STANLEY CLARKE
Musikalische Meilensteine

STANLEY CLARKE (USA) – STANLEY CLARKE (74)

Stanley Clarke
Stanley Clarke

In den 70ern gab es noch kein Internet und somit auch kein youtube, worüber man sich Informationen über neue Musik hätte verschaffen können. Die Wege liefen anders: Man hatte gute, am besten ältere Freunde mit einer ansehnlichen Plattensammlung. Daneben wurde meine musikalische Sozialisation durch – ich nenne es mal – Vernetzungswissen geprägt: Man wusste dass Musiker XY aus der Band A auch bei B spielte; somit besorgte man sich Platten von B und später C usw. Und wenn es mit dem Plattenkauf nicht klappte, weil mal wieder das Taschengeld aufgebraucht war, setzte man sich vor das Tonbandgerät und überspielte die Scheibe 1 zu 1 auf Band. Eine frühe Form der meditativen Entschleunigung.

Meine Plattensammlung war damals noch recht überschaubar, wuchs aber beständig. Mein persönlicher Berater hieß Straty, ein paar Jahre älterer Nachbar. Straty hatte sich mit meiner Hilfe den kleinen Hühnerstall nebenan ausgebaut, mit Eierkartons halbwegs schalldicht gemacht und von irgendwo einen stattlichen London-City-Gitarrenverstärker aufgetrieben. Das Ding war zwar nicht Stereo, hatte aber tüchtigen Wumms und brachte den kleinen Anbau seines Elternhauses, wie gesagt: ein früherer Hühnerstall, mächtig zum Beben. Übrigens brachten die Eierkartons nicht viel; die Musik hörte man auch noch zwei Straßen weiter, was uns hier und da Beschwerden einbrachte.

Eines Tages, wir hockten in seinem „Hühnerstall“, zog Straty aus seiner Sammlung eine Scheibe, so nannten sich früher Schallplatten, von STANLEY CLARKE heraus. „So was hast du noch nicht gehört“, kündigte er seine Neuerwerbung an. Und dann saßen wir im rauchverhangenen Raum vor der kühlschrankgroßen Anlage und hörten den neusten Sound, den er aus Münster besorgt hatte. Nein, man hörte nicht einfach nur, man goutierte die Musik. Man hockte dort wie bei einer Whiskyverköstigung, nickte bei musikalisch besonders starken Stellen und wippte bedächtig mit dem Kopf zum Takt. Mehr war zu der vertrackten Musik eh nicht möglich. Wobei ich später zu CLARKE auch tanzte … Ausdrucktanz – raumfordernd, ekstatisch und mit viel Körpereinsatz.

Vor einiger Zeit hatte ich so eine Art Vergangenheitszipperlein. Ich musste an die ollen Zeiten denken und mir fielen die unzähligen Platten ein, die ich rauf und runtergehört habe. Musik, die heute kaum mehr jemand kennt, die aber meine Jugend schöngedröhnt haben. Vor allem besitzt die Musik einen gewissen Nimbus von Aufbruch, Revolution und starkem Zigarettentabak. Mittlerweile hatten CDs meine Schallplatten abgelöst. Ich schob den Silberling in die Anlage unseres PKWs, in dem man – wie ich finde – das beste Sounderlebnis hat. Und wie gesagt: Clarke hört man laut. Ich war erstaunt, wie modern und abgedreht die Scheibe auch heute noch klingt, obschon heute Musik ganz anders gestrickt ist. Ich hatte immer schon eine Schwäche für Bassisten, die mit ihrem Bass nicht nur „rumdumsen“, sondern ihn wie ein Soloinstrument spielen. STANLEY CLARKE (geb. 1951) war gerade mal 23, als er die Platte mit Spitzenmusikern (z.B. Bill Connors, Jan Hammer, Anthony Williams) aus dem Fusionrockbereich aufnahm. Fusion? Dabei handelt es sich um ein aus der Mode gekommenen Begriff. Daher eine kurze Beschreibung: Von Fusion-Musik spricht man, wenn verschiedene Sounds verschmelzen. So experimentierten damals viele Musiker aus dem reinen Jazzbereich mit Elementen der Rock- und Funkmusik. Oft wird „Bitches Brew“ von Miles Davis als Einstieg in den Fusionbereich zitiert. Ganz deutlich wird es bei der Band „Return To Forever“, wo Clarke vor seinem Soloprojekt gespielt hat. Die „Verschmelzung“ von Jazz, Rock und Funk war für mich eine willkommene Melange, da ich nie der puristische Jazzhörer war, sondern mit unterschiedlichen Stilrichtungen liebäugelt habe.

CLARKE´s Spielweise ist atemberaubend und eine der seltenen Beispiele, wie Melodie und Rhythmus von einer Person auf einem Instrument gespielt werden können. Die Stücke „Vulcan Princess“ und „Lopsy Lu“ gehören noch heute zu den Meilensteinen meines Musikhörerdaseins. Der Bass treibt den Rest der Musik vor sich her. Wenn CLARKE hin und wieder singt, ist das nett, aber auch hier liegt vielleicht der Unterschied zu heutigen Hörgewohnheiten: Der Gesang tritt in den Hintergrund; ist eher etwas Honig im ansonsten druckvollen Sound. CLARKE gehört neben Jaco Pastorius zu einem der einflussreichsten Bassisten der Welt und  ist bekannt für seine Virtuosität, seine Vielseitigkeit und seine bahnbrechenden Beiträge zum Jazz, Fusion und Funk.

Auf Xenopolias (1) liest man:

„STANLEY CLARKE ist bekannt für seinen innovativen und virtuosen Bassstil. Er ist einer der ersten Bassisten, der die Slap-Technik auf dem E-Bass populär machte, eine Technik, bei der der Daumen verwendet wird, um die Saiten anzuschlagen und einen perkussiven Sound zu erzeugen. CLARKE beherrscht aber auch andere Techniken wie das Plektrumspiel und das Spielen mit den Fingern.

Sein Spiel zeichnet sich durch seine Schnelligkeit, Präzision und Musikalität aus. Er ist in der Lage, komplexe Soli zu spielen, kraftvolle Basslinien zu kreieren und sowohl melodische als auch rhythmische Rollen zu übernehmen. CLARKE hat einen warmen, vollen Ton auf dem Kontrabass und einen klaren, durchdringenden Ton auf dem E-Bass.“

Das nach dem Musiker benannte Album besteht aber nicht nur aus den druckvollen Stücken, die für mich heute noch wichtige Eckpfeiler meiner sehr facettenreichen Musikvorlieben darstellen, sondern auch aus ruhigen, eher sehr sphärischen Passagen; so hört man auf „Spanish Phases for Strings and Bass“ oder  „Life Suite Pt.1“ nur wenige Instrumente und CLARKE bedient dabei den Kontrabass.

Von Kritikern wird häufig das 1976 erschienene und wesentlich moderner produzierte Album „School Days“ als CLARKEs bestes Album hervorgehoben. Das ist so eine Sache mit den Neigungen, allerdings bleibt für mich „Stanley Clarke“ mein persönlicher Favorit. Es war die richtige Musik zum richtigen Zeitpunkt und sozusagen die Blaupause für meine Hörgewohnheiten als „musikalischer Fusionist“.

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  • https://xenopolias.de/2025/03/18/stanley-clarke-eine-musikalische-legende/