisierten Zeitalters wird beklagt, dass Menschen nicht mehr richtig zu- oder hinhören. Gibt es deiner Meinung nach einen notwendigen „Rückschritt“ oder eine Strategie, aus diesem akustischen Inferno herauszukommen?

MB: Ich glaube nicht, dass wir zurück schreiten können. Es macht immer nur Sinn weiter zu schauen, wie es in der Zukunft sein soll. So macht es meines Erachtens viel Sinn darüber nachzudenken, wie viele akustische Signale wir wirklich wollen, denn sie werden mehr und mehr künstlich erzeugt. In der Nach-Öl-Ära wird es wahrscheinlich viele Technologien geben, die leise sind. Elektromotoren sind ein gutes Beispiel dafür. Aber wir statten sie mit künstlichen Geräuschen aus. Wer bestimmt aber, wie laut sie sein sollen, wie sie klingen sollen? Da stehen wir gerade an einigen Entscheidungspunkten und bemerken es nicht wirklich. Eine öffentliche Diskussion findet darüber nicht statt.

Ob die Menschen früher wirklich richtig zu- oder hingehört haben, kann ich nicht überprüfen. Wir tendieren dazu anzunehmen, dass früher alles „mehr“ war und alles – kulturpolitisch – sich verschlechtert. Das hat schon Platon kritisiert. Demnach dürfte es heute keine Kultur mehr geben. Was nicht bedeutet, dass es keinen Handlungsbedarf gibt. Ich denke, dass es immer Menschen gab, die daran gearbeitet haben, dass wir zuhören. Und sie sind heute genauso wichtig wie seit ehedem.

 

AI: In vielen Museen gibt es inzwischen Möglichkeiten, Blinden das zu erklären, was sie selbst nicht wahrnehmen können. Wie würdest Du am ehesten einem hörbehinderten oder gar gehörlosen Menschen das beschreiben, was du mit deinen künstlerischen Möglichkeiten erstellst?

MB: Klang ist körperlich erfahrbar. Ich würde versuchen eine Situation herzustellen, in der der Klang den Körper der Person erreicht. Eine Beschreibung des Klangereignisses wäre sicherlich möglich und kann im Einzelnen auch hilfreich sein. Ich würde mir dafür aber eher einen Geschichtenerzähler zur Unterstützung holen, der die Geräusche lebhaft beschreibt.

 

Talkabend HANSEartWORKS Telgte (Foto M. Illhardt)
Talkabend HANSEartWORKS Telgte (Foto M. Illhardt)

AI: Abschließend: Gibt es eine Vision, die dich in deiner Tätigkeit als Soundkünstler besonders herausfordern würde?

MB: Oh, das könnte ein langes Kapitel werden, da gibt es viele schöne Herausforderungen. Spontan würde ich sagen, dass ich es sehr spannend fände, eine komplette Innenstadt mit einer Installation zu bestücken und dazu dann andere Künstler einzuladen, die mit ihren Mitteln intervenieren.

(Marcus Beuter, 2. v.l./ Arnold Illhardt, 2 v.r.)

 

Links zu Seiten von Marcus Beuter:

www.marcusbeuter.de