Der Begriff Matriarchat wurde analog zum Begriff Patriarchat gebildet. Die Silbe „… archat“ (griech. archein) heißt nicht unbedingt „Herrschaft“ wie in „Herrschaft der Väter“ (= Patriarchat), sondern sie heißt auch: anfangen, die Initiative ergreifen, vorangehen o.ä. Herrschaft hat mit Gewalt zu tun. Gibt es eine Welt ohne Herrschaft? Das ist unser Traum vom Matriarchat!
Eine Erinnerung – nur für die vor 86 Geborenen: „Kinder an die Macht“ hieß ein Popsong von Herbert Grönemeyer 1986. Der Schauspieler und Intelligenzbolzen Horst Tappert (Film über die englischen Posträuber) kommentierte Grönemeyers Lied mit militanter Empörung: Kinder an die Macht? Blödsinn. Das könnten doch nur ausgewachsene und möglichst humorlose Männer. Was er über „Frauen an die Macht“ sagen würde, möchte ich erst gar nicht hören. Regieren braucht Alternativen, und die beziehe ich aus dem Matriarchat.
Die Zeiten des Matriarchats sind sehr lange vorbei. Im vorletzten Jahrhundert wurden viele Studien betrieben. Früher mehr oder weniger nur Fantasien. Dazu im nächsten Punkt. Heute einigt man sich eher auf „matri-linear“. Ob sich dieser Begriff auf Mütter (Mutter, Oma, Uroma … Urmutter/Urgöttin) bezieht oder nur auf Frauen (Frau [meist auch Mutter] ähnlich der Natur) bezieht, ist ebenfalls unklar. Sagen wir so: Als der Mensch (homo sapiens) die Welt besiedelte, war der Anfang sicher sehr schwer, und den ordneten Frauen, sagt man. Gab es in der Steinzeit schon ein Matriarchat? Einzelheiten wissen wir nicht. Praktisch gedacht: Männer gingen jagen, Frauen organisierten die Siedlungsgemeinschaft.
War das so? War das überall so? War das so, obwohl es in der Zeit der Ausgrabungen keine schriftlichen Zeugnisse gab? War das überall so oder nur in bestimmten Regionen? Schließlich ist Knossos nicht die ganze Welt. Fragen über Fragen. Die sind nachvollziehbar, weil der Konflikt zwischen Historikern und Archäologen (Ausgrabungen) noch nicht ausgetragen ist – und wohl auch nicht ausgetragen wird.
Zum Trost für die Männer: Im Matriarchat, so erzählen Ethnologen aus einigen afrikanischen Stämmen, besorgten sich Frauen Männer zum Spaß. Und wenn daraus eine Schwangerschaft resultierte, haben die Ahnen auf Geheiß der Urgöttin das arrangiert. Wenn das Kind größer wurde, hat der Stamm einen Großteil der Erziehung übernommen. So dachten viele. – Aber es gab auch andere Riten: Nur wenn der Vater das Kind akzeptierte (meist durch Berührung), wurde das Kind vom Stamm aufgenommen. Sagen wir so: Es gab in frühen Kulturen nicht nur Matriarchate, sondern auch Patriarchate. Dazu später mehr:
- Ausgrabungen
Inzwischen gibt es 200 Ausgrabungen an 30 verschiedenen Fundorten. Eine sehr alte und zwei sehr bekannte sollen hier abgebildet werden. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass Ausgrabungen allein wenig sagen, weil man das Drum und Dran nicht kennt. Zunächst hatte ich vor, kostenlose Bilder aus Pixabay zu kopieren. Aber leider dachten die nicht an Querzeit-Blogger. Bilder aus dem Netz sind urheberrechtlich geschützt und sehr teuer. Wer Interesse daran hat, kann sich die Bilder hochladen.
Meine Auswahl von Funden ist natürlich begrenzt. Es gäbe sicher viele mehr.
Beleg 1:
Aus der Siedlung von Catal Hujuk oder Catalhoyuk (Türkei) wurde die Terrakotta-Statue einer thronenden Muttergöttin ausgegraben. Sie stammt aus dem 6. Jahrtausend v.Chr.
Unklar ist, ob die gesamte Siedlung sich an Muttergottheiten orientierte oder ob da matriarchale und patriarchale Weltbilder nebeneinander existierten. Immerhin hatte unsere Neuzeit für das Nebeneinander mindestens einen 30jährigen Krieg gebraucht. Und war das Nebeneinander von matri- und patriarchalen Religionsmustern in der türkischen Siedlung wirklich friedlich?
Beleg 2:
1906 wurde in Österreich eine Muttergottheit, die Venus von Willendorf, ausgegraben. (Auf einer Radtour haben meine Frau und ich sie bestaunt.) Sie wurde etwa zwischen 34000-24000 Jahren v.Chr. angefertigt.
Auch dieser Fund entspricht in keiner Weise einem weiblichen Schönheitsideal. Das ist nicht einfach ein blöder Witz, sondern eine wichtige Frage. War das wirklich ein Schönheitsideal, während die Frauen damals sicher in Richtung schlank gingen? Denken wir nur an die vielen Hungerkrisen und die sehr anstrengende Arbeit die Frauen. Dass Brust, Becken und Bauch extrem ausgebildet waren, lässt uns eher an Symbole denken. Die Göttin ernährt ihre Menschen, tröstet sie bei Schicksalsschlägen, repräsentiert Werden und Vergehen.
Beleg 3:
Aus Kreta (Knossos) stammt das Bild der Schlangengöttin, entstanden 2.000-1.500 Jahre v.Chr.
Der englische Archäologe Arthur Evans hat den Palast der Minoer ab 1900 entdeckt und nach seinen Vorstellungen restauriert, die stark vom Jugendstil geprägt waren. Er hat sogar Räume dazu gebaut, weil er sich einen Palast mitsamt seinen Visionen so vorstellte. Er hat Maler kommen lassen, die Jugendstil-Bilder von weiblichen Gottheiten und Priesterinnen herstellten, wie Evans das wollte. Seine Schwester publizierte Arbeiten über die Gesellschaft der Minoer. Und danach richtete sich ihr Bruder. Wie auch immer: meine Frau und ich waren auch sehr beeindruckt, aber wir kannten die Zusammenhänge noch nicht.
- Liste der Forscher
Es werden hier Forscher*innen aufgelistet, die ich in einer Studie für wichtig gehalten habe. Diese Liste ist keineswegs komplett, sie soll nur einen Einblick geben.
- Interessant ist, dass die ersten 4 Forscher aus dem 19. Jhd. Männer waren und die Forscher aus dem 20. Jhd. Frauen waren. Ist das Geschlecht doch ausschlaggebend?
- Die beiden männlichen Forscher Engels und Bebel brachten eine linke Perspektive ins Spiel.
- Die restlichen Forscher konzentrierten sich auf ein für sie über(-)zeugenden Weltbild mit Ausnahme von Frau Göttner-Abendroth, die m.E. überzeugend schreibt.
- Vom Matriarchat zum Patriarchat
Vom Matriarchat gebildete Gesellschaften (Stämme mit wenigen Mitgliedern) waren geprägt von Prinzipien wie Friede, Glück, Freude, partnerschaftliche Beziehung, Verantwortungsbewusstsein ohne Gesetze usw. Je größer und komplexer eine Gemeinschaft wurde, umso klarer wurde es, dass nicht die Geschlechterrolle, sondern die Prinzipien der Beziehungsgestaltung Bedeutung bekamen. Denken wir an frühe Regeln, wie man eine Gesellschaft „regiert“. Leider waren diese Regeln lange nicht mehr matrilinear, man brauchte Gesetze und Regeln, und dazu brauchte man Macht. Und Macht hatte nur der, der über gute Jäger/Krieger – und das war hat das Geschäft der Männer – verfügte. So sah einer der Gründe aus, die zum Patriarchat führten. Doch in manchen Regionen gab es sicher ein Miteinander von Matri- und Patriarchat (M. Vaerting und ihre Pendeltheorie).
Möglich ist auch die Theorie, dass beide Seiten übertrieben hatten. Wenn die eine Seite, denken wir an die matriarchale Seite, auf Verantwortungsbewusstsein setzt, aber selbst dem zuwiderhandelt, dann setzt man halt auf Patriarchat. Und umgekehrt, wer mit zuviel Regeln kommt, setzt auf die Aura der Frauen. Aber man weiß es nicht.
- Matriarchales Muster
Vermutlich – es fehlen „Beweise“ – galt überall, wo sich eine matrilineare Praxis durchgesetzt hat – und das war sicher nicht überall -, ein sehr liberales Muster. „Liberal“ deswegen, weil wenig bis nichts gegen den Willen der Betroffenen unternommen wurde. Was man tat, war im Sinne der Betroffenen. Und das nicht nur, weil die Frauen liberal waren, auch Göttinnen rechtfertigten das.
Von der Matriarchatsforscherin Göttner-Abendroth füge ich die Prinzipien der „Religion“, die sie eigentlich für keine der üblichen Religionen hält, in mein Referat über das Matriarchat ein. Sie bezeichnet das als „Muster“:
- keine Trennung zwischen dem Göttlichen und der Welt
- das Kleine spiegelt sich im Großen und das Große im Kleinen
- das matriarchale Makrokosmos-Mikrokosmos-Prinzip: der Kosmos spiegelt sich in der Erde und umgekehrt
- keine Trennung von Sakralem und Profanem
Ich mache daraus ein Patchwork zusammen mit Alltagsbegriffen aus der Liste der Forscher*innen:
- Was machen wir heute mit diesem Muster?
Natürlich denken wir heute anders, nicht mehr matrilinear. Aber wir müssen viele alte Perspektiven in unsere Zeit retten. Was wir an Ideen aus dem Matriarchat bewahren, ist nicht die (historisch-archäologische) Theorie, sondern unsere liberale Praxis.
- Faszination und Symbol des Weiblichen
- Bedürfnis der Frau nach einer eigenen Geschichte und Rolle in der Gesellschaft
- Dieses Muster als Ausgangspunkt des sozialen Dialogs
- Renovierung der Patriarchats-Idee
Was lernen wir daraus? Frauen an die „Macht“. Bitte nicht Macht, davon haben wir genug. Was uns fehlt, ist Liberalität – nicht Liberalität à la Lindner, dann schon eher – wenn es um die F.D.P. geht, die ja angeblich liberal ist – die von Lord Ralf Dahrendorf (geadelt in England), der mit Rudi Dutschke in Freiburg diskutierte und Dogmatismus ablehnte. In diese Richtung geht Liberalität.
Insofern Frauen an die Macht. Es geht nicht um Dax-Vorstände, Frauen im Bundestag usw., also um den Wettbewerb, ob es die Frauen besser können als die Männer. Es geht um die Ideen, die unsere Welt gestalteten. Bisher haben sie unsere Welt eher kaputt gemacht. Patriarchats-Ideen? Es geht zuerst um die weibliche Ideenwelt, nicht als Alternative, sondern als Korrektur. Das sagt ein Opa-verdächtiger Blogger.