Big Data und ihr Skandal
Datenkraken, Kommunikation und Zusammenleben

Panikstimmung macht sich breit. Alle hacken auf Facebook herum. Aber die eigentlichen Sündenböcke sind nicht Facebook, sondern alle Datenverarbeiter und Datenspender, die mit Daten Geschäfte machen oder zulassen. Zusammenleben steht auf dem Spiel.

 

Datenpanik (Foto - Text Franz Josef Illhardt)
Datenpanik (Foto – Text Franz Josef Illhardt)

Daten sind wie die Nächte in Berlin-Kreuzberg: „Erst fang’n sie ganz langsam an / aber dann, aber dann …“ In den 80 und 90ern spielten sie kaum eine Rolle. Dann begann die neue Sensibilität. Zunächst: Daten abhören unter Freunden geht gar nicht, hieß es vor ein paar Jahren. Unter Nichtbefreundeten geht das? Jetzt gibt es einen Skandal, weil 60 Millionen Datensätze abgezogen wurden und die Aktien für Facebook (von ca. 300 Mrd. $) um etwa 60 Mrd. $ gefallen sind. Was ist daran die Krise? Dass Kunden abwandern? Dass Kaufmannsethik wieder einmal gewonnen hat? Dass Facebook wie einst VW beim Diesel betrogen hat? Was ist eigentlich bedroht? Darum geht es mir, bei technischen Fragen bin ich nicht versiert. Laut National Geographic (4/2018) werden jährlich ca. 2,5 Billionen Informationen und Bilder gespeichert. Wofür? Und welche Dimensionen nimmt das an?

Ich weiß noch gut, als die Datenschützer in den 80er und 90ern die Medizin damals unter Druck setzten. Gewinnung von Daten wurde immer schwerer. Die Datenschützer damals haben mich aufgeregt, heute sehe ich das anders. Vor Jahren gab es erstmals psychiatrische Studien zu Schlafverhalten im Schlaflabor mit einem sog. elektronischen Tagebuch (eine Art Smartphone ohne Netzanschluss). Eine unserer Fragen an den Studienleiter war, wie sicher diese Daten vor Missbrauch geschützt waren. Die Zusicherung reichte uns, dass die Studie nicht multinational angelegt war und die Daten nach Gebrauch gelöscht wurden.

Hätte uns das heute gereicht? Nein. Bestünden nach dem Ausfüllen des Tagebuchs nicht noch Risiken? Etwa wegen einer Verbindung zum Netz bei der Datensammlung und Auswertung? Anonymisierte Speicherung? Mehrserverlösung? …. All diese Dinge müssen dem Studienteilnehmer bekannt sein. Natürlich sind Studien von normaler Nutzung von Datentechnik verschieden. Aber wie auch immer: Datensammlung erfordert Transparenz – auch für Nutzer von Facebook und anderen Technologien.

Zuckerberg versprach seinen Facebook-Kunden, er „wolle die Welt näher zusammenrücken lassen“ (NZZ vom 31.3.2018). Zusammenleben ist seine Geschäftsphilosophie. Sie ist wieder im Kommen, nachdem Zuckerbergs Geschäftsmodell bekannt wurde und sich als total anders herausstellte: Daten generieren und sie dann mit Gewinn benutzen, was auch heißt, sie zu verkaufen. Ein ähnliches Geschäftsmodell benutzen Alphabet, Amazon, Baidu, Google, Twitter, Tesla, und Nvidia (so wieder NZZ vom 31.3.2018 und vom 6.4.2018).

Dass Daten an Firmen verkauft werden, weiß jeder. Beinahe harmlos war der Witz von Hagen Räther, dass er ein Pornoheft bestellt und dazu die doppelte Anzahl theologischer Bücher, damit der Datensammler durcheinanderkommt. Mit Cambridge Analytica ist wohl die Stufe der Peinlichkeit weit überschritten. Ausgewertete Daten dienen etwa zur Wahlbeeinflussung. Als es um Donald Trumps Wahlsieg ging, bescherte uns das den Facebook-Skandal?

Zuckerbergs Geschäftsmodell überlebte, die Geschäftsphilosophie ging unter. Das Problem ist nicht die Technologie, etwa wie konkret Algorithmen sind, ob auch Nutzer Einsicht in eine Algorithmen-Liste nehmen dürfen usw., sondern die Gefährdung unseres Zusammenlebens.

Datentechnik und Zusammenleben (Grafik Franz Josef Illhardt)
Datentechnik und Zusammenleben (Grafik Franz Josef Illhardt)

Zusammenleben? Ein Beispiel: In Nizza (bis 1860 italienisch, danach französisch) suchten wir nach einem Fischrestaurant im Hafen, das uns auf dem Markt heiß empfohlen wurde. Wir fanden das Restaurant nicht, weil die Straße dort einen Bogen machte, den wir auf der Karte nicht erkannten. Ein Ehepaar fragte uns, was wir suchten. Und sofort griff sie nach ihrem Smartphone und wollte uns helfen, während er uns Alternativen aufzählte. Daraus ergab sich ein schönes Gespräch, sicher small talk, aber immerhin. Ins Café einladen? Dazu reichte es in dieser frühen unchristlichen Stunde nicht (ich habe, wie meine Frau sagt, die „senile Bettflucht“, Franzosen – auch ältere – haben die offensichtlich nicht, das Paar kam – so mein Eindruck – frisch aus dem Bett). Sollten wir ein Smartphone kaufen? Weiß nicht. Wenn wir eins bei uns gehabt hätten, hätten wir diesen netten Kontakt nicht gehabt.

Es ist „der Megatrend der Digitalisierung, der jeden Bereich des Lebens erfasst“ (Alan Niederer) so etwa die Medizin, die immer mehr Daten sammeln will, um die Menschen mit immer mehr Gesundheit zu beglücken durch Abbau von Fehlern in Ernährung und Bewegung, in falschem (gesundheitsschädigenden) Umgang mit Stress und Anforderungen usw. Schlimm wird es und macht jeden von uns unruhig, wenn die Daten nicht nur gespeichert werden, sondern der Überwachung dienen. Da denke ich vor allem an den Roman von Julie Zeh, Juristin und Schriftstellerin, der die Katastrophe der überwachten Gesundheitspflicht beschreibt. Aus dem Maschinenraum „Körper“ – der Körper als Maschine? Eine alte Theorie – werden Daten ins Gesundheitszentren weitergeleitet, die E-Health-Reaktionen auslösen. „Quantified Self“ und „Self-tracking“ sind die Stichworte.

Was macht Facebook & Co zum rein technischen Event? Ignorieren sie das Ziel des Zusammenlebens? Vier Probleme stoßen mir immer wieder auf:

  • Monethik (= Moneten + Ethik) gegen politische Verantwortung

 

Was zählt, ist eine Alltags-Ethik, die auf Gewinn setzt. Daten- und Abhör-Skandale werden immer häufiger. Hier einige Beispiele: Gesundheitswesen. Migrantenströme, Verkehr, Transplantation, Lehrer, Erzieher usw.: Vorrang haben immer die Kosten, nie die Verantwortung und die Konsequenzen für die Betroffenen. Die Umwelt, in der unsere Nachkommen leben (müssen), wird von einer Generation („The prodigous generation“) beschlossen, die mehr an die Lösung der eigenen Probleme denkt, aber kaum an die Lösung der Probleme kommender Generationen. Monethik reicht da nicht

  • Das Ende des Verstehens

 

Meines Erachtens ist „verstehen“ die Steigerungsform von “kennen“. Ich kenne Nizza, verstehe es aber nicht, kenne nicht seine Geschichte, könnte dort kein Taxifahrer sein, weiß nicht, wer warum in den neueren Vierteln wohnt, was die Essgewohnheiten der Bürger sind usw. Eine kuriose Beobachtung: Im Gegensatz zu den Deutschen zählen Franzosen Essen zu den Künsten, nicht zur Technik der Nahrungsaufnahme – seltsamerweise auch heute noch trotz McDonalds (J.F. Raddatz, 2017). Kannte ich schon, aber verstehe ich es auch? „Hat man erst einmal genug Daten, sprechen die Zahlen für sich selber“, schrieb Chris Anderson. Sind die großen Zahlen ein Mythos des Verstehens?

  • Bikini. Daten und Statistik

 

Datenmissbrauch (Foto Arnold Illhardt)
Datenmissbrauch (Foto Arnold Illhardt)

Mein Bruder erklärter mir mal das philosophische Wesen der psychologischen Statistik. Die sei wie ein Bikini, der wie die Statistik viel zeigt, aber das Wesentliche verbirgt. Manchmal landen die Daten auf Datenfriedhöfen, manchmal werden sie kombiniert, herauskommen Dinge, die wenig überraschend sind.

In meiner Straße wohnt ein Mann, der in Freiburg ein Paramentengeschäft (Handel mit Kirchenzubehör) hatte. Er verkaufte es altersbedingt, wegen der hohen Auflagen wollte niemand trotz der zentralen Lage, die Zentrale der Linken hat es erstanden. Angenommen, seine Daten würden weitergegeben, zählt er dann als Sympathisant der Linken trotz seiner Nähe zur kirchlichen Tradition? Oder sind die Linken besonders fromm?

Als die Daten von Cambridge Analytica wahrscheinlich für die Zwecke von Trumps Wahlkampf verkauft wurden, werden dann ganze Stadtviertel der Neigung für die eine oder andere Partei zugeordnet? Überraschung! Trump und die Bikinitheorie der Statistik haben sich bewahrheitet.

  • Right of privacy im Ausverkauf

 

Auch wenn die USA einen schwächeren Datenschutz haben als Deutschland, haben sie doch das Recht auf Schutz der Privatsphäre (right of pricacy) entwickelt. Es bekam sogar den Rang des Menschenrechts. Aber es werden immer mehr Wege ausgeklügelt, die das right of privacy unterhöhlen. Allen voran der Datenschutz. Selbst „Freunde“ sind betroffen. Etwa Wahlen sind nicht mehr Ausdruck meiner Souveränität, sondern Ergebnis gezielter Manipulation. Nicht was ich (mehr oder weniger selbstbestimmt) will, sondern was Kasse macht oder andere für wünschenswert halten, zählt. Menschenrecht ade. Oder hilft uns jemand?

 

Was tun?

Kritische Aufmerksamkeit

Wir dürfen nicht einfach glauben, was die Anbieter digitaler Systeme an Reklame anpreisen. Jedes Angebot hat einen Schatten. Und was im Schatten liegt, muss man genauer hinterfragen. Nicht ein System einfach benutzen, sondern mit Freunden diskutieren, bevor man Nutznießer wird. Nur wer Fragen und Kritik zulässt, bleibt souverän gegenüber technischen Erleichterungen.

Beweislastumkehr

Zurzeit gilt die Regelung, dass nicht die Firma, der man die Daten anvertraut, sondern der Kunde den Beweis erbringen muss, dass die Firma den Datenschutz vernachlässigt hat. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Damit kommen wir ein Stück näher zum right of privacy. Beweislastumkehr ist ein Problem der Anbieter, Politiker sollten sich darum kümmern, nicht nur beim Kunden den schwarzen Peter zurücklassen, wie schon so manches Mal.

Vorsicht mit Datenweitergabe

Angenommen, ich würde in Querzeit schreiben, N.N. sei eine Sexbombe, würde Querzeit dann als Interessent von Bomben gelten? Natürlich ist das Unsinn. Sinnvoll dabei ist jedoch die Überlegung, was mit meinen Daten geschieht und dass ich mit meinen Daten sparsam umgehen sollte. Und nicht nur Daten von mir, sondern auch Daten meiner Bekannten werden gespeichert. Korrelation der Daten verraten meine Identität. Oder ist Identität weniger wichtig als die Daten?

Transparenz

Transparenz bedeutet Durchsichtigkeit der Vorgänge und wird immer wieder gefordert, aber offensichtlich selten umgesetzt. Ein Dauerthema seit Jahren. Denken wir an Verteilungsgerechtigkeit medizinischer Leistungen, an Vorgänge in der Politik, an Wahlen und Ernennungen, an Förderung der Wissenschaften, an Verstehbarkeit von Verwaltungsakten usw. Zum Problem. Stiftung Warentest verglich kürzlich viele Smartphones in seinen technischen Details, aber nicht hinsichtlich der Informationen über Datensicherheit, Praktikabilität, Marktinteressen, Anwenderinteressen usw. Und wieder einmal hat die Monethik gesiegt.