Über Kriege und „notwendige Verteidigung“
Warum ist jeder Krieg leider notwendig, obwohl doch immer alle für Frieden sind

https://pixabay.com/de/photos/fantasy-jesus-statue-christusstatue-2654504/
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Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass Russland die Ukraine überfallen hat, dass in der Ukraine schreckliche Kriegsverbrechen verübt werden, dass Putin ein brutaler Diktator ist. Es ist also ebenso einfach wie klar, dass die Ukraine im Recht ist, dass in dieser Frage Gut und Böse eindeutig verteilt sind, dass Hilfe bei der Verteidigung gegen das Böse gut ist. Seit Beginn des Ukraine-Krieges heißt es täglich auf allen Kanälen und aus tausend Mündern, die eskalierenden Waffenlieferungen an die sich verteidigende Ukraine sind richtig und notwendig und wir, der Westen, sind die Guten. Die Bilder sprechen ein eindeutige Sprache, die Sache ist klar, und wem also wollte das nicht einleuchten?

Zugleich aber will niemand den Krieg. Eigentlich denken doch die meisten – auch Politiker*innen und Journalist*innen – dass die vielen Toten, die furchtbare Zerstörung eines Landes nicht sein sollten, dass wir die Unsummen, die für Aufrüstung und Krieg ausgegeben werden, eigentlich ganz dringend für die Menschheitsaufgabe im Kampf gegen die Klimaerwärmung brauchten, für die Krisen auf der Südhalbkugel, für den schlechten Zustand unseres Bildungswesens, usw. Stimmt zwar, sagt uns z. B. Claudia Major, zuständig für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, aber diese Entscheidungen für Kriegsgerät und Aufrüstung sind „leider notwendig“.

Karsten Krampitz kommentiert in ‚der Freitag‘ vom 13.4.2023 den Friedensaufruf des Geschichtsprofessors Peter Brandt auf eine Weise, die in dieser Wochenzeitung eigentlich überrascht. Die Unterzeichner müssten sich fragen, wie es überhaupt gehen solle, mit einem Aggressor eine Übereinkunft zu treffen. Putin mit Bodengewinnen zu belohnen sei eine Einladung an alle Diktatoren dieser Welt, Putins Vorbild zu folgen. Klingt ebenfalls zunächst ganz einleuchtend. (Weniger einleuchtend ist Krampitz‘ Meinung, man solle vor einem Atomkrieg Furcht, aber keine Angst haben. Dass dieser Friedensaufruf gar keine Bodengewinne für Putin, sondern einflussreiche Länder für eine Vermittlung gewinnen will, spielt für den Autor keine Rolle.) Soweit also alles wie gewohnt.

Ebenfalls wie gewohnt ist, wie die „Komikerin“ Sarah Bosetti („Ich bin auch für Frieden“) das Friedensmanifest von A. Schwarzer und S. Wagenknecht beurteilt, das „in der Konsequenz die Zerstörung der Ukraine fordert“. Sie fragt: „Sind sie irre?“ und meint: „Ihr solltet Euch schämen“ und „Eure Friedenstauben scheißen auf ukrainische Gräber“.

https://pixabay.com/de/photos/frau-fragezeichen-person-687560/
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Wie also kommt es, dass eigentlich alle für Frieden sind, die einen aber – genauso wie andere in früheren Kriegen – den Krieg „leider für notwendig“ halten und deshalb konsequenterweise die Friedensaufrufe der anderen verächtlich machen, diese aufs Übelste beleidigen und ihnen gar bösartige Absichten unterstellen? Es hilft, diesem Paradoxon auf die Spur zu kommen, wenn wir uns Muster anschauen, die sich in allen Kriegen wiederholen.

Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte

Es gibt wohl keinen General, keinen Politiker, Politikwissenschaftler oder Historiker, der diesem Satz nicht zustimmen würde. Obwohl niemand einer so simplen Tatsache widerspricht, fällt auf, dass Kriegsparteien in der Praxis die Vorgeschichte ihrer Kriege ausblenden oder nur das Bild zeichnen, das ihrer eigenen Sicht der Dinge, bzw. ihren Interessen entspricht.

Der Goldstandard der Diplomatie ist, sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen und zu verstehen, welche Interessen das Handeln der Gegenseite bestimmen. Dabei geht es nicht darum, ob man diese Interessen für legitim hält oder nicht. Zunächst gilt es zu verstehen, wie der Gegner selbst diese Interessenlage aus seiner Sicht betrachtet. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob der gegnerische Staat diktatorisch regiert wird oder von einer mehr oder weniger demokratisch gewählten Regierung. Es ist unmöglich, die immer wiederkehrenden Kriege zu verstehen, geschweige denn, Wege zu finden, sie zu verhindern oder zu beenden, wenn man ihre Vorgeschichte nicht betrachtet, bzw. nur den Ausschnitt, der einem gerade in den Kram passt.

https://pixabay.com/de/photos/zombie-halloween-grusel-gruselig-2541277/
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https://pixabay.com/de/photos/friedenstaube-frieden-taube-hand-2489589/
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Ein hervorragendes Mittel, sich der Vorgeschichte eines Krieges zu verschließen, ist die feste Behauptung oder Überzeugung, man selbst repräsentiere zweifelsfrei die gute, die friedliche Seite. Dann kann die andere Seite nur die bösartige sein, was auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, wenn dort sowieso ein autokratisches politisches System herrscht. Damit ist die Sichtweise der anderen Seite nicht legitim, und eine unvoreingenomme Prüfung erübrigt sich.

Die aktuelle Debatte um den Krieg in der Ukraine macht dies deutlich. Wenn jemand unmissverständlich sagt, der Überfall Russlands auf die Ukraine sei nicht zu entschuldigen, zugleich aber auf die Vorgeschichte hinweist, die darin besteht, dass Russland sich in seinen Sicherheitsinteressen bedroht fühlt, weil die NATO sich über Jahre immer mehr an seine Grenzen ausgedehnt hat, und weil die USA 2002, 2004, 2019 und 2020 praktisch alle wichtigen Abrüstungs-, Rüstungsbegrenzungs- und vertrauensbildenden Verträge aufgekündigt haben, wird ihm oder ihr vorgeworfen, er oder sie betreibe eine „Täter-Opfer-Umkehr“. Dies beruht auf der Behauptung, die NATO sei ein reines Verteidigungsbündnis und stelle für niemanden eine Bedrohung dar. Es fällt mir schwer zu glauben, dass erfahrene Politiker und Journalistinnen tatsächlich nicht wüssten, dass auch die westliche Führungsmacht USA seit Jahrzehnten bereit ist, das Völkerrecht ganz offen zu brechen und dabei über Berge von Leichen geht, dass NATO-Länder immer wieder Länder überfallen haben, wie z. B. den Irak oder Afghanistan. Wie hätte man ernsthaft den Ukraine-Krieg verhindern wollen, und wie wollte man ihn beenden unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen beider Seiten, wenn man die Vorgeschichte ausblendet und vorab festgelegt hat, dass der Kreml-Herrscher entweder verrückt oder einfach eroberungswütig sei, wenn er nicht zugebe, dass wir, der Westen, die Guten seien? So ist die Logik folgerichtig, dass man mit dem Feind weder verhandeln könne noch dürfe, und dass ein „vollständiger Sieg“ über Russland – was auch immer das heißt – notwendig sei.

Die vorherrschende Meinung in Politik und Medien beruht in der Regel nicht auf Lügen, sondern im Verschweigen von Fakten, die erst ein vollständiges Bild ergeben. Was die Lügen betrifft gibt es schon mal eine Ausnahme, wenn z. B. behauptet wird, der Westen habe seit Jahren alles getan, um Putin entgegenzukommen. Aber weil das nicht möglich gewesen sei und Putin seinen wahren Charakter gezeigt habe, sei Entspannungspolitik schon immer ein Fehler gewesen. Hier hört man das Muster, nach dem USA und NATO im Machtkampf mit China verfahren werden. Es nicht für nötig befinden, die Interessenlage eines Gegners zu verstehen, weil klar ist, dass dieser das Böse verkörpert, führt fast zwangsläufig dazu, Kriege immer wieder für „leider notwendig“, und damit letzlich irgendwie für gut zu erklären – obwohl man eigentlich für Frieden ist.

Kann man sich den Motiven dafür nähern, dass die Vorgeschichte von Kriegen und die Interessenlage von Gegnern immer wieder ausgeblendet werden, damit die gewaltsame Auseinandersetzung als „leider notwendig“ erscheint?

https://pixabay.com/de/photos/kunst-malen-meister-chef-führer-3117304/
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Es wäre naiv, nicht zu sehen, dass es in jedem Krieg mindestens auf einer oder auf mehreren Seiten um harte Interessen geht, Interessen, für die Politiker und Wirtschaftseliten die öffentliche Meinung mobilisieren müssen und wollen. Das gilt für Russland, aber auch für andere regionale oder Weltmächte. Die Führer all dieser Mächte sagen immer, sie seien eigentlich für Frieden – und sie werden vielleicht auch keinen Krieg unbedingt herbeiführen wollen – aber es spricht alles dafür, dass sie Kriege in Kauf nehmen, für „notwendig“ halten, wenn es um Vorherrschaft, Macht und Profit geht. Noch einmal, dabei spielt es keine entscheidende Rolle, ob es sich um Diktatoren handelt oder gewählte Politiker. Es mag sicher auch Politikerinnen und Journalisten geben, die wirklich alles glauben, was sie selbst sagen und schreiben. Einige mögen sich auch selbst hypnotisieren, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Andere erzählen ihren Lesern und Zuschauerinnen vermutlich wider besseren Wissens nur die eine Hälfte der Wahrheit, weil Mut dazu gehört, gegen den Strom der offiziellen Politik zu schwimmen und weil Job, Karriere, gutes Gehalt von angepasstem Verhalten abhängen.

Jeder Feind in jedem Krieg verteidigt sich nur

https://pixabay.com/de/photos/denkmal-heimat-mutter-frau-schwert-2593412/
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Es gilt, eine weitere Tatsache zu beachten, wenn man verstehen will, warum Kriege immer wieder „notwendig“ sind, obwohl man eigentlich den Frieden will: In jedem Krieg behauptet jede Seite, sich nur zu verteidigen und Regierungen verlautbaren immer, einen Krieg einzig aus Gründen der Verteidigung zu führen. Manchmal stimmt es, aber selbst wenn es nicht stimmt, sind Regierungen immer darauf angewiesen, einen bevorstehenden Krieg als „leider notwendig“ darzustellen. Nur so werden die Menschen auf beiden Seiten dazu zu motiviert, zu töten und zu sterben, unvorstellbare Zerstörungen und furchtbares Elend zu ertragen.

Zu Beginn des 1. Weltkrieges haben die Regierungen Deutschlands, Österreich-Ungarns, Frankreichs, Großbritanniens, Russlands und schließlich auch der USA öffentlich erklärt, gegen die feindseligen Absichten der jeweils anderen sei die Verteidigung unumgänglich. Zwar funktionierte auch der Zwang von „Befehl ist Befehl“, aber viele Soldaten marschierten anfangs bereitwillig, sogar begeistert in den Fleischwolf, weil sie tatsächlich glaubten, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Nur wenn Regierungen bereit gewesen wären, die jeweilige Interessenlage des Feindes öffentlich zu machen, hätte es eine Chance für politische Kompromisse gegeben.

Aber wozu sollte man das tun, wenn man nicht selbst in den Schützengraben geht oder die eigenen Kinder? „Der Krieg ist ein Massaker von Leuten, die sich nicht kennen, zum Nutzen von Leuten, die sich kennen, aber nicht massakrieren“ (Paul Ambroise Valéry).

Selbst Hitler hat immer wieder verkündet, er wolle eigentlich den Frieden. Aber es wurde dann doch „zurückgeschossen“, da Polen den deutschen Sender Gleiwitz überfallen habe – was allerdings SS-Männer in polnischen Uniformen erledigten. Selbst ein Hitler suchte Gründe, um seine Aggression als gerechtfertigte Verteidigung darstellen zu können.

Die USA haben die „freie Welt“ im Korea-Krieg gegen die Gefahr des Kommunismus verteidigt. Dies war aus dem gleichen Grund „notwendig“ als sie in Vietnam einmarschierten und das Land mit einem langen mörderischen Krieg überzogen. Dabei wendeten die demokratischen USA die gleiche Methode an wie das Hitler-Regime: Der ‚Tongking-Zwischenfall‘, wonach vietnamesische Schnellboote amerikanische Schiffe beschossen haben sollten, hatte nie stattgefunden, waren aber der Vorwand für den Überfall auf Vietnam.

Der Überfall russischer Truppen unter Jelzin und Putin auf das unabhängige Tschetschenien wurde mit der Verteidigung gegen islamistische Terroristen begründet. Es gibt Indizien, dass zumindest ein Teil der Attentate in Russland, die den Islamisten zugerechnet wurden, tatsächlich vom russischen Geheimdienst FSB verübt wurden.

https://pixabay.com/de/photos/model-karate-saurier-inna-mikitas-5195791/
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Der „Krieg gegen den Terror“, den die USA und ihre Verbündeten seit 2001 in verschiedenen Ländern führen, war „notwendig“ zur Verteidigung, obwohl man Terroristen nicht wirklich mit Armeen bekämpfen kann. Zum zwanzigjährigen Krieg in Afghanistan, den die USA gemeinsam mit der Bundeswehr und anderen NATO-Ländern führten, sagte der damalige deutsche Verteidigungsminister Struck: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Heute heißt es, auch Deutschlands Freiheit werde in der Ukraine verteidigt. Ist damit gemeint, dass Putin in Deutschland einmarschieren wird, nachdem er zuvor die NATO besiegt und die Ukraine, Polen und Tschechien besetzt hat?

2003 im Irak verteidigten die USA gemeinsam mit NATO-Verbündeten sich und uns erneut (Bei diesem Überfall gehörten auch ukrainische Truppen zur „Koalition der Willigen“). Erneut diente ein von der Hitler-Methode im Gedächtnis gebliebener Vorwand als Begründung: Die Verbindungen von Sadam Hussein zu Al-Qaida gab es ebenso wenig wie seine angeblichen Massenvernichtungswaffen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Verteidigung durch die „westliche Wertegemeinschaft“ eine Million Menschen im Irak das Leben gekostet hat. Wenn man am Einmarsch in fremde Länder misst, wer die Guten und wer die Bösen sind, darf man wohl nicht nur Russland auf dem Radar haben.

https://pixabay.com/de/photos/trompete-musik-jazz-instrument-4401522/
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Der kurze Überblick macht deutlich, dass das Konzept von „Verteidigung“ ein unverzichtbares Mittel darstellt, wenn Regierungen, die immer nur den Frieden wollen, dann doch wieder zu „leider notwendigen“ Kriegen blasen. Ohne die öffentlichen Medien jedoch, egal ob unter strikter staatlicher Kontrolle oder als freie Medien, die zuverlässig die Mehrheit der Menschen eines Landes erreichen, ist das Konzept der immerwährenden Verteidigung nicht zu verkaufen. Die Überzeugung sich nur zu verteidigen, ist aber die entscheidende Brücke, über die die Völker auf beiden Seiten der Front geführt werden müssen, damit sie einsehen, dass Krieg erneut „notwendig“ ist.

Die oben angeführten Beispiele aus diesem und dem letzten Jahrhundert enthalten offensichtlich Fälle, die zweifelsfrei mit Verteidigung nichts zu hatten, aber auch solche, in denen Länder und Völker sich tatsächlich gegen fremde Aggressoren zur Wehr gesetzt haben. Natürlich hat sich Polen lediglich verteidigt gegen die deutsche Wehrmacht, das gleiche gilt für Vietnam gegen die USA und die Ukraine gegen Russland. Kompliziert ist die Lage, wenn es sich, wie so oft in der Geschichte, um Stellvertreterkriege handelt, die Großmächte auf dem Boden anderer Länder ausfechten oder ausfechten lassen. Besonders in diesen Fällen müssen wir die Vorgeschichte und die Interessen der beteiligten Mächte unvoreingenommen und möglichst umfassend betrachten, wenn wir Kriege verhindern oder beenden wollen.

Auch tatsächliche Verteidigungskriege können verhindert werden

Ich habe in früheren Essays begründet, warum in Europa mit seinen Staudämmen, Chemiefabriken, Atomkraftwerken und seiner verletzlichen, technisierten Infrastruktur auch ein konventioneller Krieg auf keinen Fall mehr geführt werden darf. Die Existenz von Atomwaffen, chemischen und biologischen Waffen macht jeden Krieg zu einem unvertretbaren Risiko für die gesamte Menschheit. Ein Krieg ist aber auch ein Verbrechen gegen die Menschheit, weil er den Kampf gegen die Klimaerwärmung erschwert, verzögert, sogar unmöglich machen kann. In diesen Zusammenhang gehört die Tatsache, dass das bereits begonnene Auftauen des Permafrostbodens in Sibirien, dass zum Entweichen ungeheurer Mengen Methan führt, für das Weltklima einen Kipppunkt darstellt, hinter den es kein zurück mehr gibt.

Für die russische Regierung war all dies nicht Grund genug, den Krieg gegen die Ukraine nicht zu führen, und für die USA und ihre Verbündeten kein Anlass, die Entspannungspolitik fortzusetzen anstatt abzubrechen, Abrüstungsabkommen und vertrauensbildende Maßnahmen nicht zu kündigen, eine gedemütigte und zugleich aggressive Macht wie Russland nicht gegen die Wand zu drücken.

https://pixabay.com/de/photos/friedhof-militär-krieg-soldat-grab-534616/
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Nun zieht der Krieg, der zumindest leichtfertig in Kauf genommen und nicht verhindert wurde, der verantwortungslos fortgeführt wurde, obwohl es mindestens zwei vielversprechende Ansätze zu seiner Beendigung gab, nun zieht dieser Krieg also bereits im zweiten Jahr seine Blutspur durch das Land, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Möglichkeit für ein angegriffenes Land wie die Ukraine, die militärische Verteidigung durch ein wirksames Konzept zu ersetzen, hätte die zivile Verteidigung geboten (siehe dazu z. B. https://www.freitag.de/autoren/jbuxbaum/es-gibt-alternativen-ueber-verteidigung-die-dem-frieden-dient ). Dies aber wurde in der Ukraine weder eingeübt noch angewandt. Die Regierung Selenskyj hat sich mit Rückendeckung durch die NATO und Unterstützung eines sehr großen Teils der ukrainischen Bevölkerung für die militärische Verteidigung entschieden. Die zivile Verteidigung, die ungezählte Tote und schreckliche Zerstörungen vermeidet, wird aber auch anderenorts in Europa nicht vorbereitet – wir setzen lieber auf Krieg.

Die Überzeugung von Pazifisten innerhalb und außerhalb der Ukraine, Friede müsse und könne ohne Waffen geschaffen werden, wurde erneut von der Realität überrollt, einer Realität, die nicht von Völkern, sondern von Regierungen geschaffen wird. Das Konzept von „Frieden schaffen ohne Waffen“ entfaltet seine Wirksamkeit nur bevor ein Krieg begonnen wurde. Wenn die Waffen sprechen, bleibt der Friedensbewegung nur, sich zum Krieg selbst und den eingesetzten Waffen zu verhalten, und eine baldiges Ende mit diplomatischen Mitteln zu fordern.

https://pixabay.com/de/photos/fort-parker-palisade-fort-parker-3584793/
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Teile der Friedensbewegung fordern ein sofortiges Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine. Wenn die Forderung umgesetzt würde, hätte dies die baldige Eroberung des Landes durch Russland zur Folge, was tatsächlich niemand wollen kann. Jene, die der Friedensbewegung absichtsvoll unterstellen, sie betrieben das Geschäft Putins, sehen sich bestätigt. In der heutigen Lage, in der sich die Ukraine in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht verteidigt, kann die Forderung nur lauten, der Ukraine Verteidigungswaffen zu liefern, und zwar gekoppelt an die Bedingung, dass auch die Verteidiger stets verhandlungsbereit bleiben müssen. Waffenexperten werden einwenden, dass sich keine eindeutige Trennlinie zwischen Verteidigungs- und Angriffswaffen ziehe lasse, dass sich Verteidigungswaffen in bestimmten Situationen zu einem Angriff verwenden ließen. Das mag hier und da stimmen, aber es macht einen unzweifelhaften Unterschied, ob der Westen panzerbrechende Waffen liefert oder Kampfpanzer, Drohnen und Raketen abwehrende Waffen anstatt Kampfflugzeuge. Es muss darum gehen, den Krieg bald und mit möglichst wenig Opfern zu beenden und nicht darum, Russland als Beteiligten im Kampf um die Vorherrschaft auf der Welt auszuschalten.

Wir werden uns diesen Fragen erneut zuwenden müssen, wenn es um den bevorstehenden, den eigentlichen großen Kampf geht, den der USA gegen China. Auch hier spielt die Erzählung von der „notwendigen Verteidigung“ die entscheidende Rolle, nämlich die Verteidigung der „westlichen Wertegemeinschaft“ gegen Länder, die dikatorisch beherrscht werden. Dass es aber durchaus nicht um Demokratie gegen Diktatur geht, demonstriert der Westen selbst durch seine Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimes solange diese „unsere“ Machtansprüche nicht in Frage stellen. Selbst innerhalb unserer „Wertegemeinschaft“ sitzen Autokraten, Rechtsradikale, Aggressoren, Lügner und Volksverführer in höchsten Führungspositionen ihrer Länder. Die Erzählung von „Verteidigung“ dient dazu, die „internationale Ordnung“ aufrecht zu erhalten, in der immer noch die politisch, militärisch, wirtschaftlich weit überlegenen USA die Führungsrolle beanspruchen gegen die Gefahr einer zukünftig möglichen multipolaren Weltordnung.

                                                                                                   Die Propandamaschine läuft …

https://pixabay.com/de/photos/orgel-orgelpfeifen-kirche-musik-3233984/
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Kommentare sind willkommen an juergen.buxbaum@querzeit.org