Von der Befundmitteilung bis zur Bestrahlung, meinen Erfahrungen mit Ärzten und Patienten, Untersuchungen und das Leben im Alltag mit Brustkrebs – meinem „Mistviech“. Ein sehr persönlicher Erfahrungsbericht und eine Abrechnung.
Tagebucheintrag 18. März 2025

Heute Nachmittag Termin zur Mammographie, alle zwei Jahre erhalte ich eine Einladung zum Screening, ein Angebot der gesetzlichen Krankenkassen. Diesmal war die Untersuchung ziemlich schmerzhaft und heute Abend schmerzt die linke Brust immer noch, jedoch punktuell. An einer Stelle ist sie hart. Ein Bluterguss? Ich habe ein doofes Gefühl…
Anruf nach positivem Befund am 24.03.2025
Gehe davon aus, dass die Aufnahme ungenau war
Ultraschalluntersuchung und Biopsie am 27.03.25
Ich sehe einen weißen Punkt auf dem Bildschirm
Befundmitteilung am 01.04.25
Keine Täuschung, bittere Wahrheit
Es ist Brustkrebs
Heute werden Fakten geschaffen
Gering differenziertes invasives Mammakarzinom, triple negativ, eine aggressive Form von Brustkrebs
Die Behandlung wird umfangreich und ist eine Herausforderung
Bedeutet: 16 Chemotherapien neoadjuvant, danach OP, anschließend Bestrahlung
Verdacht auf eine Gen-Mutation
Das Loch im Boden öffnet sich
Tagebucheintrag 05. April 2025
Ich bin dankbar für meinen Mann an meiner Seite. Manchmal ist mir nur noch nach Weinen zumute, meine alten Panikattacken kommen zurück, zwischendurch verspüre ich lähmende Angst. Ich habe meine Erkrankung u. A. über meine WhatsApp-Kontakte offen gemacht, ich will sie nicht verheimlichen, irgendwann wird man es mir sowieso ansehen. Viele unserer Freunde haben meinen Status gesehen. Einige haben etwas länger gebraucht, bis sie verstanden haben, was die pinke Cancer-Schleife bedeutet. Es gab einige Personen, die sich dazu auch bei konkreten Hinweisen meinerseits gar nicht geäußert haben; diese Kontakte gibt es nun nicht mehr!
Arnold – mein Mann – wirkt in den Tagen nach dem Befund immer bedrückter, ich sorge mich sehr um ihn. Wir sprechen manchmal bis in die Nacht hinein. Er versucht mich aufzubauen und alles für mich zu regeln, informiert sich über meinen Krebs, damit ich mich nicht kümmern muss. Aber wer baut ihn auf, wer fragt ihn, wie er sich fühlt? Wir beide sind von einer existentiellen Angst gelähmt!
Der Verdacht der Gen-Mutation lässt sich nicht verdrängen, er ist ständig in meinem Kopf. Verstärkend kommt noch hinzu, dass ich diese Mutation an meine Tochter und Enkeltöchter weitergebe, diese Tatsache lässt mich verzweifeln. Ich versuche alles, um solche Gedanken zu vertreiben. Die Mutation erscheint mir mittlerweile logisch, da vor mir bereits meine Großmutter und Mutter an Brustkrebs erkrankt waren … ich kann nicht mehr rationell denken.
Dem medizinischen System ausgeliefert
Bin gefühllos
Weitere Untersuchungen wie Biopsie mit Chipmarkierung, Portlegung, CT, Szintigramm und zwei EKG’s
Ich lasse wie betäubt alles über mich ergehen
Bin dankbar, dass es keine zusätzlichen Befunde gibt
Brauche Tage, um die Flamme in mir zu entfachen
Mittlerweile kann ich die bedrückende Atmosphäre um mich herum kaum noch ertragen, werde zunehmend gereizter und könnte um mich schlagen, alle nehmen Rücksicht und mein Mann wird zunehmend trauriger. Ich will das alles nicht mehr und versuche meine innere Kämpferin aufzubauen und tapfer und grinsend dem Feind ins Auge zu sehen!
23.06.25: Molekulargenetische Testung negativ, kein Verdacht auf BRCA
Weine vor Erleichterung
Bin bereit für das neue Leben!
Ich suche nach Antworten und Gewissheiten, die mir nicht gegeben werden können, weil ich noch nicht am Ende des Weges bin. Ich lebe mit vielen Fragen, jeden Tag beschäftigt mich die Zukunft, die dann mit der Antwort beginnt. M.I.
Meine Reise durch Cancerland
Ich habe einen Gast in meinem Körper, ungebeten, doch nicht unerwartet. Er benimmt sich wie ein Mietnomade, er verbreitet Chaos und lässt sich nicht mal eben vertreiben. Er ist ein unberechenbarer Gegner, den ich zu besiegen versuche! Dieses Damokles-Schwert schwebt seit Jahren über meinem Haupt: Nach meiner Großmutter und meiner Mutter bin ich nun die Dritte in der Familie, die den Kampf mit einem Mammakarzinom aufnimmt.
So merkwürdig es sich anhört, erst recht bei meinen behandelnden Ärzten: Es ist ein Abenteuer, auf das ich mich einlasse, doch ich habe den starken Willen es zu meistern. Ich bin eine Kämpferin! Die junge, sehr sympathische Ärztin der Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie, die mich über den Umfang der Therapie und die zu verabreichenden Chemotherapeutika aufklärt, schaut mich verdutzt und ungläubig an, vielleicht auch mitleidig, als ich ihr meine Sicht auf die Erkrankung und die nun folgende beschwerliche Zeit aufzeige. Wahrscheinlich kam ich sehr naiv rüber!
Unser Leben gleicht der Reise…und so scheint mir die Reise weniger ein Abenteuer und Ausflug in ungewöhnliche Bereiche zu sein, als vielmehr ein konzentriertes Abbild unserer Existenz… Annemarie Schwarzenbach (Orientreisen)
Ihre Ungläubigkeit ist nachvollziehbar, da andere Patienten unbedingt empfindlicher, ängstlicher und angespannter reagieren, verständlich bei so vielen unterschiedlichen Krebserkrankungen, die keine so relativ gute Heilungschancen aufweisen, wie Brustkrebs. Ich zweifele keinen Moment daran, dass ich den Kampf gegen den Krebs gewinnen werde, obwohl die Diagnose niederschmetternd ist. Vielleicht habe ich den Gedanken an eine Niederlage ja unbewusst unterdrückt! Was mir doch eigentlich gut tat! Oder war es schon Taktik?
Bei jeder notwendigen Voruntersuchung als Vorbereitung für die eigentliche, unangenehme Therapie, der Chemotherapie, ist es die Absicht der Ärzte, mich umfassend aufzuklären. Jedoch tauchen, und das fast schon beim Verlassen der jeweiligen medizinischen Einrichtung, immer wieder Fragen auf, die durch die beklemmende Gesprächssituation, keine Chance hatten, gestellt zu werden. Zum anderen liegt es auch daran, dass Ärzte mit Patienten in ihrer wissenschaftlichen Fachsprache, die zum großen Teil aus lateinischen, griechischen und englischen Fachbegriffen besteht, sprechen. Verstehen Ärzte nicht, dass Patienten mit einer Erkrankung, die beängstigend ist, völlig verzweifelt und nicht in der Lage sind, funktional und logisch zu denken? Dass es ihnen kaum möglich ist, nachzuhaken, wenn sie etwas nicht verstanden haben? In meiner sehr angespannten Situation erreicht mein Gehör nur ein Kauderwelsch aus unbekannten Begrifflichkeiten und ich bin mehr als dankbar, dass mein Mann neben mir sitzt und mir später in Ruhe eine Übersetzung bieten kann! Viele Ärzte versuchen, durch ein gekonnt lockeres und kumpelhaftes Auftreten, die Ängste der Patienten zu retuschieren, doch ein Arzt im weißen Kittel verströmt nichtsdestotrotz eine Autorität, die absolut hemmend wirkt. Ich kann mich erinnern, dass mein erstes Gespräch mit einem Arzt so verlaufen ist, dass ich für mich denke: „Der junge Mann kommt mir mit Witzen und will mich mit den Chemotherapeutika „vergiften (O-Ton)“. Was soll das?“ Ich fühle mich nicht ernst genommen und bin ziemlich abgelenkt durch dieses Verhalten. Wir beiden, mein Mann und ich, sind nicht sehr erbaut durch diese Art und Weise. Jedoch müssen wir in weiteren Gesprächen feststellen, dass dieser Arzt tatsächlich die wertvolle Begabung besitzt, auf den Patienten einzugehen und mir mit festem Blick, Wohlwollen und Geduld den weiteren Verlauf meiner Behandlung und späterer OP zu vermitteln. Dieser Arzt hat mich operiert und ich bin ihm mehr als dankbar!
Meine bzw. unsere zukünftige Realität zeigt sich von nun an mit jedem neuen Gespräch unfassbarer und unberechenbarer. Deswegen ist der Drang groß, jede mut- und hoffnungmachende Information über „meinen“ Krebs (jeder Krebs ist anders, jeder Patient aber auch!) nicht nur von den Ärzten einzufordern. Es stehen zahlreiche Broschüren zur Verfügung, die in jeder Praxis ausliegen und darüber hinaus werden Schulungen und Vorträge angeboten! Im Internet findet man neben den seriösen und fachlichen Informationen allerdings ebenso Foren, in denen es von Halbwahrheiten und kruden Theorien nur so wimmelt, diese sind mit Vorsicht zu besuchen. Oder besser: Man sollte einen großen Bogen darum machen.
Und genauso ist den Erzählungen von Familie und Bekannten mit sehr viel Skepsis zu begegnen und zu glauben. Auch, und das ist für mich und für jeden weiteren Patienten, eine absolute Belastung, wenn es dann heißt: „Ich kenne da jemand, die ebenfalls Brustkrebs hatte und da lief das gar nicht gut, die hatte die Nebenwirkung und dann auch noch die, das war ganz schlimm. Aber die ist dann doch gestorben, jedoch an was anderem!“ Jenen unverantwortlichen Personen spreche ich jedwede Empathie ab und bin menschlich schwer enttäuscht!
Wieso heißt Krebs eigentlich Krebs?
Der griechische Arzt Hippokrates gab bereits vor Christi diesen Geschwülsten den Namen „Karkinos“, was so viel wie Krebs bedeutet. Die Tumore der Brust ähneln äußerlich tatsächlich einem Objekt mit Beinen, zudem ist der Tumor im Vergleich zur umliegenden Körpersubstanz viel härter. Diesen Merkmalen verdankt die Krankheit den Namen „Krebs“. Vereinfacht ausgedrückt!
Ich bin dagegen, ein Krebs hat die Berechtigung zu leben, ein Tumor nicht. Ich nenne meinen Tumor fortan „Mistviech“!
„Mein Mistviech“
Laut Arztbericht handelt es sich um ein: Gering differenziertes invasives Mammakarzinom, triple negativ, G3
Im Folgenden werden „Gering differenziertes“, „Invasives Karzinom“ und „triple-negativ“
erklärt.
Das sogenannte Grading beschreibt in welchem Maße sich die Tumorzellen vom gesunden Gewebe unterscheiden, also wie sehr sie „entartet“ sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Differenzierung.
- Grad 1 (G1) = gut differenziert, wenig „entartet“, hohe Ähnlichkeit zum Ursprungsgewebe
- Grad 2 (G2) = mäßig differenziert
- Grad 3 (G3) = schlecht differenziert stark „entartet“
Ein höherer Grad geht mit einem aggressiveren Wachstum und einer schlechteren Prognose einher.
- Invasives Karzinom:Ein invasives Karzinom wächst in das benachbarte Gewebe ein. Zudem kann es in Lymphknoten oder andere Organe streuen und dort Metastasen bilden. Daher betrifft eine solche Erkrankung vor allem im fortgeschrittenen Stadium nicht nur die Brust, sondern den gesamten Körper. (1)
Ein triple-negativer Brustkrebs (TNBC) zeichnet sich dadurch aus, dass den Krebszellen bestimmte Merkmale auf ihrer Oberfläche fehlen. Sie besitzen keine Andockstellen (Rezeptoren) für die Hormone Östrogen und/oder Progesteron (ER-/PgR-). Damit ist der Brustkrebs Hormonrezeptor-negativ (HR-) und wächst nicht unter dem Einfluss weiblicher Geschlechtshormone.
Außerdem haben Frauen mit einem TNBC keine oder nur geringe Mengen an Rezeptoren für humane epidermale Wachstumsfaktoren (HER2). Sie sind HER2-negativ. Diese Wachstumsfaktoren leiten Signale ans Zellinnere weiter und geben den Befehl, sich zu teilen und zu vermehren. Fehlen alle drei Rezeptoren (ER/PgR, HER2), sprechen medizinische Fachleute von „triple-negativ“ oder „dreifach negativ“.
Da bei einem TNBC die Spiegel aller drei Rezeptoren niedrig sind, entfallen auch wichtige Angriffspunkte für Brustkrebsmedikamente, die heute bei vielen Frauen mit einem Mammakarzinom (fachsprachlich für Brustkrebs) zum Einsatz kommen. Beispielsweise finden die Antihormontherapie und Medikamente, die sich gegen HER2 richten (die sogenannte Anti-HER2-Therapie) keinen Angriffspunkt bei einem TNBC. Aber es gibt andere Behandlungen für Menschen mit diesem Brustkrebstyp. (2)
Meine Brust
Die Natur hat mir eher kleine Brüste geschenkt. Als Jugendliche war das ein Problem, da ich mir deswegen dumme Sprüche anhören musste. Gleichzeitig findet man im Internet sehr abwertende Synonyme für einen großen Busen. Brüste, so heißt es, sind nicht nur ein Symbol für Weiblichkeit, sondern auch für Sinnlichkeit und Selbstbewusstsein. Eine solche Symbolik musste ich für mich erst erlernen, aber vor allem auch in meiner jetzigen Liebesbeziehung erspüren. Mit dem Älterwerden, eigentlich nach dem Erreichen des 40. Lebensjahres und einem Cut meines bisherigen Lebens, lernte ich, nicht nur mich selbst zu lieben, sondern auch meine Brüste. Es sind Teile meines Körpers, auf die ich jetzt besonders stolz bin und die ich vor allem sommertags sehr genieße.
Doch wie würde es mir ergehen, wenn sie von einem auf den anderen Tag fehlten. Wegoperiert! Würde ich mich als halbe Frau sehen? Wie ginge es meinen Mann damit, weiß ich doch, wie sehr er sie liebt? Müsste ich mir ein neues inneres Bild als Frau zulegen? Diese und viele Fragen mehr beschäftigten mich Tag und Nacht bis zu dem Tag, an dem ich den Brief mit dem genetischen Befund erhielt. Ich hätte bei einer nachgewiesenen Gen-Mutation einer beidseitigen Entfernung meiner Brüste zugestimmt, aber nur mit einer Rekonstruktion. Von der Befundmitteilung bis zu jenem Schreiben war für mich das Schreckensszenario, nach einer OP ohne Brüste wach zu werden, täglich in meinem Kopf. Schöne Brüste zu haben steigert nicht nur das Selbstbewusstsein und eine positive Selbstwahrnehmung, sie können auch ein wichtiger Bestandteil der eigenen Lebensqualität darstellen. Zum Beispiel können große Brüste unter Umständen zu Rückenschmerzen, Verspannungen und Kopfschmerzen führen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ich meinen veränderten und vernarbten Körper so hätte akzeptieren können. Sinnlichkeit und körperliches Wohlbefinden sind wichtige Aspekte für das Sexualleben, die auf ein gut funktionierendes Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung beruhen.
Ich habe keine wirklichen Antworten auf meine Fragen gefunden, aber war unendlich froh, sie behalten zu dürfen. Als man sie mir für die Bestrahlung mit Stiften vollkritzelte, nahm ich es mit Fassung. Wir witzelten darüber und nannten die Markierungen schlechte Tattoos.
Bei meiner Recherche zu diesem Thema stieß ich auf einen Artikel über Mastektomie und Begleitung durch einen Psychoonkologen. Der Prozess zur Akzeptanz, dass sich das Leben durch diesen Eingriff grundlegend ändert, ist sicher ein langer und steiniger Weg, und ich bin unglaublich dankbar, dass er mir erspart geblieben ist. Ich hatte das Glück, dass mich mein Mann, der selbst Klinikpsychologe war, durch gezielte Gespräche unterstützen konnte. Wer diesbezüglich Hilfe braucht und sich allein oder ohnmächtig fühlt, sollte auf jeden Fall auf eine Psychotherapie, die oft in den entsprechenden Kliniken angeboten wird, zurückgreifen.
Die Chemotherapie

Der Mensch unterscheidet sich nicht nur durch sein Aussehen, sondern vor allem durch den Aufbau seines Körpers, der aus unterschiedlichem Gewebe und Zellen besteht. Vereinfacht gesagt, wird sich daher bei jedem Menschen eine Krebsgeschwulst anders zeigen; der Tumor wird durch eine Probe, die durch eine Biopsie entnommen wird, klassifiziert. Das bedeutet, das eine Form von Bewertung erstellt wird, die anzeigt, welcher Zelltyp er ist, wie schnell er wächst und wie bösartig er ist. Aufgrund solcher Informationen wird die Behandlung festgelegt. Meine Behandlung sieht eine neoadjuvante Chemotherapie vor. Eine Therapie, die vor der Operation erfolgt mit dem Ziel, dass sich der Tumor verkleinert oder gar verschwindet! Ich erhalte vier Einheiten mit Epirubicin und Cyclophosphamid und zwölf Einheiten mit Paclitaxel und Carboplatin, die ich mit leichten Nebenwirkungen gut vertragen habe.
Die Chemotherapeutika (Zytostatika) sind spezielle Zellgifte, die leider auch Körperzellen schädigen, allerdings vor allem Krebszellen angreifen. Warum? Weil sie auf sich teilende Zellen, z.B. Zellen, die u. A. für unser Haarwachstum wichtig sind, fixiert sind und da sich Krebszellen ungebremst vermehren bzw. teilen, ist es existentiell, dass vor allem diese sabotiert werden!
Mir wäre lieber gewesen, wenn „mein“ Tumor so schnell wie möglich aus meiner Brust entfernt worden wäre, doch durch den Einfluss der Chemotherapeutika können die Ärzte erkennen, wie die Krebszellen auf die Chemotherapie reagieren, sich der Tumor auch eventuell sogar verkleinert (hat). Hieraus können wertvolle Informationen für die weitere Behandlung abgeleitet werden.
Mein „Chemo-Tag“ ist bzw. war der Montag. Er wurde mir angeboten und ich kam gar nicht auf die Idee, den Tag als solchen abzulehnen. In den Sesseln der zwei „Chemo-Räume“ in der Onkologie treffen Patienten mit verschiedenen Krebsarten aufeinander, die hier ihre Infusionen mit den Zytostatika erhalten, die auf ihre Erkrankung abgestimmt wurden. Viele von ihnen haben eine Krebserkrankung, deren Heilungsprognose gut aussieht, jedoch gibt es daneben die andere Seite, diejenigen, deren Befund auf eine komplizierte und schwierige Behandlung schließen lässt. Alle Patienten haben gute Zeiten und schlechte Zeiten, keine Frage!
Ich verbringe 16 Chemo-Montage hier, habe Diagnosen, Unterhaltungen zwischen den einzelnen Patienten oder mit den Ärzten mit anhören müssen, erlebe ältere Patienten, jüngere Patienten, männliche und weibliche. Von einigen habe ich die Geburtsdaten mitbekommen, habe von schmerzhaften Nebenwirkungen erfahren und leider ebenso von voranschreitenden, sichtbaren Erkrankungen. Das zum Thema Datenschutz!
Ich erinnere mich an einen Montag, an dem ich die Quotenfrau bin, vier Männer und eine Frau – das bin ich. Im Raum wabert Testosteron, die Gespräche wechseln vom aktuellen Automobil, hin zur Verkehrslage in und um Münster um zum Schluss zum absolut besten Mobilphone zu kommen. Wo mein Verständnis den Tiefpunkt erreicht, ist das Thema: mangelnde Abwechslung im Chemoraum! Zwischenzeitlich, wenn sich im Raum kein Betreuer aufhält, werden die verschiedenen Krankenhäuser und ihre Behandlungsmöglichkeiten bzw. -angebote gegenübergestellt! Und das alles mit einem unangenehmen Gehabe und einer Überheblichkeit, ich hätte gern den Raum verlassen! Aber: kein Gespräch über die eigene Erkrankung! Verdrängung?
Leider muss ich dazu noch sagen, dass ich einige männliche Patienten erlebe, die den Pflegekräften mit Gleichgültigkeit, auch mit Geltungsbewusstsein und Besserwissertum begegnen. Es mag ein Schutzschild sein, jedoch ein absolutes Fehlverhalten gegenüber einer Person im medizinischen Bereich.
Klar, dass Patienten/Patientinnen angespannt, frustriert, vielleicht unglücklich zu ihrem Termin kommen, ihre Nerven blank liegen und ihr Benehmen zu Konflikten führt. Es ist auch für mich sehr schwierig, mit der Umstellung auf die neue Lebenssituation und der damit verbundenen unbekannten Umgebung und den Menschen gelassen und offen umzugehen.
Später, als „erfahrene“ Chemo-Patientin nutze ich den Montag um mit dem Betreuungsteam ins Gespräch zu kommen. Ein hohes Maß an Verständnis, Empathie und Geduld zeichnet die Mitarbeiterinnen der Praxis für Onkologie aus. Ich habe in meiner Behandlungszeit nichts anderes von ihnen erfahren, sie begegnen mir immer mit Freundlichkeit, aber ich ihnen genauso. Bemerkungen wie „Guten Morgen zusammen“ oder „Hatten Sie ein schönes Wochenende?“ sind ehrliche Sätze, die eine Wertschätzung bedeuten und zudem ein wenig Normalität in die angespannte Situation bringen können, jede zusätzliche Stressbelastung will ich auf jeden Fall vermeiden. Auch die Profis sind Menschen mit Gefühlen, dennoch – selbst bei herausfordernden Verhalten -, wie ich es oben beschrieben habe, sind sie absolut geduldig geblieben. Meine Hochachtung!
Man darf sich einen „Chemo-Behandlungsraum“ (ich war so viele Wochen dort und weiß immer noch nicht, wie sich so ein Raum eigentlich nennt) nicht wie ein Krankenzimmer vorstellen, in dem Betten stehen und man liegend die Infusionen erhält (jedoch standen durchaus auch zwei Betten zur Verfügung). Daher bin ich positiv überrascht, als ich in einen Raum geleitet werde, in dem „Lederfernsehsessel“ stehen, jeder mit einem kleinen Beistelltischchen zur Seite. So weit so gut, jedoch steht auf der anderen Seite der obligatorische „Galgen“ für die Infusionsflaschen und den Infusomat.
Von Anfang an habe ich mir vorgenommen, die Stunden, die ich dort verbringen muss, sinnvoll zu nutzen. Folglich packe ich mir einen Rucksack mit Tagebuch, Notizblock, Büchern und Zeitschriften. Tatsächlich habe ich an meinen Terminen nicht einen Patienten erlebt, der ähnlich strukturiert war wie ich. Eines Tages bemerke ich, wie mich ein älterer Patient, dem es sichtlich sehr schlecht geht, beobachtet. Leider ist Sprechen für ihn sehr anstrengend, aber sein wohlwollender Blick bleibt mir seitdem in Erinnerung. Bei der letzten Begegnung mit ihm verabschiedet er sich mit einem langen freundlichen Blick und erhobenen Daumen. An Herrn L. werde ich sicherlich noch oft denken! Nicht nur, wegen dieser Geste, sondern weil er, trotz seiner schweren Erkrankung, ein Mensch ist, der aufmerksam, freundlich und interessiert ist!
Ich bin durch die Chemotherapie häufig sehr matt und ermüde z. B. nach Spaziergängen relativ schnell. Durch den Bewegungsmangel werden meine Muskeln abgebaut und meine Haut wirkt welk und schlaff. Ich empfinde meinen Körper alt, im Spiegel sehe ich eine alternde Frau! Gleichwohl habe ich sehr viel an Körpergewicht verloren, viele meiner alten Kleider passen mir nun wieder. Das ist trotz allem ein tolles Gefühl, obwohl mir meine aktuellen Hosen von der Hüfte rutschen. Auch nicht gut! Doch letztendlich habe ich nun, nach Beendigung der Chemotherapie, die perfekte Ausgangslage, um mit einem Aufbautraining 1. meine Muskeln zu trainieren und 2. meinen Körper wieder fit aussehen zu lassen, um dem morgendlichen Blick in den Spiegel mit einem wohlwollenden Lächeln zu begegnen.
Natürlich ist die „Chemo“ nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Es gab Tage, an denen meine Mundschleimhaut entzündet war, Sodbrennen mich quälte, mein Kreislauf Karussell fuhr und meine Hände durch ein unangenehmes Ekzem sehr gelitten haben. Dagegen habe ich Patienten kennengelernt, die sehr geduldig an weitaus schlimmeren Nebenwirkungen gelitten haben. Ich bin sehr dankbar und bescheiden aus dieser Zeit herausgegangen!
Dennoch, beim Verfassen des Artikels, hadere ich immer noch mit der für mich schlimmsten Nebenwirkung, die mir Morgen für Morgen Kraft kostet, in den Spiegel zu schauen:
Verlust der Haare – das Unfassbare
Eine Strähne meines Haares
Noch eine Strähne
Kahle Stellen
Meine Seele bricht
Tränen
Entsetzen
Böser Spiegel
Innere Leere und Kälte
Der Griff zur Schere
Ein Alien schaut mich an
Bereits Tage vor meiner ersten Chemotherapie habe ich bei einer guten Bekannten einen Friseurtermin vereinbart. Sie weiß, warum ich komme und berät mich mit so viel Einfühlungsvermögen. Keiner anderen hätte ich mehr vertraut als ihr! Meine Haare sind anschließend streichholzkurz. Was soll ich sagen: Ich habe mir gefallen!

Es erscheint mir leichter, mich in Stufen von meinen langen Haaren zu trennen, zudem ist mir die Vorstellung, beim Kämmen plötzliche Büschel in den Händen zu halten, unerträglich. Schon nach zwei Wochen halt ich dann doch fassungslos die erste Strähne in der Hand. Ich bitte meinen Mann, mir die Haare sofort abzuschneiden bzw. den Kopf zu rasieren. Für ihn ist es ein ungemein belastender Vorgang. Beim ersten Blick in den Spiegel fehlen mir die Worte: Ein Alien blickt mir entgegen. Bis heute kann ich mich nicht entspannt im Spiegel anschauen, sogar nachts trage ich eine Beanie-Mütze. Nach drei Monaten folgen die Wimpern und die Augenbrauen. Es ist erstaunlich, wie sehr sich ein Gesicht verändern kann, wenn diese weiblichen äußerlichen Attribute verschwinden.
Ich trage keine Perücke, es erscheint mir falsch und trügerisch. Allerdings finde ich, dass die „Modewelt“ auch hier etwas kreativer werden könnte. Alles was als Chemomützen so angeboten wird, finde ich uninteressant und wenig kreativ. Also greife ich zu Nadel und Faden und verhelfe u.a. mit Wolle und Bändern meinen Mützen zu mehr Farbe und Dekor. Und damit habe ich eine Marke gesetzt! Meine Marke! Häufig werde ich von Bekannten oder Nachbarn auf meine kreativen Kopfbedeckungen angesprochen. Es gefällt ihnen und es fällt sogar der Satz, ich solle das doch weiterhin tragen.
Wie oben unter „Chemotherapie“ beschrieben, greifen die Zytostatika nicht nur die Krebszellen an, sondern auch „normale“ Körperzellen, die sich naturgemäß teilen. Dazu gehören ebenfalls die Zellen der Haarwurzel, infolgedessen fallen bei bestimmten Medikamenten die Haare aus. Nach Abschluss der Chemotherapie, frühestens nach 3 – 6 Wochen wachsen sie jedoch wieder nach! Während ich dies schreibe, wächst der erste Flaum.
Das liest sich jetzt sehr nüchtern und emotionslos, jedoch fragt man einen Psychologen zu dem Thema „Frauen und Haare“, so wird er sicher in seiner Erklärung die Verbundenheit zwischen Haaren und der Persönlichkeit und Identität einer Frau erwähnen. Haare sind, meiner Meinung nach, ein wichtiges Kommunikationsmittel (wenn auch nonverbal). Sie hinterlassen einen ersten beträchtlichen Eindruck eines Menschen, obwohl der sich nicht nur auf das Aussehen beziehen sollte, und sind ein wichtiges „Werkzeug“ zur Selbstdarstellung.
Lange, gepflegte Haare sind seit jeher ein Zeichen für Attraktivität, Sinnlichkeit und Gesundheit. Ebenso können sie auch ein Merkmal der Persönlichkeit, des Selbstbewusstseins und des Charakters eines Menschen sein und ein Statement abgeben.
Das möchte ich anhand von zwei Beispielen belegen:
- Beispiel: Die irische Sängerin Sinead O‘Connor
In einem Interview mit der Musikzeitschrift Rolling Stone verriet Sinead O’Connor den Grund für ihren glattrasierten Kopf: „Meine Schwester hatte wunderschönes rotes Haar, auf das man neidisch sein konnte. Aber meine Mutter hatte sich in den Kopf gesetzt, dass die Haare meiner Schwester hässlich und ekelhaft sind. Und als ich lange Haare hatte, fing sie an, mich als ihre hübsche Tochter und sie als ihre hässliche Tochter vorzustellen. Und deshalb habe ich mir die Haare abgeschnitten. Ich wollte nicht hübsch sein.“
Wie sie später verriet, wollte sich die junge Sängerin nicht an die Wünsche der Musikindustrie anpassen und brachte dies mit diesem Schritt zum Ausdruck. „Doch ich wollte mich nicht abstempeln lassen. Wenn ich erfolgreich sein sollte, dann nur, weil ich eine gute Musikerin bin.“ (3)
Vor dem 2. Weltkrieg kam plötzlich der Wunsch bei Frauen auf, ihre bisher langen Haare, die sie oft in komplizierten Frisuren trugen, kurz zu schneiden. Sie orientierten sich an den Herrenfrisuren, um so ihre Gleichberechtigung zu belegen.
- Beispiel
In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts: In dieser Zeit galt eine aktive, entscheidungsfreudige, unabhängige Frau (Motorradrennfahrerin, Fliegerin, Revolutionärin) mit der Figur eines Teenagers als schön – lange Beine, flache Brust, dünn und natürlich mit kurzem Haarschnitt.
In den 1920er Jahren waren Frauenkurzhaarschnitte auch in der Sowjetunion en vogue – hier galten sie als Zeichen der Revolution, der Unabhängigkeit einer arbeitenden Frau, als Zeichen im Gegensatz zu dem alten Bourgeois, in denen Frauen traditionelle Frisuren mit langen Haaren trugen. (4)
Für mich als Frau, die jahrzehntelang viel Wert auf ihr zumindest schulterlanges Haar legte, wird mir ein Teil meines „sinnlichen“ Verhaltens genommen. Mein Selbstbild wird stark geschädigt,

nämlich das der attraktiven, erfolgreichen und gesunden Frau. Ich kann mich nicht mehr als die Frau definieren die ich war, geschweige denn akzeptieren. Um klar zu stellen: den Krebs in mir kann ich verbergen und beiseitedrängen, er hat meinem Selbstbewusstsein nicht geschadet. Aber mein Aussehen hat mich gelähmt, ich kann sagen, dass der Verlust der Haare eine größere emotionale Belastung gewesen ist, als die Erkrankung Brustkrebs!
Tagebucheintrag 17. Juni 2025
Gestern 4. Chemo mit EC (Epirubicin und Cyclophosphamid) und gleichzeitig die Letzte. Habe mich fürchterlich schlapp gefühlt, ich war wohl weiß wie eine Wand als ich die Praxis verließ. Egal, denn heute war die erste Verlaufskontrolle und die Besprechung des Befundes der Humangenetik. Ich mache es mal kurz: TUMOR VON 12 mm AUF 4 mm UND KEINE GEN-MUTATION! GLÜCKLICH!
Ich konnte die Tränen des Glücks nicht zurückhalten!
Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren
Eine Art Rückblick: Ich bin mir sicher, dass ich mich umfassend über meine Tumorerkrankung, Behandlung und Therapien auf seriösen medizinischen Websites informiert habe und dass ich eine Patientin bin, die auf die medizinischen Ratschläge der Ärzte eingeht und sie akzeptiert. Es fiel mir allerdings sehr schwer, meine Autonomie aufzugeben, mich völlig in die Hand der Ärzte und des medizinischen Systems zu begeben. Es tat gut, dass all meine behandelnden Ärzte, und das durchweg bei allen Vor- und Kontrolluntersuchungen, mir gegenüber absolut emphatisch aufgetreten sind, zum Teil mit Humor und mit wirklichem Interesse an meiner Person auf Gespräche eingingen. Jedoch war es für mich immer eine Überwindung, mich auf eine Untersuchung einzulassen. Ich hatte Angst, die Kontrolle über mich und meinen Körper zu verlieren.
X-mal lag mein Verstand mit meinen Gefühlen im Clinch, sie gewannen vor jeder Kontrolluntersuchung die Oberhand. Die Angst und Verzweiflung hatte mich dann in solchen Momenten im Griff, was sich oftmals im Nachhinein als völlig übertrieben und unnötig erwiesen hat. Meine Angst vor einer prophylaktischen Entfernung beider Brüste, weil bei mir eine Gen-Mutation mit BRCA nachgewiesen wurde, war die mächtigste Empfindung. Sie hat mich regelmäßig überfallen.
In den Nächten vorher bin ich oftmals mit Herzrasen wachgeworden und konnte die Gedanken nicht abstellen: Was wäre, wenn der Tumor weitergewachsen ist, die Chemotherapie nicht angeschlagen hat? Was kommt noch auf mich zu? Im Traum nahm der Tumor wirklich die Gestalt eines bösartigen menschenähnlichen Wesens an, das sich bei uns häuslich niedergelassen hat und nicht zu vertreiben war. Ich habe dieses Wesen gepackt und samt und sonders zur Tür hinausgeworfen, aber es fand immer wieder einen Weg zurück. Ein absoluter Alptraum!
Seit Anfang August, weiß ich, dass das „Mistviech“ den Kampf verloren hat. Zumindest ist bei der Ultraschalluntersuchung in der Markierung, die mir als erste Vorbereitung für die kommenden
Untersuchungen und Therapien eingesetzt wurde, kein bösartiges Gewebe mehr zu sehen.
Ich bin „vorsichtig“ glücklich.
Tagebucheintrag 28. Juli 2025
- Chemo mit CAR-PAC (Carboplatin und Paclitaxel). Die Nebenwirkungen sind immer noch gut zu ertragen, aber nur insofern, dass sie mich nicht komplett ausschalten. Nach wie vor bin ich am dritten Tag enorm schlapp. Meine Arme sehen immer noch nach Mückenstichen aus und Augenbrauen und Wimpern sind bis auf einzelne Härchen weg! Der Blick morgens in den Spiegel ist gruselig! Die letzten drei Chemos waren zwar gut, aber meine Leukos sind so niedrig, dass ich spritzen muss. Mein Mann macht das für mich und so super, dass ich es manchmal gar nicht merke. In seinem ersten Beruf war er Krankenpfleger, das kommt mir jetzt zugute.
Tagebucheintrag 15. September 2025
(Ich springe ca. eine Woche zurück zum 06. September)
Die letzte Woche ging nur so, ich merke, dass ich immer dünnhäutiger werde, kann auch meinen Anblick nicht mehr ertragen. Meine Arme sehen fürchterlich aus, mein Gesicht wirkt konturenlos, an meinen Händen hat sich ein schrecklich juckendes Ekzem gebildet und zudem verändern sich meine Fingernägel. Für besondere Anlässe habe ich mir Spitzenhandschuhe bereitgelegt! Mein HB-Wert war am Montag so niedrig, dass ich jetzt auch ein Medikament gegen Eisenmangel einnehmen muss. Davon gibt’s Durchfall und zwar bisher jeden Morgen bis zum Freitag. An den darauffolgenden Tagen war ich nur noch schlapp und müde. Am 08. September wurde mir mitgeteilt, dass die Chemo ausgesetzt werden muss, da die Thrombozyten im Keller sind. Um das Knochenmark nicht zu schädigen, setzt man daher für eine Zeit die Chemotherapie aus, bis sich die Thrombozyten erholen. Ich bin total erschüttert, unseren geplanten Urlaub nach der Chemo müssen wir eventuell absagen und auch die OP wird sich dadurch verschieben.
Heute (15.September): Gott sei Dank, der Tropf läuft! Nachdem auch am Donnerstag die Werte grottenschlecht waren, bin ich jetzt wirklich eine Woche im Verzug. Wie sich die Wichtigkeiten im Leben doch verändern! Ich bin dankbar, dass die Chemo weitergeht. Die letzte Infusion werde ich am 22. September, an Arnolds Geburtstag, erhalten. Was für ein Geschenk!
Operation
Ich habe das Glück, und dafür bin ich unglaublich dankbar, dass der Tumor bereits vor der OP „das Zeitliche gesegnet“ hat: Er wurde durch die Chemotherapie vernichtet! Somit ist klar, dass die kommende Operation brusterhaltend durchgeführt werden kann. Bei der Befundmitteilung im April wird mir bereits mit Hilfe einer Ultraschalldarstellung eine Clipmarkierung ins Tumorgewebe gesetzt. So kann der Tumor jederzeit identifiziert werden und falls er unter der Chemotherapie, so wie bei mir, schrumpfen sollte, kann man anhand dieser Markierung immer erkennen, an welcher Stelle er zu finden ist. Nach sechs Wochen weiß ich, dass der Tumor von 1,2 cm auf 0,6 cm geschrumpft ist, am 04. August ist er nicht mehr zu sehen.
Da bei der Voruntersuchung festgestellt wird, dass keine Lymphknoten befallen sind, ist es nur nötig, das den Tumor ehemals umgebende Gewebe und den Wächterlymphknoten zu entfernen. Die Operationsvorbereitung, morgens von 6.45 Uhr bis zur angesagten OP um 13.30 Uhr, erscheint mir wahnsinnig lang und beängstigend. Tatsächlich verschlafe ich die Hälfte davon, da die vorherige Nacht kurz und unruhig war. Selbst die Mitteilung, dass die Operation sehr gut verlaufen ist und mein Mann mich auch schon erwartet, registriere ich im Dämmerzustand. Überraschenderweise habe ich so gut wie keine Schmerzen, kann am nächsten Tag sogar im Café des Krankenhauses Kuchen und Cappuccino genießen und am Tag darauf die Klinik verlassen. Zurückgeblieben ist eine kleine, kaum sichtbare halbmondförmige Narbe um die Brustwarze herum.
Mitte der 70er Jahre wurde bei meiner Großmutter ebenfalls Brustkrebs diagnostiziert. Ich kann mich erinnern, dass ihr Tumor nach heutigem Maßstab, brusterhaltend hätte operiert werden können. Ihre Operation sah folgendermaßen aus: radikale Mastektomie (Brustentfernung) ihrer linken Brust, mit einem Teil des Brustmuskels und der Achsellymphknoten. Sie konnte ihren linken Arm später nur eingeschränkt heben. Ein Beispiel dafür, wie sehr die medizinische Entwicklung vorangeschritten ist.
Die Strahlentherapie
Dies ist die abschließende Therapie einer Brustkrebsbehandlung. Die Strahlentherapie nach einer brusterhaltenden OP ist definitiv wichtig:
- um die im OP-Bereich eventuell noch vorhandenen Krebszellen zu vernichten.
- Falls das Tumorgewebe nicht komplett entfernt wurde.
- Wenn Lymphknoten in der Achselhöhle befallen waren und entfernt wurden.
- Wenn eine Mastektomie durchgeführt wurde.

Sie ist die entscheidende Therapie, die eingesetzt wird, um ein Rezidiv zu verhindern, also ein Wiederauftreten des Krebses. Zudem ist sie die Behandlung, die am wenigsten Nebenwirkungen mit sich bringt und völlig schmerzfrei ist.
Die Behandlung wird drei Wochen dauern, in manchen Fällen sogar über einen Zeitraum von sechs Wochen und sie wird an fünf Tagen die Woche durchgeführt. Also eine zeitintensive Therapie, wobei der komplette Prozess (Wartezeit, Vorbereitung und Bestrahlung) nur ungefähr eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Bei einer ambulanten Therapie, die heute Standard ist, kommt allerdings noch der Weg zum Krankenhaus oder zur Praxis hinzu, wo die Bestrahlung stattfinden wird.
Strategien im Alltag
Es ist absolut nachzuvollziehen, dass man nach einer Krebsdiagnose glaubt, von Angst und Verzweiflung eingekreist zu werden. Die Gedanken, wie es jetzt weitergehen wird, lassen einen nicht mehr los, sie begleiten den Patienten im schlimmsten Fall Tag und Nacht. Die Erkrankung trifft nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche, daher ist es entscheidend, nicht nur die Gesundung des Körpers im Auge zu haben, sondern auch etwas für das „Ich“ zu tun. Eine positive Lebenseinstellung, ja, selbst in dieser angstmachenden Zeit, kann existentiell sein und hilft den Patienten, die nötigen Behandlungen und Untersuchungen gut zu überstehen.
Im Gespräch mit anderen Patienten hört man oft die Aussage: „Ich bin in ein tiefes Loch gefallen!“ Dieses Gefühl und auch das Empfinden von Ausweglosigkeit kenne ich auch, aber man kann dem etwas entgegensetzen.
Meine Strategien:
1.Mitreißende Musik hören, die den Körper und den Geist mit Energie pusht. Mein Favorit war hier die Musik von Faithless z.B. „God is a DJ“, „Lost on You“ von LP und Kick la Luna mit „Song in my Soul“. Das sind nur ein paar Beispiele, die Musikgeschmäcker gehen da meilenweit auseinander.
2.Lesen und dabei sollte man durchaus auf Bücher zurückgreifen, die nicht nur einfach dem Zeitvertreib dienen, sondern den Geist beschäftigen und den eigenen Horizont erweitern. Ein Buch sollte fesseln und den Leser/die Leserin in die Szenerie entführen. Im Idealfall ist es nach dem Lesen mit Anmerkungen, Unterstreichungen oder Lesezeichen gefüllt.
3.Fragen Familienmitglieder, Freunde und Bekannten, was sie für einen tun können, dann ging ich darauf ein, bat um Gesellschaft, ging ins Kino, treffe mich auf einen Kaffeeklatsch oder bat um ein – wie sagte eine liebe Freundin – „sanftes Besäufnis“. Ja, es gibt auch Cocktails, Wein und Sekt ohne Alkohol! Und ich habe sie probiert: sie schmecken richtig gut! Versprochen!
4.Ich habe mir ein „Krebs-Tagebuch“ angelegt, in dem ich besondere Termine, wie Kontrolluntersuchungen oder jede einzelne Chemotherapie eintrage. Neben den Gesprächen mit den Ärzten oder Therapeuten, gibt es so viele Einzelheiten, die es zu beobachten gibt: Gedanken, Gefühle, Erinnerungen. Manchmal spinne ich daraus eine Geschichte und wenn es nur Stichworte sind. Alles was ich zu Papier bringe, wirkt befreiend!
5.In meinen vielen Urlauben habe ich wunderbare Orte gesehen, sei es auf einer Wanderung oder einer Sightseeing-Tour. Um mich zu entspannen oder dieses damalige empfundene Glücksgefühl wieder hervor zu beschwören, denke ich ganz intensiv an diese Orte der Ruhe und der Kraft, stelle mir vor, durch die schönen Gassen zu gehen, einer murmelnden Quelle zu lauschen oder auf einer Blumenwiese einem Fuchs (tatsächlich in Wales 2014) zu begegnen.
6.Neue Orte und Landschaften entdecken, ist nicht nur im Urlaub spannend. Wir haben uns z.B. eine Landkarte genommen und unseren Wohnort als Mittelpunkt gewählt. Von dort ausgehend zeichneten wir eine Spirale rund um den Wohnort. Einmal in der Woche erkunden wir, immer nach eigenem Wohlbefinden, den nächsten Ort, der auf dieser Spirale liegt. So haben wir in einem Radius von nur wenigen Kilometern rund um unseren Heimatort schon herrliche, unbekannte Gegenden gefunden!
Das sind nur einige Methoden um dem Krebsalltag etwas zu erleichtern. Wichtig dabei ist, dass es dem eigenen Wohlbefinden dient!
Früherkennung von Brustkrebs
Jedes Jahr erkranken über 70.000 Frauen und auch Männer an Brustkrebs, allein in 2022 waren es ca. 74.500 Frauen und 690 Männer! Damit ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und leider auch die häufigste Todesursache, wenn es nicht frühzeitig erkannt und therapiert wird.
Die gesetzlichen Krankenkassen bieten Frauen Vorsorgeuntersuchungen für Krebs bereits ab 30 Jahren an. Diese Untersuchungen verhindern nicht, dass Krebs entsteht, sie haben als oberstes Ziel, dass die Todesrate dadurch nachweislich gesenkt werden kann. Je früher ein Tumor erkannt wird, desto behutsamer kann eine Therapie verlaufen und sich die Heilungschance günstiger entwickeln.
1.Tastuntersuchung
Eine Methode, die Frauen selbst durchführen können, ist die Tastuntersuchung. Wie oben bereits erwähnt, ist es möglich ab dem 30. Lebensjahr vom Frauenarzt/Frauenärztin eine Tastuntersuchung vornehmen zu lassen. Zudem kann man sich hier auch zeigen lassen, wie diese durchgeführt werden soll. Untersucht werden beide Brüste, die Achseln und Achselhöhlen. Eine Frau besitzt naturgegeben ein besseres Körpergefühl und kann bei regelmäßiger Selbstuntersuchung jede Veränderung sofort feststellen und mit einem Arzt besprechen, der dann weitere Maßnahmen einleiten kann.
2.Die Mammographie ist die bildgebende Untersuchung, bei der Brustkrebs schon im Frühstadium erkannt werden kann. Der Vorteil: die Heilungschancen steigen und damit auch das Überleben! Sie ist leider von den hier vorgestellten Möglichkeiten zur Früherkennung die unangenehmste und kann durchaus schmerzhaft sein.
Ab dem 50. bis zum 75. Lebensjahr wird von den gesetzlichen Krankenkassen alle zwei Jahre an Frauen eine Einladung zum Mammographie-Screening zugeschickt. Seit dem 01. Juli 2024 wurde das Höchstalter auf 75 Jahre aufgestockt, so dass drei zusätzliche Mammographien vorgenommen werden können. Das bedeutet allerdings nicht, dass bei Frauen ab 75 Jahren kein Brustkrebs mehr entsteht oder keine Mammographie mehr von der Krankenkasse übernommen wird bzw. vom behandelnden Frauenarzt nicht mehr verschrieben wird. Hier muss „Frau“ selbst tätig werden und um eine Überweisung nachfragen! Wünschenswert ist aus meiner Sicht, um beispielsweise auf 45 Jahre runterzugehen.
Natürlich gibt es auch hier wie für jede bildgebende Untersuchung Nachteile. Es gilt individuell abzuwägen zwischen den Vorteilen und Nachteilen! Für mich war es von Anfang an kein Abwägen und letztendlich hat mir diese Untersuchung meine Brust gerettet, wenn nicht sogar mein Leben!
3.Eine Ultraschalluntersuchung wird häufig eingesetzt, um eine Mammographie zu ergänzen. In manchen Fällen kann sie durchgeführt werden, wenn eine Mammographie ein ungenaues Ergebnis gezeigt hat. Sie ist im Gegensatz zur Mammographie schmerzfrei.
Das Jahr der Zäsur

Ich habe aus früheren traurigen Zeiten für mich gelernt, dass das Voraus-Schauen oder Nach-vorn-Schauen nur von Tag zu Tag so lange Sinn macht, bis mir definitiv klar ist: Jetzt kann ich die Leichtigkeit und die Freude auf die Zukunft wieder in mein Leben hereinlassen. Ich bin eine pessimistische Optimistin!
Aber dieser Moment, an dem mir meine Diagnose mitgeteilt wurde, dieser eine Augenblick und die Zeit, die danach kommen wird und die mein Leben verändern wird, werde ich nie vergessen! Natürlich denke ich fast jeden Tag an die Zeit danach, nach der OP und den Bestrahlungen, sie ist mein unbedingtes Ziel, das ich vor Augen habe. Der Moment vor dem Spiegel, der mir sagt, dass die Augenbrauen und Wimpern wieder wachsen und ich irgendwann kein Chemo-Cap mehr trage. Der Wind mein Haar zerzaust, ich nach meiner Lieblingsmusik durchs Zimmer tanze, befreit lachen kann bis zum Lach-Flash, meinem Mann durch intensive Blicke signalisiere, dass ich mich nach ihm und seiner Umarmung sehne, dass ich mein Frausein wieder genießen kann.
Bei einer Spazierfahrt vor ein paar Wochen sagte mein Mann zu mir, wenn diese Zeit der Zäsur vorbei ist, dann können wir anfangen zu leben, wie wir es uns als Rentner vorgestellt haben. Meine Diagnose hatte ich drei Monate nach unserem Rentenbeginn erhalten!
Aber: es gibt keinen Schalter zum „Zurück“. Das Leben danach wird ein anderes sein, als wir es uns vorgestellt haben. Nichts kann wieder so sein, wie vorher!
Wenn im Leben etwas passiert, was man so nicht geplant hat und das geplante Leben durcheinanderwirft, wünscht man sich nur eins: dass das Ende dieser Zeit bald da ist. Das ganze Sein ist auf diesen Punkt gerichtet, man möchte am liebsten mit Scheuklappen durchs Leben gehen und alles erdulden ohne innere Beteiligung. Durchleben, überleben, aber möglichst wenig erleben! Doch das ist der Punkt: Alles was wir in dieser Zeit erleben, ob bewusst oder nebenbei, mündet in einer Bilanz unseres bisherigen Seins und bringt als Ergebnis ein verändertes Individuum hervor.
Und nun, am Ende des Jahres der Zäsur, frage ich mich: Die Diagnose Krebs hat mein Leben verändert, hat es auch mich verändert? Wenn sich meine Einstellung zum Leben und wie ich mein Leben leben will, verändert hat, habe ich mich dann selbst auch verändert? Darauf habe ich noch keine Antwort gefunden!
HINWEIS
Was mir sehr geholfen hat, auch um „meinen Krebs“ bzw. um alle auf mich zukommende Therapien besser zu verstehen, war die Broschüre, die mir in der Onkologie als Unterstützung mitgegeben wurde: Die blauen Ratgeber – Brustkrebs – Antworten.Hilfen.Perspektiven von der Deutschen Krebshilfe
Diese Broschüre hat mir ebenfalls sehr wichtige Informationen für diesen Artikel geliefert.
Literaturverzeichnis
Als Grundlage für diesen Artikel habe ich auch im Internet bei folgenden Websites recherchiert.
(1) www.brustkrebs.de/daten-fakten/brustkrebsarten
(2) www.mammamia-online.de/brustkrebs/brustkrebsarten/triple-negativer-brustkrebs
(3) Sinéad O’Connor: Das symbolisierte ihr rasierter Kopf— Rolling Stone
(4) Kurzhaarschnitte 1900-1920 – Foto und Geschichte
(5) www.gesundheitsatlas-deutschland.de/erkrankung/brustkrebs
Glossar
- Biopsie= Entnahme von Gewebeproben
- BRCA = Spezielle Gene, wobei eine Mutation (Veränderung des Erbguts) mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Brust- und Gebärmutterkrebs einhergehen.
- Chipmarkierung = Es wird ein Clip als Markierung an einer betroffenen Körperstelle eingesetzt, um den erkrankten Bereich später wiederzuerkennen.
- CT = Computertomografie = über einen speziellen Computer werden Röntgensignale, die aus verschiedenen Richtungen durch den Körper verlaufen, um so digital Schnittbilder zu errechnen.
- Genmutation = Eine dauerhafte Veränderung des Erbguts.
- Invasiv = die Unversehrtheit von Haut oder Schleimhauten wird angegriffen oder durch einen medizinischen Eingriff verletzt
- Mammakarzinom = Fachbegriff für Brustkrebs
- Mastektomie = Dies ist ein chirurgischer Eingriff, bei dem das teilweise oder vollständige Brustgewebe entfernt wird, wenn eine brusterhaltende OP nicht möglich ist. Es gibt verschiedene Arten einschließlich der einseitigen oder beidseitigen Entfernung der Brustdrüse.
- Molekulargenetische Testung = Diese Untersuchungen haben zum Ziel, Veränderungen der DNA oder des Erbguts zu identifizieren oder auszuschließen.
- Neoadjuvant = eine Therapie, die vor der geplanten Haupttherapie verabreicht wird
- Portlegung = Es wird ein dauerhafter Zugang von außen in eine Vene gelegt. Ein solcher Port besteht aus einer kleinen, drei Zentimeter durchmessenden Kammer aus Metall oder Kunststoff mit einer Membran und einem flexiblen Schlauch. So muss nicht bei jeder Injektion das Gefäß verletzt werden. Zudem kann so die Chemotherapie ohne Komplikationen verabreicht werden.
- Szintigrafie = Ein bildgebendes Verfahren, bei dem mittels Gabe von radioaktiv markierten Stoffen die Funktion und Durchblutung von Organen optimal dargestellt wird.