Ginge es nach der Partei „Alternative für Deutschland“, gäbe es künftig nur noch nationalistische Kunst und Kultur mit dem Siegel „Echt Deutsch“. Diese Gleichschaltung von gesellschaftlichen Bereichen erinnert nicht nur an Gebaren diktatorischer Staatsformen, sie ist auch so gedacht. Eindimensionalität war schon immer eine Verweigerung von reflektiertem Denken.
Kultur – Ein Gummibandbegriff
Mit dem Ausdruck Kultur ist es ähnlich bestellt wie mit Begriffen „Glauben“ oder „Gesellschaft“: Es gibt jeweils zahlreiche Ansichten dazu, aber wir sprechen nicht von EINER Kultur, EINER Gesellschaft oder EINEM Glauben. Und das ist auch sehr gut so! Kultur ist ein Gummibandbegriff, der sich zwar grob umschreiben lässt, inhaltlich aber viel Raum für Definitionen zulässt. Der Karnevals- oder Heimatverein wird eine andere Vorstellung von Kultur haben, als die Zuständigen in einem autonomen Kulturzentrum. Auf Wikipedia wird Kultur (von lateinisch cultura „Bearbeitung, Pflege, Ackerbau“) als „… im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur“…bezeichnet. Ich denke, auf diese Grunddefinition kann man sich einigen. T.S. Eliot, ein englischsprachiger Lyriker, Dramatiker und Kritiker, verfeinert diese Definition noch. Danach geht Kultur dem Wissen voraus und „ …ist eine Geisteshaltung, eine Sensibilität und eine Pflege der Form, welche den Erkenntnissen einen Sinn und eine Orientierung gibt.“ (1) Folgt man nun den vielfältigen Auslegungen von Kultur in der entsprechenden Fachliteratur, so findet man als weitere Merkmale die schon oben erwähnte Heterogenität (verschiedene Kulturkonzepte), sowie eine Veränderbarkeit von Kultur; wir leben heute in einer anderen als vor hundert Jahren und es macht bis auf ganz wenige Ausnahmen in der Regel wenig Sinn, eine vergangene Kultur komplett wiederbeleben zu wollen.
In einer offenen Gesellschaft ist es möglich, dass mehrere Kulturen gleichberechtigt nebeneinander existieren können. Mir sind außer in diktatorisch geführten Gesellschaften keine Fälle bekannt, in denen es eine Zwangskultivierung gab oder gibt. (Auch wenn in Deutschland verdeckte Prozesse in dieser Richtung sicherlich existieren!) Kulturen wechseln zwar stetig und sukzessiv, aber jeder, der in einer bestimmten Kultur lebt oder ihr angehört, hat die Möglichkeit Einfluss zu nehmen, um sich gegen extreme Wandlungen oder Veränderungen zu wehren. Notfalls wechselt man eben die Kultur. Die verschiedenen Unter- oder auch Subkulturen lassen sich, falls es sich um freimütige, offene und selbstdenkende Menschen handelt, spielend zu einer Gesamtkultur zusammenfassen. Vor allem Menschen mit eng gefassten Denkstrukturen fällt es schwer, Anderes, Fremdes oder Ungewohntes zuzulassen. Doch ich habe schon einmal an anderer Stelle beschrieben (https://querzeit.org/kultur/nischenkultur), dass die Offenheit eines Menschen und die Bereitschaft andere Kulturen zu integrieren, stark davon abhängig ist, wie ich eine bunte Gesellschaft und die in ihr existierenden Subkulturen erfahren habe. Wenn ich nur mit einer kulturellen Ausrichtung aufwachse und ich keine Alternativen kennenlerne, werde ich kulturell, aber auch was mein Toleranz- oder Akzeptanzverständnis anbetrifft, verflachen.
Vor einigen Jahren organisierte ich zusammen mit einigen wenigen Mitstreitern kulturelle, vor allem musikalisch geprägte Events – sogenannte „Hörstunden“ – in der Stadt, in der ich lebe. Die Veranstaltung war von einem großen Multikulturalismus geprägt; neben deutschsprachigen Abenden gab es in dem breitgefächerten Programm russische, polnische, türkische, indische oder irische Musik. Auch wenn an der einen oder anderen Stelle die landläufigen Hörgewohnheiten gesprengt wurden, war das Publikum begeistert und schlussendlich traurig, als die Reihe eingestellt werden musste. Vielfalt – in welcher Hinsicht auch immer – ist sowohl für die menschliche Wahrnehmung, als auch ihre kognitive Verarbeitung eine bereichernde und vervollkommnende Ausgangslage. Aus der Wahrnehmungs- und Lernpsychologie wissen wir, dass sich eine Verschiedenheit und Vielfalt der Wahrnehmungsreize positiv auf unsere psychische Entwicklung auswirkt. Wie dumm müsste somit jemand sein, der statt Multikulturalismus eine Gleichschaltung und somit eine Kulturverflachung fordert?
Gleichschaltung – kommt einem irgendwie bekannt vor!
Gleichschaltung – diesen Begriff kennen wir aus diktatorischen und damit autoritativen Umfeldern. Eine solche Strategie, das gesellschaftliche und politische Leben zu vereinheitlichen, findet sich im Nationalsozialismus genauso, wie in dem Kontext des DDR-Apparats. Immer dann, wenn Personen, denen aus irrsinnigen Gründen zu viel Macht übertragen wurde, diese missbrauchen, um das Monopol des gesamten Denkens und gesellschaftlichen Tuns für sich zu vereinnahmen, folgte daraus bis heute der Vorgang des Gleichschaltens. Pluralismus und somit auch Multikulturalismus bedeutet für autoritative Führer möglicherweise vermehrte Kritik an ihrem menschenverachtenden Machtzentrum. Wen wundert es also, dass auch rechtsnationale Gruppierungen in Deutschland ein verstärktes Interesse an der Unterdrückung von Meinungsfreiheit, wie sie in einer vielfältigen Kultur wichtige Voraussetzung ist, haben.
Aktuell erleben wir eine solche Gleichschaltungsforderung bei der AfD, die eine deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus fordert. „Die AfD wird nicht zulassen, dass Deutschland aus falsch verstandener Toleranz sein kulturelles Gesicht verliert“, heißt es z.B. auf der Homepage der „Alternative für Deutschland“, die sich aufgrund einer pathologischen Wahrnehmungsstörung für die Retter der Demokratie und damit für die Inkarnation eines deutschen Reinheitsgebotes hält. Weiter heißt es auf der besagten Seite der Partei: „Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Diese fußt auf den Werten des Christentums, der Antike, des Humanismus und der Aufklärung. Sie umfasst neben der deutschen Sprache auch unsere Bräuche und Traditionen, Geistes- und Kulturgeschichte. Damit eng verbunden sind unser liberaler Rechtsstaat, unsere Wertschätzung von Bildung, Kunst und Wissenschaft sowie die soziale Marktwirtschaft als Ausdruck menschlicher Kreativität und Schaffenskraft. Die Ideologie des Multikulturalismus gefährdet alle diese kulturellen Errungenschaften. „Multi-Kultur“ ist Nicht-Kultur. Sie löst die Gemeinschaft auf und befördert die Entstehung von Parallelgesellschaften. Dauerhafte existierende Parallelgesellschaften führen sehr oft zu innenpolitischen Konflikten und können letztlich sogar den Zerfall eines Staates bewirken.“ Ginge es also nach dieser eindimensional gepolten Partei, hätten nur noch Kunst- und Kulturangebote mit dem Siegel „Echt Deutsch“ eine Daseinsberechtigung.
Nicht zufällig erinnern diese Sätze an einen Ausspruch von Adolf Hitler über die Kunst: „Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus hat es in Deutschland eine sogenannte moderne Kunst gegeben, d. h. also, wie es schon im Wesen des Wortes liegt, fast jedes Jahr eine andere. Das nationalsozialistische Deutschland will wieder eine deutsche Kunst, und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.“
Die AfD ist ein mehrgleisiges Projekt, bestehend aus einer großen Gruppe von Wählern („Lemminge“), die vor allem gegen Flüchtlinge sind, andere Inhalte der Parteiprogramme nicht hinterfragen oder wissentlich ausschalten, einer kleineren Gruppe von Wackeldackeln, die in den Parlamenten mit z.T. blödsinnigen oder sinnfreien Forderungen versuchen, die Demokratie auszuhöhlen, sowie einem verdeckten Überbau, dessen Ziele weit über dem durch Hasstiraden, Hetze und Rassismus protzenden Politzirkus der Analogdemokraten liegen. Auch hier ist der Plan ähnlich verortet, wie in den eingangs erwähnten Faschismen: Ein Machtmonopol in den Händen weniger. Wenige bestimmen, wo es lang geht und versuchen, die Deutungshoheit zu übernehmen. Auch kulturell! Da wundern einen die hitler´schen Anleihen nur wenig! Und wieder scheint es niemand zu bemerken.
Doch denkt man mal eine derartig angelegte Gleichschaltung von Kunst und Kultur, wie es die AfD vorsieht, einmal weiter, so stößt man auf mindestens zwei Barrieren: Die Macher und die Empfänger.
Die Macher
Als ich die bereits zitierten „Hörstunden“ organisierte und durchführte, folgte ich bei der Planung einer Idee, die vor allem durch den Geist einer Vielfalt geprägt war und meiner Kreativität als ehrenamtlicher „Kulturarbeiter“ freien Lauf ließ. Hätte man angefangen, mich zu reglementieren (was schlussendlich geschehen ist) und mir vorzuschreiben, was ich an den Abenden präsentieren sollte, hätte ich von heute auf morgen das Handtuch hingeworfen.
Die Freiheit der Kunst und Kultur bezieht sich nicht nur auf das Angebotene selbst, sondern auch auf die uneingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten der Macher. Wird ein Kunstwerk – egal welcher Art – geschaffen, so entsteht das Ergebnis aus sich oder aber aus der Psychodynamik des Schaffenden heraus. Kunst ist das Eintauchen in eine unsichtbare Welt der Gedanken und Gefühle, was nur möglich ist, wenn dem Maler, Schriftsteller, Theaterregisseur, städtischen Kulturbeauftragten oder Musiker die Eigenständigkeit des Machens verfügbar ist. Kreativität lässt sich nicht vorschreiben oder erzwingen. Eine solche Kunst oder Kultur ist eine Inszenierung und erinnert eher an Malen nach Zahlen. Welcher Künstler oder Kulturschaffende, außer er/sie lässt sich für die Interessen der Herrschenden vor den Karren spannen, hat ein gesteigertes Interesse an vorgegebenen Mustern? In vielen Ländern, in denen früher Kunstobjekte von idiotischen Machthabern in Auftrag
gegeben wurden, kann man sich über die albernen Ergebnisse noch heute belustigen oder gruseln.
Es ist beinah beschämend zu beobachten, wie sich viele kritische Kulturschaffenden auch ohne AfD durch ein „ … Einsickern des Marktdenkens in den Kulturbetrieb, der mittlerweile restlos von ihm durchdrungen ist…“(2) beeinflussen und sich aus einer Angst vor möglicher Kritik aus der von rechts infiltrierten Politmanege einschüchtern lassen. Mager ist die Schar der Kulturschaffenden, die solchen eindimensionalen Forderungen nationalistischer Minimaldenkern die Stirn und ihnen kulturell die Breitseite bieten. Dazu fällt mir ein Spruch ein, den ich in den sozialen Medien fand: Lebe jeden Tag so, dass es der AfD nicht gefallen würde. Meiner Meinung nach ist das eine brauchbare Maxime, die auch kultureller Standard sein sollte.
Die Empfänger
Kunst und Kultur würde es nicht geben oder zumindest wenig Sinn machen, existierten nicht diejenigen, die sie wahrnehmen und somit sehen, hören, lesen oder ausführen. Sicherlich, das Angebot richtet sich nach der Nachfrage und es (s.o.) teilweise erschütternd, wie von den Kulturverantwortlichen in den Städten und Ländern öde Einheitskost angeboten wird. Je mehr Mainstream, desto eher wird das Angebot genutzt. Kultur wird mehr und mehr zu einem von einer Kulturindustrie erfundenem und damit gelenktem Massenkonsumartikel.
Und dennoch, erstens wünscht sich auch der wenig reflektierte Comedy-Gucker Vielfalt und zweitens gibt es eine nicht zu überschätzende Gruppe von Kunst- und Kulturinteressierten, die durch kulturelle Angebote herausgefordert werden wollen. Die Diversität der kulturellen Anforderungen zeigt schon im Kern, dass Kultur immer vielfältig sein sollte, um die Geschmäcker, aber auch Bedürfnisse zufrieden zu stellen.
Ich für meinen Teil fühle mich schnell gelangweilt, wenn ich durch ein Museum wandle, in dem das Dargebotene meine Sinne nicht reizt. Ich lasse mich gerne provozieren, verführen, anregen, betören, aufregen oder verwirren. Ich möchte aus einer Ausstellung oder einem Konzert mit dem Gefühl herausgehen, mit Haut und Haar gefordert zu sein. Natürlich ließe sich dies auch mit genuin deutscher Kultur bewirken, doch schon immer faszinierte gerade der Blick auf das Fremde, Ferne, Andere und Nichtalltägliche, sowie der Blick von Außerhalb auf das Gewohnte. Doch geht es bei der alternativen Patriotenfront um Gauland und seinen Chefideologen nicht nur um das Deutsche, sondern vielmehr um das unkritische und blindgläubige. Eine Partei wie die AfD, die ausschließlich auf die Verfestigung von Machtstrukturen ausgelegt ist, möchte eine nicht hinterfragende Gefolgschaft und nicht kritischen Gegenwind von kritischen Kulturmachern und -interessierten. Es gilt also doppelten Wirkkräften Widerstand zu leisten: Der Verblödung durch die Kulturindustrie und die Verflachung durch die AfD.
Fazit
Die ideellen Hintergründe der AfD sind nicht alternativ, sondern folgen uralten Mustern. Den „Pogromierern“ dieser faschistischen Idee geht es vor allem darum, an der Oberfläche die Flüchtlingsfrage zur Flüchtlingskrise zu stilisieren. Während dies ihre Gefolgschaft in Wallungen bringt und den Wählernachschub sichert, können im Hintergrund alle Fäden gezogen werden, um eine Machtmaschine zu konzipieren, die keine Diversität mehr vorsieht. Das Fazit kann also nur heißen, diese Hintergründe deutlich zu machen und die eindimensionalen Machenschaften der AfD, aber auch der anderen Machtgierhälse zu zerschlagen, wo es nur geht. Die Tendenz vom Multikulturalismus hin zur Kulturverflachung ist ein Gesichtsverlust für eine kulturell offene Gesellschaft, um mit den Worten der Rechten zu sprechen. Kulturverflachung führt zur Verdummung und das ist Voraussetzung für eine deutsche Leitkultur des Gehorsams, der Anpassung und des Wegschauens. Eindimensionalität war schon immer eine Verweigerung von reflektiertem Denken.
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- In Mario Vargas Llosa: „Alles Boulevard“, Suhrkamp, 2014
- Norbert NiemannZum Verhältnis von Kultur und Politik in Deutschland … Eröffnungsrede zum Forum “Culture and Politics” in Kairo. Auf: https://www.norbert-niemann.de/texte/zum-verhaeltnis-von-kultur-und-politik-deutschland