Bremen ist mehr als nur Schnorrviertel. Das Ostertorviertel protzt vor Eigensinn. Muss man sich Sorgen machen?
Drei Tage Bremen – eine Bewusstseinskur, ein Eintauchen in eine Welt voller Kreativität, vor allem aber eine Stärkung des Gefühls, dass es sie noch gibt: halbwegs loungefreie und beseelte Stadtviertel. Nicht wie sonst ein dienstlicher Auftrag, sondern ein tiefer Beweggrund aus Lust und Laune, gemischt mit viel Leidenschaft führte uns in die Hansestadt. Zudem eine Reminiszenz an eine zehn Jahre zurückliegende Therapieausbildung, die mir stückchenweise diese Stadt näher brachte. Man muss, wenn man über Bremen schreibt, Einschränkungen machen. Ein wenig hat man nämlich das Gefühl, in dieser Stadt tourismusbehördlich gelenkt zu werden: Ins Schnorrviertel, die Böttchergasse oder an die Schlachte an der Weser. Diese Gegenden werden touristisch angepriesen, dabei sind sie nicht das Salz in der hanseatischen Suppe, sondern eher fades, da seelenloses, touristisch überzogenes Beiwerk. Uns zog es, wie schon beim letzten Mal, in das Ostertorviertel, ein Stadtteil von Bremen, in dem das Leben auf eine ganz andere Weise brodelt, eben nicht Pimkie-verseucht, Starbuck-entromantisiert oder Handyladen-vermaledeit. Statt Inszenierung, wie in den meisten großen deutschen Städten, wird hier vor allem auf Lebenssinn gesetzt. Davon zeugen die zahlreichen Galerien, Hausbemalungen, Bepflanzungen und gemütlichen Eckchen, in denen der Lebensfluss langsamer zu fließen scheint, obschon es drumherum nur so sprudelt. Im sogenannten Viertel ticken die Uhren noch anders, es scheint immer Zeit für einen Kaffee und ein Gespräch zu geben, man kennt sich hier; espressorunterschüttende Yuppies sieht man glücklicherweise eher selten. Kommt man aus dem devoten Telgte, wo das Einschlagen von Nägeln bei Kunstveranstaltungen verboten ist, so glaubt man hier, in einen wahren Selbstbedienungsladen des Eigensinns und Möglichmachens geraten zu sein. Wozu auch Nägel, wenn man die Bilder gleich an die Wand pinseln, sprayen oder kleben kann. Natürlich gibt es auch hier viel schlechte Graffitis, idiotische, nichtssagende Tags, aber eine gute nächtens gelegte Wandmalerei scheint eher willkommen als kriminell zu sein. In einem sehr geschmackvoll eingerichteten Bioladen, in dem wir die Zutaten für ein bescheidenes, aber genussvolles Hoteldiner kaufen, frage ich nach,
woher diese Offenheit und Andersartigkeit kommt. Es scheint, wie mir die Besitzerin, selbst Bewohnerin des Viertels stolz erzählt, mit der Mentalität und politischen Einstellung der Leute zu tun zu haben. Man ist hier links und alternativ, aber nicht im Sinne von blassgrün, sondern hier gedeiht immer noch prächtig ein nicht immer stilles Revoluzzertum, wie die vielen Sprüche an den Wänden beweisen. Mein Lieblingsspruch, der an einer Mauer prangte: Warum seid ihr nur so stumpf? Kurz gab es die Idee, die Meile im Viertel zur Fußgängerzone umzugestalten, doch konnte man dies glücklicherweise vermeiden. Im ersten Moment staunt der Laie: Aber Fußgängerzonen sind doch verkehrsberuhigt? Mag sein, doch solche Bereiche erhöhen automatisch die Mieten, was wiederum den Kreativen und Andersartigen ein Bleiben unmöglich macht. Schon bald kreisen die Karstadt- und H&M-Konsumgeier über der Meile, da genießt man doch hundert Mal lieber das Rattern der Straßenbahnen und das Geräusch von Gummireifen auf Kopfsteinpflaster. Doch, man mache sich schon Sorgen, gibt die Frau im Bioladen zu und wird dabei sehr ernst. Es gäbe doch immer mehr Handlyläden und das sei ein schlechtes Zeichen. Man müsse sich Sorgen machen. Liebe Sprayer von Bremen, seid so gut und sprayt solche und ähnliche Konsumexkremente bis zur Unkenntlichkeit zu, damit wir beim nächsten Besuch für eine kleine Weile die Illusion zurückerlangen, unter dem Pflaster liege doch der Strand.