Über eine linksgrünversiffte Zeit mit miesen Poeten, entgleistem Sozialverhalten, sowie Rechtspopulisten der Sorte A, B und C.
Wir schreiben das Jahr 1987. In einer verrauchten Kneipe im Münsteraner Stadtteil Wolbeck traf sich ein verschworenes Grüppchen kritischer Bürger, um Aktionen für den Volkszählungsboykott vorzubereiten. Aus der Einführung lässt sich unschwer erschließen, dass auch ich diesem konspirativen Grüppchen angehörte. Da wollte doch tatsächlich der Staat, eine ominöse, graue Melange aus Muppets, Rocky-Horror-Picture-Show und Cosa Nostra, an die Daten von uns Bürgern. Es erinnerte ein wenig an die Verkündigung der Eltern, nur das Beste von einem zu wollen, aber genau das war man nicht bereit zu geben. An die Aktionen selbst erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber daran, dass ich meinen Volksaushorchbogen unbrauchbar gemacht habe. Woran ich mich aber sehr detailliert entsinne, ist der Moment, als es an der Tür klingelte. Da sind sie, die Schergen, dachte ich, und imaginierte mit der mir eigenen Fantasiefreudigkeit eine entsetzlich unsympathische Person mittleren Alters, männlichen Geschlechts und mit Akne vermaledeitem Gesicht, sowie der unvermeidlichen schwarzen Aktentasche. Stattdessen hatte sich „der Staat“ einen ganz miesen Trick ausgedacht und zwei überaus reizende junge Damen im modischen Kostüm, Typ Betriebswirtschaftsstudentin – 7. Semester geschickt, die sich mit einem warmen, außerordentlich freundlichem Lächeln als Volkszählerinnen vorstellten. Bei eventuellen Fragen oder Ungereimtheiten würden sie mir gern zur Hand gehen. Nun bin ich im normalen Leben ein durchaus zuvorkommender und höflicher Mensch, verzichtete allerdings in diesem Fall auf eine Einladung zum Kaffee, drückte ihnen meinen Umschlag mit dem unauswertbaren Personalbogen in die Hand und wünschte noch einen schönen Tag.
Nun ändern sich ja bekanntlich die Zeiten und wir uns in ihnen, wie schon die alten Lateiner zu wissen schienen. Die Gattung Mensch, zu der ich mich nicht fortwährend mit voller Überzeugung zähle, überrascht immer wieder mit eigenartigen Verhaltensweisen. Ich meine jetzt mal ausnahmsweise nicht meuchelndes und vernichtendes, ausgrenzendes und ausbeutendes Handeln, sondern das Aufgeben einst bedeutsamer Einstellungen zugunsten spätkapitalistischer Entwicklungen. Beispiel! Da stellt sich ein Mensch wie ich vehement gegen den Aushorchstaat und geizt mit seinen persönlichen Daten, um dann 30 Jahre später mit Informationen über sich, sein Denken, Fühlen und Leben herumzuwerfen, als seien es Konfettiladungen oder Kamelle beim Kölner Karneval. Das reinste digitale Scheunentor! Allein in diesen letzten Sätzen finden sich jede Menge Andeutungen, die mich als äußerst gesellschafts-, wenn nicht gar menschenkritischen Zeitgenossen outen. Personen, die der AfD oder anderen analogdemokratischen Zusammenrottungen nahestehen, haben dafür den brandaktuellen Ausdruck linksgrünversiffter Gutmensch entwickelt. Solche Neologismen erinnern stark an kindliche Entwicklungsstufen, die sich zwischen analer und ödipaler Phase befinden. Sie stehen in etwa auf dem gleichen Niveau wie Pippi-Aa-Loch oder Pupskackawurst, was nichts Gutes bei erwachsenen Usern der Wortschöpfungen verheißt.
Es ist eine Form von Freizeitspaß, sich in rechte Foren zu begeben und dort etwas Kritisches zu formulieren; es reicht auch, wenn es einfach nur vermeintlich klug ist. Es rasselt anschließend nur so vor Beschimpfungen, die als Arsenal der Schmähworte für den Rest des irdischen Lebens reichen: Mal abgesehen von Drohungen „warte, wenn ich dich auf der Straße treffe“ reicht der tiefergelegte Wortschatz der Rechtspatrioten von Dreckschwein, über Hurensohn bis Missgeburt einer Eselsstute. Großes malediktisches Kino. Schaut man auf die natürlich offenen facebook-Seiten dieser Menschen, so trifft man auf eine delikate Kakophonie aus Deutschlandfahnen, peinlichen Comicbildern und qualmenden Auspuffrohren. Übrigens fand ich unter den Wesen mit einfach gestrickten Persönlichkeitsanlagen auch Akademiker, denen man durchaus etwas mehr geistige Ausstaffierung zugetraut hätte. Aber geistige Ausstaffierung ist eine Bandbreite – von hier bis da.
Doch zurück zum „linksgrünversifft“ mit und ohne Gutmensch. Dieses ganze Links-Rechts-Denken bringt mich in eine mittelgradige politische Sinnkrise. Da ich bei mir eine Rechtslastigkeit eindeutig ausschließen kann, bleibt schlussendlich nun die Frage, ob ich links, mittig, linksextrem, progressiv oder konservativ, libertär oder liberal, scharf angebraten oder durch bin? In Zeiten wie diesen, wo die Kanzlerin schon mal grün-rot denkt und ein Gabriel schwarz-weiß, ist es nicht ganz einfach, eine Zuordnung zu finden. Ich habe allerdings eine gute Lösung gefunden: Ich bin weder links, noch rechts: Ich bin „Oben“! Aus dieser Perspektive lässt sich das z.T. hanebüchene gesellschaftliche Treiben hervorragend analysieren und reflektieren.
Früher, als das Wünschen noch geholfen hat und hilfsbereite Menschen noch als großherzig, altruistisch und eben nicht als Gutmenschen bezeichnet wurden, war das „Rechtssein“ genauso negativ besetzt wie Kampfhundbesitzer, Analfissur oder Gammelfleisch. Man wusste, dass es irgendwo, z.B. in Gelsenkirchen-Rotthausen ein paar kahlköpfige, kognitiv flacher gelegte und aussehensmäßig unappetitliche Menschen gab, die sich ab und zu trafen, um den Hitlergruß zu absolvieren und Unmengen von billigen Alkohol zu konsumieren. Aber so richtig hatte man eigentlich nie Kontakt mit Rechten und legte darauf auch keinen besonderen Wert. Rechte gucken ist kein Augenschmaus! Natürlich gab es immer so ein paar Langsambrüter mit braunen Flecken im weiteren Bekanntenkreis, aber man führte dies zumeist auf eine schlechte Kindheit, einen überstarkes Vaterbild oder grassierende Schulabstinenz zurück. Rechtes Denken fiel immer in den Bereich „entgleistes Sozialverhalten“. Aber eben ein Verhalten von Menschen in Gelsenkirchen-Rotthausen oder Dortmund-Applerbeck. Also weit weg!
Doch plötzlich ist rechts trendy, gilt als eine Form gesellschaftlicher Besorgtheit und ist allgegenwertig. Früher, als das Wünschen noch geholfen hat und hilfsbereite Menschen noch als großherzig, altruistisch und eben nicht als Gutmenschen bezeichnet wurden, gab es auch noch kein Internet und vor allem kein facebook. Dank dieser sozialen Errungenschaften pinkelt einem nun jederzeit irgend so ein rechtsdrehender Zeitgenosse vor die Tür. Manche erinnern mich an unseren früheren Dackel; der wedelte hinten mit dem Schwanz und biss vorne zu. Bei anderen ist es andersherum; stimmt, das geht gar nicht. Ich glaube sowieso, dass eine rechte politische Einstellung vor allem bei Männern mit unausgelebter Schwanzlastigkeit zu tun hat. Bei meinen Umtriebigkeiten in rechten Foren kam ich zu folgendem Ergebnis: Es gibt drei Sorten von Rechtspopulisten. Sorte A: Sie machen einen gebildeten Eindruck, schmeißen mit Fachbegriffen um sich und können hin und wieder sogar einen Studienabschluss nachweisen. Ihre Argumentationsstränge sind allerdings gequirlter Murks, da es immer darauf hinaus läuft, den potentiellen Gegner mit Pseudowissen zu verunsichern. Meistens versuchen sie das durch Aussagen wie „du solltest dich vielleicht mal etwas belesen“ oder zitieren gleich haufenweise Quellen, die von Nahem betrachtet aus sehr heiklen Wissenschaftsniederungen stammen. Meistens hat der Autor selbst deftig braunen Dreck am Stecken! Sorte B wurde offenbar (bei Sorte A vermute ich das allerdings auch) eingehend geschult. Hier wird weniger mit ganzen, zusammenhängenden Sätzen gearbeitet, sondern mit Floskeln. Meist entlocken die entweder ein Gähnen oder ringen dem Leser ein müdes Lächeln ab, da es sich um abgenudelte Begriffe wie Lügenpresse oder Volksverräter handelt. Der Ausdruck Volk ist übrigens ultrawichtig, wobei nie so genau ersichtlich ist, um welches Volk es sich gerade handelt. Ich, als Volksmitglied, fühle mich jedenfalls nie angesprochen. Und dann gibt es da noch die Sorte C. Da geht es weniger um Sprache, sondern vor allem um tiefstes Gossenvokabular mit viel Fäkaleinschlag, sowie Fantasiegeschwurbel. Also ähnlich wie beim Böhmermann, wo ja auch Kamele gefickt werden und die Rede von Schweinefürzen ist. Deutschland hatte schon bessere Poeten. Übrigens, ein Depp, der glaubt, solche Entgleisungen gäbe es nur bei rechtsdrehenden Patridioten. Die Bezeichnung „Dreckszecken“ für Flüchtlingshelfer fand der Meißener Stadtrat Jörg Schlechte von der CDU. Klingt jetzt nicht sonderlich christlich, aber bestimmt hat daran auch der Zahn der Zeit genagt. Ich meine am C vor dem DU.
Nun bin ich ja ein Mensch, der noch an das Gute glaubt. Natürlich nicht an das Gute im Menschen, sondern in der Veränderbarkeit von Prozessen. Liebe Güte, wir haben die Pest ausgerottet, den 2. Weltkrieg überstanden und Latrinen durch WCs mit Wasserspülung ersetzt. Da kriegen wir das mit der AfD und dem braunasseligen Übersättigungsbeilagen auch noch in den Griff.