Trauerbegleitung bei Tierverlust?
Das Meinungsbild spiegelt unsere Einstellung zu Tieren

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Die Sterbeamme Anette Janssen will Menschen zurück ins Leben helfen. Foto DK

Sterbeamme Anette Janssen gibt Menschen Raum, die ihr geliebtes Tier verloren haben oder Schuldgefühle mit sich tragen, weil sie es einschläfern ließen. Gesellschaftsfähig ist ihre Arbeit nicht unbedingt. Wäre es nicht billiger, ein neues Tier zu kaufen?

 

Für manche ist es eine Zumutung oder auch nur Gefühlsduselei, für andere endlich der ersehnte Trost und Ort, wo sie über ihre Gefühle sprechen können. Mit ihrem Angebot stößt Anette Janssen auf sehr unterschiedliche Kommentare. Was und warum sie dazu kam, Menschen mit Trauer um geliebte Tiere zu begleiten, fragte Daniela Kaminski.

 

DK: Warum nennst du dich Sterbeamme?

Hand auf Pferd
Halt suchen – aber wo, wenn es „nur“ um ein Tier geht? Geht es nicht eher um einen Menschen? Foto DK

AJ: Meine Ausbilderin, die Heilpraktikerin Claudia Cardinal, sieht Sterben und Tod analog zu Schwangerschaft und Geburt an. In der Ausbildung ging es viel um alte Rituale und die Herausforderung, eine neue Sprache dafür zu finden. Früher gab es die Totenammen, die für die Versorgung der Sterbenden und er Leichen zuständig waren.

 

DK: Wie kam es zu der Spezialisierung auf Menschen, die ihren tierischen Freund verloren haben?

AJ: Eigentlich durch die Suche nach einer Marktlücke. Hier wo ich lebe, gibt es eine starke Hospizbewegung für Menschen, die Menschen verlieren, aber für meine Klientel gibt es keine Angebote.

 

DK: Siehst du einen Unterschied zwischen der Trauer um einen Menschen oder um ein Tier?

AJ: Der wesentliche Unterschied ist, dass man in der Trauer um ein Tier ganz alleine ist. Gesellschaftlich wird es wenig akzeptiert, man kann sich an niemanden so richtig wenden, der Mitgefühl hat. Das führt nicht selten in die Isolation. Es sind ja oft Menschen, die im Tier ihren Sozialpartner haben, weil sie damit besser zurechtkommen als mit Menschen.

Eine andere Situation kann sein, dass Menschen entscheiden mussten, dass ihr Tier getötet wird. Das gibt es ja auch beim Verlust eines Menschen, dieses Gefühl, Apparate ausschalten zu lassen, etwas versäumt oder falsch gemacht zu haben. Aber geh mal damit zum Therapeuten mit der Aussage, dass du nicht damit zurecht kommst, dein Pferd eingeschläfert zu haben. Da bist du nach 10 Minuten wieder draußen. Die Trauer ist m.E. gleichwertig, existentiell und kann sogar pathologisch werden.

 

DK: Gibt es graduelle, wenn man es so nennen kann, Unterschiede in der Trauer, bspw. je nachdem wie groß das Tier war, wie lange man es hatte…?

Katze und AJ
Tiere sind unsere Schutzbefohlenen – eine Patientenverfügung gibt es hier nicht. Foto: DK

AJ: Das hängt von der Beziehung ab und auch davon, was sonst noch im Leben los ist, wie groß und bemerkbar die klaffende Lücke ist. Tiere sind ja quasi unsere Schutzbefohlenen, unsere „Untertanen“ im besten Sinne des „macht euch die Erde untertan“, nämlich die, für die wir sorgen müssen. Wir erleben die Beziehungen oft als fraglos, treu. Und dann sind wir die Entscheider, auch über Leben und Tod. Man kann sich ja bei ihnen so schlecht rückversichern, ein Tier hat keine Patientenverfügung. Das ist für manche Menschen in der Trauer zusätzlich erdrückend.

 

DK: Wie steht es mit der Ersetzbarkeit? Ich kann mir ja einen neuen Hund zulegen.

AJ: Gerade das steht der Akzeptanz der Trauer in der Gesellschaft im Wege, denn das Bild ist genau so: kauf neu!

 

DK: Was ist für dich Trauer?

AJ: Trauer ist ein heilendes Gefühl,wenn du trauern kannst. Wenn nicht, kann es Depressionen auslösen, sogar körperliche Folgen wie Herz- oder Krebserkrankungen können auftreten. Daher sehe ich mein Angebot als Einladung, für diese „verbotene“ Trauer Räume zu öffnen und Akzeptanz zu gewährleisten.

 

DK: Gibt es typische Phasen der Trauer?

Trauerbegleitung hat viele Gesichter - zuhören, malen, Taschentücher reichen Foto: DK
Trauerbegleitung hat viele Gesichter – zuhören, malen, Taschentücher reichen Foto: DK

AJ: Ich spreche lieber von Phänomenen, denn es geht oft vor und zurück. Phänomene können sein Verleugnung, Aggressionen, Feilschen und Verhandeln, körperlich oder seelische Zusammenbrüche. Im günstigsten Fall endet der Prozess mit der Annahme des Tode, damit man Frieden findet.

 

DK: Hast du praktische Tipps für Trauernde?

AJ: Es ist wichtig, dass Menschen (wieder) handlungsfähig werden. Schuldgefühle, wenn sie da sind, sollten benannt werden. Man kann aufschreiben, was man noch sagen will, auch Versäumtes nachholen. Rituale helfen, bspw. gute Wünsche auf die Reise schicken, einen Gedenkplatz einrichten, auch wenn ich mein Pferd nicht im Garten begraben kann.

 

DK: Wie sieht deine Arbeit konkret aus?

AJ: Es gibt einen Termin zum Kennenlernen, das kann auch sein, wenn ein Tier in absehbarer Zeit sterben wird. Ich brauche einen Auftrag, z.B. „ich möchte, dass sie bei mir sind, wenn mein Tier stirbt,“ oder „ich möchte wieder in den Alltag kommen“. Begleitung hat dementsprechend viele Gesichter, das können Gespräche sein auf Spaziergängen, beim Fahrradfahren, ein Besuch auf dem Tierfriedhof, Bilder anschauen, selber malen oder Geschichten hören. Mir begegnen Gefühle wie Schuld, Mangel, Einsamkeit, Versäumnisse – damit arbeite ich.

 

DK: Wann rätst du, ein neues Tier anzuschaffen?

AJ: Überhaupt nicht. Es ist eine Möglichkeit, aber ich rate zu garnix. Ich möchte, dass wir die Beziehung zu Tieren und damit auch die Trauer um sie, ernst nehmen. Das ist Ausdruck des Respekts und der Akzeptanz unsere Mitgeschöpfe, die nebenbei oft so wertvolle Funktionen in Altersheimen, Kitas, Therapie erfüllen und für viele Menschen eben auch in ihrem Alltag.

 

DK: Danke für das Gespräch.

Anmerkung: Eala bedeutet Schwan, ein mystisches Tier, das sich auf vielen Häusern in Ostfriesland befindet. www.eala-trauerhilfe.de