Wege aus der Dystopie
Strategien gegen den politischen und gesellschaftlichen Irrsinn

Es ist erschütternd: Wir leben in einem Zeitalter, das immer mehr einer Dystopie gleicht, in welcher Krieg und Terror in manchen Teilen der Welt zu alltäglichen Schrecken geworden sind. Was tun? Resignieren oder Widerstand leisten? In dem Artikel geht es um die vielen Möglichkeiten, der gesellschaftlichen und politischen Misere etwas entgegenzusetzen. Verzweifle nicht, sondern tu was – die Revolution im Kopf bekommt niemand mit!

Dystopie – endlich mal erklärt

Der mystische Brunnen in Telgte (Foto Arnold Illhardt)
Der mystische Brunnen in Telgte (Foto Arnold Illhardt)

Im März 2020 brachte der Deutschlandfunk eine Sendung, die mit „Endlich mal erklärt: Was ist eine Dystopie?“ (DLF) überschrieben war. Bei der Recherche zu diesem Artikel beruhigte mich der Titel, denn als mir vor gar nicht so langer Zeit der Ausdruck Dystopie erstmalig beim Lesen begegnete, hatte ich keinen blassen Schimmer, was damit gemeint war. Hatte ich mal wieder einen angesagten Begriff verpennt? „Jede Szene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie praktisch sind, griffig und zutreffend.“, heißt es in der besagten Sendung. Und weiter: „…Dystopien treten vermehrt in Umbruchzeiten auf. Das ließ sich auch in den beiden letzten Jahrzehnten beobachten, in denen Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel bei vielen Menschen Gefühle der Verunsicherung und des Kontrollverlustes mit sich gebracht haben.“ (DLF)

Der erste Gebrauch des Wortes wird dem englischen Philosophen John Stuart Mill (ca. 1850) zugeschrieben, der darunter einen Ort verstand, an dem es im weitesten Sinne schlecht um die Dinge bestellt sei und somit auch eine Art Gesellschaftskritik beinhaltete, was damals nicht unbedingt üblich war. Es ist wohl kein Zufall, dass man bei Dystopie direkt an den Gegenpol Utopie denkt. Vor einigen Jahren brachten wir an unserem Postkasten ein Schild mit der Aufschrift „Botschaft von Utopia“ an, dass immer wieder gerne von Passanten mit einem Lächeln quittiert wird, aber durchaus auch Kopfschütteln provoziert. Ich belauschte eines Tages zufällig ein Gespräch zwischen einem Kind und seiner Mutter.

Kind: (liest laut und etwas schwerfällig) „U-tooo-pii-aaaa“ … Mama, was bedeutet Utopia?“

Mutter: „Utopia ist ein Land, in dem sich alle Menschen wohlfühlen und so leben können, wie es für sie am besten ist.“

Kind: „In so einem Land würde ich auch gerne leben. Gibt es wirklich ein Utopia?

Mutter: „Nein, leider nicht ….“

Den Rest habe ich leider nicht mehr mitbekommen, aber ich finde die Beschreibung der Mutter sehr passend und allein für diesen Gedankenanstoß hat sich das kleine Schild, das eigentlich nur als freundliche Provokation gedacht war, schon gelohnt. Utopien sind Idealbilder von einer solchen Welt. Sind Dystopien das Gegenteil?

Bei Dystopien denken wir möglicherweise direkt an den Roman „1984“ von George Orwell, der eine Art Warnung vor der Gefahr des Totalitarismus darstellt. Orwell beschreibt eine Welt, in der totale Überwachung, staatliche Kontrolle und gescheiterter Widerstand an der Tagesordnung stehen. Der Roman wurde 1949 geschrieben, 1984 ist vorbei und die komplette Welt scheint in einer Dauerpoolposition, was Dystopie anbetrifft, zu stehen. Nun liegt es ja im Auge des Betrachters, oder besser gesagt: in seiner ideologischen Einstellung, ob ein politischer oder gesellschaftlicher Zustand als dystopisch oder vielmehr als wünschenswert wahrgenommen wird. So scheint die AfD-Wählerschaft kein Problem damit zu haben, dass ein paar machtgeile und sozialkompetent minderbegabte Politfunktionäre die Demokratie zersetzen wollen. Das, was mir als linkem Denker die Haare zu Berge stehen lässt (und ich habe viel davon, gemeint sind die Haare), produziert offenbar bei so manchem Anhänger der nationalvölkischen Partei feuchte Träume von starken Führern, die endlich wieder sagen, wo es lang geht. Dass ein solcher Gedanke für einen selbst ein Armutszeugnis ausstellt, wird zumeist nicht mitgedacht. Schließlich scheint man ja selbst zu einfallslos oder gar zu bequem zu sein, einen eigenen Weg einzuschlagen.

Dystopie – hier und heute

Fünf vor Zwolf (Foto und Installation Arnold Illhardt)
Fünf vor Zwölf (Foto und Installation Arnold Illhardt)

Momentan lese ich in meinen alten Tagebüchern und befinde mich aktuell Anfang der Neunziger. Dabei muss ich feststellen, dass in den Jahren politisch und gesellschaftlich üble Zeiten herrschten. Schon damals gab es Gewalt durch Neonazischergen und Entscheidungen von Politikern mit entsetzlichen Profilneurosen. Irgendwer schmierte nächtens „LINKE INS ARBEITSLAGER“ auf mein Auto, weil hinten ein Aufkleber mit einer Friedenstaube klebte. Zwischen all diesen Entsetzlichkeiten stand ich – ein junger Mann, der für eine offene Gesellschaft, freiheitliche Strukturen und ein gelebtes Leben eintrat und dafür auch auf die Straße ging. Der Unterschied zur heutigen Zeit liegt u.a. in einem digitalen Nachrichtenoverkill, wobei die Flut an News nur noch der Unterhaltung, nicht mehr der Information dient. Mittlerweile bin ich mit meinen 65 Jahren an einem Punkt angekommen, an dem ich die Ausgeburten einer „entgesellschaftlichten“ Politik nur noch albern finde. Ich kann sie nicht mehr ernst nehmen und schon gar nicht als (über) mich regierende Personen akzeptieren. Diesen grassierenden Irrsinn umschreibt Noam Chomsky sehr treffend:

„Wir leben in einem Zeitalter, das immer mehr einer Dystopie gleicht, in welcher Krieg und Terror in manchen Teilen der Weilt zu alltäglichen Schrecken geworden sind, während sie anderswo nur als Hintergrundrauschen der medialen Dauerbeschallung wahrgenommen werden. Mit dem Beginn des nuklearen Zeitalters hat die Menschheit die Kapazitäten entwickelt, sich selbst und alles Leben auf der Erde auszulöschen. Dem Abgrund, der totalen Zerstörung unseres Planeten, sind wir heute so nahe wie nie zuvor… (NCH)“

Doch dystopisch sind nicht nur die „die-da-oben“, die über Menschen und ihre Länder bestimmen, als seien es Wegwerfartikel, sondern dystopisch sind auch all die vielen Bürger, denen das reflektierte Denken abhandengekommen ist und die zwischen vorauseilendem Gehorsam und hasserfülltem Siechtum vegetieren. In letzter Zeit sprach ich mit mehreren Personen über die Idee, diesen Artikel zu schreiben und immer wieder fielen im Gespräch die Worte Gleichgültigkeit und Abstumpfung, die wohl in allen Bereichen menschlicher Kommunikation und Interaktion tonangebend sind. Was mich betrifft, so kommt noch eine weitere externale Belastung hinzu: Der bestialische Umgang mit Tieren in einer unbarmherzigen Tierindustrie und der unausrottbare Glaube der Menschen, Fleisch wachse an den Bäumen. Allerdings muss ich zugeben, dass hier die anfangs erwähnte Albernheit endet. Vielmehr bestürzt mich der Gesellschaftszustand und der Umgang mit Lebewesen, macht mich geradezu krank, aber auch zornig. Es fällt immer schwerer, politische Contenance zu bewahren. Und nun? Verzweifeln? Aussteigen? Rebellieren? Kaputtmachen, was mich kaputt macht? Oder mit Humor den Schwindel aufdecken?

Optimismus in der Dystopie

Es sollte nicht das Ziel von uns Menschen sein, uns an etwas Schlimmes zu gewöhnen, es zu ertragen und uns entsprechend anzupassen, sondern Tatsachen und Vorgänge, die einer Demokratie, einem guten Zusammenleben oder einer offenen Gesellschaft im Wege stehen, entgegenzuwirken und sie bestenfalls abzuschaffen. Das können Gegenmaßnahmen im Kleinen und im Großen sein. Mir geht es in diesem Text vor allem um die Kleinen und Machbaren, aber auch die von mir selbst erprobten. Und all diesen Gegenmaßnahmen ist ein Übergedanke gemeinsam: Einmischen, mitmischen und notfalls aufmischen.

Fünf Quellen haben mich in letzter Zeit aus der von mir wahrgenommenen Dystopie herausgerissen und durch den dort vermittelten Optimismus Lust auf wohldosierte Revolte entfacht.

Die erste Quelle ist ein Text von der Autorin Rivera Sun, der im Mai 25 in der Zeitschrift Graswurzelrevolution veröffentlicht wurde. Er erinnert etwas an den Anfang von Asterix & Obelix: „Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Dachte ich, in Amerika sei man unfähig, sich dem infantilen Autokraten Trump zu widersetzen, so zeigt Rivera Sun unter dem Titel „Der Widerstand gegen Trump ist allgegenwärtig“ auf, wie man mit zum Teil kreativen Protesten aus lähmender Angst effektive Kontrapunkte schaffen kann. Lange hat mir ein Text nicht mehr so viel Spaß in düsteren Zeiten gebracht wie dieser. Ein Teil der folgenden Strategien wurden aus diesem Artikel entliehen.

Protest (Quelle Pixabay)
Protest (Quelle Pixabay)

Quelle No. 2 stammt aus dem Buch „Kampf oder Untergang“, in dem der amerikanische Intellektuelle und Linguistikprofessor Noam Chomsky interviewt wird, „warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen“. In dem Kapitel „Optimismus in der Dystopie“, das den Grundstein für diesen Artikel legte, beschreibt Chomsky Aktivitäten, wie man gegen die „Trumpismen“ Widerstand leisten kann. So berichtet er von Aktivisten, die in der Wüste Camps errichten, um Flüchtlingen, die Trump und seine Speichellecker lieber verrecken lassen würden, u.a. mit Wasser zu versorgen. Chomsky versucht in seinen Essays, aber auch in seinem universitären Wirken die Leute anzustacheln, statt Verzweiflung Optimismus zu leben. Leider gibt es kaum mehr Menschen wie den 1928!! geborenen Chomsky. Oft frage ich mich: Wo sind sie geblieben, die großen Wortführer, Macher, „Sozialphysiker“ (Adrien Turel), Generalisten und gesellschaftlichen „Samensetzer“ (R. Jungk)

Bei der dritten Quelle handelt es sich um ein Buch, das ich bereits vor Jahren verschlungen habe: „Culture Jamming“ von Kalle Lasn. Ich zitiere aus dem Klappentext:

„Culture Jamming versteht sich als eine „mentale Umweltschutzbewegung“, die gegen den Dauerbeschuss mit 4000 Werbebotschaften täglich kämpft und sich dabei der elaborierten Techniken der Werbebranche bedient, um eine verbraucherorientierte Gegenöffentlichkeit zu schaffen. (KLA)“

Faszinierend fand ich die Aktionsform des sogenannten Adbusting (s. u.), „…bei der Werbung im öffentlichen Raum verfremdet, überklebt oder auf andere Weise umgestaltet wird, um so ihren Sinn umzudrehen oder lächerlich zu machen. (WIK)“ Sicherlich ist das nicht ganz legal, aber Krieg, Gewalt, Betrug, Lügen etc. sind es schließlich auch nicht!

Mit der vierten Quelle befasse ich mich ganz aktuell, sozusagen als Abendlektüre. Es ist das Buch des Wissenschaftlers Friedemann Karig „Was ihr wollt – wie Protest wirklich wirkt“. Ich zitiere wiederum aus dem Klappentext: Das „…Buch verdeutlicht unsere riesige Chance, viel mehr erreichen zu können, als heute möglich erscheint – auch, weil es vom vielleicht kostbarsten Gut unserer Tage erzählt: der Hoffnung (FRK).“

Und schließlich Quelle, die fünfte: ich selbst. Ich kann nicht stillsitzen und noch schlechter eine Sache AUSsitzen. Deshalb habe ich auch schon die unterschiedlichsten Formen, die ich gleich beschreiben werde, selbst ausprobiert, organisiert, moderiert oder auch als für mich ungeeignet erklärt. So ist das Schreiben, das kreative Gestalten, der verdeckte Protest in Form von in der Öffentlichkeit angebrachtem Material oder aber auch die Durchführung von Talkabenden etc. eher meine Sache. Und damit will ich noch einmal unterstreichen: Jede*r muss seine/ihre Form des Widerstands oder seine Strategie zur Reorganisation des Lebens finden.

Noch drei Fragen

Was soll das überhaupt bringen? Eine Art Meta-Analyse der u.a. auch hier zitierten Bücher, die sich mit Widerstand oder einer neuen Form von Zusammenleben beschäftigen, sowie meine eigenen Erfahrungen zeigen: Es bringt eine ganze Menge. Es scheint mir wichtig, den gesellschaftlichen und politischen Perversionen, die uns jeden Tag zu schaffen machen, ein Kontrazeichen entgegenzusetzen. Ich persönlich lehne Gewalt ab. Natürlich kann man diskutieren, ob eine Sitzblockade eine Form von Gewalt ist, nur sollte in diesem Zusammenhang auch diskutiert werden, ob der Grund des Widerstands nicht wesentlich mehr Gewalttätigkeit, Brutalität oder Rücksichtslosigkeit darstellt. Ich habe auf meinem PKW einen Aufkleber, der mich als Anhänger von harter Rockmusik ausweist. Und bringt es was? Ja, denn ich werde regelmäßig von anderen Autofahrern gegrüßt (Zusammenhörigkeitsgefühl) oder im Sinne einer Unterhaltung („Wieso hörst du in deinem Alter so einen Krach?“) in eine Unterhaltung einbezogen (Auseinandersetzung). Wir sollten nicht vergessen, dass große Veränderungen eher durch Bürgerbewegungen erreicht wurden. Die Politik, so scheint es mir, verwaltet eher Probleme.

Ist Widerstand nicht eher etwas für spezielle Individuen? Die Antwort lautet: NEIN. Jede/r kann in den von mir gleich aufgeführten Widerstandsformen etwas finden, was ihm/ihr eher zusagt: Der eine kann besser reden, die andere eher gestalten und umgekehrt. Friedemann Karig drückt es wie folgt aus: „…erfolgreicher Protest lebt nicht vom Heldenmut oder Exzellenz, sondern von Verbindlichkeit und Gemeinsinn, Kommunikation und Koordination, kurz: von einer Gruppe, die zusammenhält – und einen Plan hat. (FRK)“ Da ich nicht unbedingt sehr gruppenkompatibel bin, hecke ich meine Pläne gerne auch auf eigene Faust oder in Kooperation mit meiner Frau aus. Jedem Menschen das seine!

Und was ist, wenn der Feind mitliest? Personen, die ich mit meinem Protest erreichen möchte, um ihnen Widerstand entgegenzubringen, machen ebenfalls Gebrauch von bestimmten Strategien. Sie leben ja nicht hinter dem Mond. Oder doch? Ich muss sagen, ich habe noch nie so schlecht gemachte Protestaktivitäten gesehen, wie z.B. von der rechten Szene. Stumpf durch die Straßen zu latschen, Deutschlandfahnen zu schwingen und „Deutschland den Deutschen“ zu grölen ist nicht sonderlich einfallsreich (Leider gibt es solche dumpfbackigen Vorgehensweisen auch auf der anderen Seite!) Oftmals hapert es sogar mit der deutschen Sprache, für die sich Nationalfaschisten so vehement einsetzen. In einem mir nicht mehr bekannten Artikel las ich, dass z.B. Anhänger der AfD nicht für Protestaktionen zu begeistern sind, sondern lieber vom Sofa aus hetzen. Also nehmen wir ihnen ihre Bühne.

Noch ein letztes Wort. Widerstand hat nichts mit links zu tun, außer man lässt sich auf die Vereinfachung der rechten Szene ein (die ja „spaßiger“ Weise selbst Widerstand leistet!). Das Motto „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ hat eher etwas mit einer reifen Persönlichkeit zu tun, die sich von Zwängen befreien und mitgestalten will. Bei allen Protestformen sollte allerdings beherzigt werden:

  • Gewalt ist die schlechteste Lösung!
  • Hetze und Beschimpfung sind primitiv!
  • Es sollte deutlich Abstand von Rassismus, Diskriminierung und menschenverachtenden Inhalten genommen werden. Deshalb demonstriert man auch nicht mit Faschisten.
  • Das Kommentieren in den sozialen Medien ist kein Protest, sondern schnell verstaubtes Aufbegehren.
  • Demokratie lebt u. a. von Protest und zwar von einem Protest, der die Grundpfeiler der Demokratie stärken will. National-völkischer/ rechtsfaschistischer Protest will undemokratische, autokratische Strukturen schaffen. Das macht einen riesigen Unterschied und sollte nicht akzeptiert werden.

Wege aus der Dystopie

An dieser Stelle möchte ich ein paar Möglichkeiten nennen, wie ein Mit-, Ein- und Aufmischen funktionieren kann. Je kreativer, desto besser. Aber es soll nicht nur um politische Aktionen gehen, sondern auch um Wege, die vom „Gelebtwerden“ wieder zum Selbstleben führen. Auf geht´s!

Das Gespräch

Wer sich schon einmal die Mühe gemacht hat, mit „rechtsdrehenden“ Menschen oder Verschwörungsanhängern zu reden weiß, dass es ein hoffnungsloses und eher frustrierendes Unterfangen ist. Wenn ich von Gespräch spreche, so meine ich die Unterhaltung und Diskussion mit Personen, die Angst vor dystopischen Prozessen haben und hier in eine Depression abzudriften drohen. Die Bereitschaft eines Menschen aktiv zu werden, bekommt zumeist dadurch Antrieb, dass man Gleichgesinnte trifft und nicht von dem Gefühl, mit seinen Ängsten und Sorgen allein auf weiter Flur zu sein, unterdrückt wird.

Demonstrationen, Streiks und Kundgebungen

Berittene Staatsmacht (Foto Arnold Illhardt)
Demonstration gegen Nazis in Münster inklusive berittene Staatsmacht (Foto Arnold Illhardt)

Es ist wichtig, den Unmut zu einer Sache auf die Straße zu bringen. Die Aussage, Demonstrationen würden nichts bringen, ist nicht richtig. Es mag sein, dass die Tausenden auf der Straße wie z.B. gegen die Deportationspläne der AfD die Politiker wenig interessieren. In meinem Beisein sagte tatsächlich mal ein CDU-Politiker, dass man nicht auf Alles hören könne, was der Mob auf der Straße schreie. Was aber unterschätzt wird, ist der psychologische Effekt für die Demonstrierenden selbst. Die Erfahrung, nicht allein mit seiner Empörung zu sein, hat aufbauende und bestätigende Wirkung. Als radikale Form ist hier natürlich auch die Blockade zu nennen. Dies muss nicht gleich ein Sitzstreik sein, sondern vielleicht einfach nur ein massenhaftes „Im-Weg-Stehen“ vor einem AfD-Stand. Der Klassiker ist natürlich der Streik oder die Arbeitsniederlegung bei arbeitnehmerfeindlichen Maßnahmen.

Kreative Proteste

künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)
künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)

Neben den „normalen“ Demonstrationen (s.o.) sind kreative Formen des Protests von großer Wirksamkeit. Sie fallen nicht nur mehr auf, sondern zeigen auch, wozu die Protestierenden in der Lage sind. So hängten Menschen „vor dem Außenministerium und vor Nationalparks Flaggen verkehrt herum auf, unter anderem vom Gipfel des El Capitain im Yosemite-Nationalpark“ (GWR). Beim letzten Urlaub in Frankreich waren Ortschilder umgekehrt angeschraubt worden. In dem besagten Artikel wird auch von Zwischenrufen bei einer Halbzeitshow des Super Bowls berichtet, die Trump zur vorzeitigen Abreise zwangen. (GWR) Ebenso gibt es Aktionen, bei denen die Menschen in einem Supermarkt rückwärtsgelaufen sind oder sich in Käfige einsperren ließen, um gegen die Tierindustrie zu protestieren. Ebenfalls kreativ können Kunstaktionen sein, bei denen auf sehr verzerrte, auffällige oder überzeichnete Weise etwas dargestellt wird. (Ich verzichte an dieser Stelle darauf, auf die Diskussion „Was ist Kunst?“ einzugehen. 1968 färbte Nicolás Uriburu bei der Biennale den Canal Grande mit Lebensmittelfarbe grün. Es war eine politische Aktion gegen Gewässerverschmutzung und Naturzerstörung. Dies war auch die Absicht des Künstlers HA Schult, als er seine „Trash People“ – lebensgroße Figuren aus Müll – aufstellte. Als ich in seinem Kölner Atelierhaus war, erklärte er den Hintergrund seiner Aktion: Genauso wie der Müll werden auch sein Müllmenschen Jahrhunderte überstehen.

Auf Leerstellen hinweisen

Es sollte inzwischen bekannt sein, dass die AfD keine Lösungen anbietet, sondern lediglich versucht, auf den Frust der rechten, bzw. der politisch labilen Wähler zu setzen und sich als Heilsbringer anzubieten. Daher ist es wichtig, auf die „Leerstellen“ hinzuweisen, also auf das, was die AfD bislang NICHT bewirkt hat. Und dort, wo die AfD Einfluss hat, ergibt sich eine schaurige Bilanz. So steht der Landkreis Sonneberg (Thüringen), in dem der AfD-Politiker Sesselmann mit großspurigen Versprechungen an den Start gegangen ist, kurz vor der Pleite und die Wirtschaft steckt in der Krise. „Kliniken, die Sesselmann sichern wollte, sind pleite. Besonders peinlich: Eine Grundschule musste nach 116 Jahren dichtmachen. Dabei hatte Sesselmann vor seiner Wahl noch getönt, sie zu erhalten. (CAM)“ Solche Aspekte geraten zu schnell in Vergessenheit. Vielleicht sollen sie das auch!

„Überschwemmung“

Vor einigen Jahren gab es sogenannte Meldeportale der AfD, über die Schüler*innen und Eltern anonym parteikritische Lehrkräfte melden sollten. Ich habe mich beteiligt und Wetterberichte oder konfuse Texte an das Online-Portal geschickt. Ähnliche Spitzelportale hat auch Trump eingerichtet, um Verstöße gegen seine irrsinnigen Anordnungen zu überprüfen. Auch hier wurde „geflutet“! Vor allem lange, unverständliche Texte, die man z.B. aus dem Internet kopieren kann, stören ungemein.

Kenne-Deine-Rechte-Trainings

Viele wissen nicht, welche juristischen Möglichkeiten ihnen im Kampf gegen politische Willkür zur Verfügung stehen. Entsprechende Trainings können wichtige Informationen über Strategien liefern, um im richtigen Moment Vorgänge zu erschweren oder gar zu vereiteln. (GWR) Viele Initiativen, die auf Widerstand geeicht sind, bieten solche Seminare oder Trainings an.

„Oldschool“-Briefe und Emails

Kritische Kommentare in den sozialen Medien sorgen meistens nur eine kurze Welle für eine zumeist völlig unproduktive Diskussion. Stattdessen lohnt es sich, Briefe an Politiker oder andere entsprechende Institutionen zu schreiben. Es wird zwar oft behauptet, dass diese eh nie gelesen würden, tatsächlich habe ich aber schon mehrfach Antwort auf meine Schreiben bekommen. Dabei ist es wichtig, sachlich zu bleiben und gut zu argumentieren. Neben dem guten alten Papierbrief geht das natürlich auch über Emails; zumeist haben die sogar bessere Chancen, gelesen zu werden.

Gehorsamkeitsverweigerung/Ziviler Ungehorsam

Nichts ist entwürdigender, als blinden oder vorauseilenden Gehorsam zu leisten, wenn man von einer Anordnung absolut nicht überzeugt ist. Wie bei allen Reaktionen sollte zunächst das Für und Wider abgewogen werden, bevor man in die Verweigerung geht. Auf diese Weise sind schon viele sinnfreie Verordnungen rückgängig gemacht worden. Beispiele für zivilen Ungehorsam sind z.B. die „Black-Lives-Matter“-Bewegung in den USA, Blockadeaktionen von Walfangschiffen durch Greenpeace oder die Verletzung der Schulpflicht durch „Friday For Future“. Weitere Beispiele findet man auf der Homepage von Extinction Rebellion. Eine sehr schöne, da überaus stimmige Parole ist der Satz „Gehorche nicht im Voraus“ (EXR)

Plakate

Auch wenn Wahlplakate vor allem aufgrund ihrer Inhaltslosigkeit nerven und kaum eine Menschenseele mehr interessieren, so können selbst gemachte Plakate, Plakatfälschungen oder -veränderungen an vielfrequentierten Stellen durchaus provozieren und dadurch in Erinnerung bleiben. Bei einer Wahl habe ich ein Plakat erstellt, auf dem einfach nur „SO“ stand; das war mein stiller Protest gegen die Informationsleere der meisten Wahlplakate. Leider hing das Plakat nur kurze Zeit.

Videos

Nichts wird in den sozialen Medien mehr wahrgenommen als gutgemachte Videos, in denen auf kreative Weise und mit vielleicht künstlerischen Mitteln Missstände verarbeitet und dadurch angeprangert werden. Da der Mensch offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, sich längere Zeit auf ein Video zu konzentrieren, sollten sie kurz und bündig sein.

Selfies

Auch wenn erhobene Mittelfinger nicht sonderlich einfallsreich erscheinen, so können sie bei massenhaftem Einsatz sehr viel bewirken. So machen Leute immer wieder Selfies mit erhobenem Mittelfinger, wenn sie den Trump Tower in New York City besuchen und teilen die Bilder im Netz (GWR). Sehr gut, wenn nicht gar besser, machen sich Selfies mit selbstverfassten Statements, die auf umgehängten Schildern fotografiert werden. Übrigens lassen sich daraus sehr nette Challenges entwickeln. Übrigens muss man bei diesen Selfies ausnahmsweise mal kein „duck-face“ machen; das ist eine andere Kategorie.

Flugblätter/Zeitungen

Ein probates und bewährtes Mittel waren und sind immer noch Flugblätter, die in großer Auflage gedruckt und gezielt verteilt werden. Das kann bedeuten, sie in alle Briefkästen vor Ort zu werfen oder schwerpunktmäßig dort zu platzieren, wo man bestimmte Adressaten erreichen möchte. Das kann z.B. auch in oder vor einem Geschäft/Supermarkt sein. Ähnlich wie Flugblätter funktionieren auch kleine, als Zeitung aufgemachte Schriftstücke, die auf ähnlichem Weg an die Leute gebracht werden.

Wandzeitung/Schaukasten

Schaukasten Schreyben und Sehen (Foto Arnold Illhardt)
Schaukasten Schreyben und Sehen (Foto Arnold Illhardt)

Ich erinnere mich noch bestens an die guten, alten Wandzeitungen zu Uni-Zeiten, die mittlerweile durch digitale Medien verdrängt wurden. Sicherlich zählt das Argument, dass über den digitalen Weg mehr Menschen erreicht werden können, aber in der Flut von News gehen digitale Medien oft eher unter und sind vor allem ungemein kurzlebig. Seiten einigen Jahren (mit Unterbrechung) hängt an unserem Haus ein Schaukasten, in dem früher die Getränkepreise für eine Kneipe ausgehängt wurden. Nun veröffentliche ich darin regelmäßig Texte, Gedichte, Textinstallationen usw., vor denen immer wieder Neugierige stehen bleiben und beim Verweilen lesen. Wir bekamen schon viele recht positive Rückmeldungen und häufig werden z. B. Installationen abfotografiert. Ich habe den Schaukasten „Schreyben & Sehen“ genannt, um bereits über den Titel die Aufmerksamkeit zu fordern.

Involvierte Unternehmen attackieren/Boykott

In gesellschaftliche oder politische Prozesse sind fast immer große Konzerne verwickelt (siehe momentan in den USA) bzw. ein zu kritisierendes Vorgehen wird durch eine bestimmte Firma/einen Konzern ausgeführt. Hier haben sich Produktboykotte bestens bewährt. „Mit seinem Versuch, das Meer als Müllkippe zu benutzen, hat der SHELL-Konzern europaweit für Aufruhr gesorgt. In Deutschland und Holland boykottieren Verbraucher die Shell-Tankstellen. (SP)“ Damals sanken die Umsätze und der Konzern lenkte ein. Das „Shell-to-Hell“ gilt für mich bis heute. Einen stillen Boykott bekommt eine Firma natürlich nicht mit; Sinn macht es erst, wenn sich – wie im obigen Beispiel mit Shell – viele beteiligen. Als der Hambacher Forst dem Profit geopfert wurde – dem Energieriesen RWE sei Dank -, habe ich an die Firma geschrieben, dabei auch verantwortliche Personen mit Namen aufgeführt. Es ist wichtig einen Betrieb zu „entanonymisieren“ und ihm ein Gesicht zu geben. Übrigens kann man einen Betrieb, der negativ aufgefallen ist, auch mit schlechten Bewertungen attackieren.

Dienste kündigen

Als ich erfuhr, dass eine Bank, bei der ich früher meine Konten hatte, in Militärgeschäfte investierte, habe ich die „Kasse“ angeschrieben, meinen Protest bekundet und unter Angabe besagter Kritik mein Konto gekündigt. Es gab seitens der Bank tatsächlich ein paar Versuche, die Sache geradezurücken, was mich aber wenig beeindruckt hat. Genauso kann man auch Google, Facebook oder andere Dienste kündigen. (u.a. GWR)

Archive anlegen/Dokumentationszentren

Soziale Medien sind kurzlebig, d.h. einen Post, den ich heute setze, ist morgen kaum mehr wiederzufinden. Auch Zeitungen bringen Nachrichten, die bereits am nächsten Tag in Vergessenheit geraten sind. Aus diesem Grund sind Archive wichtig. Damit sind u.a. Ablagen gemeint, in denen man Artikel speichert (oldschool als Zeitungsausschnitt oder in digitaler Form), oder man legt ein Archiv in Form einer Homepage oder eines Blogs an. So erstellte ein Bekannter eine Seite, auf der er die Aktivitäten der lokalen AfD zusammenstellte. Die Damen und Herren aus der national-völkischen Analogpartei umgeben sich gerne mit einem demokratischen Deckmäntelchen, die Auflistung von Kommentaren, Aktivitäten, Beobachtungen etc. zeigen aber deutlich antidemokratische Tendenzen bzw. das Ziel, ein autokratisches Herrschaftssystem aufzubauen. Dafür braucht es ein Dokumentationsmedium, um diese Aktivitäten zu zitieren oder zu präsentieren. Es sollte nichts vergessen werden! Eine solche Dokumentation kann natürlich auch ein Zentrum in realen Büroräumen etc. sein. Zweimal haben meine Frau und ich einen Monat lang die AfD beobachtet und unsere Erfahrungen hier auf QUERZEIT dokumentiert. (u.a. Ein Monat mit der AfD –)

Recherchen/Blogs

Nicht jedem Menschen liegt das Schreiben und doch haben viele über ihre Ausbildung, ihren Beruf oder Studium gelernt, Recherchen anzustellen. Einen Artikel zu verfassen heißt ja nicht nur, sich aus einer Quelle zu bedienen, um diese dann mit eigenen Worten wiederzugeben, sondern für eine Thematik zu recherchieren und das bedeutet: Es werden verschiedene Veröffentlichungen zu einem Thema gesichtet, möglichst auch über ein breites Spektrum der Heran- und Denkweisen, um diese dann entsprechend aufzuarbeiten. In einem Zeitalter, in dem wir mit kurzen, journalistisch schlecht aufbereiteten Nachrichten überschwemmt werden, die vor allem unterhalten sollen, ist es umso wichtiger, ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu erforschen. Dabei geht es mir vor allem um einen leider oft vernachlässigten Aspekt des Journalismus: Wie bereits in der vorherigen Strategie umrissen, sind Nachrichten kurzlebig. Wurde zum Beispiel über ein Gerichtsverfahren, einen kritischen gesellschaftlichen Vorgang oder eine Protestaktion berichtet, so fragt man sich als reflektierter Leser, wie es weitergegangen ist, ob eine Lösung gefunden wurde oder ob der Politiker X oder Y immer noch im Amt ist. Und hier finde ich es gerade wichtig, dort zu recherchieren, wo die Vorgänger aufgehört haben. So hat die AfD beispielsweise bei bestimmten Strafverfahren etc. bei Politiker aus den eigenen Reihen von Ausschlussverfahren gesprochen, tatsächlich fanden sie tatsächlich aber nicht statt. So berichtete z.B. die TAGESSCHAU im März 23:

„Die AfD hat in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder angekündigt, einzelne Mitglieder auszuschließen oder sogar ganze Gliederungen der Partei zu suspendieren. Doch nach vorliegenden Informationen sind sämtliche Betroffene weiterhin Mitglied der AfD. (TAG)

Solche Recherchen können über Blogs veröffentlicht werden. So versteht sich auch die Seite QUERZEIT als ein solches Medium. Tatsächlich wurden wir schon häufiger als Quellenarchiv genutzt. Manche Zeitung bieten ebenfalls über den Leserbriefbereich hinaus Möglichkeiten an, dort gut gemachte Texte zu veröffentlichen.

Künstlerische Mittel

künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)
künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)

In Diskussionen mit „wahrhaftigen“ Künstlern ging es immer wieder um die Frage, ob Kunst eine politische Aussage treffen müsse. Ich zitiere die Künstlerin Dagmar Reiche zum Thema „Muss Kunst politisch sein?“

Kunst ist frei. Kunst darf Dinge sagen, die wehtun, sie darf den Finger auf Schmerzpunkte legen, zuspitzen und polarisieren. Sie darf provozieren und zum Widerstand aufrufen. Kunst kann als Hofnarr agieren und warnend den Finger erheben. Sie darf und kann vieles. Aber muss sie das? Muss Kunst eine politische Dimension haben? (KUR)“

Ehemalige Schaukästen der Parteien - warum nicht zweckentfremden? (Foto Arnold Illhardt)
Ehemalige Schaukästen der Parteien – warum nicht zweckentfremden? (Foto Arnold Illhardt)

Die Antwort lautet also vermutlich „Jein“: Kunst muss gar nichts, aber sie hat eine überaus große Macht, Dinge anzuprangern und z.B. durch die Darstellung zu überzeichnen. In Amerika erleben wir aktuell, wie sich große Musiker gegen den entsetzlichen Blödsinn von Trump positionieren. Hier in Deutschland ist diesbezüglich viel Luft nach oben. Dagegen finde ich es persönlich großartig, wenn das Zentrum für politische Schönheit, ein Zusammenschluss von über 100 Aktionskünstlern und Kreativen, einen ehemaligen Gefängnistransporter („Adenauer SRP+“) für antifaschistische Aktionen einsetzt. Dass das auffällige Gefährt schon x-Mal von der Polizei festgesetzt wurde, spricht zwar Bände über das Demokratieverständnis der Polizei, war dadurch aber auch mächtig publikumswirksam. Ich persönlich feiere diese Aktion.

Humoristische Aktionen

Smells like AfD (Foto Arnold Illhardt)

Humor ist eine Bandbreite, aber immer auch eine fantastische Form des Widerstands. Natürlich gilt da auch so manchem Comedian großer Dank, dass er oder sie auf einprägsame Weise gesellschaftspolitische Missstände aufs Korn genommen hat. Ich meine aber auch den Humor im Kleinen durch Aktionen, Installationen, Störaktionen oder kleine lustige „Streiche“. Hier gibt es übrigens einen großen Vorteil zu rechtsextremen Aktionen, da rechtsdrehende Personen zumeist komplett humor-, aber auch einfallslos sind. Ich habe vor vielen Jahren mal eine kleine Zeitung mit dem blödsinnigen Namen TILD konzipiert und in diverse Postkästen geworfen. Auch hier wieder der Beweis, dass Aktionen Wirkung zeigen: Ich bekam einen persönlichen Anruf vom eigentlich ganz okayen Bürgermeister, der eine meiner „Ausfälle“ rügte. Seine Replik wirkte allerdings reichlich unbeholfen, da er meine Aktion irgendwo im tiefsten Inneren wohl ganz sympathisch fand. Zudem habe ich kleine Fähnchen mit der Aufschrift „Smells like AfD“ entwickelt, die ich in nicht weggeräumte Hundekackhaufen stelle. So sind gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: 1. die Haufen sind markiert und keiner tritt rein. 2. Die AfD wird negativ assoziiert. Natürlich sind die Fahnenstile aus verrottbarem Material. Linksgrünversiffte Zeitgenossen denken eben immer linksgrünversifft.

2004 wurde von Mitgliedern des Satire-Magazins Titanic „Die Partei“ gegründet, die vor allem durch bissige und – wie ich finde – überaus humorvolle Aktionen von sich reden machte. Natürlich ist es wichtig, den schmalen Grad zur Beleidigung nicht zu verlassen, aber ich halte es für mehr als gerechtfertigt, blödsinnigen Politikerentscheidungen mit Blödsinn zu entgegnen.

Mal abgesehen davon, dass sich Angst durch Lachen besiegen lässt, ist Humor auch ein hervorragendes Mittel, Verhaltensmuster beim Niederschlagen von Protest zu durchkreuzen. Polizisten sind geschult, gegen gewalttätige Demonstrationen vorzugehen. „Aber niemand hat ihnen beigebracht, wie sie auf Humor reagieren sollen … Und genau das ist das Geniale am Lachtivismus. (SPO)“

Gespräch-Cafés

In der Stadt, in der ich lebe, gibt es das Angebot eines Gespräch-Cafés, das gut genutzt wird. In der Regel gibt es ein Thema, über das bei Kaffee und Brötchen diskutiert werden kann. So wird das reale Gegenüber beim Miteinandersprechen zurückgeholt. Die zum Teil entgleiste Kommunikation in den sozialen Medien kann hier deutlich entschärft werden. So können z. B. auch völlig entgegengesetzte Meinungen in einem halbwegs vernünftigen Rahmen an- oder ausdiskutiert werden. Und so manches Café freut sich über solche Nutzungen, da über die Aktionen ja auch in der Zeitung berichtet werden.

„Talk-Abende“

Talk-Abend 2017 in einer Autowerkstatt (Foto Marion Illhardt)
Talk-Abend 2017 in einer Autowerkstatt (Foto Marion Illhardt)

Gemeint sind mit dem Ausdruck „Talk-Abende“ nicht die großen Abendveranstaltungen bzw. Shows im Fernsehen (die ich schon seit Jahren nicht mehr ertragen kann), sondern kleine, lokale Veranstaltungen. Vor Jahren habe ich mit meiner Frau in einer Autowerkstatt einen solchen Abend organisiert und auch moderiert, bei dem es um politische, aber auch kulturelle Themen ging. Bei einer anderen von mir moderierten Veranstaltung ging es um Auswirkungen des Freihandelsabkommen TTIP auf die Kultur. Beide Events waren gut besucht und das Publikum war angenehm gemischt.

Nutze dein Wohnzimmer/Haus

Was mich immer wieder verwundert: Die Menschen haben riesige Wohnzimmer, tuen darin aber immer nur eins: Fernsehgucken! Wie wäre es mit einer Veranstaltung für einen Kreis von Leuten, um z.B. ausgewählte Filme zu schauen, Bücher zu besprechen oder vielleicht auch Musik zu machen? Wir haben kurz vor Corona das „Wohnzimmerflimmern“ ins Leben gerufen, bei dem wir mit einigen Bekannten und Freunden Filme geschaut haben, die immer von einer anderen Person vorgeschlagen wurden. Oft waren dies politische oder philosophische Inhalte. Warum das wichtig sein kann? Weil die Menschen so etwas nicht mehr kennen. Geht man abends durch die Straßen, sieht man hinter den Fenstern überall vereinsamte Leute/Paare/Familien vor der Glotze. Was für armselige Zeiten!

künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)
künstlerische Videoinstallation an eine Hauswand (Foto Arnold Illhardt)

Genauso wie das Innere seines Hauses, kann man auch die Wände nutzen. Mit Beginn des brutalen Kriegs in der Ukraine habe ich eine Videoinstallation erstellt und diese an eine gegenüberliegende Wand projiziert. Hier ließ sich vor allem gut der Überraschungseffekt nutzen, da man ja nicht alle Tage in der Stadt Filme an Hauswänden sieht. bei einer eher künstlerisch konzipierten Aktionen wurden mit mehreren Beamern verschiedene Kurzfilme in Überblendtechniken an die Hauswand der Nachbarn (das OK wurde vorher eingeholt) gestrahlt. Vorstellen könnte ich mir sehr gut, dafür auch Filme über die Massaker in Schlachthäusern in Szene zu setzen.

Soziokulturelle Zwischennutzung

Kulturveranstaltung Hörstunde in einem früheren Kornbrennerei-Museum (Foto Arnold Illhardt)
Kulturveranstaltung Hörstunde in einem früheren Kornbrennerei-Museum (Foto Arnold Illhardt)

In vielen Städten – leider sind es meist die großen – ist es Kult, Leerstand oder sogenannten Transitraum für künstlerische und /oder kulturelle Aktionen zu nutzen. Zusammen mit meiner Frau habe ich über Jahre in einer leerstehenden Kornbrennerei sogenannte „Hörstunden“ organisiert, bei denen unterschiedliche Formen von Kultur angeboten wurden. Finanziert wurde das Projekt durch Spenden und Getränkeverkauf, denn der Eintritt war – um möglichst allen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen – frei. Oft wurde weit über die Veranstaltung hinaus noch diskutiert und gefachsimpelt. What the fuck is Facebook??? Was bei solchen Transiträumen oft vergessen wird: „Zwischennutzungen zu ermöglichen, kann … lukrativ und gut für das Image sein…“, denn: „man zeigt sich so als Gemeinde schließlich als Ermöglicher von Kunst und Kultur, verhindert Leerstand und macht gleichzeitig die Immobilienwirtschaft glücklich. (TAZ).“

Fazit

Dies ist eine kleine Auswahl, aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Der Protestforscher Gene Sharps beschreibt 198 Taktiken aus allen Kategorien des Protestes (GSH) und ständig werden es dank der Kreativität vieler Aktivisten immer mehr. Doch geht es ja nicht nur um Protest, nicht nur um Widerstand, sondern auch um Wege, der digitalisierten Parallelwelt zu entfliehen. Auf Dauer kommen wir nicht drum herum, massenhaft die Stecker zu ziehen und uns wieder in Kneipen zu treffen. Beim Hundespaziergang waren die Gaststätten, an denen ich vorbeikam, so gut wie leer! Vereinsamen wir alle?

In der letzten Zeit habe ich viele Menschen getroffen, die ob der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Misere nahezu krank geworden sind. Doch krank wird man vor allem dann, wenn man sich hilflos fühlt und das bedeutet, auf die Dystopie mutig und mit gradem Blick zuzugehen ist allemal besser, als vor ihr einzuknicken. Auch wenn es sich nach fürchterlichem Verschwörungsgequatsche anhört, aber es gibt viele Instanzen, die sich über unser Einknicken und Krankwerden freuen, ja es geradezu als Ziel sehen. Und Dr. Google hat gegen deine Depression, die er sicherlich eher wahrnimmt als du selbst, eine Menge Medikamente bei den Onlineapotheken im Angebot.

Zum Schluss noch ein Zitat des amerikanischen Musikers und Dichters Gil Scott-Heron:

„The revolution that takes place in your head, nobody will ever see that.“ (Eine Revolution, die nur in deinem Kopf stattfindet, wird nie jemand sehen.)

Also: RAUS DAMIT!

 

Quellenangaben:

CAM – https://blog.campact.de/2025/05/erster-afd-landrat-robert-sesselmanns-katastrophale-bilanz/

DLF – https://www.deutschlandfunk.de/endlich-mal-erklaert-was-ist-eine-dystopie-100.html

EXR – 15 Beispiele für zivilen Ungehorsam, (die etwas bewirkt haben)

GSH – 198 Methoden des gewaltlosen Widerstands von Gene Sharp – Konferenz für Urban Transformation Design

GWR – Rivera Sun: Der Widerstand gegen Trump ist allgegenwärtig. In Graswurzelrevolution, Mai 2025/499

KLA – Kalle Lasn: Culture Jamming – Die Rückeroberung der Zeichen. Büchergilde Gutenberg: Frankfurt a.M., 2005

KUT – https://kunstreiche.de/ateliergefluester/muss-kunst-politisch-sein/

NCH – Noam Chomsky: Kampf oder Untergang (im Gespräch mit Emran Feroz) – Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen. Westend Verlag, Frankfurt/Main: 2021

SP – https://www.spiegel.de/politik/versenkt-die-shell-a-5ece4d8d-0002-0001-0000-000009198944

SPO – Sroja Popovic: Protest!. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a.M. 2015

TAG – https://www.tagesschau.de/faktenfinder/afd-ausschlussverfahren-101.html

TAZ: Vorübergehend kreativ | taz.de

WIK – Adbusting – Wikipedia