Dark Tranquillity
Ein therapeutischer Abend mit Melodic-Death-Metal

Im Mai 2025 besuchte ich ein Konzert der schwedischen Melodic-Deathmetal-Band DARK TRANQUILLITY in der Turbinenhalle Oberhausen. Für mich war es nicht nur das Konzert einer meiner Lieblingsbands, sondern eine wirksame Therapie in Zeiten von dystopischen Zuständen. Übrigens von nachhaltiger Wirkung!

Eintrittskarte Dark Tranquillity (Foto Arnold Illhardt)
Eintrittskarte Dark Tranquillity (Foto Arnold Illhardt)

„Ich fuhr so vor mich hin … auf der Autobahn“ (Udo Lindenberg). Aus den Boxen meines PKWs dröhnt Schwermetall von AMORPHIS, INSOMNIUM, DAYLIGHT DIES, TRIPTYKON, MACHINE HEAD, KATATONIA und eben DARK TRANQUILLITY. Neben mir sitzt Lady Dystopia und bläst mir ihren kalten Atem ins Gesicht. Ein bisschen muss ich an früher als junger Erwachsener denken. Noch neulich las ich in alten Tagebüchern von Autofahrten mit lauter Musik, wenn mich schwere Zeiten heimsuchten. Als ich mich bei einem Frankreichurlaub von meiner damaligen Freundin trennte (bzw. sie sich von mir), lief THE CURE – damals noch als Kassette – in Dauerschleife. Mein Vorgehen weckt Erinnerungen an den Grundsatz der Homöopathie „Gleiches mit Gleichem“ zu behandeln. Düstere und schwere Musik gegen düstere Schwere im Kopf – kann das gut gehen? Meine Erfahrungen zeigten schon oft: Ja, es hilft und wie. Jetzt ist der Sound, mit dem ich mich gerne umgebe, ungleich härter geworden. An diesem Abend bin ich unterwegs zu einem Konzert einer meiner Lieblingsbands DARK TRANQUILLITY in der Turbinenhalle in Oberhausen. Das, was ich auf meiner Fahrt höre, könnte man als die düstere Variante des Metals beschreiben und ist damit durchaus passend zu meiner Stimmung. Es sind mal wieder harte Zeiten. Dystopische Zeiten!

Dark Tranquillity Konzert Oberhausen 25 (Foto Arnold Illhardt)
Dark Tranquillity Konzert Oberhausen 25 (Foto Arnold Illhardt)

Es muss etwa 1971/72 gewesen sein, als sich mir eine Welt öffnete, die bis heute für mich eine gar existentielle Bedeutung behalten hat. Gemeint ist die Rockmusik. Über Freunde – damals gab es ja noch kein Internet – lernte ich Bands wie DEEP PURPLE, BLACK SABBATH, PINK FLOYD oder LED ZEPPELIN kennen. Ein Nachbar, der ein paar Jahre älter war als ich, spielte mir Musik von FRANK ZAPPA, GENTLE GIANT oder GRAND FUNK RAILROAD vor; vor allem lehrte er mich, dass man einen Bass nicht nur hören, sondern im Bauch fühlen muss. Bei einem damaligen Freund aus dem Nachbardorf lief RORY GALLAGHER rauf und runter, den ich sogar später an seinem Grab besuchte, um mich für die geile Zeit zu bedanken. Später wilderte ich in verschiedenen Genres wie Prog-Rock, Funk, Jazz-Rock, aber auch Punk, Independent, Grunge und Gothic. Wie man noch heute an meinen Vorlieben erkennt, faszinierte mich dabei stets der düstere Sound und Bands wie THE CURE, FIELDS OF THE NEPHILIM oder die SISTERS OF MERCY waren damals ständige Begleiter bei den Schieflagen meines Lebens.

Dark Tranquillity Konzert Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)

Die harte und zum Teil extreme Seite der Metal-Musik entdeckte ich eigentlich erst vor 25 Jahren und sie begann mit einer CD von METALLICA, die ich als Schnäppchen in einem Supermarkt erstand, weil das Cover fehlte. Während man früher auf gut geführte Plattenregale von Freunden angewiesen war, kann man sich heute im Internet bedienen. Es sind etwa 500 bis 600 zum Teil neue Bands, auf die ich pro Jahr über digitale Medien wie Spotify oder YouTube zugreife. Mein CD-Regal ist gut gefüllt und erfuhr vor einigen Jahren durch eine Schenkung von vielen Hundert Metal- und Rockalben eine Aufstockung. Es war den Algorithmen im Internet geschuldet, dass ich vor ein paar Jahren auf die schwedische Band DARK TRANQUILLITY stieß. Der Sound faszinierte mich, weil er meinem Bedürfnis nach Gefühl und Härte in der Musik wie kaum eine andere Band am nächsten kam. Nicht alle, aber die meisten Stücke der skandinavischen Gruppe wirken gleichzeitig zerbrechlich und brachial, aber nie aufgesetzt oder künstlich brutal, wie in dem Genre häufig üblich. Die Videos, die ich mir auf Youtube anschaute, hatten nichts mit dem Schunkel- und Ballermann-Metal a la RAMMSTEIN zu tun. Auch kamen hier keine hochnotpeinlichen Peniskanonen zum Einsatz. DT brillierte vor allem durch Authentizität und Spielfreude.

T-Shirt Dark Tranquillity (Foto Arnold Illhardt)

Zusammen mit Bands wie IN FLAMES, AT THE GATES oder SOILWORK gehören DARK TRANQUILLITY zur sogenannte Göteborger Schule des Melodic-Death-Metal. Für Leser, die mit diesen Umschreibungen wenig anfangen können, hier ein paar Erläuterungen. Als eine der vielen Unterformen des Heavy Metals bildete sich Mitte der 80er eine Spielart heraus, die sich zunächst im Untergrund formierte. Während sich der traditionelle Metal noch eher an den bekannten Rock- und Bluesschemata orientiert, glänzt der Death Metal mit schauriger Bildsprache, extremen, z.T. atonalen, aber auch kunstfertigen Gitarrenriffs- und solis, sowie Donnergrollen auf zwei riesigen Basstrommeln in einem oft rasend schnellen Tempo. Weiteres Kennzeichen ist der „kehlige” bzw. gutturale Gesang, auch als Growling bezeichnet. Diese Merkmale sind auch dem Melodic-Death-Metal zu eigen, wie jedoch das Wort „melodic“ vermuten lässt, wirkt der Sound klarer, heller und melodischer „als bei den Death Metal-Bands aus den USA und greift oft auf zweistimmige Gitarren-Melodien zurück“. (1)(2)

Turbinenhallte Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)

Ich parke mein Auto irgendwo im Gewerbegebiet von Oberhausen und lege den Rest zur Turbinenhalle zu Fuß zurück. Früher wurde in der Halle Strom und Druckluft erzeugt, um damit die Eisenhütte II, einem Betriebsteil der „Gutehoffnungshütte“ mit vier Hochöfen, zu versorgen. Ich liebe diese alten Hallen; wo wäre diese harte Musik besser aufgehoben, als an einem Ort, an dem Druckluft erzeugt wurde? Beim Betreten der Location treffe ich auf eine schwarze Menschenmasse, was an der bevorzugten Kleidungsfarbe der Metalheads liegt, in die ich mich prima einfüge. Es ist eine Art Verschmelzung von Menschen, die alle aus einem Grund hier sind: Eine Musik zu feiern und sich in ihr für einen Abend aufzulösen. Meine Begleiterin Lady Dystopia hat sich bereits aim allgemeinen Gedrängel verabschiedet.

Hiraes Konzert Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)
Hiraes Konzert Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)

Mit großer Wucht wird das Dreierkonzert von der Osnabrücker Band HIRAES eröffnet. Die fünf Musiker setzen auf „Dramatik, Melodie und packende Gitarren, die Songs bewegen sich zu großen Teilen im mittleren Tempobereich“. (3) Die Sängerin oder besser gesagt „Shouterin“ Britta Görtz weiß die ZuhörerInnen durch ihren mächtigen, überwiegend gutturalen Gesang zu beeindrucken. Ich laufe musikalisch warm und so langsam stellt sich bei mir dieses altbekannte, aber lange nicht mehr gespürte Gefühl von musikalischer Trance ein. Ich bin angereist mit viel Weltschmerz über den gesellschaftlichen und politischen Irrsinn, vor allem aber mit tiefer Trauer und Sorge über die kürzlich diagnostizierte Krebsdiagnose meiner Frau. Mit fortschreitender Zeit im Bann der Musik scheint die Therapie zu wirken, mich aus diesen schweren Gefühlen und Gedanken zu befreien. Wenigstens für heute Nacht. Oder doch für länger?

Moonspell Konzert Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)
Moonspell Konzert Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)

Wesentlich bekannter als die Vorband ist die zweite Gruppe des Abends – MOONSPELL. Im Gegensatz zur ersten waren mir die Portugiesen bereits bekannt. Alleine für diesen Auftritt hätte sich die Anreise von über 100Km nach Oberhausen gelohnt.  Bis heute sind MOONSPELL „…stark von ihren Wurzeln im Black Metal beeinflusst und ihr Hang zur Theatralik ist legendär. Sie verbinden dunkle und okkulte Atmosphären mit einvernehmenden Melodien, um ihren ganz eigenen Stil zu erschaffen“. (4)

Nach der Umbaupause verfinstert sich die Halle erneut. Ein bombastisches Intro flutet den Raum,  die sechs Männer von DARK TRANQUILLITY betreten die Bühne und punktgenau setzt ein musikalisches Inferno ein. Der Sound, der bei der ersten Band noch etwas schepprig klang, ist perfekt abgemischt. Die Lautstärke schmerzt nicht in den Ohren, wie bei so mancher Band blödsinnigerweise beabsichtigt, sondern legt sich wie eine Welle von Tönen über den gesamten Körper. Nur mit dem Unterschied zu der berühmten „wall of sound“, wobei nur noch ein einziger Klangbrei produziert wird, hört man trotz der Lautstärke die einzelnen Instrumente heraus: eine unermüdlich vor sich hin metzelnde Schlagzeuggewalt, die die Hosenbeine flattern lässt, ein treibender, allgegenwärtiger Bass, den man tatsächlich im Bauch spürt, zum Teil akrobatische Gitarrenkünste der ersten Güte, wobei die beiden Gitarristen in einem perfekten Abgleich harmonieren, ein Keyboarder, der die Musik in einem Wechselspiel von Zerbrechlichkeit, unendlicher Düsternis und technikbetontem Touch verfeinert.

Dark Tranquillity Konzert Oberhausen 25 -3 (Foto Arnold Illhardt)
Dark Tranquillity Konzert Oberhausen 25 -3 (Foto Arnold Illhardt)

Die zentrale Figur in dem Gesamtkunstwerk DARK TRANQUILLITY ist der Sänger Mikael Stanne. Ich habe im Metalbereich selten einen Frontmann erlebt, der ein derartig großes Charisma ausstrahlte. Die Gesangspassagen wechseln zwischen Klargesang und Growls, die Stanne spielerisch changieren lässt. Der atmosphärische Sound verliert sich auf angenehme Weise in melancholischen Momenten, um kurz darauf wieder auf aggressive und bombastische Weise zu explodieren. Von meinem etwas erhöhten Zuschauerplatz kann ich meine Blicke kaum von dem Sänger lassen. Seine Art mit dem Publikum zu spielen und durchgehend wie auch die anderen Musiker eine unbedingte Spielfreude zu zeigen, faszinieren mich und offensichtlich auch die anderen ZuhörerInnen. Es scheint nicht einfach ein Auftritt zu sein, sondern gelebte Passion.

Tranquillity Konzert Oberhausen 25 - 2 (Foto Arnold Illhardt)
Tranquillity Konzert Oberhausen 25 – 2 (Foto Arnold Illhardt)

Schon als ich DARK TRANQUILLITY kennenlernte, fiel mir etwas auf, was mich mehr als verwunderte: Die Stimme von Stanne erinnert in den Phasen des Klargesangs manchmal an DEPECHE MODE. Liest man die Biografie der Band, so zeigt sich, dass dies durchaus einen Grund hat, denn DT nennen auch die englische Synt-Rock-/Popgruppe als wichtige Einflüsse. Aber auch Stilmittel des Gothics schleichen sich in die abwechslungsreiche Musik der schwedischen Schwermetaller ein. Der Sound ist somit ein Konglomerat meiner persönlichen musikalischen Vorlieben.

Zwischendurch schließe ich die Augen und lass mich vollends berauschen. Und gemeint ist kein alkoholischer Rausch, sondern das Gefühl einer Leichtigkeit und Schwerelosigkeit. Es ist schon mehr als erstaunlich, dass eine Musik, in der es thematisch um Tod, Trauer und die apokalyptischen Seiten des menschlichen Seins geht, in der sich wie in ihrem letzten Werk „Endtime Signals“ die düsteren Seiten der Menschheit und damit auch um das Selbstausrotten der Krönung der Schöpfung im Fokus stehen, dermaßen aufbauende Wirkung hat. Die Songs besitzen die positive Botschaft, „dass man mit all dem Mist schon fertig wird“ (5), wie es der Sänger in einem Interview beschrieb.

Lemmy an der Turbinenhalle Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)
Lemmy an der Turbinenhalle Oberhausen (Foto Arnold Illhardt)

Eine Freundin, die normalerweise kein Fan von harter Musik ist, erzählte mir noch kürzlich, dass sie eher zufällig bei einem Metal-Konzert zugegen war. „Ich muss sagen, die Musik hat schon etwas Befreiendes!“, so ihre Wahrnehmung. Mir fiel der Ausdruck Katharsis ein, mit dem Sigmund Freud den Prozess der Reinigung als wichtiges Instrument der Therapie umschrieb. Das Loslassen von negativer emotionaler Energie führt zu einer Befreiung von inneren Konflikten. Als das Konzert zu Ende ist, ist mein Kopf frei, miese Gedanken und Gefühle sind eliminiert und ich verlasse die Turbinenhalle mit einer enormen Lebendigkeit. Lady Dystopia ist spurlos verschwunden und ich fahre ohne sie zurück. Danke für die Therapie!

 Quellenangaben

(1) Ian Christe: Heavy Metal – die komplette schonungslose, einzigartige Geschichte. Hannibal: Höfen, 2017

(2) https://www.metal-hammer.de/genres/melodic-death-metal/

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Hiraes#cite_note-legacy-11

(4) https://napalmrecords.com/moonspell?srsltid=AfmBOoody8thdyRlpQY2I6nICP799zTpkWeiGvb-KzAwkHlH3FzKuusm

(5) Metal Hammer vom 17. August 2024