Assistierte Euthanasie
Ich sehe keinen Ausweg mehr

Assistierte Euthanasie ist ein Problem, das uns in der alternden Gesellschaft Sorgen macht. Was machen Tod und Assistenz mit uns? Seit dem Debakel im Parlament gibt es nur rudimentäre Hilfsmöglichkeiten. Ein Gesetz würde uns helfen, wir brauchen einen Ausweg aus einem eventuell elenden Leben.

Der Tod stellt uns vor ein riesiges Problem. Einerseits wissen wir nicht, was hinter dem Horizont mit uns geschieht. Wir können das nicht wissen. Aber wir müssen mit dieser Unwissenheit umgehen. Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, schrieb kurz vor dem 1. Weltkrieg: „Si vis vitam para mortem“ (deutsch: Wenn du leben willst, bereite dich auf den Tod vor). Freud schrieb das auf Latein, weil der Spruch etwas anders, aber kurz und zugkräftig bei den Römern hieß: Si vis pacem para bellum (deutsch: Wenn du den Frieden willst, rüste dich auf den Krieg). Freud wollte damit sagen: Das Eine (also Leben) geht nicht ohne das Andere (also Sterben).

Wir benutzen den Fachbegriff „Euthanasie“ weil wir zwar nicht wissen können, was nach dem Tod auf uns zukommt, aber wir wollen leben, und zum Leben gehört ein vernünftiger Weg in Richtung Tod. Wir benutzen einen Begriff, der auf der griechischen Kombination von eu (= gut) und thánatos (= Tod) basiert. Euthanasie ist somit die Unterstützung bei der Entscheidung für ein gutes Lebensende, sie ist immer eine freie Entscheidung. In der medizinischen Ethik wird diskutiert, wann etwas „frei“ ist und ob Euthanasie bei Patienten mit kognitiven Einschränkungen gerechtfertigt werden kann, die sich in gesunden Tagen für einen freien Tod entschieden haben.

  1. Was bedeutet „assistiert“

Im jetzt abgeschmetterten Gesetz geht es um die „assistierte“ Euthanasie. Natürlich gibt es ein nationales Erbe aus der NS-Zeit, was aber kein vernünftiger Grund ist, das Sterbe- und Todesproblem zu verdrängen. Denken wir an die Berliner Katastrophe, die wir später thematisieren.

Suizidale Akte wie Tötung durch Medikamente (Hauptsache nicht verabreicht, nur besorgt), durch Gas, Erhängen usw., sind 1) nicht strafbar und 2) niemals assistiert. Sie werden leider oft als Alternative benutzt. Die assistierte Euthanasie dagegen ist die Besorgung und Verabreichung eines tödlichen Medikaments, was aber (noch, nach dem Berliner Fiasko) unerlaubt ist. Sehr bedeutsam ist, was oft übersehen wird: Bewusstes Sterben darf nicht in Einsamkeit „passieren“. Assistenz ist Begleitung, der Sterbende bleibt nicht im Dunkel des Allein-gelassen-seins. Oft führt auch ein meist im Krankenhaus (und vor allem in Intensivstationen) initiierter Behandlungsabbruch auch zum Tod, aber nicht in unmittelbarer Nähe der Entscheidung und mit zusätzlicher Schmerzbekämpfung. Solche Entscheidungen habe ich selber oft getroffen, manchmal mit Unterstützung eines Juristen.  Dagegen ist eine assistierte Euthanasie etwas anderes als ein Behandlungsabbruch, sie wäre insofern eine bessere Lösung, weil sie eher dem Willen entspräche, das Leben zu beenden, wenn das erlaubt wäre. Ein entsprechendes Gesetz steht noch aus, auch wenn es einige hoffnungslos Kranke, jedoch ohne Erfolg, eingeklagt haben. Leben mit Blick auf den Tod wäre eine große Hilfe.

  1. Ein neues Urteil

Das strafbewehrte alte Gesetz (§ 216 StGB Tötung auf Verlangen) wurde im Februar 2020 durch ein Urteil (nicht Gesetz) des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts folgendermaßen revidiert:

 

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) betonte ein grundrechtlich geschütztes Recht auf selbst bestimmtes Sterben. Seitdem gibt es zwar Diskussionen vor allem über das Verbot „geschäftsmäßiger Hilfe“, aber kein neues Gesetz. Was dieser Kommentar betont: 1) Autonomie ist unser aller Recht. 2) Hilfe Dritter ist wichtig. Und 3) Es geht um Sinn des Lebensendes.  Und das sollte bald, spätestens nach 3 Jahren im Bundestag beschlossen werden.

  1. Das Berliner Fiasko

Im Juli 2023 versuchte die deutsche Regierung, eine neue Gesetzgebung nach Ma0gabe des BVG für die ärztlich assistierte Euthanasie ins Strafgesetzbuch einzufügen. Vor drei Jahren hatte es verfügt, dass das Autonomieprinzip wie im Grundgesetz rechtsgültig ist. Esa bezweifelt aber, dass die Autonomie nicht wirklich besteht, wenn eine geschäftsmäßig tätige Euthanasiegesellschaft die Beratung übernimmt. Das BVG erwartete eine entsprechende Gesetzgebung ohne die Einschränkung der Geschäftsmäßigkeit. Geschäftsmäßig ist alles, was der Arzt öfter als einmal, manche sagen, öfter als zweimal tut. Aber das ist Nonsens.

Endlich wurde eine Klärung versucht. Es gab am Ende zwei Entwürfe (alle parteiübergreifend) zur Abstimmung. Entwurf 1: Zur Abstimmung stand eine liberale Regelung, die Sterbehilfe ausdrücklich nicht unter Strafe stellt, wenn zuvor eine ärztliche Beratung in Anspruch genommen wurde (ähnlich wie im Abtreibungsgesetz). Entwurf 2: Die andere Vorlage sah ein grundsätzliches Verbot, wenn nicht zwei Ärzt*innen die Dringlichkeit diagnostizieren. Geschäftsmäßigkeit spielt dann keine Rolle mehr.

Die zu Beginn geforderte Optionen des „guten Sterbens“ werden in den Berliner Entwürfen nicht angesprochen. Gottseidank erbrachte die Abstimmung der Parlamentarier keine gesetzliche Festlegung, weil sie nur juristisch dachte, aber nicht praktisch.

Es ist das nicht berücksichtigt, was im Kommentar des BVG gefordert wurde. Es blieb das Freudsche „para mortem“ (= bereite dich auf den Tod vor) aus. Geblieben ist die bürokratische und patientenfremde Regelung des alten Gesetzes. Was wir nicht wollten, ist eine Gesellschaft, in der eine schwere Krankheit eine Last für die „gesunde“ Gesellschaft wird und trotzdem den Sterbewillen des Schwerkranken nicht respektiert. Denken wir an die Statistik der DGPPN (= Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Naturheilkunde). 2021waren es 9.200 Personen mit einer tödlichen Erkrankung, die, wenn sie sich für eine Euthanasie entschieden hätten, vor einem ungeregelten Problem stünden. Zur tödlichen Diagnose kommt noch die Rechtsunsicherheit. Unser Problem: Die Regierung kümmert sich nicht um das Leid der Betroffenen, sondern sie müsste sich um die Perspektiven des Sozialen und der Moral kümmern.

Übrigens, die Ärztekammer würde jedwede liberale Lösung unterlaufen. Wieder einmal Rechtsunsicherheit? Was ist Menschsein überhaupt? Das BVG schreibt, dass die Autonomie ein wichtiges und nicht hintergehbares Grundrecht des Menschen ist Die Bundesärztekammer kümmert sich darum nicht, nur um ihr eigenes Ethos?

  1. Euthanasie und die Verzweifelten

Euthanasie, ob assistiert oder nicht, betrifft diejenigen am meisten, die unter einer schweren tödlichen Krankheit leiden. Die Brutalität des Leidens sind die Schmerzen, die oft nur mit Opiaten bekämpft werden können, hinzu kommt die ständige Erinnerung an ungelöste Beziehungskrisen und das Ende, also die Erlösung, von der man nicht weiß, wann sie kommt. Ein Freud von mir bekam kürzlich die Diagnose ALS (amyotrophe Lateralsklerose), eine tödliche Krankheit, die nach und nach die Beweglichkeit aller Gliedmaßen, dann Vorgänge im Körper und am Ende die Lungenfunktion (Erstickung) lähmt. Euthanasie wäre eine Lösung – aber Berlin kümmert sich zurzeit um die Schuldenbremse und anderes, sicher Wichtiges. Nicht um die Menschen, die verzweifelt sind.

Als das Parlament letztes Jahr die Entwürfe zum Euthanasiegesetz diskutierte, hielt ein Parlamentarier eine seltsame Rede, um seinen Entwurf zu rechtfertigen. Wir müssten, meinte er, dafür sorgen, dass unsere Welt, zumindest die deutsche, eine Welt wird, in der Menschen gut leben und ohne das Gefühl sterben müssten, anderen zur Last zu fallen. Recht hat er. Aber wie schaffen wir das? Können wir das überhaupt? Solange wir das nicht schaffen, bleibt nur das Grundrecht der Menschen auf ein akzeptables Lebensende.

Schutz der Alten, Armen, Kranken und Behinderten? Wirklich Schutz? Foto Pixabay
Schutz der Alten, Armen, Kranken und Behinderten? Wirk-lich Schutz? (Foto Pixabay)

Interessant war die TV-Sendung mit Markus Lanz, der Ricarda Lang, die Chefin der Grünen, interviewte. Er fragte, ob sie wüsste, wie hoch die Durchschnittrente in Deutschland sei. Sie druckste herum und meinte schließlich: So gegen 2.000 €. Tatsächlich sind es 2023 nach mindestens 35 Beitragsjahren jedoch 1.550 € brutto pro Monat. Im Geldbeutel bleiben davon durchschnittlich nur 1.384 Euro pro Monat. Alleinstehende Frauen z.B. bekommen nur 890 € im Durchschnitt. Die Preise für ein Altenheim (2023 durchschnittlich pro Monat 2.394 €) sind so hoch, dass man ein einigermaßen gutes Heim nicht mehr bezahlen könnte. Was bliebe uns dann anderes als Euthanasie? Das Euthanasieproblem ist bei Weitem dringender als man denkt. Menschen werden dann, wenn es ans Ende geht, alleingelassen. Wenn hochrangige Politiker die Welt, über deren Schicksal sie entscheiden, nicht kennen, dann Wertschätzung adé!

Was sagt uns das? Wir müssen uns sehr bald um das Grundrecht der Menschen kümmern. Einen Zustand ohne ein Gesetz, das uns hilft, könnten wir nicht stemmen. Welche Partei könnte uns helfen? Nur eine, die unsere Probleme kennt.