Von Helden und Ehre
Zur Problematik von Kriegsdenkmalen

Sollen Kriegsdenkmale in Deutschland, auf denen gefallene Soldaten als verehrungswürdige Helden bezeichnet und dargestellt werden, weiterhin unkommentiert im öffentlichen Raum stehen dürfen?  

Zum Andenken unserer Helden (Foto MM)

Man findet sie in fast jedem deutschen Ort: An Marktplätzen, auf Friedhöfen oder im Umfeld von Kirchen. Einige sind schlicht in Form eines Kreuzes gehalten, viele aber sind geradezu pompös gestaltet. Im Volksmund werden Kriegsdenkmale, die sich in der Regel sowohl auf den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg beziehen, heute immer noch als „Ehrenmale“ bezeichnet. Nur, was haben deutsche Kriegsdenkmale mit Ehre zu tun? Geht doch einer Ehrung in der Regel ein als besonders positiv empfundenes, vorbildliches Verhalten voran…

Erzengel Michael, Kriegsdenkmal Remagen (Foto MM)

Sollten diese den Soldatentod heroisierenden Kriegsdenkmale nicht stattdessen in Trauermale verwandelt werden, die daran erinnern, wieviel Leid in beiden Weltkriegen Menschen anderen Menschen angetan haben? Vor allem aber  im Hinblick auf die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg, der ein Angriffs- und Vernichtungskrieg war. Ca. 60 Millionen Menschen kamen in dieser Zeit zu Tode: Durch Kriegshandlungen, durch Massenmorde in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und hinter der Front, durch Verbrechen an der Zivilbevölkerung, durch systematisches Verhungern-Lassen, Zwangsarbeit und Euthanasie. Der Mythos von der „sauberen Wehrmacht“, der sich so lange in der deutschen Nachkriegsgesellschaft halten konnte, ist spätestens seit der „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung Ende der 90er Jahre ad absurdum geführt worden. Historische Forschungen belegen, dass ohne die Wehrmacht die Massenmorde, die Verbrechen nie hätten stattfinden können, dass sich auch Wehrmachtssoldaten freiwillig an den Verbrechen beteiligten. Einen sog. „Befehlsnotstand“ gab es erwiesenermaßen nicht. Weder bei der SS noch bei der Wehrmacht. Ein „Nein, da mache ich nicht mit!“ hat keinesfalls bedeutet, vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt zu werden. Viele Wehrmachtssoldaten haben sich nicht an den Verbrechen beteiligt, verweigert, ohne dass es für sie negative Konsequenzen hatte.

Gottgefällige Werke auf dem Weg zum Frieden

Der unheilvolle Mythos von „Soldatenehre“, „Heldentum““ und „Rettung von Volk und Vaterland“ lässt sich auf vielen Kriegsdenkmalen finden. Menschen sollen auch heute noch daran erinnert werden, dass den gefallenen „Helden“ und „Heldensöhnen“ des jeweiligen Ortes Ehre und Dank gebühren, da diesen durch ihr Opfer der Frieden, in dem wir heute leben dürfen, zu verdanken sei. Viele Skulpturen, Reliefs und Aufschriften verkünden zudem die Botschaft, dass der Soldatentod ein gottgefälliger Tod sei, dem ebenso gottgefällige Werke auf dem Schlachtfeld vorangegangen seien. Seinen Ausdruck findet dies z.B. in dem für Kriegsdenkmale typischen Michael-Motiv. Der Erzengel Michael, bewaffnet mit dem lodernden Flammenschwert, gilt im Christentum als der Bezwinger Satans und  als Anführer der himmlischen Heerscharen. Er wird heute noch als Patron der Soldaten verehrt und als Seelenführer ins Paradies gedeutet. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung des gekreuzigten Jesus, der den unter seinem Kreuz stehenden Soldaten den Weg in die Ewigkeit weist. Auf anderen Denkmalen breitet die Madonna ihren Schutzmantel über die Soldaten aus und nimmt sie so in ihre Obhut. Auf vielen Darstellungen werden die Soldaten zusätzlich mit Eichenlaub bekränzt. Eichenlaub war das germanische Symbol für Tapferkeit, Treue und Unsterblichkeit.

All diese Bilder und Symbole weisen darauf hin, dass auf Soldaten nach Erfüllung ihrer Pflicht die Unsterblichkeit, das ewige Leben warten. Als Wegbegleiter in die Unsterblichkeit warten wahlweise Jesus oder der Erzengel Michael oder manchmal andere, nicht näher bestimmbare Engel oder auch die Madonna. Die Absolution Gottes ist den Soldaten so in jedem Fall gewiss, auf seine Zustimmung können sie vertrauen.

Die hier zum Ausdruck kommenden religiösen Deutungen des Soldatentodes sind angesichts der vollständigen Verneinung aller christlichen Werte im Krieg absurd, wenn nicht sogar obszön. Hier werden Kriege und Soldatentod mit Hilfe christlicher Ikonografie geradezu ver-herrlicht und in den Bereich des Mystischen transformiert.

Zum Schutz von Volk und Heimat

Ebenso offenbart sich in vielen Denkmalen ein abstoßender Geschichtsrevisionismus.  Suggerieren ihre Aussagen und Darstellungen doch, dass der Zweite und auch Erste Weltkrieg notwendig gewesen seien, um die „Heimat“ vor den satansgleichen Feinden zu „schützen“. Täter werden so zu heldenhaften Opfern. Ein Narrativ, das in der deutschen Nachkriegsgesellschaft nur allzu gern erzählt wurde, um davon abzulenken, dass nahezu ein ganzes Volk als Täter, Profiteure und Mitläufer direkt oder indirekt an den Verbrechen beteiligt war. Durch das Opfer-Narrativ musste sich niemand der eigenen Schuld, der eigenen Verantwortung stellen.

Und vermitteln derartige Denkmale nicht auch, dass ein Krieg ein besonderes Ereignis im Leben eines Mannes sei, in dem er sich – erfüllt von hehrer Pflichterfüllung gegenüber der Heimat und seinen Lieben –  auf dem „Feld der Ehre“ bewähren und den Dank der Gemeinschaft verdienen konnte?

Angesichts der Tatsache, dass der Zweite Weltkrieg ein Angriffs- und Vernichtungskrieg war, in dem jeder deutsche Soldat – ob freiwillig oder nicht – dazu beigetragen hat, dass dieser Krieg (weiter)geführt werden konnte, sind derartige Darstellungen und Aufschriften nicht nur absurd und obszön, sondern auch äußerst gefährlich.

Erinnerungstafel in einer Kirche (Foto MM)

Gefährlich, weil sie den Mythos vom „tapferen Landser“, der für seine Lieben kämpft und sein Leben opfert, aufrechterhalten und so Kriege regelrecht romantisieren. Im Hürtgenwald, wo 1944/1945 eine der furchtbarsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges stattfand, in der Tausende amerikanische und deutsche Soldaten getötet wurden, finden heute noch privat organisierte „Kriegsspiele“ statt, in denen als amerikanische GIs und  deutsche Wehrmachtssoldaten verkleidete Menschen (in den allermeisten Fällen Männer) „spielerisch“ gegeneinander kämpfen. Romantik pur, denn es ist ja nur ein auf dem ehemaligen „Feld der Ehre“ stattfindendes Spiel, in dem mann sich endlich als „Held“ fühlen darf.

Gefährlich auch, weil diese Denkmale geschichtsrevisionistische Ansichten befeuern und den Rechten, den Rassisten, den Faschisten, all den Gaulands, die den Nationalsozialismus und die NS-Zeit als „Vogelschiss in 1000 Jahren deutscher Geschichte“ bezeichnen, eine gefällige Plattform bieten. Dort finden sie genau das, wonach sie suchen: „Heldentum“ und „Ehre“ für die „Rettung der Heimat“ vor dem Satan. Wer immer der Satan auch ist, er ist austauschbar. Gestern waren es die Juden, die Sinti und Roma, die Russen und viele andere. Und heute?

Verschweigen, Verdrängen, Verleugnen

Das Gedenken an die vielen Millionen Menschen, die in der NS-Zeit ermordet wurden, sucht man meistens im Umfeld solcher Denkmale vergebens. Wer trauert um sie? Über sie, über das, was ihnen angetan wurde, ist nichts zu lesen. Eine Ausnahme – wenn man sie als solche überhaupt gelten lassen kann – habe ich in Bad Ems gesehen. Dort wurde am örtlichen Kriegsdenkmal 1999 eine Steintafel mit der folgenden Inschrift hinzugefügt (vgl. Foto):

„Wir gedenken der Menschen in aller Welt, denen Krieg, Terror oder anderes Böse das Leben nahm, Leid an Körper und Seele zufügte und die Würde verletzte. Die Bürger der Stadt Bad Ems im Juli 1999“

Aber: Wer sind die Menschen „in aller Welt“? Was ist das „andere Böse“? Hier fehlt sowohl der konkrete Bezug zu den Opfern der Verbrechen, die in der NS-Zeit verübt wurden, als auch der konkrete Bezug zur Stadt Bad Ems. Sicherlich könnte hier angemerkt werden, dass diese Tafel besser als nichts sei, aber ihre Wirkung fällt ins Leere, da ihre Aussage letztlich im Ver-Schweigen stecken bleibt. Lebten 1999 in Bad Ems noch zu viele der Täter und Profiteure? Waren sie vielleicht honorige Bürger, die oder deren Familien man nicht gegen sich aufbringen wollte?

Das Verschweigen, Verdrängen, Verleugnen zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Nachkriegsgeschichte. Bis heute. So wie die Unfähigkeit zu trauern (Margarete und Alexander Mitscherlich).

Eigene Erfahrungen

Seit über einem Jahr befinde ich mich in einer Auseinandersetzung mit der Eifel-Gemeinde Hellenthal, in deren Ortsteilen Reifferscheid und Oberreifferscheid den gefallenen Soldaten auf Kriegsdenkmalen Dank ausgesprochen und ehrendes Gedenken versprochen wird. Ich hatte den Hellenthaler Bürgermeister, Herr Westerburg, die Euskirchener Lokalredaktion des Kölner Stadtanzeiger und auch den Kreis Euskirchen wegen der Kriegsdenkmale angeschrieben. Weder der Bürgermeister noch die Lokalredaktion reagierten. Nur die Untere Denkmalbehörde des Kreises Euskirchen reagierte und teilte mir mit, dass die lokalen Kriegsdenkmale nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen würden. Nachdem ich dem Hellenthaler Bürgermeister eine dritte mail geschrieben hatte, bekam ich Anfang des Jahres eine  Antwort von einem seiner Mitarbeiter. Dieser teilte mir mit, dass man über meine „Beschwerde“ im März 2021 im Gemeindeausschuss beraten würde. Wie ich jetzt erfuhr, hatte die Gemeinde Anfang 2021 den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge um eine Analyse und Beurteilung der beiden Denkmale gebeten. Das Ergebnis dieses Gutachtens ist, dass die Aussagen und auch die Gestaltung beider Denkmale im historischen Kontext als „problematisch und fragwürdig“ gewertet werden. Als Empfehlung sollen bei beiden Denkmalen ergänzende Infotafeln, die die Gestaltung und Aussage in den historischen Kontext einordnen sollen, als auch Mahnmale, auf denen der Millionen Opfer des NS-Regimes gedacht wird, sog. Counter Monuments, installiert werden. Ob diese Empfehlungen umgesetzt werden? Ich hoffe es! Und das bitte in ganz Deutschland!

(alle Fotos: MM)