Denk mal an
Eine kleine Psychologie des Denkens

Descartes meinte, dass wir sind, weil wir denken. Doch müsste es nicht vielmehr heißen,  wenn ich weiß, wie ich denke, bin ich? Manchmal denkt man nur, man denkt, dabei tun das längst andere.

 

Bevor der Mensch geschaffen wurde, hatte sich der Schöpfer eine ganze Weile mit der Planung und Produktion von Langohrfledermäusen, Breitnasenaffen und Spitzmaulnashörnern beschäftigt, um dann festzustellen, dass das Ergebnis leider nur suboptimal ausgefallen war. Was den mehr oder weniger possierlichen Tierchen allesamt fehlte, waren ausgeprägte kognitive Fähigkeiten wie Kreuzworträtsel zu lösen, Bundesligavereine auswendig zu kennen und die Montageanleitungen einer Benno-TV-Bank von IKEA zu verstehen. Und so entstand aus einem ganzen Sammelsurium tierischer Ersatzteile der homo sapiens, wobei das sapiens für weise und einsichtsfähig steht und sozusagen eine hirnspezifische Aufpeppung der Hominidae = Menschenaffen darstellt. Man könnte auch sagen, eine Art Weiterentwicklung vom Opel Rekord C zum Opel Vectra B. Die Ergebnisse können größtenteils als sehr gelungen bezeichnet werden, wenn man z.B. menschliche Subkategorien wie homo einsteinicus, homo dalailamacus oder homo kanticus betrachtet. Bei so manchem Superdenkmodell besteht allerdings das schwerwiegende Problem, dass sie ihre Gedankengänge nicht allgemeinverständlich in Worte fassen können, was offenbar auf einen Defekt in der kognitiven Fertigungsreihe zurückzuführen ist, also autotechnisch gesehen: Eine Montagsproduktion.

Doch die Welt des Denkens sieht ganz anders aus, wenn man das Augenmerk auf den ganz normalen, menscheligen Alltagsdenker legt. Dummerweise wurde das Projekt Mensch später nie wieder überarbeitet, so dass wir es häufig mit einer Reihe von unausrottbaren Betriebsfehlern zu tun haben, die oftmals nicht nur harmlose bis mittelschwere Kommunikationsprobleme auslösen, sondern mitunter, wie die Geschichte zeigt, zu Entgleisungen mit katastrophalen Folgen für einen selbst oder andere führen können. Zwar wird uns Menschen eine Menge Denken abgenommen und über vieles sollen wir von Staats wegen auch gar nicht weiter nachdenken, dennoch bleibt gerade in Zeiten wie diesen jede Menge über, was unbedingt bedacht werden müsste. Und da sollte nicht allein das Denken, also das was hinten rauskommt, im Vordergrund stehen, sondern die Prozesse, die dazu führen.

Viele Menschen lieben Schubladendenken und Kategorisierungen und so teilen sie sich beispielsweise gerne in Bauch- und Kopfmenschen ein, was für so manchen Schlaumeier (eine ganz besondere Denkspezies) gleichbedeutend mit Träumer und Realist ist. Gerade die Herren der Schöpfung entschuldigen häufig mit dem Verweis auf die Zugehörigkeit zu den Kopfmenschen ihr angeblich nicht existentes Gefühlsleben, doch – werte Artgenossen – das ist Kokolores, denn Gefühle und Gedanken gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. So wundert es dann auch nicht weiter, wenn der vermeintliche Realist vor Sachlichkeit strotzt, weil er zu schwach ist, verborgene Ängste zuzulassen. Die Ergebnisse sind zwar häufig bis zum Abwinken durchdacht, haben aber die Ausstrahlung eines 5-Sterne-Kühlschranks.

Jeder kennt die Hobbymediziner im Familienkreis, die mit enormen Fachkenntnissen, die sie der „Frau im Spiegel“ oder anderen unsäglichen Käseblättchen entnommen haben, alles Mögliche kommentieren, was gesundheitstechnisch nicht niet- und nagelfest ist. Kaum läuft die Nase, wird von der Umgebung eine Ursache attestiert: Kein Wunder, wenn du immer so spät ins Bett gehst oder das kommt davon, weil du zu wenig oder zuviel (je nach Käseblatt) Milch trinkst. Eine Kausalität bringt ein Spur Kontrolle in unser Leben, weswegen unser Hirn diese Wenn-Dann-Variante den Möglichkeiten Koinzidenz (etwas entsteht zufällig mit etwas anderem zusammen) oder Kohärenz (etwas hängt mit etwas anderem in Wechselwirkung zusammen) bei weitem vorzieht. “Also sehen wir die ganze Welt als Uhrwerk. Und verstehen sie falsch.” (Matthias Horx. In: Das Buch des Wandels)

Man könnte sagen, wir Menschlinge sind aufgrund eines Konstruktionsfehlers mit einer ganzen Reihe von Denkfehlsteuerungen ausgestattet, die uns das Leben, und nicht nur das mentale, überaus schwer machen können. So ein Schlimmdenken ist das Schwarz-Weiß- Denken (“Männer sind langweilig oder schwul“) oder das Verallgemeinern, was zu unsinnigen Aussagen wie „Frauen können sich schlecht entscheiden“ oder sarrazinischer Denkdiarrhöe a la „alle Afrikaner sind ziemlich dumm!“ führen kann.

Der Autor beim Chaosdenken (Foto Marion Illhardt)
Der Autor beim Chaosdenken (Foto Marion Illhardt)

Doch bevor man ans Eingemachte geht, seien erst einmal die Klassiker wie Sorgen machen, Zweifeln und Grübeln erwähnt. Bedenkt man, dass das Denken an sich eine lebenserhaltende Maßnahme darstellen soll, so macht es einen nachdenklich, wie viele Menschen vor lauter Besorgtsein, Zweifeln und Grübeln krank werden. Nicht nur im Kopf! Lediglich das Grübeln kann in vereinzelten Fällen auch mal positive Auswirkungen haben, beispielsweise dann, wenn die Menschheit nach oft nächtelangen Denkvorgängen des Tüftlers mit großen Erfindungen wie halbautomatischen Nasenbohrern, japanischen Mutterbrustersatzvorrichtungen für Väter und batteriebetriebenen Eierköpfvorrichtungen beglückt wird. Der Spaß hört allerdings auf, wenn benannte Denkfehler in Schwarzsehen und Katastrophisieren ausarten und das an die Wand menetekelte “the worst case” zur Dauerdenk(ein)richtung wird. Übrigens müssen das nicht unbedingt einzeln gedachte Gedanken sein, die den Denker quälen, manchmal sind es auch ganze Gedankenketten mit mehr oder weniger chaotischen Verläufen. Apropos Eierköpfmaschinen: Eine sehr verbreitete Denkweise ist das „Gedanken-über-ungelegte-Eier-machen“ oder „ich-bastel-mir-eine-Depression-Denken“, was mich mit Vorliebe frühmorgens gerne bis zur paroxysmalen Denkstarre in Beschlag nimmt.

Menschen, die es besonders schlecht mit sich meinen, bauen Filter in ihre Denkprozesse ein, die einen klaren Gedanken kaum mehr durchsickern lassen. Wenn man überzeugt ist, dass die Zukunft mit Sicherheit eines sein wird, nämlich unerfreulich, wird dies mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Denken führen, das – sagen wir mal – alles andere als optimistisch gestimmt sein wird. Bei Politikern kann auch schon mal das nahe Ende der Legislaturperiode filterhaft wirken: Man hat das Gefühl, da wird nur noch auf Sparflamme gedacht. Und wenn ich davon ausgehe, potthässlich und unfähig zu sein, wird mich das Lob des Gegenübers, wie gut mir die neue Brille steht, kaum erreichen – dem Filter sei Dank. Ähnlich uneffektiv, um nicht zu sagen: grottenuneffektiv ist das Ich-Denken. Ein „ist ja klar, dass das mir wieder passieren musste“ ist ein Satz, bei dem sich jeder Psychotherapeut vorfreudig die Hände reibt, da er sicherlich 20 Stunden braucht, bis das freiflottierende Ich endlich den Schnabel hält.

Zu erwähnen seien auch noch die automatischen Gedanken, die sich wie von Geisterhand eingeschaltet, immer wieder in unserem Kopf breit machen, obschon ihnen schon hundert Mal gesagt wurde, zu bleiben, wo der Pfeffer wächst, was gefühlt in Malaysia liegen könnte. Und dann wären wir auch beim Kopfkino, wobei der mentale Filmvorführer gerne Horrorstreifen und Tragödien bevorzugt, um sie uns vor allem dann, wenn sie überflüssig sind wie Wadenkrämpfe, auf unser inneres Auge zu projizieren. Warum bleiben sie nicht in Archivhinterkammern oder werden mental geschreddert!?

Das Denken ersparen (Foto Arnold Illhardt)
Das Denken ersparen (Foto Arnold Illhardt)

Schließlich gibt es noch ein heikles Denkthema, mit dem ich dem Sohn von Frau Goethe mein Tribut zollen möchte. Der soll nämlich gesagt haben, dass das Denken zwar allen Menschen erlaubt ist, aber vielen erspart bleibt. Nun ist es etwas spät, Johann Wolfgang persönlich zu fragen, wie es in seiner Zeit mit dem Denken so vonstattenging und ob es da auch schon denkfreie Bewegungen wie Pegida, AfD & Co gegeben hat. Was das Heute anbetrifft lässt sich feststellen, dass ganze Heerscharen von Bürgern aufgehört haben, selbst zu denken. Sie übernehmen einfach das, was man ihnen wie Alete Babynahrung vorkaut, ohne zu überprüfen, welche Analognahrung Nestle dort untergemischt hat. Das Nicht- oder Eindritteldenken ist absolut verbreitet und findet vor allem in den rechtspopulistischen Niederungen eine große Anhängerschaft. All das ist natürlich traurig, weil beim Nichtdenken hinten in der Regel nicht mal wiederverwendbarer Dung rauskommt. Wer den ganzen lieben Tag Fernsehen schaut und unreflektiert das für bare Münze nimmt, was machtverliebte Politiker von rechts bis links in grenzenloser Selbstinszenierung verhackstücken, sieht die Welt irgendwann mit hohlen Augen wie ein frisch aus einem dieser zahlreichen Billigsender entschlüpfter Untoter. Vielleicht ließe sich an dieser Stelle der Ausdruck Tunnelblick in Tunneldenken ummünzen.

Selber Denken (Foto Arnold Illhardt)
Selber Denken (Foto Arnold Illhardt)

Es gäbe noch viel mehr Denkfallen und -fehler aufzudecken, aber der Einblick soll reichen, um deutlich zu machen, dass ein „Ich denke, also bin ich“ zu kurz gedacht ist. Vielmehr müsste es heißen „wenn ich weiß, wie ich denke, bin ich!“ So und nun liebe Fachkundige und Experten unterschiedlicher Profession landauf, landunter: Warum in aller Welt soll das immer stimmen, was ihr da zusammengedacht habt? Wer sagt mir, dass Euer Ansatz nicht aus dem tiefen Frust entstanden ist, weil euer Liebesleben fade wie der Humor von Dieter Bohlen geworden ist, ihr unter chronischer Selbstüberschätzung leidet oder der Vater-Komplex gerade besonders in eurem Ego bohrt. Na? Und? Hab ich´s mir doch gedacht!