Ein Buch vom Ehepaar Meadows (Club of Rome) wurde 1972 veröffentlicht: Damit fing es an, über die Begrenzung der natürlichen Ressourcen nachzudenken. Höhepunkte sind Programme der Regierung und der Protestwellen, z.B. später „Fridays for Future“. Wer Recht hat, ist eigentlich nebensächlich. Wichtig ist die Änderung in unseren Köpfen, die wahrscheinlich noch längst nicht zuende ist.
Das Buch »Limits to groth« aus dem Club of Rome, übersetzt in viele Sprachen, wird jetzt 50 Jahre alt. Damals löste es viele Kontroversen aus. „Wir“ lebten bedenkenlos in eine grenzenlos wachsende Zukunft, in eine unendliche Fortsetzung der Gegenwart. Und dann kam dieses Buch. Die einen grinsten über diesen angeblichen Unsinn, andere wurden nachdenklich.
Hier kurz der Inhalt: Grenzenloses Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum ist auf unserer begrenzten Erde unmöglich. Die Ergebnisse einer Computersimulation legen nahe: Das gefährliche exponentielle Wachstum müsse sofort eingeschränkt werden.
Anfangs gehörte ich auch zu den Grinsern und Kritikern, fand sogar das Computermodell unsinnig (obwohl ich von Computern nichts verstehe). Aber dann, wie bei den Kreuzberger Nächten, fing ich ganz langsam an – mit Nachdenken.
Das Konzept
Spaß beiseite. Das Buch ist 50 Jahre alt. Wie es scheint, ist es vom Thema Klimawandel inzwischen überholt. Klimawandel war (noch) nicht das Thema der 70er Jahre. Aber es schärfte das Bewusstsein für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, für die Dringlichkeit einer angemessenen (Umwelt-)Politik und die umweltpolitische Wende der kommenden Jahre.
M.E. begann diese Entwicklung mit einem eigenartigen Fokus. Und zwar konzentrierte man sich nicht auf eine der vielen Krisen, sondern auf eine Vernetzung der Probleme. Sie basierte auf einem Computermodell, die Kritik war sehr berechtigt.
Aber wichtig fand ich und finde ich noch immer das Netz. Meines Erachtens ist diese Graphik erweiterbar. Dazu später.
Die Fragestellung
Wachstum führt irgendwann zum Stillstand der weiteren Entfaltung. Das kann man sich nur als katastrophisch vorstellen. Damals waren es v.a. Energiegewinnung und Lebensmittel, die knapper zu werden drohten. Aber das wurde mit Billigproduktion »bereinigt«. Heute kommen noch weitere Probleme hinzu – hier seien Artensterben, CO2-Überproduktion und Klimawandel als Beispiele genannt. Es musste damals schon überprüft werden, ob und wie genau diese Entgleisung verhindert werden kann. Verhinderung eines Zusammenbruchs geht nicht ohne Begrenzung des Wachstums.
Die Zukunft von 1972 und der Erscheinung des Buches ist heute unsere Gegenwart. 1972 zählte man die Weltbevölkerung auf knapp 4, heute auf knapp 8 Milliarden Menschen. Das einzig Positive an dieser Entwicklung ist die Verlangsamung der Zunahme.
Weltbilder
Ein Weltbild ist zusammengesetzt aus einer meist bildhaften Überzeugung, die „die Welt / im Innersten zusammenhält“ (Goethes Faust). Weltbilder kann man schlecht beweisen. Weltbilder sind ein Mix aus Erfahrungen, Fakten und Visionen. Nur die Fakten sind beweisbar, aber gegen Erfahrungen und Visionen kommen Fakten nicht an. Dass die Entwicklung auf Weltbildern basiert, ist ein Problem. Nicht Fakten regieren die Welt. Unser Weltbild zimmern wir selber zusammen. Selbst unsere Politiker sind bestbezahlte Heimwerker.
Unsere Weltbildelemente versuchen aufzuweisen, was laut dem Buch aus dem Club of Rome die Bedingungen von Fortschritt, Konsum, Industriegesellschaft und Ressourcenverteilung sind. Erklären wir kurz, was damit gemeint ist: voll
Folgenabschätzung
Was das Buch damals ausgelöst hat, ist Nachdenklichkeit. Fragen sind nicht nur, ob die Computermodelle o.k. sind, wie sich Artensterben verhindern bzw. verlangsamen oder sich das Auseinanderbrechen von Arm und Reich vermeiden lassen usw. Wir müssen verstehen, was in unseren Köpfen vor sich geht, wenn wir über die Folgen unserer Veränderungen nachdenken.
»Folgenabschätzung« ist ein wichtiger Begriff in der Ethik. Ich kenne ihn aus der technologischen und medizinischen Ethik.
Hier meine Nachdenklichkeiten, die ich nicht nur philosophisch für besonders wichtig halte:
- Eine Folgenabschätzung gibt es nur in Ansätzen
Es geht nicht um die verschiedenen Methoden der Ethik. Aber mehr oder weniger gehen alle davon aus, dass die Auswirkungen unserer Entscheidungen wichtig sind. Bedeutsam ist die Gründung des Potsdamer Instituts für Klimafolgenabschätzung (PIK). Ein (= 1) Institut für so viele Eingriffe in die Welt? Und schade auch, dass in den Medien viel über Naturschäden berichtet wird, aber wenig über die Folgen dieser Entscheidungen.
Ein paar Beispiele: Bau einer Trasse führt zu Schäden in der Natur. Übrigens, wieder einmal sind die Baukosten am Stuttgarter Bahnhof um 1 Milliarde Euro gestiegen für 30 Min. Zeitgewinn. Toll! – Wie der Virologe Drosten im Fernsehen berichtete, werden Tierpelze – sie sind billiger als die besseren (?) Kunstpelze! – durch Tierhaltung gewonnen, was aber die Verbreitung von Coronaviren (durch sog. Zoonosen [Infektionen durch Tiere]) intensivieren kann. – Es gäbe sicher sehr viele weitere Entscheidungen zur Veränderung der Welt, einige wenige müssen reichen.
- Der gemeinsame Zusammenhang der Welt
Meine Frau hat in unserem Garten einen neuen Baum gepflanzt. Schön wird das, glauben wir, auch wenn ich vermutlich nicht mehr in seinem Schatten sitzen kann. Ich bin dann vermutlich tot. Oder ist die Welt dann kaputt?
Kürzlich erzählte mir meine Frau von einem Buch (Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume. Heyne 2019) über die unterirdische Kommunikation der Bäume, den besonders statischen Elementen der Welt. Ihre Kommunikation umfasst andere Pflanzen und sogar Mikroorganismen, dann natürlich auch über die Störungen dieses Zusammenhangs. Störung? Da kommt der Mensch ins Spiel.
Da ist noch etwas, was uns besonders viele Bauschmerzen macht: Der Zusammenhang von Fortschritt, Konsum, Industriegesellschaft und Ressourcenverteilung laut Club of Rome. Sie prägen das Problem des Wachstums. Weniger Kinder ist nicht die Lösung, was wir ja in unserer alternden Gesellschaft wissen.
Viel wichtiger sind die detaillierten Faktoren, die das Wachstum unserer Gesellschaft bestimmen. So die Größe der Städte, Müllaufkommen (Beispiele für Fortschritt). Warenangebot, Luxusgüter (Beispiele für Konsum). Herstellung von Gebrauchsgütern, Medikamenten und Agrarprodukten (Beispiele für Industriegesellschaft). Zugang der Ressourcen in ärmeren und reicheren Ländern sowie Zugang zu Verbrauchsgütern von Ärmeren und Reicheren innerhalb eines Landes und Preisgestaltung (Beispiele für Ressourcenverteilung).
Hartnäckiger scheint die verletzte Ästhetik zu sein, die uns angeblich stört. Photovoltaik störe die schöne Dachlandschaft, Windräder die intakte Natur. Eigentlich interessiert uns Ästhetik überhaupt nicht, wenn es um die weitverbreitete Verunstaltung der Innenstädte und lebensfeindliche Trabanten der Städte geht. Stattdessen ist Damenmode ein Aufreger der modernen Welt (wie selbst renommierte Zeitungen meinen). Kommt die Ästhetik vom Himmel auf die Erde? So viele Probleme und Widersprüche in unserer Welt, die nicht lösbar scheinen. Oder doch?
Leider sind es allzu viele Störungen, die das Wachstum der Erde beeinträchtigen. Wer dennoch auf Wachstum setzt, fördert das Ende – nicht nur des Wachstums. Auch 1972 diskutierte man schon den Ausstieg aus fossiler Energiegewinnung. Aber nach wie vor wichtig ist der Zusammenhang aller Faktoren. Nur wenn man auch die anderen Elemente mitbedenkt, lässt sich etwas ändern. Man sollte nicht mehr nur an den Stellschrauben eines Details drehen, etwa Atomstrom gegen Windräder austauschen. Es geht nicht nur um Strom, sondern auch um faire Ressourcenverteilung usw. Und das scheint in der gegenwärtigen Politik endlich – es hat immerhin 50 Jahre gedauert – verstanden zu werden.
- Der Mensch: Teil der Welt, nicht ihr Herrscher
Der Mensch galt lange Zeit als der Herrscher über die Welt. Er gestaltete – rücksichtslos, wenn es um Ärmere oder fremde Völker ging – die Welt, ihren Fortschritt, Konsum, Herstellung (später Industriegesellschaft). Sie war gleichsam der Steinbruch, aus dem sich der Mensch das herausnehmen konnte, was er für seine Zwecke braucht.
Aber die moderne Entwicklung begrenzte zunehmend diese Herrschermentalität. Inzwischen ist die Frage zweitrangig, woher die Welt kommt, erstrangig ist die Frage: wohin geht sie? Wie und womit ihre Gestalt und ihre Entwicklung geschützt werden können? Eigenartig – der Mensch gehört nicht in, sondern über die Welt? Sicher nicht. Er gehört in die Welt. Entwicklung der Welt (etwa Fortschritt, Konsum, Industriegesellschaft und Ressourcenverteilung) beeinflussen den Menschen. Der Mensch ist poröser als man denkt.
Wie denn das? Kaum ein Medikament, das nicht nach Tierversuchen positiv getestet und dann in die klinische Phase weitergeleitet wird. Wir wissen, dass alle Organsysteme auf natürlicher Basis funktionieren. Sogar neue Autotypen werden nur nach Tests mit menschlichen Leichendummies zugelassen. Nicht einmal der Geist würde funktionieren ohne Gehirn. Gäbe es ein Ich ohne Körper? Das heißt: Der Mensch ist Teil der Natur. Die Pandemie war der letzte Beweis: Eine kaputte Welt macht den Menschen kaputt.
- Die Welt als Leihgabe
Anfänglich – nach der NS-Gesetzgebung – galt der Mensch als Vertreter einer von Gott geschaffenen Welt. Verantwortung für den Schutz dieser Welt kann man daraus ableiten. Aber diese Begründung wurde immer weniger überzeugend. Die Welt gehöre Gott nicht mehr, meinen viele, dem Menschen gehöre sie auch nicht wirklich. Wem dann?
„Jemandem gehören“ ist die falsche Perspektive. Welt bedeutet einen Gebrauchszusammenhang. Alle Menschen, also auch die aus kommenden Generationen und anderen Konsumkreisen, dürfen diese Welt benutzen. Wer sie aktuell ausbeutet, vergeht sich an denen, die nach uns kommen oder die weniger Zugang zu den Ressourcen „unserer“ Welt haben. Dann ist der passendste Ausdruck: Welt ist eine Leihgabe.
Und was stimmt immer noch?
Vor 50 Jahren waren Naturschutz und Klimawandel noch nicht die beherrschenden Themen der Epoche. Aber was damals als bedeutend galt, m.E. aber nicht so deutlich diskutiert wurde, war die Vernetzung. Die vielen Pfeile und Striche in der Graphik zeigen das, sie werden unübersehbar. Ein neuer Problembereich (hier in gelb) kann mühelos eingefügt werden. Wir müssen uns klar werden, dass leider alles, was unsere Erde erschüttert, sehr viele Faktoren enthält, die wir mitbedenken müssen.
Das Ehepaar Meadows wies darauf hin, dass die „Tragfähigkeit der Erde schon vor mindestens zwei Jahrzehnten überschritten“ wurde. Das war ca. 1950. Etwa 70 Jahre lang dümpelte die kaputte Welt vor sich hin. Die Klimaerwärmung um 0,5 Grad brauchte, so die Süddeutsche, bis zur Industrialisierung 9000 Jahre, sie schafft das jetzt in 30 Jahren. Ist das fortgeschrittene Problem unserer Welt noch zu lösen, trotz „Fridays for Future“?
Was wir brauchen, ist ein Programm, das vorbildlich bzw. überzeugend ist und mit vernetzten Disziplinen arbeitet. Das heißt „Nachhaltigkeitstransformation“, die nicht auf Theorien setzt, sondern 1) mit Experimenten beginnt, 2) sie begleitet und 3) auswertet. Das Ganze beginnt von vorne, wenn die erwünschten Ziele nicht erreicht werden.
Nachhaltigkeit – oft ein seltsam benutztes Modewort – setzt auf Vernetzung verschiedener Disziplinen wie Biologie, Politikwissenschaft, Landschaftsgestaltung, Wirtschaftswissenschaften usw. Selbst Philosophie – Scobel hat sich schon darum gekümmert – gehört da hinein. Das wird an der Universität Lüneburg „Leuphana“ in die Praxis umgesetzt, die sich folgende Ziele setzt:
- Weiterentwicklung von Theorien, Konzepten und Praktiken von integrativer Bildung für Nachhaltigkeit durch Forschung,
- Anerkennung der Vielfalt und Dynamik von Werten, Normen und Verhalten und
- Anwendung interdisziplinärer Methoden zur Lösung von Spannungen durch produktive Kompromisse, die zur Entwicklung von Nachhaltigkeit genutzt werden.
Die Ausstattung dieser Forschungsarbeit umfasst ca. 25 Professor*innen, ca. 100 Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und ca. 1000 Studierende in Bachelor und Master Studiengängen.
So etwas war vor 50 Jahren nicht denkbar.
„Meine Generation, also auch ich, schickt die Jungen mit enormen Schulden, einer in Teilen kaputten Umwelt und einer katastrophalen Erderhitzung ins Leben. Wir sind so frei“ (Stefan Ulrich: Vom Sinn der Freiheit. SZ 16./17./18.4.2022).