Telgte. Es mag am Alter liegen, allerdings war es früher auch nicht anders: Die Musik auf den meisten Partys ist fade wie die Salatbeilage und „Smoke On The Water“ kann ich auch nicht mehr hören! Und bei „Atemlos“ hilft nur noch eins: Pinkeln gehen.
Dass man älter wird, merkt man a) an der Faltenbildung, b) an der Häufung von Gesprächen über körperliche Gebrechen und c) an der Tatsache, dass man nicht mehr zu Tanzpartys eingeladen wird. Letzteres wiederum liegt in der Gegebenheit begründet, dass Menschen, die mit einem gealtert sind, ihre Geburtstage oder sonstigen Lebenshighlights unter Vortäuschungen von falschen Tatsachen, in Wirklichkeit aber aus zunehmenden Altersgeiz und der Sorge, der gute neue Holzfußboden könnte Schaden nehmen, nicht mehr in üppiger Form zelebrieren. Und wenn es dann doch mal was zu begießen gibt, dann möglichst ohne musikalische Untermalung, damit niemand merkt, dass nach Tina Turner und Donna Summer ein Entwicklungsstillstand eingesetzt hat.
Nun kam doch alles ganz anders, denn auf der Einladung zum 50. Geburtstag eines Bekannten wurde auch ein DJ angekündigt, was darauf schließen ließ, dass man zumindest gewillt war, uns versammelten Grauschöpfe aus der Reserve zu locken und – wie man hier zu sagen pflegt – ans Zappeln zu kriegen. Als bekannter Faltenrocker bekam ich übrigens netterweise noch eine persönliche Vorwarnung, dass mein Musikgeschmack an diesem Abend vermutlich nur peripher gestriffen werden würde, da das geneigte Publikum doch eher dem guten alten Diskosound zugeneigt sei. Nun bin ich ja ein überaus toleranter Mensch, sowie obendrein Ex-Diskjockey der alten Schule und somit Kummer gewohnt. Außerdem – ich sag es, wie es ist – freute ich mich, endlich mal wieder nicht nur ausschließlich italienisches Unkraut und Häppchen verkosten zu müssen, sondern auch auditiv der Sinnlichkeit zu frönen.
So weit so gut. Ich war auf alles gefasst und frohen Mutes, so dass mich „Dancing Queen“ von Abba beim Betreten des Ballsaals nicht sonderlich umhauen konnte. Ich dachte still in mich hinein, dass der mitleidvolle DJ vermutlich gleich zu Beginn mit dem Schlimmsten anfangen würde, um schon mal das musikalische „Waterloo“ hinter sich zu haben. Spätestens beim Bestellen des zweiten Rotweins (wenigstens auf gute Getränke kann man sich bei Fortgeschrittenenpartys meistens verlassen) wurde diese Theorie schlagartig beerdigt: Mir schlug Marianne Rosenbergs „Du gehörst zu mir“ wie ein fieser Nieselregen im November ins Gesicht und die lasziv wirkende Frau neben mir an der Theke begann wonnevoll mit ihrem ausladenden Hintern zu wackeln, als habe ihr jemand einen Fuder Stichlitze ins Höschen gekippt. Sollte es sich bei ihren Zuckungen um weibliches Balzverhalten handeln, so muss ich die Gute enttäuschen: Bei jemanden, der auf solche Kakophonien wie lebensentrückt aus sich herausgeht, bei dem muss man später auch auf Schlimmeres gefasst sein. Nun kam es Schlag auf Schlag: Bee Gees, Diana Ross, KC And The Sunshine Band und die unsäglichen Village People. Ich drängele mich wie Judas Ischariot durch die aus dem Häuschen geratene Tanzmenge, um eventuell durch Voodoo Zauber oder Hypnosetricks den DJ zu beeinflussen. Doch seitdem die DJs keine Plattenleger, sondern Display-Wischer sind, hängen sie vor ihren Laptops wie frischtraumatisierte Exlover, die soeben den neuen Beziehungsstatus der Angebeteten auf facebook entdeckt haben: Eben teilnahmslos und daher auch unempfänglich für Außenreize. Kurz nach Mitternacht kommt endlich die standardmäßig abgespulte Rockphase für die wenigen harten Jungs unter den Partygästen. Es ist die alte
Leier: 1x Entre dos Tierras, 1x Smoke On The Water, noch fix 1x Smells Like Teen Spirit und dann kommt auch schon Born In The USA. Ok, den Bruce nehme ich beim Tanzflächengroßraumausdruckstanz noch mit, dann verziehe ich mich vorsorglich in die hinterste Ecke und widme mich dem Rotwein. So lässt sich dann später auch Hot Chocolate oder Earth, Wind & Fire halbwegs ertragen. Ich komme zur Tragödie des Abends. Ich hatte vorher noch in unserer Gnadenkapelle am Ort ein Bittlicht angezündet, doch da oben scheint man sich nicht um alle Katastrophen kümmern zu wollen oder zu können. Ich habe musikalisch in meinem Leben schon viel mitgemacht, doch die Breitseite, die nun den Laden Kopf stehen lässt und die Frau mit den Stichlitzen im Schlüpfer zu ekstatischen Höchstformen auflaufen lässt, führt bei mir zu Brechreiz und Ohrenbluten: Atemlos von dem singenden Seifenspender Helene Fischer. Ich geh pinkeln! In der Hoffnung, nun das Schlimmste überstanden zu haben, kommen meine Frau und ich zu dem Ergebnis, noch eine Weile zu bleiben, um dem Gastgeber zu huldigen, da fährt der DJ, der immer noch wie Sauerbier aus der Wäsche schaut, den Schlagerblock hoch. Nana Mouskouri, Howard Carpendale, Michael Holm …Standen die nicht alle längst auf dem Index? Da fällt mir nur noch ein Song ein: Den warte ich aber nicht mehr ab, sondern setze ihn gleich um: Es ist Zeit für mich zu gehen! Und zwar ohne ein letztes Glas im Stehn!