Zurzeit ist es wichtig, ein Volk zu sein. Und um klar zu machen, dass man das wahre Volk ist, nennt man sich sogar völkisch. Nun frage ich mich, zu welchem Volk gehöre ich – wenn überhaupt?
Alle Nase lang geht es ums Volk. Volk hier, Volk da. Der reinste Völkerball. Seit Frauke Petry, einer rechtsradikalen Überdeutschen mit eindimensionaler Volksseele, wird sogar das Wörtchen völkisch wieder bemüht. Darüber hinaus gibt es Volksläufe, Volksbanken und Volker Kauder. Bis auf den Völkerball, den ich früher immer gerne gespielt habe, weil ich der gemachte Völkerballspieler war – hart, aber fair – finde ich den Rest großen Käse. Bei Volker Kauder, dem Antichrist der Christdemokraten, wundert es mich immer, dass er noch nicht in der AfD, der NPD oder einer anderen Fraktion für Menschen mit dissozialen Persönlichkeitsstörungen beigetreten ist. Übrigens, nur der Vollständigkeit halber, gab es eine Weile auch Volxküchen (tatsächlich mit x geschrieben), aber genauso wenig, wie ich Rudelsingen mag, bin ich auch kein Freund von Rudelessen. Überhaupt merke ich mit fortschreitendem Alter so ein wenig Erimitlerisches bei und in mir.
Manchmal sitze ich im weißen Unterhemd am Fenster, schaue aus selbigen, trinke Bier deutscher Braukunst und bekomme so eine Art Identitätskrise. Draußen zieht das Volk vorbei und skandiert: Wir sind das Volk und ich weiß immer nie, ob die auch mich meinen oder nur sich selbst. Bisher war ich der Auffassung, Volk sei die breite Masse, was jetzt nichts mit dem Grad der Alkoholisierung zu tun hat. So wie zum Beispiel bei den breit-rechten Hooligans. Und dann fühle ich mich irgendwie ausgegrenzt und frage mich, wo soll das enden und bei wem? Übrigens scheint es vielen so zu gehen, denn es gibt sogar inzwischen eine Selbsthilfegruppe, die sich Identitäre Bewegung nennt. Ich vermute mal, dass die alle ebenfalls anfallsweise bis chronisch unter total schlimmen Persönlichkeitsstörungen leiden und mit sich und ihrer Identität nicht klar kommen. Genauso wie die Menschen mit Pegida-Syndrom und den AfDen überall. Besonders schlimm sollen ja AfDen im Analbereich sein. Daher wundert es einen auch nicht, wenn man auf den entsetzlichen Fotos von den rechten Volksaufläufen immer mit ansehen muss, dass die so verkniffen gucken. Ist das Volksleid? Nach Volkswohl sieht es jedenfalls nicht aus!
Ich weiß nicht, ob es jemanden schon mal aufgefallen ist, dass diejenigen, die am lautesten „Wir sind das Volk“ rufen und dies zum besseren Merken auch auf schultafelgroße Banner schreiben, überwiegend Männer sind. Also jetzt so richtige Männer mit karierten Hemden, Baseballmützen und Schimanski-Jacken. Seitdem Männer ja keine Bären mehr jagen und nur noch beim Fußball so richtig Lärm machen dürfen, fehlt denen vielleicht so etwas wie eine völkische Verbundenheit. So eine Art öffentliches Lagerfeuer, an dem man von seinen Großtaten erzählen kann. Möglicherweise sind alle diese Volksaufläufe mit den Brüllgesängen so eine Art verkapptes Jagdritual. Ich vermute ja sowieso, dass dieses ganze Völkische und Volkereske eine einzige Ersatzbefriedigung ist. Denen sitzt vermutlich das Ejakulat irgendwo im Sprachzentrum quer. Da die Spermien eigentlich im Hoden gebildet werden, möchte man echt nicht wissen, wie dort oben hingelangt sind.
Doch zurück zum Volk! Zur allgemeinen Völkerverständigung muss ich sagen, dass ich bei meinen Überlegungen, ob ich nun volkskompatibel bin oder nicht, zu dem Schluss gekommen bin, erst einmal nicht mit „Wir sind das Volk“ gemeint zu sein. Weder persönlich in meiner Ureigenheit, noch als Volkselement der Allgemeindeutschen, noch als linksgrün-anarchistisch-versiffter Gutmensch mit antifaschistischer Einstellung und Weltbürgermentalität. Ich bin zwar ein Mann im besten Pegida-Alter, finde aber karierte Hemden fürchterlich, halte Fußball für grottenlangweilig und besitze keine einzige Schimanski-Jacke. Wobei ich gestehen muss, dass ich Schimmi heimlich verehrt habe. Sein Volksverständnis war ja auch ziemlich unidentitär: So soll er mal gesagt haben: „Für mich ist die ganze Welt ein großer Arsch. Und die rechte Arschbacke, das sind die Amerikaner, ja. Die linke Arschbacke sind die Russen und wir hier in Europa, wir sind das Arschloch.“ Ich lag also mit meinen analmäßigen Ausführungen gar nicht so falsch.
Wenn ich also nicht zum Volk der Strammdeutschen gehöre (wobei ich jetzt auch stramm nicht im Sinne von breit meine), wo gehöre ich dann hin? Nun bin ich nur rein zufällig in Deutschland geboren, weil sich mein Vater unbedingt hier vermehren musste. Es hätte ja auch in Andorra, Syrien, Puerto Rico oder – Gott bewahre – in Sachsen gewesen sein können. Deswegen habe ich nie besonders Wert darauf gelegt, Deutscher zu sein. Gut, es hat ein paar Vorteile, weil es hier zum Beispiel ein besseres Frühstück als in England und leckereres Bier als in Italien gibt, aber dafür fand ich auf Karpathos das Wetter besser, auf Gomera die Frauen hübscher und in Sizilien den Rotwein süffiger. Und was ich ja – deutsch hin, deutsch her – völlig blöde und entsetzlich öde finde, ist unsere Nationalflagge, weswegen ich sie bei Fußballspielen auch nicht als Spiegelpräservative oder Dachfähnchen ans Auto pappe. Dieses durchstrukturierte, langweilige Schwarz-Rot-Gold erinnert mich immer an gestreifte Krawatten, die ich noch entsetzlicher finde. Da hätte man auch einen weißen Adler auf weißem Grund oder ein Schnitzel auf zartbraunem Vollmond nehmen können. Also bei den Fahnen, nicht den Krawatten. Der Kopp-Verlag, ein deutschtümeliges Schreibkombinat mit Hang zu Verschwörungstheorien a la „fliegende Untertassen sind außerirdische Phänomene, die von Amerika gesteuert werden und Wildblumensamen in unsere hübschen Vorgärten streuen“, würde jetzt sagen, ich sei ein Anti-Deutscher und aufgrund meiner Aussagen über die Nationalfahne von Selbsthass befallen. Über Logik schreibe ich vielleicht mal ein anderes Mal!
Als ich nun neulich mal wieder mit meinem weißen Unterhemd im Fenster lag, neben mir ein Bier deutscher Braukunst und untermalt von diesen entsetzlichen Bourani-Kappes, der mindestens dreimal pro Tag auf WDR 2 läuft (es kann aber auch Max Giesinger oder Tim Bendzko gewesen sein, alles Vertreter des deutschen Einbauküchenpops mit hohem Schmelzkäsefaktor), da gingen mir ohne Ende völkische Gedanken durch den Kopf. Nehmen wir nur mal an, die rechte Bewegung mit Identität oder ohne würde die Macht an sich reißen, Tatjana Fensterling zur Bundesgauführerin ernennen, Alexander Gauland zum Justizminister küren, Bernd Höcke zum Außenminister strafversetzen (obschon das Amt dann nicht mehr notwendig sein wird, weil ja im Ausland fremde Völker hausen) und …verdammt ich verdränge immer all die Namen dieser Großkriminellen … also z.B. Beate von Petry als Führerin einsetzen. Ich weiß, dagegen ist das Kettensägenmassaker „Findet Nemo“- Niveau, aber es ist ja nur eine Küchenfenstervision.
Nehmen wir also an, der worst case (das darf man im Vierten Reich allerdings auch nicht mehr sagen, weil hier gefälligst deutsch gesprochen wird) würde eintreten, dann hätte ich ein gewaltiges Problem. Nicht nur ein Identitätsproblem. Im Falle einer Vollvervölkerung von Deutschland gäbe es hier nämlich nur noch Schnitzel von strammdeutschen Tieren aus besonders fiesen Großmastbetrieben, in meiner Stadt würden gleich zwei Kernkraftwerke an den Start gehen, im Radio lief vor allem patriotische Musik von Helene Fischer und Categorie C, die Regierungszeitung Compact würde zur Zwangslektüre deklariert und die Frauen würden zuvorderst Kinder gebären und die karierten Hemden ihrer Männer bügeln. Und natürlich würde all dieses rechtsverblendete Bratwurtsvolk nicht merken, dass das, was Gauland als wahre Demokratie verkaufen will, nichts anderes ist als eine völlig aus dem Ruder gelaufene Mischung aus Maskulingesülze, Profilneurose, Paranoia, nationalsozialistisches Gedankengut, Verschwörungentamtam,Tränendrüsengemetzel, Angststörung und Sozialphobie, um nur einige Charakteristika zu nennen. Das meiste kennt man ja von anderen Parteien.
Ich schloss das Fenster, trank noch das Bier deutscher Braukunst aus, zog mein Revolutions-T-Shirt über das weiße Unterhemd, ging auf die Straße und rief: „Nicht die, sondern wir sind das Volk“. Ein paar Kirchgänger gingen vorbei, jemand flüsterte, „der nun wieder“ und warf ein 20-Cent-Stück vor mich auf die Straße. Da stand ich nun, ich armer Tropf. Ich sah vermutlich ziemlich mitleiderweckend aus, so ganz ohne Volk hinter mir!