Die Zeitenwende
Wohin sollen wir uns warum „wenden“?

Tagtäglich erfahren wir über Klimawandel, Inflation, Krieg gegen die Ukraine, Endmoränen der Coronakrise usw. Kurz Zeitenwende, und wir wissen nicht wirklich weiter. Schon recht! Aber auch bereits vorher passierten Dinge, die den Namen „Zeitenwende“ verdient hätten. Unlösbare Dilemmata? Welche?

Als Olaf Scholz im Februar 2022 die Zeitenwende verkündete, war der Krieg gegen die Ukraine der Auslöser. Viel hat die jüngste Vergangenheit verändert, was eigentlich das Gütesiegel „Zeitenwende“ verdient hätte. Nichts geschah (fast wie immer). Dass wir nicht reagiert haben, macht mich nachdenklich: „Wenden“ ist nicht nur eine Art U-Turn, sondern eine Änderung der bisherigen Denkmuster.

Ein Schüler in Zwickau – VW-Werk, kaum Arbeitslose, aber viele AfD-Wähler – sagte einen Satz, der mir sehr zu denken gab (SZ vom 17./18.3.23): „In der Schule lernen wir immer über die Vergangenheit, nie über Zukunft“. Was kann und soll man über Zukunft lernen? Kreativ sein. Sich nicht mit Traditionen zufriedengeben. Experimente besser finden als Althergebrachtes und Bewährtes. Sich Neuem öffnen. Und was macht die Schule? Aufstocken. Noch mehr Bewährtes in den Lehrplan hineinpressen, wie die Kultuskonferenz diktierte, v.a. in den MINT-Fächern [= Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik].

„Die Welt unserer Erfahrungen erscheint chaotisch, zusammenhanglos, verwirrend“ schreibt der Historiker Andreas Rödder in seiner kurzen (immerhin ca. 600 Seiten langen) Geschichte der Gegenwart. Scheint zu stimmen. Vom ganz anderen – ehemals linken, jetzt grünen politischen Ufer – kam der Kabarettist Hagen Räther, der eine ähnliche Zeitdiagnose stellt. Wirklich elektrisierend war seine sprachbrillante Ansicht, dass unsere heutigen Entscheidungen auf den Auffassungen des letzten Jahrhunderts beruhen.

Können die heutigen Krisen richtig gelöst werden, wenn die Entscheidungsmuster auf alten Erfahrungen basieren? So verstand ich Räthers Vergleich der 70er Jahre mit der Berliner Ampel. Meine Frage: Wie lösen wir unsere aktuellen Krisen? Und auf unsere Regierung bezogen, die wir schließlich selber zustande gebracht haben: Warum die Wähler von Heute mit den Problemen von morgen verärgern?

Mir kam der Vortrag eines Psychotherapeuten in den Sinn, auch wenn mein Problem eher ein ethisches war. Aber nichts desto trotz: Irgendwie war es auch ethisch. Der Phi­losoph Hermann Lübbe fand dafür den Ausdruck „Orientierungswaise“, das ist jemand, der allein gelassen wird und nicht weiß wohin und warum. Viele Patienten, so der Psychotherapeut, leiden darunter, dass sie etwa in der Pubertät von den Eltern Entscheidungen bekommen, die mindestens 45 Jahre hinter der Gegenwart hinterherhinken. Die Mutter z.B. gab ihrem 15jährigen Sohn das weiter, was die 15järige Mutter von ihrer Mutter gelernt hatte. Zählen wir zusammen: Kind (ca. 15 Jahre), Mutter (15 Jahre nach der Geburt ihres Kindes) und die Oma (als sie ihre Tochter mindestens 15 Jahre lang erzogen hat). Väter ticken ähnlich.

Natürlich ist einiges neu, aber das Alte spukt immer noch in den Köpfen der Jungen. Es sei denn, die Kinder hätten sich – wie man heutzutage seltener sagt – emanzipiert. Vielleicht klingt es spießig, aber es macht dieses Fremdwort verständlich: Es kommt aus dem lateinischen „e(x) manu capere“ (also „aus der Hand [der Erziehungsberechtigten] nehmen). Selbständig-sein ist nicht einfach und gelingt sicher nur teilweise. Wie auch immer: Die Regeln für unsere Probleme passen oft nicht. Oder aber: Ich hatte eine Lösung, aber sie passte nicht zum Problem, war auf einem Graffiti zu lesen. Wie peinlich! Sind wir die lösungsferne Generation?

Mich bewegte die Rat- und Hilflosigkeit der Orientierung. Oder wie unser Artikel überschrieben ist: Wohin sollen wir uns warum „wenden“? Es geht doch um etwas m.E. sehr Existentielles: um das Entscheiden, um Wissen-wohin.

Auslöser der Orientierungslosigkeit

Ich wähle Entscheidungsprobleme aus, die zunächst, und wahrscheinlich noch sehr lange, ungelöst bleiben. Nicht wissen-wohin führt oft zur Spaltung der Gesellschaft, die einerseits auf dem Erbe der Tradition besteht, aber auch andererseits sich mit dem Neuen anfreunden will. Aber es geht nicht um den Kampf der beiden Positionen. Wir brauchen keinen Sieger, sondern eine Lösung des Problems.

Hier ein paar Probleme aus dem Fundus der jüngeren Geschichte:

  1. Geschlechterrolle(n)
Rollen und ihre Gesichter. Foto Pixab-ay
Rollen und ihre Gesichter. Foto Pixab-ay

2011 wurde ein Hausmann zum „Spitzenvater des Jahres“ gekürt, weil er seiner Frau die Chance einer ungestörten Erwerbstätigkeit gewährte. Warum denn das, wo doch auch heute noch Millionen von Frauen ihren Männern den gleichen Vorteil gewähren? Wenn das in der 60ern gewesen wäre, könnte man das verstehen. Aber heute ist das auch noch denkbar, 22Jahre später? Die Preisverleihung sicher nicht mehr, wohl aber das Denkmuster.

1971-2007: 1971 waren 93% der Frauen verheiratet, 2007 waren es nur noch 70%. Die Anteile der Männer sanken von 84% auf 64%. Das „Ideal“ der Verheiratung nahm ab, weil Sexualität und Schwangerschaft insbesondere innerhalb der Ehe nicht mehr als sinnvoll galten. Einige bejahen das, einige nicht.

1972-2010: Unverheiratet zusammenlebend waren 1972 137.000 Paare, 2010 stieg die Zahl auf nahezu 2 Mio.

1977 wurde das Gesetz gestrichen, das Frauen verbietet, ohne männliche Zustimmung Kontoführung und Beruf zu wählen.

Schon in den 90ern stellte die EU die Regel auf, dass in den Geburtsregistern die Babys nicht mehr nur als weiblich oder männlich, sondern auch als „ohne Geschlecht“ eingetragen werden konnten. Heute gibt es die Abkürzung „LGBTQIA“ (für lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersexual, asexual). Ob ich das gut finde oder nicht, hilft nicht weiter. Wichtig ist, dass gegenwärtig eine neue Ordnung entsteht. Die Geschlechterordnung beruht nicht mehr auf den primären Geschlechtsorganen, sondern auf Identifikation und Pluralisierung.

  1. Ein unfaires Geschlechterverhältnis

Zuvor ein Zitat der Politikwissenschaftlerin Clarissa Rudolph (2023): „Der deutsche Wohlfahrtsstaat bekämpft geschlechtliche Ungleichheiten und trägt gleichermaßen zu ihrer Manifestation bei“. Unser Problem ist, dass eine mögliche Lösung auf einer Paradoxie beruht: Wir tuen das, was wir bekämpfen.

Die Politikwissenschaft geht noch von der Statistik der 2 Geschlechter (männlich-weiblich) aus. Sie unterscheidet 3 Modelle:

In den 3 Modellen spielt Altersarmut für die Frauen eine erhebliche Rolle.

Eine weitere Unterscheidung macht diese 3 Modelle klarer und verdeutlicht die Differenz bezüglich der Gerechtigkeit in den Geschlechterrollen 2022 laut BMSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.):

Hallo Männer, tut was: Armut ist weiblich. Und das ist nicht nur eine Frage der Migration, der Herkunft, der Biographie, Karriere oder Politik. Auch unser Entscheidungsmuster spielt eine Rolle, zumindest langfristig.

Wie kann man mit dieser Spaltung leben? Nicht indem man eine strikte Position vertritt und die andere verteufelt. Man muss – gerade auch trotz unterschiedlicher Ansichten – mit den andern zusammenleben und eigene sowie fremde Verletzungen möglichst ausschließen. Alte Ansichten stehen uns damit oft im Wege. „Formen des Zusammenlebens ändern sich. Unverändert aber ist die Bereitschaft von Menschen, füreinander da zu sein“, schrieb A. Rödder in seiner Gegenwartsgeschichte. Nur das Wörtchen „oft“ fehlt bei Rödder.

  1. Klimawandel
Folgen des Klimawandels. Foto Pixabay
Folgen des Klimawandels. Foto Pixabay

Zurzeit ist Klimawandel eines der wichtigsten Probleme von uns und unserer Ampelkoalition. Repräsentative Demokratie beruht seltsamerweise auf dem Unfug, dass die kleinste Partei unserer Ampel unser aller Entscheidung bestimmt. Hand aufs Herz, auch unser eigenes Problembewusstsein ist auch nicht eindeutig. Ist unser Herz vielleicht doch eine Ampel?

Was beklagen wir, wenn wir an Klimawandel denken? Aussterben von Pflanzen, Trockenheit, Lärm, Vermüllung, Zersiedelung, Brände & Rodungen, Überhitzte Innenstädte, extreme Wetterperioden, Aussterben von Tierarten, Emissionen, Bauboom, Pol- & Gletscherschmelze, samt den Details von all diesen Problemen. Sie betreffen gegenwärtige und zukünftige Generationen. Haben wir ignoriert, was wir alles aus dem Ruder laufen ließen?

Kürzlich (bei Anne Will) erlebte ich zu diesem Thema ein Schreigespräch. Es war schwer, die Argumente zu verstehen. Können wir das Problem lösen, wenn wir wenig verstehen? Und warum wird auf akademischem Niveau debattiert, wenn nichts getan wird? Das Problem ist doch eher praktischer Natur. Natürlich tun wir das ein oder andere, aber wir versuchen nicht, das Problem insgesamt in den Griff zu bekommen. Veralbern wir die jungen Leute, deren Zukunft wir verbauen? Unsere Probleme, also meistens die der Älteren, sind uns wichtiger.

  1. Zukunft Ade?
Zukunft ins Nirgendwo? Foto Pixabay
Zukunft ins Nirgendwo? Foto Pixabay

Ein sehr bedeutendes Problem tut sich auf. Klimawandel hängt mit Gerechtigkeit (Fairness) zusammen. Der Bayrische Rundfunk machte im März 23 eine Umfrage bei den 18-34jährigen im Bundesland:

75%:    Wohlstand der Elterngeneration nicht erreichbar,

58%:    müssen größere Krisen als die der Elterngeneration bewältigen,

69%:    können eine Lebensqualität wie die der Elterngeneration nicht aufbauen.

Klimawandel als Regierungsziel, stand im Koalitionsvertrag der Ampel. Finden die meisten gut. Aber was passierte? Die Grünen werden von den sog. Liberalen attackiert, die eher Neoliberale (= wenig Liberalismus [Freiheitsorientierung] plus viel Rücksichtslosigkeit der Gewinnorientierung) sind. Und Kanzler Scholz entscheidet nichts, spielt sich eher als eine Art Gruppentherapeut auf, der die Minderheit der „armen“ Liberalen schützt. Die Süddeutsche vom 31.3./1.4. 23 kommentierte: Wenn die CDU einen Chef wie Hendrik Wüst (und nicht Friedrich Merz) hätte, hätten die Grünen längst die Ampel verlassen.

Fassen wir zusammen! Was die Ampel uns vorexerziert, ist unser aller Unfähigkeit, Gesellschaft fair zu gestalten. Ich fürchte, dass die Politik der Spiegel unserer Gesellschaft (leider auch meiner) ist. Soweit mein (un)politisches Lamento.

  1. Finanzkrise
Money makes the world go around. Foto Pixabay
Money makes the world go around. Foto Pixabay

Es ist schon komisch, dass Geld und die moralische Kategorie des Vertrauens zusammengehören. Die Nullzins-Politik ist vorbei und die Zeit, in jeder Zeitung morgens das Gejammer über die niedrigen Zinsen lesen zu müssen. Jetzt sind wir wieder bei 2,5%, aber von Vertrauen ist nicht mehr die Rede. Man vergisst vor lauter Geld, dass jedwede Geldanlage auf Vertrauen gebaut ist. Der Soziologe Arnold Gehlen schrieb über Gier („Pleonexie“), Geld besiegt Vertrauen.

Friedrich Blackrock empfahl der ärmeren Bevölkerung in der Rentenkrise, ETFs (Exchange-Traded Funds = Börsengehandelte Fonds) zu kaufen. Klar, aber von welchem Geld sollen sie ETFs kaufen? Und woher sollte man das Vertrauen haben, mit langfristigen Geldanlagen später über Geld zu verfügen, das einem jetzt fehlt? Zurzeit gehen ETFs wieder in den Keller. Auch das Vertrauen?

Lindner sagt den Leuten, dass das Bankenfiasko (u.a. Schließung von Credit Swiss) keine „systemische Krise“ ist. Aus dem gleichen Ministerium sagte ein Experte, dass sich dieses Fiasko zu einer Krise à la 2008 (Lehmans Brothers u.a.) auswachsen könnte. „Kleiner Mann, was nun?“, fragte Brecht in einem Theaterstück,

Die Staatschulden belaufen sich auf mehrere (2,5) Billionen €, d.h. fast 30.000 € Schulden pro Einwohner. Haftung übernehmen die Steuerzahler. Zuerst war es Corona, dann der Ukrainekrieg mit Energiekosten. Und wir alle blechen. Aber genau darüber wird wenig, aber keinesfalls bevölkerungsweit und für Nicht-Ökonomen verständlich debattiert. Es sei denn Putin packt seine Nuklearwaffen aus.

  1. Gesundheit
An apple a day ... Foto Pixabay
An apple a day … Foto Pixabay

Meine Frau riet mir, als ich noch zur Arbeit ging: An apple a day keeps the doctor away (Ein Apfel pro Tag verhindert den Besuch beim Doktor). Aber gibt es einen Beweis dafür? Äpfel sind zweifelsohne gesund. Aber zwischen denen, die Äpfel essen bzw. nicht essen, gibt es bezüglich der Arztbesuche keine relevanten Unterschiede.

Der Soziologe Hartmut Rosa fand das besonders irritierend, dass wir nicht mehr wissen, was wir essen sollen. Speiseintoleranzen (Laktoseintoleranz, Fruk­tose­intoleranz, Zöliakie, Histaminintoleranz, Sorbitintoleranz, Sacharoseintoleranz, Alkohol-Intoleranz) machen Entscheidungen sehr schwierig. Wer weiß schon, was er/sie hat oder nicht hat bzw. die Gäste haben oder nicht haben. Wird das Feierliche am Alltag medizinisch unterlaufen?

Dazu gehören auch die normalen Essens-Einladungen. Der eine will vegan, der andere nur bio und wieder andere nur regional, aber kein bio, alles nur kein Gemüse usw. Dabei ist Essen zusammen mit anderen so bedeutungsvoll. Vielleicht hätte die Ampel mehr essen sollen (meinetwegen auch auf Staatskosten), dann wären die Entscheidungen möglicherweise besser und praxisnäher geworden.

Essen ist ein Kommunikations-Generator. Das gilt für uns alle. Aber wofür entscheidet man sich? Für Nahrungstheorien oder für Kommunikation? „Da steh ich nun, ich armer Tor / und bin so klug als wie zuvor“ (Goethes Faust), und kann mich nicht entscheiden.

  1. Migration
Töten oder retten. Foto Pixabay
Töten oder retten. Foto Pixabay

Beeindruckend war das Kapitel von dem bereits zitierten Historiker Rödder (der u.a. die Entscheidungen der CDU kritisiert). Er überschreibt ein Kapitel mit „Deutschland – Einwanderungsland aus Versehen“. Deutschland weigerte sich, die Praxis der Einwanderung anzuerkennen. Es ging um die Frage, ob wir das schaffen. Das kann man mit ja und nein beantworten. Aus der ökonomischen Frage wurden eine ethische Debatte und eine totale Katastrophe des europäischen Migrationsfrage.

Dass immer wieder Migranten im Mittelmeer ums Leben kamen (inzwischen 25.000 seit 2014), zeigt wie schwer humane Entscheidungen sind. Töten, und sei es „nur“ Töten durch Nichts-dagegen-tun ist eindeutig und universales Unrecht. Es gibt viele Menschen, die für eine bessere Migrationspolitik sind, aber auch viele, die das ablehnen, weil wir anscheinend mit der Integration der Migranten überfordert sind.

Überforderung? Für das eine oder das andere zu plädieren, hilft nicht viel in diesem Dilemma. Aber warum entscheidet sich die EU nicht für Unterstützung von Italien? Weil Italien eine neofaschistische Regierungschefin hat? Sind die Länder Europas Geizkragen? Oder Befürworter der fahrlässigen Tötung? Ich denke, sie sind nichts von alledem – hoffentlich. Stattdessen sind sie unfähig, pragmatische Entscheidung zu treffen.

Und was macht das mit uns? Ich fantasiere mir zusammen, dass bei Anne Will einige Gäste (nur bitte keine Politiker, die machen immer nur Wahlkampf) eine Debatte auslösen. Einer der Gäste würde über das moralische Problem diskutieren: Was ist Töten, fahrlässiges Töten, In-Kauf-Nehmen einer Situation mit Todesfolge. Dabei wären auch Gäste, die das Menschenrecht der Migranten aufdröseln und die Kontroverse zwischen dem Menschenrecht der Migranten und dem auf ein gutes Leben der Bürger eines Staates diskutieren. Warum haben nicht auch Migranten das Recht auf ein gutes Leben? Dazu gehören auch Gäste, die aufzeigen, wie wir mit diesen beiden Eckpunkten leben könnten, ohne uns auf einen der beiden Eckpunkte festzulegen.

Das Problem ist nicht, dass es diese Sendung wahrscheinlich nicht geben wird. Wie der französische 68er Cohn Bendit sagte: „Wir müssen talken, talken, talken“. Ich widerspreche: Wir müssen handeln, nicht talken.

Mein Fazit

Schilder von Pixabay mit eigener Bearbeitung
Schilder von Pixabay mit eigener Bearbeitung

Es gibt leider prima vista einige unlösbare Probleme. Das liegt m.E. an unserer schlechten Debattierkunst. Debatten geraten zum Stellungskrieg. Beruht das Problem auf Argument A oder auf Argument B? Das ist bei weitem nicht so wichtig wie die Diskussion über eine vernünftige Lösung, die uns weiterhilft.

Der Film „Im Namen der Rose“ (1988), der auf dem gleichnamigen Buch von Umberto Ecco beruhte, hat als Grundlage ein philosophisches Problem, das für uns keine Rolle spielt. In einem mittelalterlichen Kloster (14. Jhd.) steht ein Manuskript von Aristoteles über das Lachen. Alle die es lesen wollen, werden ermordet, weil Lachen in der Kirche als Unfug gilt. Und je mehr aufgedeckt wurde, desto klarer wird dem Pater Chefbibliothekar, dass er die ganze Bibliothek in Brand setzen muss und noch zwei Patres ermorden will, die mit der Aufklärung der Verbrechen im Kloster beauftragt sind. Und das alles wegen lächerlicher Positionen.

Als die Bibliothek brannte, waren ein Pater und sein Novize darin. Der Pater wurde von Sean Connery (der 1. 007 der James Bond Filme) gespielt. Ihm und seinem Novizen gelingt die Flucht aus der brennenden Bibliothek, weil v.a. er sehr pragmatisch, aber sehr scharfsichtig dachte (wie sein philosophisches Vorbild William von Occam, was im Film nicht dargestellt werden kann).

Warum erzähle ich das? Probleme werden hochstilisiert und aufgeladen zu einer undurchschaubaren Herausforderung. Sie werden am Ende unlösbar und riskieren Katastrophen. Nur wenn man überlegt, wie das Problem praktisch gelöst werden kann, entkommt man dem Patt der Theorien.

Für eine praktische Orientierung brauch wir Folgendes:

  1. Erfahrung

Erfahrung darf nicht mit dem Influencer und seiner Überredungskunst verwechselt werden. Man braucht Erfahrung mit der Anwendung eigener und alternativer Ansichten. Nur dann ist Erfahrung hilfreich.

  1. Ausschluss von Lügen und Gewalt

Von Habermas und anderen Philosophen haben wir gelernt, dass nur ehrliche (also nicht Verbreitung von Fakenews und Shitstorm) und gewaltfreie Kommunikation zu einer vernünftigen Entscheidung führt. Das klingt gut, ist aber ungeheuer schwer. Das Fernsehen schafft das sicher nicht.

  1. Transparenz

Eine Entscheidung, die ihren Namen verdient, braucht Durchsichtigkeit der Dinge, über die entschieden werden muss. Nur was man versteht, hilft uns weiter. Und Verstehen ist möglich, aber in unserer Welt leider nicht.

 

Coverfoto zu Beginn: Schilder von Pixabay mit eigener Bearbeitung