Ich bin woke
Aus dem Fahrtenbuch zum Ernst des Lebens ...

Aus dem Fahrtenbuch zum Ernst des Lebens …

So, seit neulich ist es amtlich: Ich bin woke bzw. substantiviert: Ich bin ein Woker. Die Erkenntnis kam überraschend, etwa so, als hätte ich als ständiger Pumpenkönig beim Kaiserkegeln meines Vereins „Alle Neune“ plötzlich den ersten Platz belegt. Ich musste zunächst googlen, um zu kapieren, was woke überhaupt bedeutet. Übrigens finde ich diese ganzen Anglizismen hochgradig bescheuert. Woke heißt, so meine Recherche, wach sein. Somit bin ich also ein Wacher, was mich wiederum nicht wundert, da schon mein Grundschullehrer meinte, ich sei ein waches Bürschchen. Nun wird man nicht automatisch woke, sondern man muss aus berufenem Mund dazu ernannt werden. Und zwar von Personen, die sich auskennen und logischerweise unwoke = unwach, also Penntüten oder Schnarchnasen sind. Und so wurde ich beim wilden Kommentieren im sozialen Netz durch ebensolche Unwachen geoutet. Da schwante mir erstmalig, dass Woke-Sein etwas Ultranegatives ist, denn so bezeichnet man nervige und übersensible Menschen, die sich vom Sofa aus für die Rechte von vermeintlich unpriviligierten oder unterdrückten Lebewesen einsetzen und zu allem Überdruss die restliche Menschheit davon überzeugen wollen. Dagegen leben „Un-woke“ in einer Dunstwolke der sozialen und damit gesellschaftlichen Verpeiltheit. Ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung ist derart verschrumpelt, dass sie gar nicht in der Lage sind, Ungerechtigkeiten und Benachteiligung ihrer Mitmenschen überhaupt wahrzunehmen. Da entsteht natürlich ein gewisser Neid auf uns Wache. Hinzu kommen all die schrulligen Anhänger der konservativen Politgesinnung, die von dem zehrenden Wunsch beseelt sind, Werte zu bewahren, wobei sie in der Regel nicht einmal wissen, welche Werte das grade sind. Seitdem der Kommunismus existenztechnisch die Grätsche gemacht hat, sind sie auf der stetigen Suche nach einem neuen, dankbaren Feindbild. Da kommen so Woke wie ich gerade recht.  Bei meinen genaueren Nachforschungen stellte ich fest, dass dieser Ausdruck vor allem von Personen genutzt wird, die ständig über den Verfall der deutschen Sprache – ach was sag ich: des gesamten Abendlandes (wo immer das geografisch liegt) – wehklagen. Und da ich ja eben wach = auf Zack bin, leuchtete mir auch direkt die dahinter befindliche Masche ein: Es sind die gleichen Leute, die stets von Political Correctness (was ja auch nicht richtig Deutsch ist) schwafeln und diese blöd finden. Nun wäre es ja taktisch unklug, Leute die man ablehnt, in verständlicher Weise und somit in deutscher Sprache als „Wache“ oder „Politisch Korrekte“ zu bezeichnen, da ja dann im Gegenzug deutlich wird, das man selbst ein verpeilter Döspaddel ist und zu alledem auch politisch unkorrekt handelt. Ganz schön gewieft und gleichzeitig grottenblöd.

Ein woker Mensch (Foto Marion Illhardt)
Ein woker Mensch (Foto Marion Illhardt)

Da ich ja nun mal ein von sensiblen Kräften gelenkter, radikalversiffter Ungerechtigkeitsdraufhinweiser bin, habe ich eine innere Einkehr vorgenommen und mich gefragt: War es vielleicht tatsächlich falsch, sich für entrechtete Urvölker, verfolgte Flüchtlinge oder Tier- und Klimaschutz einzusetzen? Ist es wirklich rechtens, auf obrigkeitshörigen Faschisten rumzutrampeln oder mit 120Km/h durch die Wohngegend heizende Schrumpfhirne mit rohen Eiern zu bewerfen? Ich denke: JA, denn ich wäre ja nicht authentisch, wenn ich dies nicht zu meiner Sache machen würde. Ich bin sogar zu dem Entschluss gekommen, das Tätigkeitsfeld weiter auszubauen. Ich meine, es tut einem ja wirklich in der Seele weh, dass so viele Menschen unwoke, statt woke sind. Sollte man sie nicht wecken und damit von ihrer Trantütigkeit befreien? Und sollte ich mich nicht auch um all die politisch Unkorrekten und gesellschaftlichen Schlafmützen kümmern? Dann kann man mir – wie neulich auf facebook geschehen – auch nicht mehr „ungenierte moralische Selbstüberhöhung und Verachtung für den Rest der Welt“ vorwerfen. Und jetzt, wo ich weiß, dass sich Konservativlinge mangels existierenden Feindbildes an mir abarbeiten können, fühlt es sich richtig gut an, ein Woker zu sein. Ein bisschen Masochismus schlummert in jedem Woken und außerdem wurde mir das Gebot „Jeden Tag eine gute Tat“ schon mit der Muttermilch eingeimpft. Also: Nichts für ungut, liebe Antiwoke; ich bin gerne wach für euch. Schlafen kann man schließlich noch genug, wenn man tot ist.