Irland – die grüne Insel
Auf dem Weg zum Ende des Regenbogens

Auf dem Weg zur grünen Insel Irland mit ihren unbeschreiblich abwechslungsreichen Landschaften und auf der Suche nach dem sagenumwobenen Ende des Regenbogens.

 

Wir Reisenden (Foto Arnold Illhardt)
Wir Reisenden (Foto Arnold Illhardt)

Wie fängt man Leprechaun, den Kobold, der sein Gold am Ende des Regenbogens vergraben hat? Man muss schnell sein, ihn an seinen Schultern festhalten und ihn niemals aus den Augen lassen, sonst entschwindet er in Sekundenschnelle. Wenn man Glück hat und sehr geschickt ist, kann man ihm das Geheimnis des versteckten Goldes entlocken, doch bisher ist es keinem Menschen gelungen, das geheimnisvolle Gold und den Lucky Charm Garden mit seinen vierblättrigen Kleeblättern zu finden. Jeder hat  schon mal versucht, das Ende eines Regenbogens zu erreichen. Doch der Regenbogen bewegt sich entsprechend der Bewegungen mit und verändert sich folglich für alle Beobachter, egal wo sie stehen und von ihm entfernt sind. Deshalb ist es einfach unmöglich, an sein Ende zu gelangen! So wird die Legende vom Schatz am Ende des Regenbogens und dem Kobold Leprechaun wohl ewig bestehen. Und die Tourismusbranche in Irland freut sich, denn der kleine Kobold und die vierblättrigen Kleeblätter, Shamrock genannt, sind unter anderem die Wahrzeichen von Irland und ein absoluter Verkaufshit!

An Bord der Fähre zu stehen, die Blicke auf die sich nähernde Küste gerichtet, ist ein heiliger Moment für mich. Jeder Mensch hat Sehnsuchtsziele! Für mich ist es nach wie vor ein einzigartiges Erlebnis nach England zu fahren, um dort eine immer wieder unglaublich intensive Zeit zu verbringen. Eine gelebte Meditation; hier komme ich zur Ruhe und hier erlebe ich mein Sein so, wie ich mir vorstelle, es zu leben und zu fühlen. Dazu kommt das Gefühl, von der Realität des Alltages völlig losgelöst zu sein.

Was kann man in zwei Wochen von Irland sehen, um es bewerten zu können? Nur einen kleinen Teil dieses überaus grünen Landes! Was wir gesehen haben, war zum Teil so bewegend schön und romantisch, ja fast magisch, dass das geschriebene Wort wohl nicht ausreicht, es angemessen nachvollziehbar darzustellen. Es fällt mir schwer, das Erlebte und Gesehene mit Worten zu bekleiden, es unverkennbar zu beschreiben, so dass vor dem inneren Auge Bilder erstehen können.

Irgendwann werden wir zurückkommen, um noch einmal in die wilde Romantik der Küstenabschnitte und der friedlichen Atmosphäre der grünen Hügel einzutauchen. Dieses erste Mal sind wir im Südwesten Irlands: im County Cork mit der Halbinsel Beara, dem County Kerry mit der Iveragh Halbinsel und dem Ring of Kerry, der Halbinsel Dingle und dem Nationalpark Killarney!

 

Cork (Foto Marion Illhardt)
Cork (Foto Marion Illhardt)

Cork ist die zweitgrößte Stadt der Republik Irland und zugleich der wirtschaftliche Kern der Grafschaft Cork. Eine quirlige lebensfrohe Stadt, mit zum Teil gut erhaltenen Häusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, aber leider auch mit modernen wenig attraktiven Bausünden. Es ist sehr bedauerlich, dass viele Kanäle, die die Stadt durchzogen und auf denen die Waren vom nahen Hafen bis zu den Häusern der Handelsleute gebracht wurden, zugeschüttet wurden. Es hätte der Stadt einen Hauch einer mittelalterlichen Hansestadt verliehen! Doch die noch verbliebenen Kanäle, die sich vom Hafen in die Stadt ziehen und dazu das milde Klima verleihen Cork immerhin eine mediterrane Atmosphäre, die anziehend auf Touristen und auch auf Auswanderer (ca. 15 % der Stadtbewohner haben einen ausländischen Pass) wirkt. Die kleinen Nebenstraßen in der Altstadt zwischen Paul Street und Plunkett Street und auch die viktorianische Markthalle sind ein Beispiel für eine Stadtsanierung, wie man sie sich für andere Städte auch wünscht. Attraktive Läden, Restaurants, interessante Galerien und überraschend viele Buchläden ziehen sich durch das Straßengewirr. Will man dem Trubel entfliehen, so bietet sich rund um die Kirche St. Anne das kleine beschauliche Viertel Shandon an, das durch steile Treppen vom River Lee zu erreichen ist.

Die kleine Kirche ist von der Architektur eher einfach, doch der Glockenturm ist bemerkenswert. Er trägt statt eines Kreuzes als Wetterfahne einen Lachs, da die Mönche in der Vergangenheit als einzige das Vorrecht hatten, Lachs im Lee zu fangen. Auch wir sind vor dem Trubel geflüchtet und haben es uns hinter der Kirche in einem kleinen Park gemütlich gemacht und einen leichten Imbiss schnabuliert. Plötzlich fingen die Glocken an zu läuten, doch eine Melodie ließ uns stutzen. Es waren ganz deutlich Sequenzen von bekannten Rockmelodien zu erkennen! Im Turm hat sozusagen jeder Besucher die Möglichkeit, aus beiliegenden Notenblättern ein Glockenspiel zu schlagen.

 

Saint Finbarre's Kathedrale, Cork (Foto Arnold Illhardt)
Saint Finbarre’s Kathedrale, Cork (Foto Arnold Illhardt)

Bedauerlicherweise hatten wir nicht die Möglichkeit, St. Finbarre’s Cathedral zu besichtigen. Es wird behauptet, dass die Kathedrale an der Stelle erbaut wurde, an der das Kloster des heiligen Finbarr stand, und somit die Keimzelle Corks bildete. St. Finnbarr ist ein Gesamtkunstwerk, das seinesgleichen sucht!

Beim Lesen eines Berichtes über Cork und seiner Handelsleute entstand vor meinem inneren Auge eine passende Filmszene: Ruderboote mit Wolle und Getreide, Stoffen und Whiskey begegnen sich auf den Kanälen, laut rufend werfen sich die Arbeiter Grußworte zu, während am Ufer Knaben mit den typischen Knickerbockern und Caps Botengänge erledigen. Das ist sehr romantisierend dargestellt, für die irische Bevölkerung war die Zeit ab Anfang des frühen 17. Jahrhunderts alles andere als ein angenehmes Leben. Es war die Zeit, als Schotten und Engländer das Land besiedelten und die irische Bevölkerung von ihren fruchtbaren Ländereien vertrieben wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte Irland zudem eine schreckliche Zeit, die fünf Jahre dauern sollte. Man nannte sie die „Große Hungersnot“, hervorgerufen durch eine in ganz Irland verbreitete Kartoffelfäule. Ca. eine Million der Iren starben und 1,5 Millionen sahen sich gezwungen, Irland zu verlassen und auszuwandern. Seit der Unterwerfung durch die Engländer gab es immer wieder Kämpfe und Bestrebungen die Unabhängigkeit zurück zu erlangen. Doch Irland wurde erst im 20. Jahrhundert zur Republik und erhielt damit seine Selbständigkeit.

 

Kinsale (Foto Marion Illhardt)
Kinsale (Foto Marion Illhardt)

Südwestlich von Cork, in Kinsale beginnt der Wild Atlantic Way, dem wir auf unserer Reise immer wieder begegnen und ihn hier und da auch folgen. Kinsale ist ein hübsches, außerordentlich buntes Städtchen, überhaupt eine der schönsten Städte, die wir in Irland gesehen haben, mit Antiquitätenläden, Galerien und Läden, die zwar auch den Tourismus bedienen, aber dies auf überaus exzellente Weise! Direkt am Hafen erinnert das Szenario an eine südländische Stadt, zudem hatten wir herrlich warmes Wetter, das uns unseren gesamten Urlaub erhalten blieb. Diese charmante pittoreske Stadt wird liebevoll von seinen Bewohnern mit wuchernden Blumen an den gepflegten Häusern geschmückt, man merkt, dass sie hier gerne leben. Ja, in diesem Ort könnte ich mich ebenfalls richtig wohl fühlen (es gibt auch einige Deutsche, die sich in Kinsale niedergelassen haben)! Übrigens wurde Kinsale 2005 zur Fair Trade Town ernannt und beherbergt eine Vielzahl von netten gemütlichen Cafés und sehr guten Restaurants, die der Stadt den Ruf einer Gourmet Stadt verliehen haben.

Von Kinsale versuchten wir den kürzesten Weg zur Stadt Bantry, die am Anfang der Mizen Halbinsel liegt, zu nehmen. Das Navi führte über verwunschene kleine Straßen, quer durch den Zipfel von Cork County durch das Hochland nach Bantry. Eine fantastische Heidelandschaft, mit kleinen Moortümpeln und einsam gelegenen Höfen breitete sich vor unseren Augen aus. Wilde hochgewachsene scharlachrote Fuchsien klammerten sich an die Begrenzungsmauern und verhüllten die versteckte Härte des Steins.

 

Cafe Bantry House (Foto Arnold Illhardt)
Cafe Bantry House (Foto Arnold Illhardt)

Bantry House war das Ziel, was wir zeitlich gerade noch erreicht haben, bevor der Park geschlossen hätte. Zeit ist in Irland relativ; die Zeitangabe des Navis stimmt vorne und hinten nicht. Auf keiner Straße in Irland ist es möglich die Geschwindigkeit zu fahren, die das Navi zur Berechnung der Ankunftszeit benötigt. Auch wenn man, so wie wir, sich gerne mit den Einwohnern unterhält und vielleicht im Gespräch nach der Uhrzeit fragt wegen einer Veranstaltung oder nach der Dauer eines Weges, erhält man nicht die faktische Zeit, nur die gefühlte. Ich will nicht sagen, dass wir beflunkert wurden, nein, den Iren ist es einfach nicht so wichtig! Es gibt Wichtigeres!

 

Blick über die Bucht Bantry (Foto Arnold Illhardt)
Blick über die Bucht Bantry (Foto Arnold Illhardt)

Das etwas runtergekommene Herrenhaus war für mich zweitrangig, der Garten war mir umso wichtiger. Ich eilte vom Parkplatz zum Eingang, begierig darauf, endlich den Park zu sehen! Ich fand alles herrlich, ich fühlte mich wie berauscht! Meine Blicke standen nicht still, immer wieder sah ich neues unglaubliches Grün in allen Schattierungen, unbekannte Pflanzen und riesige Baumveteranen. Hinter dem Haus erhebt sich der Garten über sieben Terrassen, auf der obersten kann der Blick über das Dach des Hauses weit über die Bucht gleiten. Der mal geometrisch geordnete und mal naturwüchsig angelegte Garten gleicht einem wilden grünen Paradies. An der dem Parkplatz zugewandten Seite des Hauses zieht sich übrigens über die gesamte Breite eine verglaste Veranda, sie gehört zu einem schnuckeligen Café mit typischen englischen und irischen Kuchen und Gebäck. Angeblich gibt es in dem Cafè den weltbesten Apfelkuchen. Wirklich sehr lecker, doch ob es der Beste ist, kann ich nicht beurteilen, ich muss die restliche Welt mit ihren übrigen Apfelkuchen nicht gesehen haben!

Wir haben die Halbinseln Beara, Iveragh und Dingle nicht immer so gesehen und wahrgenommen wie es in im Reiseführer beschrieben wird. Ein Autor für Reiseliteratur kann sicherlich nur das erzählen und beschreiben, wie es seine Wahrnehmung zulässt. Auch mein Bericht ist freilich gefärbt durch meine Begeisterung für die britischen Landschaften.

 

Halbinsel Beara (Foto Marion Illhardt)
Halbinsel Beara (Foto Marion Illhardt)

Die Halbinsel Beara gefiel uns sehr, obwohl wir sie nur an einem Tag umrundeten und leider keinen Zwischenstopp einlegen konnten. Im Gegensatz zur Halbinsel Iveragh mit dem Ring of Kerry und auch Dingle ist Beara, sowohl auf der Südseite, als auch auf der Nordseite unbedingt sehenswert. Liebliche Landschaften suchten wir allerdings vergebens, an manchen Stellen windet sich die Straße steil über die Kalkfelsen gen Himmel um sich dann wieder in langen Windungen durch karges Gebiet mit Heidekraut und gelben Ginster bewachsen, hinunter bis zum Wasser zu ziehen. Stellenweise hatten wir den Eindruck von Hochgebirgspässen; von oben schweifte der Blick über die Bucht mit dem blau gewellten Meer zur jenseits liegenden Iveragh Halbinsel mit ihren ebenfalls endlosen Hügelketten. Oder war es vielleicht nur die nächste Bucht? Dann wiederum breiteten sich leuchtend grüne Weiden mit Felsbrocken gespickt bis zum felsigen Strand aus, gefolgt von Nadelwäldern, deren Böden und Felsformationen mit Moos überzogen waren und die Sonnenstrahlen nur zögerlich durchschienen, so dass man das Empfinden einer grünen Höhle hatte. Irgendwo, irgendwann tauchte mal ein Gebäude auf; manche Dörfer bestanden wirklich nur aus einer Handvoll Häuser, Menschen sahen wir auf der Fahrt so gut wie gar nicht.

Den Gegensatz hierzu erlebten wir am Ring of Kerry, auf der Iveragh Halbinsel. Es reihte sich ein Auto an das andere, die Blechlawine zog sich fast bis nach Cahersiveen. Wir folgten einem gutgemeinten Ratschlag und befuhren den Ring im Uhrzeigersinn, das erwies sich als sehr schlau, denn wir hätten sonst immerzu Omnibusse überholen müssen, was auf den schmalen Straßen mit unserem Wohnmobil teilweise unmöglich gewesen wäre. Der südliche Teil der Halbinsel ist allerdings außerordentlich reizvoll. Man stelle sich folgendes Bild vor: Grüne Hügel und darüber ein leuchtend blauer Himmel, zwischendurch bunte stilvolle Gärten mit exotischen Gewächsen und Palmen und mediterranen Gewächsen in den Vorgärten. Tatsächlich überkam mich hin und wieder ein sachtes Riviera-Gefühl.

 

Camping Mannix Point Cahersiveen (Foto Arnold Illhardt)
Camping Mannix Point Cahersiveen (Foto Arnold Illhardt)

Cahersiveen, der Hauptort der Halbinsel, ist nur bedingt touristisch interessant; die Stadt wird in erster Linie für die Potterys und die Chocolaterie angefahren. Doch wenn man nach endlosem Grün kurz Stadtluft schnuppern, gut essen gehen oder gar in einem Pub eine Session erleben möchte, dann ist man in Cahersiveen genau richtig! Vor der Stadt ist ein kleiner Campingplatz gelegen, Mannix Point. Vom Standort kann er bei weitem nicht mit dem letzten Campingplatz auf Beara mithalten, doch der Besitzer Mortimer und seine Partnerin sind Fremden gegenüber sehr aufgeschlossen, überaus kreativ und verhätscheln und pflegen ihre Blumen und Pflanzen über alles. Auch hier sind die einzelnen Parzellen mit Palmen abgegrenzt. Die sanitären Anlagen und die Aufenthaltsräume sind mit vielen liebevollen Details zum Wohlfühlen ausgestattet, dass man im Grunde gar nicht mehr weg möchte. Wo findet man schon frische Schnittblumen neben den Waschbecken und läuft des Nachts klassische Musik bei den WCs? Mortimer ist mit Leib und Seele Camper und freut sich königlich über jeden neuen Gast, den er natürlich persönlich begrüßt. Vom Campingplatz ist es ein zwanzigminütiger Spaziergang in das Zentrum der Stadt und eigentlich möchte man sofort wieder umdrehen. Die Stadt wirkt öde, es ist nichts los und nette Pubs gibt’s in der Stadt nicht. Pubs schon, doch nett? Vor einem dieser Art lassen wir uns nieder, der Durst ist übermächtig. Die Stühle vor dem Eingang könnten auf den Sperrmüll, der Tisch wackelt und vor uns parkt in dem Moment ein Wagen mit einem Viehanhänger, der ekelhaft nach Mist stinkt, als just das Bier kommt. Unsere Blicke treffen sich: gehen oder bleiben?

Junge Leute gehen an uns vorbei, betreten den Pub und kommen nicht mehr raus, das passiert drei oder viermal, bis wir es bemerken. Schließlich bin ich neugierig und gehe hinterher, eine der jungen Frauen trug doch einen Geigenkasten…Überraschung: Im hintersten Raum des Pubs lief völlig überraschend eine Session, genau so etwas schwebte uns vor, als wir diesen Urlaub planten und wir wollten so etwas unbedingt erleben. Und nun waren wir mitten drin und es war so faszinierend, so genial wie wir es uns vorgestellt hatten! Junge Leute, alte Leute, Frauen, Männer, Iren, Franzosen, Engländer, Deutsche, Spanier und Afrikaner, alle sangen zusammen, lachten, machten Musik und es wurde kein Unterschied gemacht. Ob man perfekt sein Instrument beherrschte, Noten konnte, zwei Nasen hatte, gelb, weiß oder schwarz war oder einfach nur nach Gefühl spielte, es war egal, bei dieser Session waren alle gleich und gleichwertig! Der Pub machte zu, die Session ging weiter und irgendwann gegen 2 Uhr nachts gingen wir an den sanitären Anlagen unseres Campingplatzes vorbei, lauschten kurz Beethoven und sanken dann glücklich auf das Bett im immer noch aufgeheizten Wohnmobil.

 

Ballycarbery Castle, Cahersiveen (Foto Arnold Illhardt)
Ballycarbery Castle, Cahersiveen (Foto Arnold Illhardt)

Der nächste Tag war zugegeben etwas eingetrübt, doch es hinderte uns nicht daran, die Umgebung mit dem Fahrrad zu erkunden. Holla die Waldfee, Fahrradfahren in Irland ist ein spannendes Unterfangen, da ja auch für Fahrräder das Linksfahren gilt. Also radeln und die Gegend bewundern, ist nicht gesundheitlich unbedenklich. Doch man fängt ja vorsichtig an und benutzt Schleichwege, die einem zwar ein entspanntes Fahren bringen, doch nicht den kürzesten Weg zum Ziel versprechen. So landeten wir frohgemut irgendwann am felsigen Strand, überquerten matschige Furten, kämpften uns durch dorniges Gestrüpp und kamen doch später an der von weitem sehr viel interessanter aussehenden, im Reiseführer hoch spannend beschriebenen, Ruine auf der anderen Seite der Stadt an. Die Fahrt zurück ging zum Glück größtenteils bergab, doch seltsam war, dass die Räder nicht entsprechend schnell fuhren… Die Reifen saugten sich im weichen Straßenbelag fest. In Irland scheinen die Straßenbeläge nicht für eine Temperatur von über 30 Grad ausgelegt zu sein.

Während in vielen Ländern die Volksmusik heutzutage recht verpönt ist, gehört sie in Irland zum normalen Alltag. Die Musik ist aus dem Leben der Iren nicht wegzudenken, es ist ein Teil ihrer Identität. Vielen ist sicher die Szene aus dem Film „Titanic“ bekannt, in der auf einem der Unterdecks irische Auswanderer musizieren. Die Menschen gehen einer ungewissen Zukunft entgegen, sie wissen nicht was sie erwartet. Vielleicht würden unsereins grüblerisch da sitzen und bangen Herzens auf die Zukunft schauen, doch nicht die Iren! Aus der lauten rhythmischen Musik zu der die Menschen ausgelassen tanzen, ist ganz klar der irische Dudelsack zu hören, der im Gegensatz zum schottischen nicht mit Atemluft sondern mit dem Druck des Ellbogen gefüllt wird, des Weiteren die Fiddle und die Flöte.

In den irischen Pubs treffen sich regelmäßig die Hobbymusiker aus der Umgebung, bei einer offenen Session darf jeder mitmachen, der sein Instrument spielen kann und die Lieder kennt. Es wird alles gespielt, von der herzergreifenden traditionellen Ballade bis zum temperamentvollen Song, bei dem alle Besucher mit den Füßen mitstampfen.

 

Slea Head Drive Dingle (Foto Marion Illhardt)
Slea Head Drive Dingle (Foto Marion Illhardt)

Die letzte Etappe an der Küste entlang ist die Halbinsel Dingle. Nirgendwo hatten wir bisher ähnlich mystische, geheimnisvolle, dramatische oder auch düstere Seiten von Irland gesehen wie an diesem Küstenabschnitt. Der Reiseautor Andrew McCarthy meint hierzu:

„Der Zufall führt nicht nach Dingle. Es liegt nur auf dem Weg zu sich selbst.“

Jede neue Kurve auf den verschlungenen schmalen Straßen offenbarte neue atemberaubende Ausblicke. Wir fuhren entlang der wilden, zerklüfteten Steilküsten vom Slea Head Drive, der durch die vielleicht abwechslungsreichste Gegend Irlands führt. Unser Blick fiel auf die fantastischen Blasket Islands, wir entdeckten die düstere wilde Landschaft um Brandon Creek im Nordwesten und im Süden der Insel rollten wir in Inch am längsten weiß leuchtenden Badestrand, den wir je in Irland gesehen haben, vorbei.

Hinter Ballyferriter führt der Pilgerpfad zum Mount Brandon vorbei; an ihm liegt eines der frühchristlichen Monumente auf Dingle, die Gallaruskapelle. Ohne Mörtel gebaut, Stein auf Stein, hat sie die Form eines kieloben liegenden Bootes. Seit tausend Jahren steht sie an diesem Platz und trotzt den Naturgewalten. Doch an den Längsseiten ist zu erkennen, dass sich die Dachschräge langsam aber sicher durchbiegt und irgendwann wohl einfallen wird. Ein außerordentliches Meisterwerk der damaligen Baukunst.

 

Gallaruskapelle (Foto Arnold Illhardt)
Gallaruskapelle (Foto Arnold Illhardt)

Ballyferriter ist der letzte Küstenort und wir nehmen Abschied vom Meer, doch kommen wir in Smerwick Harbour noch einmal in den Genuss im Pub „Tigh an tSaorsaigh“ an einer Session mit irischer Musik zu erleben. Ein traumschöner Abend, der in Erinnerung bleiben wird, die Möwen nahmen kreischend Abschied, die Sonne versank im Meer, rund herum lauter liebenswerte Menschen, spielende Kinder unten am Strand und überall eine schiere fühlbare Harmonie.

Während unserer gesamten Zeit in Irland sind mir die Menschen sehr ans Herz gewachsen. Dieses Völkchen ist ausnehmend weltoffen, lebensfroh und fremden Menschen gegenüber überaus aufgeschlossen. Zudem absolut hilfsbereit und immer zu einem kleinen Schwatz bereit, der sich natürlich zu anfangs immer um das Wetter dreht. Dieses Jahr hatten die Iren den Jahrhundertsommer: „Das letzte Mal war er so ausgeprägt in 1986, als meine Nichte mütterlicherseits damals heiratete…“ Aber es muss wohl stimmen, denn 1986 zog sich durch alle Gespräche!

Bei unseren Reisevorbereitungen stießen wir häufig auf Fotos von urigen tief geduckten weißen Bauernhäusern, kleinen Cottages mit Schafen davor und grünen windzerzausten Weiden! Ein bisschen Klischee, bitte schön! Doch die Realität sah vielerorts ernüchternd aus, weil die Bebauung ist aus der Retorte entstanden! Manches Mal fuhren wir an unzähligen baugleichen Bungalows vorbei, lediglich das überall herumfliegende Kinderspielzeug unterschied die jeweiligen Grundstücke voneinander. Bestimmt gibt es baugleiche Häuser überall auf der Welt, das sind vielleicht zehn oder fünfzehn Häuser in einem bestimmten Wohngebiet. Doch was ich meine, ist viel furchterregender, es gibt diese baugleichen Bungalows (und nur die!) überall auf der Insel! Und diese Häufungen waren nicht auf Orte begrenzt. Grund dafür ist, dass es bis vor einigen Jahren keinerlei Bauvorschriften gab. Das erfreute jene Bauern, die nicht mehr von Landwirtschaft lebten und ihre Grundstücke lieber an Bauwillige verkauften. Ohne diese Vorschriften wurde es beiden Parteien wesentlich einfacher gemacht. Zudem brachte der irische Staat Ende der 1960 Jahre standardisierte Baupläne heraus, die sage und schreibe nur ein Pfund kosteten und den Häuslebauern den Architekten ersparten.

 

Wegbeschreibung nach Kilmalkedar (Foto Arnold Illhardt)
Wegbeschreibung nach Kilmalkedar (Foto Arnold Illhardt)

So tut sich an vielen Plätzen ein im Grunde fabelhafter Ausblick mit einem hässlichen Bungalow auf. Das zieht jedoch noch ein anderes Problem mit sich. Dadurch dass diese Häuser teilweise auch alleine in der „Wildnis“ stehen, sind die Besitzer auf mindestens ein Auto angewiesen, wenn Kinder im Hause sind auch zwei. In vielen Fällen fahren daher die Iren bis zu 50 Meilen zur Arbeitsstelle bzw. zur nächsten größeren Stadt. Der Umweltschutz befindet sich bei den Iren noch in den Kinderschuhen, man könnte erwarten, dass bei der unversehrt aussehenden irischen Natur vor allen Dingen darauf geachtet wird. Doch, dass die Natur nicht noch mehr Schaden genommen hat, liegt eher an der geringen Industrialisierung als am Umweltschutz.

Auf der Straße nach Norden liegt auf der rechten Seite hinter Ballyferriter der winzige Weiler Kilmalkedar, irisch Mhaolchéadair, wo in frühchristlicher Zeit der Heilige Maolceadair die Kelten missionierte, was den Ort mit seiner Kirche zu einem der wichtigsten Stätten in Westirland machte. Auf dem Weg Richtung Killarney erleben wir zum ersten Mal irisches Schmuddelwetter, mit tiefliegenden Wolken und Nebelfetzen. Das entsprechende Wetter für den steinalten Friedhof mit seinen schiefen zerfallenen Grabsteinen, den im Nebel sich langsam herausschälenden keltischen Kreuzen und einer düsteren Ruine, die im 12. Jh. eine der wichtigsten Gotteshäuser im Westen Irlands war. Auf den langsam bröckelnden Mauerresten sitzen die Raben und durchbrechen mit ihren schaurigen Gekrächze die unheimliche Stille an diesem trostlosen Flecken Erde.

 

Ausflugsboote Ross Castle, Killarney (Foto Marion Illhardt)
Ausflugsboote Ross Castle, Killarney (Foto Marion Illhardt)

Der Nationalpark Killarney ist unser letztes großes Highlight in Irland. Tatsächlich hatten wir unbeabsichtigt die Region mit dieser einmaligen landschaftlichen Schönheit für den Schluss aufbewahrt. Die Berge reichen an manchen Punkten bis zu den Ufern der Seen hinunter und die einzigartige Kombination von Bergen, Wäldern, Seen und Wasserfällen verleiht dem Nationalpark diesen einzigartigen Charme.

Die Stadt Killarney, Nr. 1 des irischen Fremdenverkehrs, muss jeder Besucher für sich selbst entdecken. Im Reiseführer schneidet sie nicht sehr vorteilhaft ab: Zu voll, zu kommerziell und die Freundlichkeit der Menschen ist dem Geldsäckel geschuldet und daher professionelle routinierte Maske. Wir fanden Killarney trotzdem spannend. Klar, auch hier überall die Touristenläden, auf den Werbeschildern über der Eingangstür der grinsende Leprechaun mit seinem Kleeblatt, ein Pub nach dem anderen und doch gingen nicht nur Touristen rein! Man muss auch mal in den Hinterhöfen graben, wenn man an dem wirklichen Irland interessiert ist. Da, wo die Buben auf der Straße toben und sich zanken, aus dem Hinterhoffenster die Wäsche hängt, der Essensduft einem in die Nase steigt und auch mal eine tote Ratte in der Gosse liegt und wenn man dann ein Grinsen empfängt anstatt eines schnell aufgesetzten Lächelns, dann fühle ich mich als willkommener Weltbürger.

Aber abgesehen davon haben wir in einem wunderbaren urigen Restaurant fantastischen irischen Lachs gegessen und in einem Fair Trade Café einen erstklassigen Cappuccino und ein Sandwich gegessen.

Man hält nicht einfach in Killarney, bleibt ein paar Tage und fährt dann wieder, man lässt sich in Natur fallen, taucht ein und erlebt einen Wirbel aus verschiedenen Grün- und Blautönen. Zwischendurch kommt man wieder an die Oberfläche, streckt sein Gesicht der Sonne entgegen und weg ist man wieder! Ich fühlte mich wie ein Mensch in Trance, wie jemand, der eine Tür in eine unwirkliche Welt aufgestoßen hat und nun wie paralysiert durch diese Andersartigkeit läuft. Der stille besänftigende Zauber von so viel Grün und Frische umgab uns und die kindliche Freude an den kleinen Dingen, an den Dingen, die man im sonstigen Alltagsleben entweder nicht bemerkt oder übersieht, stellte sich wieder ein. Ich empfand ein überwältigendes Gefühl für diese Natur, die sich in Pose gesetzt hatte, um den Menschen noch einmal eindringlich zu zeigen, was er im Begriff ist zu zerstören! Man hat zwei Möglichkeiten mit dieser Landschaft umzugehen: entweder bin ich so abgestumpft oder gleichgültig, dass mich das alles überhaupt nicht tangiert oder ich werde zum Iren!

 

Lough Leane im Killarney Nationalpark (Foto Arnold Illhardt)
Lough Leane im Killarney Nationalpark (Foto Arnold Illhardt)

Den Muckross Lake kann man bequem an einem Tag mit dem Rad umrunden. An der Route sind wundervolle Sehenswürdigkeiten gelegen wie Dinis Cottage mit dem dahinterliegenden Meeting of the Waters, einem der Zusammenflüsse von Lough Leane und Muckross Lake, Muckross House and Gardens, der Torc-Wasserfall und die Ruinen nebst Friedhof von Muckross Abbey.

Von Muckross House haben wir nur den weitläufigen Garten mit seinem riesigen alten Baumbestand durchschlendert, eine echte Ruheoase in diesem Touristenhighlight.

Auch den Wasserfall hatten wir nicht für uns allein, es war nicht möglich, ein Foto ohne unbekannte Personen zu machen. Dicht gedrängt an allen möglichen Brüstungen, Mauervorsprüngen saßen die Besucher und verzehrten ihr mitgebrachtes Picknick. Es war nicht meine Vorstellung von Romantik!

 

Meeting of the Waters (Foto Arnold Illhardt)
Meeting of the Waters (Foto Arnold Illhardt)

Einzig Muckross Abbey, welches dem Autor unseres Reiseführers nur zwei Sätze wert war, berührte uns tief. Über dem ganzen Areal schwebte eine historische Erhabenheit. Für mich als Träumerin erstand die Vergangenheit vor meinem geistigen Auge, ich sah den Friedhof im weichen Sonnenlicht, sah die gepflegten Gräber, Priester, die hier wandelten und im Gespräch auf den herrlichen See schauten. Des Nachts brannte im Gemach des ehrwürdigen Abtes ein Kerzenlicht, sorgenvoll starrte er in den Kamin und dachte an den Geheimtunnel unter dem Bau, der noch nicht fertig war, für den Fall, dass er und seine Mitbrüder fliehen müssen, wenn die Engländer wiederkommen und die Abtei plündern und brandschatzen. Doch viele Touristen werden wohl eher nur Ruinen und alte schiefe Grabsteine erblicken. Der Nationalpark war ein wunderbarer Abschluss unseres Irland-Urlaubes.

 

Fuchsienhecken (Foto Marion Illhardt)
Fuchsienhecken (Foto Marion Illhardt)

Was ich allerdings noch unbedingt erwähnen muss, ist die letzte Etappe in Irland. Zwischen Cahir und Clonmel liegt der Campingplatz „The Apple Farm“. Die Apfelfarm, auf der auch anderes Obst angebaut wird, bietet den Durchreisenden einen Aufenthalt der besonderen Art. Jeder Gast, der dort ankommt, bekommt als erstes eine Flasche frischen Apfelsaft, ich habe noch nie so einen restlos nach Apfel schmeckenden Saft getrunken. Eine Scheune wird als Aufenthaltsraum, Küche und Informationszentrum genutzt, mittendrin steht sogar ein Klavier, die sanitären Anlagen sind hier ebenfalls untergebracht. Und wenn man als Paar gerne zusammen duschen möchte, gibt es auch Paarduschen, die sind nicht ganz so komfortabel, doch man ist umgeben mit hin und herrschwirrenden Schwalben! Der Besitzer ist Holländer und die wissen ja bekanntlich, worauf es beim Camping ankommt! Ein großes Lob über den Teich zur „Apple Farm“ für diesen bereichernden Aufenthalt!

 

Resümee

Der berufliche Alltag lehrt uns, mit einem unglaublichem Tempo und Gnadenlosigkeit das Träumen, das „schöne“ Denken, zu verdrängen und sich geradewegs seiner Umgebung und seinem sozialen Umfeld und dessen, was getan werden muss, wieder auszuliefern und anzupassen.

Der irische Regenbogen (Foto Marion Illhardt)
Der irische Regenbogen (Foto Marion Illhardt)

Und wenn ich dann später meine Reiseberichte lese, stellt sich mir die Frage: Ist das alles realistisch? Oder ist meine Fantasie mit mir durchgegangen. Kann ich wirklich solche Erfahrungen durchlebt haben, wie ich sie erzählt habe? Nein, meine Fantasie war nicht federführend, sondern meine überaus intensive Wahrnehmung. Ich habe mit allen Sinnen erlebt, habe sogar mehr empfunden als das, was ich beschrieben habe. Aber das ist das Drama mit der Zeit. Gefühle verschwinden, auch stürmische, leidenschaftliche Gefühle, Wünsche, Entschlüsse, die man von nun an auf immer empfinden würde und möchte – sie verändern sich, und das Leben fließt weiter.