Im April 2018 fand im Westfälischen Ahlen eine Veranstaltung der AfD in der dortigen Stadthalle statt. Eingeladen war der Rechtsradikale Björn Höcke. Ein buntes Volk demonstrierte vor den Toren für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus. Als Demonstrationsteilnehmer versuchte ich der anderen Seite zuzuhören und mit Rechten zu reden – ein grausames und sinnentleertes Unterfangen!
Als ich in meinem Wagen stieg, spürte ich eine außergewöhnliche Form der Anspannung, wie ich sie bei mir kaum kannte und auch lange nicht mehr erlebt hatte: Eine Mischung aus Zorn, innerem Tumult und Aggression. Aus meinen Lautsprechern dröhnte noch lauter als sonst Metal, was zwar nichts Ungewöhnliches ist, aber an diesem Tag noch aufputschendere Wirkung hatte. Ich war auf dem Weg nach Ahlen, um zu demonstrieren. In der dortigen Stadthalle beglückte der Rechtsradikale Björn Höcke seine Kameraden (man beachte die männliche Form) von der AfD. Mir war sowohl der eine, als auch die andere zutiefst zuwider und ich empfand es somit als für mich selbstverständlich, wenn nicht gar verpflichtend, Flagge zu zeigen. Auf letztere verzichtete ich allerdings.
Demonstrieren bedeutet “zeigen, beweisen oder zur Schau stellen“. Ich wollte zeigen, dass ich eine Partei, die sich offen und unverhohlen mit Denk- und Verhaltensweisen wie Nationalismus, Rassismus, Hass, Menschenfeindlichkeit und -verachtung, Gewaltbereitschaft oder Machtverherrlichung schmückt und selbst vor ärgsten Geschmacklosigkeiten nicht zurückschreckt, um Applaus zu erheischen, ablehne und mit den mir möglichen Mitteln verhindern möchte. Es ist nicht das erste Mal in den fast sechs Jahrzehnten meines Lebens, das ich gegen Rechtsradikalismus protestiere. Insofern ist für mich das Wiederaufleben der AfD mit ihren gesellschaftsmorbiden Zügen auch nicht neu; die Rechte war nie tot, auch wenn man sich nichts Sehnlicheres wünschen würde. Doch was allen Protesten gegen Rechts gemeinsam war und immer noch ist: Das abscheuliche Erlebnis, sich von Angesicht zu Angesicht mit diesen hassverseuchten und dogmatisch verblendeten Misanthropen zu befinden.
Mein Auto parke ich am Stadtrand und habe so noch etwas Muße, mich dem Ort der Schande und Niedertracht zu nähern. Im Vorfeld hatte ich Diskussionen darüber geführt, ob man diese „Polituntoten“ nicht einfach ignorieren sollte und ob es nicht ein demokratisches Muss sei, diese Strömung zu akzeptieren. Stichwort: Meinungsfreiheit. Doch mir geht es nicht um Demokratie. Parteien, die durch gigantische Spenden aus der Wirtschaft geschmiert werden, haben für mich längst die Legitimation einer Demokratie verloren. Welche Partei bliebe da noch übrig? Und die AfD, die sich für alternativ, wahrheitlich, wertetreu und wahlweise auch christlich hält, spielt ganz oben in der grassierenden Lobbykratie mit. Nein, mir geht es nicht um Demokratie, da habe ich längst den Glauben in die gängige Politik verloren. Mir geht es vielmehr um den Erhalt einer offenen Gesellschaft, die von den Rechtspatrioten mit aller Heftigkeit und größtmöglicher Schäbigkeit sukzessive vernichtet wird. Alles, was in den engen Denkhorizont nicht passt, wird abgelehnt und bekämpft. Eine Eindimensionalität, wie ich sie in dieser Weise – persönlich – bisher nicht angetroffen habe. Schauderhaft und beschämend!
Auf dem Demonstrationsplatz vor der Ahlener Stadthalle haben sich bereits etliche Gleichgesinnte eingefunden. Ein buntes Volk mit z.T. kreativen Plakaten, Spruchbändern oder Verkleidungen. Der Platz ist durch Zäune abgetrennt. Die Polizei hält sich auf angenehme Weise zurück; während meiner Anwesenheit kommt es zu keinen Zwischenfällen, die ein Eingreifen notwendig machen. Ich bin äußerst skeptisch, was die Polizei anbetrifft, hörte ich doch gerade wieder Beispiele von rechter Gesinnung bei den Uniformierten, die mit Neutralität wenig zu tun hat. Doch die Beamten wirken entspannt; es gibt sogar nette Unterhaltungen über den Zaun hinweg. Es sind viele Menschen aus den verschiedensten Organisationen zu sehen: Parteien, kirchliche Vereine (bei manchen wundere ich mich gar) und viele junge Leute. Von CDU und FDP ist natürlich nichts in bekennender Weise zu sehen, befinden sich doch gerade diese Parteien auf der Schleimspur der rechten Bewegung. Auf der Seite der Demonstranten werden Reden gehalten, denen ich mit halbem Ohr lausche. Und es freut mich, dass der ein oder die andere Redner bzw. Rednerin kein Blatt vor den Mund nimmt. Der Bundestagsabgeordnete Bernhard Daldrup (SPD) endet mit den Worten, das Verhalten der Rechten sei zum Kotzen. Er spricht mir aus der Seele, dennoch bin ich mit meinen Gedanken woanders. Auf der anderen Seite des Zaunes.
Sicherlich, man kennt den Habitus von Rechten aus Dokumentationen, dennoch nutze ich die Gelegenheit, so weit es mir möglich ist, ihr Verhalten zu beobachten und studieren. Immer wieder stelle ich mich an den Zaun, lausche den wutgeladenen Disputen zwischen Gegnern und AfD-Abhängigen. Was ich vorfinde und beobachte, lässt mich erschaudern. Eine graue Herde menschlicher Schafe, geradezu mumifiziert wirkend und eingekapselt in ihre verdüsterte Welt. Trostlos und hämisch grinsend winken sie mit ihren kleinen Deutschlandfähnchen. Mehr Kreativität ist von ihnen nicht zu erwarten. Irgendwie tuen sie mir sogar leid, denn wer mit solcher Unterwürfigkeit nach einem Führer sucht, hat sich selbst aufgegeben. So wirken die Gesichter der Männer (Frauen sehe ich nur vereinzelt; kein Wunder bei dem Frauenbild der AfD), die in der Warteschlange stehen, um dem großen Höcke zu huldigen, grau und sinnentleert. Kurze Zeit hatte ich überlegt, mich selbst in die Halle zu begeben, um mir ein Bild von der politischen Hässlichkeit Höckes zu machen, doch kenne ich seine sich immer wiederholenden Reden inzwischen auswendig. Im Nachhinein bin ich gar froh, mich dagegen entschieden zu haben, denn eine Politikerin der Grünen (meine Hochachtung), die sich als Zuhörerin in die Halle begeben hatte, wurde bedroht und bespuckt. Stichwort: Meinungsfreiheit. Und sie hatte nicht mal etwas gesagt!
Was sind das für Menschen, die dort hinter dem Zaun stehen? Im Vorfeld hatte ich kritische Kommentare auf die Seite der AfD (u.a. auch auf den Facebook-Account von MDL Blex) gepostet. Nach wenigen Minuten waren sie gelöscht und die Kommentarfunktion komplett aufgehoben. Stichwort: Meinungsfreiheit. Wie läuft es mit einer Unterhaltung in Echtzeit? Ein großgewachsener Jungspund, der aussah, als befände er sich auf einer Zeitreise von der Hitlerjugend in die Neuzeit, versuchte die ihm gegenüberstehenden jungen Leute mit Antifa-Plakaten durch sein mit Verschwörungstheorien und rechten “Verschwurbulierungen” angereichertes Geschichtswissen zu blenden, punktet vor allem mit Totschlagargumenten a la “du hast keine Ahnung”. Diskussionen versickern somit gleich im Keim. Dann höre ich den Jungrechten schwadronieren: „Wir wollen keine Türken hier in Deutschland.“ Warum nicht, will jemand wissen. „Weil sie nicht zu Deutschland passen.“ Dass ich finde, dass er ebenfalls nicht zu Deutschland passe, überhört er beflissentlich. Ansonsten kommen mir seine Argumentationen bekannt vor: Das alte Gewäsch aus den rechtspopulistischen Foren. Endlosschleifen hassgeschwängerten Geschwafels. Und da fällt mir ein, dass AfD-Verantwortliche nicht müde werden zu betonen, dass man nichts gegen gut integrierte Migranten habe. So funktioniert der schleichende Prozess beim Rassismus: Erst Verneinungen, dann Abweichungen und schließlich radikale Endlösungen. Ich will mich nicht daran gewöhnen. Deshalb bin ich hier!
Ich beginne selbst Gespräche mit Rechten zu führen, die immer wieder zum Zaun kommen, um sich über die andere Seite lustig zu machen. Einige filmten die Szenerie und so werde auch ich aufgenommen. Die Kamera als einschüchternde Waffe – welch jämmerliches Gekaspere! Der Warendorfer Gauleiter Blex lässt im Vorfeld verlauten, die Aufnahmen gegen uns Demonstranten einzusetzen. Die Diskussion laufen ins Leere: Ich spreche die Rechtsfaschisten auf ihre Frauenfeindlichkeit, ihre Wahrheitsverdrehung oder auf ihre Absicht einer kulturellen Gleichschaltung an. Die Diskussion laufen sinngemäß etwa so ab: Ich: “Das ist grün”. Der Rechtspatriot: “Nein, das ist blau! Du hast keine Ahnung!” Ich: “Warum denkst du, mehr Ahnung zu haben als ich?” ‘Der Rechtspatriot: “Weil ihr euch von der Lügenpresse beeinflussen lasst.” Ich: “Warum meinst du, dass eure Presse die Wahrheit schreibt?” Der Rechtspatriot: “Weil wir mehr Ahnung haben!” Und so weiter und so fort und so weiter. Argumentationsakrobatik auf höchster Ebene.
Eine Seuche geht um in Europa und Deutschland. Es ist die Abwertung des Menschen und die Zerstörung der mühselig erkämpften Vielfalt des Menschlichen. Das gelingt sonst nur Despoten, Diktatoren und anderen machtmissbrauchenden Kreaturen. Die AfD und jeder Wähler bzw. jede Wählerin muss sich den Vorwurf gefallen lassen, diese Enthumanisierung mitzuverantworten und sich an der Demontage einer offenen Gesellschaft beteiligt zu haben. Von dem deutschen Schriftsteller Erich Maria Remarque soll der Satz stammen, Fremdenhass sei der Beweis von Primitivität – im Sinne von Schlichtheit. Mir ist an diesem denkwürdigen Abend vieles klar geworden: a) es hat keinen Sinn, mit Rechtsradikalen zu reden und b) man sollte alle Register ziehen, um sie auflaufen und schlussendlich überflüssig werden zu lassen. Rechtsradikalität ist vor allem eins: Die Zusammenrottung von sozial gestörten Menschen.