Transparenz
und ihr politischer Missbrauch

Transparenz ist ein menschliches Bedürfnis in der Interaktion. Doch in der Politik wird es ständig außer Kraft gesetzt und sogar im Sinne einer Fake-Transparenz missbraucht. Warum  wir uns das gefallen lassen bleibt ein Rätsel.

Transparenz schafft Vertrauen.

Eine Grundlage der Art von Psychotherapie mit Jugendlichen, wie ich sie als Psychologe verstehe, ist Transparenz im doppelten Sinne: Ich möchte, dass meine Patienten wissen, warum ich ihnen bestimmte Fragen stelle oder bestimmte Verfahren anwende. Ich höre immer wieder, dass Jugendliche schlechte Erfahrungen in den vorhergehenden Psychotherapien gemacht haben, da sie sich ausgefragt fühlten und daher nicht mehr adäquat geantwortet oder sogar die Wahrheit zurückgehalten haben. Transparenz in dieser Form von Interaktion hat somit immer etwas mit Vertrauen zu tun. Des Weiteren ist es ein Ziel meiner therapeutischen Begleitung, dass mein Gegenüber Wissen über sich und sein Verhalten erlangt. Nicht ich als Therapeut möchte etwas herausfinden, sondern die Patienten über sich selbst durch mein professionelles Dazutun. Fazit: Indem ich als Therapeut nachvollziehbar und damit eben transparent bin, schaffe ich ein günstiges Klima, um am eigenen Nicht-Wissen zu arbeiten und bislang verdeckte innere, belastenden Prozesse, die aufzudecken.

In der Psychologie kennt man noch eine weitere Transparenz: die emotionale Transparenz. Darunter versteht man …

„…das unmittelbare und aufrichtige Zeigen eigener innerer Stimmungen und die Unmittelbarkeit und Ehrlichkeit verbaler Äußerungen. Diese emotionale Transparenz hat eine für das soziale Zusammenleben regulierende Bedeutung, hilft Vertrauen zu stiften und Bindungen zu festigen. Vertrauen und Bindung wirken dabei aggressionshemmend, und besonders in Situationen, in denen Menschen gruppenwürdig und freundschaftswürdig erscheinen wollen, geben sie sich besonders transparent, z.B. bei einem Akt der Versöhnung aber auch bei der Anbahnung einer Beziehung. Emotionale Transparenz wird gerne als das Tragen des Herzens auf der Zunge bezeichnet, und emotionale Transparenz zu besitzen bedeutet, bereit zu sein, seine wahren Gefühle mit anderen offen zu teilen.“(1)

Eine solche emotionale Transparenz ist zunächst eine dem jeweiligen Menschen innewohnende Qualität. Personen, die so offen agieren, auf ehrliche Weise sagen, was sie fühlen und denken, wirken authentisch und damit vertrauenswürdig. Im zweiten Schritt lässt sich eine solche Offenheit auf alle möglichen Bereiche der zwischenmenschlichen und somit auch gesellschaftlichen Abläufe anwenden. Ganz gleich ob in einer Freundschafts- oder Liebesbeziehung ist das Maß an Transparenz immer ausschlaggebend für ein Miteinander, das auf Vertrauen basiert. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, wie die ureigentliche Bedeutung von Transparenz vorgibt, durchsichtig, sondern vielmehr klar versteh- und nachvollziehbar zu sein. Sobald sich Zweifel, Misstrauen und Ungläubigkeit einschleichen, ist es schlecht bestellt um den weiteren Bestand einer wie auch immer gearteten Interaktion. Man könnte also sagen: Transparenz schafft Vertrauen.

Transparenz als wissenschaftliche Voraussetzung

Das Durch- bzw. Überschaubare und damit Verständliche einer Sache wird aber auch dann wichtig, wenn wir uns wissensaffinen oder wissenschaftlichen Prozessen zuwenden. So ist in der Wissenschaft die Transparenz z.B. bei einer Untersuchung eine dringende Voraussetzung: Alle Arbeitsschritte sollten daher ausführlich dargestellt werden und somit für Außenstehende oder Überprüfende einer Arbeit nachvollziehbar sein. Es ist beispielsweise in der Medizin wichtig, Studienergebnisse öffentlich und damit transparent zu machen, damit zum einen andere davon lernen können, aber auch damit die Patienten eine Therapie oder eine Medikation verstehen, um die Bereitschaft zur Mitarbeit aufbringen zu können. Aus diesem Grund spielt heute die Edukation bzw. Schulung eine wichtige Rolle, um den Patienten die Behandlungsprozesse deutlich zu machen. Unter Edukation versteht man „…vielfältige und gezielte psychologische sowie pädagogische Maßnahmen, die Patienten und deren Angehörige bei der Krankheitsbewältigung unterstützen sollen…“ (2)

Zur Zeit der Coronapandemie warteten zahlreiche selbsternannte „Fach“leute in den sozialen Medien mit Verweisen auf vermeintlich wissenschaftliche Studien auf, um sowohl die Existenz eines gefährlichen Erregers als auch die Impfung infrage zu stellen. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass die herangezogenen Studien in der Regel nicht einmal den Mindestanforderungen oben genannter wissenschaftliche Qualitätskriterien standhalten konnten. Und doch wurden sie immer wieder zitiert und von mehr als zahlreichen Menschen geglaubt. Ein gutes Beispiel dafür, dass Intransparenz bewusst oder auch unbewusst falsch eingesetzt wird, um Aussagen glaubhaft zu machen. In der Regel funktionierte diese Masche, weil sie mit Begriffen wie „wissenschaftlich“ ausgestattet und Personen mit Titelangaben als Garant für die Richtigkeit benannt wurden. Aber transparent war dieses Vorgehen keinesfalls.

Transparenz – ein Grundbedürfnis?

Je mehr man das Konstrukt von Transparenz auf die verschiedensten Bereiche abklopft, desto deutlich wird, dass das Durchschaubare eine Art Bedürfnis, wenn nicht sogar Grundbedürfnis eines Menschen im Kontakt mit anderen ist. Die deutsche Sprache verfügt über unzählige Beispiele, in denen genau dieser Zustand der Offenheit und damit Einsehbarkeit eine Rolle spielt:

  • Etwas klarsehen
  • Den Durchblick haben
  • Man hat keinen Überblick mehr
  • Mir ist etwas unklar
  • Ich durchschaue etwas nicht
  • Man möchte klare Verhältnisse
  • Etwas klipp und klar darlegen
  • Klartext sprechen usw.

Das Wahrnehmen einer Intransparenz führt nicht nur zu einem Verlust des Vertrauens, es verunsichert auch und führt letztendlich zu einer Eskalation in der Interaktion: Wenn Du mit mir nicht offen kommunizierst, sage ich Dir auch nichts mehr. Am Ende wendet man sich von einer solchen Person ab oder die Beziehung dümpelt nur noch oberflächlich vor sich hin. Dieser Vorgang ist ein Dauerbrenner in der Paartherapie.

Im Nebel des digitalen Zeitalters

Bei der Betrachtung von Transparenz wird ein Phänomen augenfällig: Je weniger wir die Personen in unserer Interaktion kennen, desto mehr sind wir bereit, dieses Bedürfnis nach Durchsichtigkeit aufzugeben. Wir glauben unbekannten Personen im Internet, die sich in geschickter Weise als kompetent verkaufen und nehmen ihnen die abenteuerlichsten Sachen ab. Egal ob es sich um politische Prozesse oder medizinische Diagnosen handelt, plötzlich wird auf die Ernsthaftigkeit der Aussage keinen gesteigerten Wert mehr gelegt und das Bedürfnis nach Transparenz eingetauscht gegen die Bestätigung der eigenen Meinung. Der amerikanische Psychologe George Kelly benutzte die Metapher vom „Menschen als Wissenschaftler“, der ständig versucht, seine Welt und die Dinge, die auf ihr passieren, zu verstehen und zu analysieren. Habe ich mir eine eigene Meinung darüber gebildet, so wäre es auch wissenschaftlich, sie ständig auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Eine eigene Meinung muss nicht stimmen, weil man sie immer schon hatte, sondern man muss diese Meinung regelmäßig mit neuen Erkenntnissen konfrontieren. Aber ist man auch bereit, sie zu verändern? Und das bedeutet: Ist man auch bereit, sich einer Selbsttransparenz zu unterziehen? Für viele Menschen ist es unvorstellbar, die eigene Einstellung infrage zu stellen, also hält man daran fest und ist dankbar, wenn diese durch wenn auch unüberprüfte Statements untermauert wird. „Wissenschaftlich“ funktioniert anders und eine Selbstransparenz weicht der Selbstvernebelung. Ist also Transparenz doch nicht selbstverständlich?

Politische Intransparenz

Die Selbstverständlichkeit, sich Transparenz in der menschlichen Interaktion zu wünschen oder sie gar zu fordern, stößt allerdings bei einem wichtigen Bereich der menschlichen und gesellschaftlichen Abläufe an ihre Grenzen. Während man allenthalben Ein-, Über- und Durchblick einfordert bzw. die Abwesenheit zu massiven Interaktionsproblemen führen kann, scheint dies in der Politik völlig außer Kraft gesetzt zu sein. Obschon die meisten Bürger bei Parteien und ihren Arbeitsbereichen Kungelei, Korruption und Hinterzimmergespräche vermuten und sich dies aufgrund von entsprechenden Informationen auch häufig bewahrheitet, scheint Intransparenz in einer Art Toleranzzone angesiedelt zu sein. In Medien wird immer wieder der Versuch gestartet, die Undurchsichtigkeit der Politik als notwendig zu verorten:

  • weil … „sinnvolle und wichtige Dinge vorbereitet oder vorangetrieben werden können, die sofort scheitern würden, wenn sie im falschen Moment öffentlich würden (zum Thema: Hinterzimmer)“ (3)
  • „Wer alles preisgibt, macht meist einen schlechten Eindruck. (Zum Thema Piraten-Partei und transparente Selbstdarstellung)“ (4)
  • „Da sieht man mal wieder, wohin uns die Transparenz-Ideologie gebracht hat, mag sich jetzt mancher auch hierzulande denken: Misstrauen und Kontrollwahn greifen um sich! Wenn das so weiter geht, wird es bald kaum mehr vernünftige Menschen geben, die sich diesem Stress und dieser Durchleuchtung noch aussetzen – und in die Politik gehen.“ (5)

Offensichtlich scheint die Frage „mehr oder weniger Transparenz“ abhängig von der jeweiligen politischen Situation zu sein. Gerne wird in diesem Zusammenhang Heiner Geissler zitiert, der als Schlichter im Streit um Stuttgart 21 fungiert hatte:

„Wir brauchen totale Transparenz durch Faktenchecks, wenn es um solche Großprojekte geht. Zunächst müsse die Öffentlichkeit informiert und die Diskussion mit der Bevölkerung geführt werden. Erst nach einer Abstimmung könne genehmigt und gebaut werden. In Stuttgart sei dies, wie auch bei den meisten Großprojekten in Deutschland, anders gelaufen.“ (6)

Und auch während der Corona-Pandemie wurde vielfach bemängelt, dass zu wenig von konträrem Austausch öffentlich gemacht wurde. So forderte der Epidemiologe Klaus Stöhr in einem Papier der „Arbeitsgruppe Covid-Strategie“ … mehr interdisziplinären Austausch, also Teams mit „konträren Positionen und alternativen Herangehensweisen, aus denen die Politik ihre Entscheidungen ableite…“ (7)

Vor geraumer Zeit diskutierte ich mit einem Lokalpolitiker der GRÜNEN über das bzw. mein Transparenzdenken. Seine Antwort verwunderte mich, denn er argumentierte, dass politische Prozesse zu komplex seien, um breite Teile der Gesellschaft einzubeziehen. Da die meisten Politiker – so auch mein Gesprächspartner – keine Experten für ihren jeweiligen Fachbereich sind, sondern zumeist einen fachfremden Hintergrund besitzen, scheint das Sich-Drauf-Schaffen von politischen Abläufen offenbar kein Hexenwerk zu sein. Warum billigt man das Verstehen von politischen Prozessen nicht auch den Bürgern zu, die diese Politiker gewählt haben? Warum befähigt man sie nicht dazu? Und was noch nachdenklicher stimmt: Warum klärt man dann politisch weniger versierte Menschen nicht über die Komplexität auf? Und treibt man das Fragenspiel weiter, so bleibt der schale Beigeschmack, dass Wissen außerhalb der parteipolitischen Blase gar nicht gewünscht ist. Als ich bei einem dienstlichen Austausch mit dem damals amtierenden Gesundheitsministers Gröhe in Berlin weilte, nahm ich an einem Empfang des einladenden Kreistagspolitikers von der CDU teil. Zu dem Zeitpunkt gab es in Berlin Proteste zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). Darauf angesprochen erwiderte der Politiker unverhohlen: „Man kann nicht auf alles hören, was der Mob auf der Straße rumschreit.“ Warum nicht? Könnten die Aussagen der Demonstranten vielleicht eine Wahrheit an den Tag legen, die von der Politik bislang weitgehend unbemerkt vertuscht wurde?  Mich hat die Aussage entsetzt, aber gleichzeitig mein Denken über das „An-der-Sache-vorbeiarbeiten“ in der Parteipolitik bestätigt.

Es stimmt traurig und mehr als nachdenklich, dass es eigene regierungsunabhängige Institutionen wie abgeordnetenwatch oder Transparency International geben muss, um geheim gehaltene Prozesse in der Politik offen zu machen. Die Ziele werden u.a. bei abgeordnetenwatch.de gut zusammengefasst:

„Unsere Vision ist eine selbstbestimmte Gesellschaft. Diese befördern wir durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz in der Politik.

Was wir wollen:

  • Eine öffentliche Form des Austausches zwischen Bürger:innen und der Politik bieten,
  • höheren Rechenschaftsdruck der Politiker gegenüber den Wähler:innen herbeiführen,
  • Parlamente und Abgeordnete stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken
  • umfangreichere und vollständigere Berichterstattung über Politik ermöglichen,
  • Medienberichte leichter hinterfragbar machen,
  • einfachen und direkten Zugang zu politischen Informationen, mehr Transparenz und
  • eine dauerhafte Beteiligungsmöglichkeit für Wähler:innen schaffen. (8)

Bei der Diskussion über die Politikverdrossenheit vieler Jugendlicher wird oft als Grund die mangelnde Transparenz von politischen Prozessen erwähnt. Allerdings muss zunächst klargestellt werden, dass die Jugend nicht politikverdrossen, sondern parteipolitikverdrossen ist. Doch gilt die Aussage nicht nur für Jugendliche, sondern auch für viele Erwachsene. Kommentare wie „die machen ja eh, was sie wollen“ oder „da blickt eh keiner durch, was die machen“ höre ich häufig. Betrachtet man die jeweilige Wahlbeteiligung, so wird über die Nichtbeteiligung der Unmut vieler Bürger deutlich. Dabei ist es gleichzeitig interessant, dass man meine immer wieder vorgebrachte Forderung nach höchstmöglichen basisdemokratischen Strukturen mit dem Vorwurf von möglicherweise totalitären oder chaotischen Auswirkungen ablehnt. Die Rechte des Einzelnen seien dadurch nicht mehr gewährleistet, heißt es. Eine interessante Verschiebung eines Problems, denn willkürliche Entscheidungen über Wählerköpfe hinweg, chaotische Phänomene bei brisanten politischen Themen oder  die Vernachlässigung der Rechte von Minderheiten sind in der gängigen Politik Gang und Gäbe.

Zur Erinnerung: Wir leben in einer Demokratie. Und mit Demokratie ist eine Staatsform gemeint, bei der die staatliche Machtausübung durch das Volk legitimiert ist.

„Die staatlichen Organe müssen entweder, wie die Parlamente, aus Volkswahlen hervorgehen oder, wie die Regierung und die von ihr berufene Verwaltung, von den gewählten Repräsentanten eingesetzt werden. Die Amtsinhaber sind dem Volk bzw. seinen Repräsentanten verantwortlich und können aus ihrem Amt entfernt werden.“ (9)

Ich ahne, dass es etwas viel verlangt ist, aber hat dann das Volk nicht ein Recht darauf, über die Prozesse und Verläufe informiert zu werden? Genau das passiert in den meisten Fällen eben nicht und es scheint mir, dass das willentliche In-Unkenntnis-Halten Teil eines Demokratie-Getues ist. Auch autoritativ geführte Länder geben vor, demokratisch zu sein. Dass Menschen weggesperrt werden, die ihre Meinung sagen, scheint die Taktik, sich offen und damit transparent zu geben, nicht zu trüben. Demokratische Strukturen stehen immer im Kampf mit der Macht, die wirklich die Welt beherrscht (10) und diese Macht heißt Kapitalismus. Man sollte nicht meinen, dass das wirtschaftliche System Interesse daran hat, mit transparenten Mitteln zu arbeiten.

Denkt man sich weiter in das Konstrukt der allgemeinen und politischen Intransparenz ein, so erscheinen mir zwei plausible Unterscheidungen wichtig zu sein: Die notwendige und die temporäre Transparenz.

Notwendige und temporäre Intransparenz

Notwendige Intransparenz

Kinder besitzen ein sehr schönes System, was Geheimnisse anbetrifft. So klärte mich meine Enkelin auf, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt. Wenn mir A erzählt, dass sie sich in B verliebt hat, so ist dies ein gutes Geheimnis, das man für sich behalten sollte. Wenn aber das Geheimnis darin besteht, dass dadurch jemand Schaden nehmen könne (A erzählt, dass sie zuhause geschlagen wird), so kann ich mir Vertrauenspersonen suchen, um dieses Geheimnis zu besprechen. Natürlich gibt es bestimmte Geschäftsgeheimnisse, aber meines Erachtens sollte es in der Politik keine dauerhaften Geheimnisse geben.

Temporäre Intransparenz

Wir hören oft in den Nachrichten, dass ein politischer Vorgang noch nicht spruchreif ist. Das mag als temporärer, also zeitlich begrenzter Vorgang hier und da Sinn machen. Allerdings sollten solche Intransparenzen einem bestimmten System obliegen. Die nicht nach außen dringenden Informationen sollten z.B. den Fragen standhalten…

  • ob sie dem Volk dienen oder nur einem kleinen Kreis;
  • ob sie auf demokratischen Grundsätzen beruhen;
  • ob der komplette Entstehungsprozess im Anschluss allgemein einsehbar darstellbar ist;
  • ob sie, falls sich eine Fehlplanung herausstellt, revidierbar sind usw.
Transparenz (Collage Arnold Illhardt)
Transparenz (Collage Arnold Illhardt)

Bei der Frage Transparenz vs. Intransparenz geht es nicht nur um die Angabe von Lobbyismus oder Nebenverdiensten von Politikern. Ich finde, wir haben als Wähler ein unbedingtes Recht darauf zu erfahren, mit wem die von uns gewählten Personen in Kontakt (z.B. Wirtschaftsbetriebe, Banken etc.) stehen. Wird die Auskunft verweigert, wie es bei dem überwiegenden Teil der CDU der Fall ist, so verabschiedet sich eine solche Partei von der Glaubhaftigkeit und wird m.E. unwählbar. Transparenz bedeutet auch, dass die Parteien klar nachvollziehbar aufdröseln müssen, warum sie ein bestimmte s Projekt, Abkommen etc. anstreben, ändern oder auch ablehnen. Dass jetzt Klimaaktivisten kriminalisiert werden, wird in kritischen Medien als Ablenkungsmanöver interpretiert: Die Regierung will damit von ihrem Versagen ablenken, untätig gewesen zu sein, da die gesteckten Ziele nicht eingehalten wurden. Während die Klimaaktivisten ganz transparent agieren und ihre Forderungen deutlich machen (sie stehen ja auf „Transparenten“!!), sind die politischen Prozesse zumeist im Dunklen. Transparenz geht anders! Ich bin immer wieder erstaunt, wieviel Intransparentes erst nach vielfachem Druck von anderen Parteien oder NGO´s an den Tag kommt.

Fake-Transparenz

Jede Partei verfügt über ein Wahlprogramm, das die grundsätzlichen Forderungen, Ziele und Werte einer politischen Gruppe enthält. Bemerkenswert bei solchen Programmen ist, dass sie a) in der Regel von den Wählern nicht gelesen und b) von den Parteien selbst nicht eingehalten werden. Interessanterweise ist b) zu einer Art allseits akzeptierten Vorgehensweise geworden und außer gelegentlichem Aufregen in einer aufmerksamen Presse unter die Rubrik „sich selbst normalisierende Abläufe“ innerhalb eines parlamentarischen Systems fällt. Meines Wissens gibt es diesbezüglich parteiübergreifend kaum Abweichungen, so dass man bei den Wahlprogrammen auch von einer pro-forma-Transparenz reden kann.

Im Falle der nationalfaschistischen AfD und zunehmend auch von konservativen Parteien wird das Wahlprogramm im Sinne einer Fake-Transparenz eingesetzt. Als ich auf einer Anti-AfD-Demo einen Rechtspatrioten auf die Demokratiefeindlichkeit der Partei ansprach, erhielt ich als Replik einen Hinweis auf das Parteiprogramm und das dort nichts dergleichen zu finden sei. Die deutliche Sympathie und auch Unterstützung von antidemokratischen Autokraten wie Putin, Erdogan, Orban oder Trump zeigt allerdings sogar ganz aktuell, wohin die Reise bei den Faschisten geht. Während man sich laut Programm als wahre bürgernahe Repräsentanten darstellt, sprechen die Aussagen von Parteivertretern eine andere, nämlich nationalfaschistische Sprache:

Zitate von AfD-Politikern (Zusammenstellung Arnold Illhardt)
Fake-Transparenz und das wahre AfD-Gesicht (Collage Arnold Illhardt)

Würden die Inhalte dieser Aussagen in einem Parteiprogramm stehen, wäre die AfD längst verboten worden (was ich allerdings bezweifle). Dadurch, dass die Partei aber formell auf die Tatsache setzt, demokratisch gewählt worden zu sein, kaschiert sie ihr wahres Ansinnen und agiert mit Fake-Transparenz. Sie bezeichnet sich sogar als Partei der Transparenz. Und das ist nichts Anderes als eine geschickt vermarktete Lüge. Leider interessiert das die Wähler offenbar nicht, aber mit ihrer Zustimmung machen sie sich zu Handlangern von Gewalt, der Entstehung eines faschistisch-autoritativen Politsystems und größtmöglicher Menschenverachtung.

Das Resultat einer Fake-Transparenz wird sehr schön in dem Buch „Mephisto“ von Klaus Mann dargestellt. Einer der Personen in dem Roman ist Miklas, der ein eher unbedeutender Schauspieler an den Hamburger Kammerspielen und ein Verfechter des aufblühenden Nationalsozialismus ist. Der Tag wird kommen, hört man ihn oft drohend sagen. Doch nachdem die NS-Zeit ihre hässliche Fratze gezeigt hat, äußert sich Miklas mehr als kritisch: „Es ist alles Scheiße … Wir sind betrogen worden“, sagte er. „Der Führer wollte die Macht, sonst gar nichts. Was hat sich denn in Deutschland verbessert, seitdem er sie hat? Die reichen Leute sind nur noch ärger geworden. Jetzt reden sie patriotischen Quatsch, während sie ihre Geschäfte machen – das ist der einzige Unterschied. Die Intriganten sind immer noch obenauf … Den Bonzen aber – denen geht es besser als je. Schaut euch den Dicken (gemeint war Hermann Goering) an, wie der herumfährt in seinen goldenen Uniformen und in seiner Luxuslimousine! Und der Führer selber ist auch nicht besser – das haben wir jetzt erfahren! Könnte er denn sonst all das dulden? Die furchtbar vielen Ungerechtigkeiten? … Unsereiner hat für die Bewegung gekämpft, als sie noch gar nichts war, und jetzt will man uns links liegen lassen…“

Späte Einsichten, doch muss ich an diesen Miklas immer wieder denken, wenn ich in rechten Kommentaren den Satz „…der Tag wird kommen“ von AfD-Mitläufern lese.

Und nun?

Jeder muss sich selbst die Frage stellen: Wie will ich mit meiner eigenen Transparenz, sowie mit der Transparenz derjenigen, die mich repräsentieren, umgehen? Wie wichtig ist mir dieses Thema? Während ich persönlich diesbezüglich ein radikales Verständnis an den Tag lege, dies an den Stellen, wo es mir möglich ist, auch deutlich mache und mich damit von der Parteipolitik weitgehend verabschiedet habe, scheint mangelnde Transparenz bei anderen Zeitgenossen ein Kavaliersdelikt darzustellen, der man nicht zu viel Bedeutung beimessen will. Wie wir tagtäglich erleben können, schreckt es viele Bürger nicht ab, Politiker zu wählen, die sich in einem Sumpf von Ungereimtheiten und damit auch Intransparenzen bewegen. Es ist in manchen Sonntagsansprachen der Politiker die Rede von wehrhafter Demokratie, worunter verstanden wird (ich wähle dazu mal eine leicht verständliche Version, da der Rest Geschwurbel ist!), „…dass sich der demokratische Staat gegen seine Feinde wehren darf und kann. Die Feinde der Demokratie sollen niemals die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen.“ (11) Aber wer kontrolliert eigentlich die Demokratie und damit die gewählten Politiker? Auch sich selbst heraus scheint dies nicht möglich zu sein oder führt zu weiterer Intransparenz. NGO´s sind nicht gewählt und damit auch nicht ermächtigt, im Namen der Bevölkerung eines Landes zu sprechen oder zu agieren. (12) Darüber hinaus wird ihnen durch gewisse Auflagen der „Demokratie“ ihre Arbeit erschwert. In ihnen sehe ich meinerseits die größte Chance, mehr Transparenz zu erreichen und entsprechend auf Intransparenz zu reagieren. So bietet z.B. die Nichtregierungsorganisation „abgeordnetenwatch“ die Möglichkeit, seine Lokalpolititiker zu kontaktieren, um Unklarheiten anzusprechen. Ein Politiker handelt umso intransparenter, je unbeobachtet er oder sie sich fühlt. Diese Chance sollte man ihnen nehmen.

Demokratie ist kein Selbstbedienungsladen, sondern sollte jederzeit in transparenter Weise gelebt werden. Um bei dem Beispiel des Ladens zu bleiben: Ich verlange von dem Einkaufmarkt meines Vertrauens, dass er deklariert, woher die Lebensmittel kommen, was sie beinhalten und wie sie angebaut oder hergestellt wurden. Was ist daran so abwegig, dies auch von einem parlamentarischen System zu verlangen? Eine „Nährwertdeklaration“ würde auch bei Parteien Sinn machen, allerdings müssten wir uns dann von einigen Parteien verabschieden, da sie der Demokratie, Menschlichkeit und offenen Gesellschaft schaden.

Quellenangaben

  1. Stangl, 2023 in: emotionale Transparenz – Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik (stangl.eu)
  2. Patientenedukation – Wikipedia
  3. Sind Verhandlungen im Hinterzimmer immer problematisch? – Gesellschaft – SZ.de (sueddeutsche.de)
  4. Warum zu viel Transparenz in der Politik schaden kann (faz.net)
  5. Demokratie: Transparenz, auch wenn’s schwer fällt | ZEIT ONLINE
  6. Heiner Geißler Tagesgespräch zu „Stuttgart 21“ | Transparency International Deutschland e.V.
  7. So intransparent ist die Beratung von Politikern in der Corona-Krise (faz.net)
  8. Was wir wollen, was wir machen | abgeordnetenwatch.de
  9. Demokratie | Deutsche Demokratie | bpb.de
  10. In Anlehnung an: Paul Mason: Postkapitalismus. Suhrkamp 2015
  11. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321402/wehrhafte-demokratie/