Zombies sind wieder salonfähig geworden. Früher galten sie als Müll der Fantasie. Nicht die Abwägung des Pro und Contra interessiert. Das, was hinter der Zombiekultur steckt, ist wichtiger als man denkt.
Dieses Thema ist mir aufgefallen, weil ich mich viel mit Totentanz, ars moriendi (Kunst des Sterbens) und aktuellen Themen des Sterbens beschäftigt habe. Dazu gehört sicher auch dieses Thema der Zombies. Sie drehen sich alle – mehr oder weniger direkt – um die Frage:
Wie können wir den Tod bzw. Tote in unser Leben integrieren?
Der Tod macht vielen von uns Angst, auch wenn viele Institutionen und Weisheitslehrer uns demonstrieren, dass uns der Tod kalt lässt. Wenn Angst, dann vor dem Sterben, nicht vor dem Tod.
Ein Blick ins Lexikon. Immer wieder begegnen wir der Frage: Gibt es Untote, also Menschen, die gestorben sind, aber mit Lebenden – oft als wieder lebende – Kontakt aufnehmen? Ich bin sicher, dass es die nicht gibt. Was es jedoch gibt, sind die Ängste, dass der Tod ins Leben hineinragt.
Was ist damit gemeint? Laut Google sind Zombies (wie Untote) Menschen, die gestorben sind, aber dann wieder unter den Lebenden sind und dort Probleme anrichten. Wie gesagt: Seriös finde ich die oft verborgene Frage der Angst und wie wir damit umgehen. Dazu später mehr.
Was gibt uns das Recht, hinter dem Phänomen der Zombies die Angst am Werke zu sehen? Ich denke an die Filme, die uns hinter der Maske des Horrors und der Macht mit dem Thema Angst beschäftigen. In der Zeitschrift Filmrevue habe ich berechnet, wie viele Zombie-Filme es gibt. Ich berufe mich auf diese Statistik von 2002-2022, auch wenn unklar bleibt, wie die Zombie-Filme aus dem Genre der Horror-Filme ausgegliedert werden konnten. Egal, die Statistik weist auf das Thema der Angst hin.
Warum machte ich diese Analyse? Weil ich vor Jahren einen Artikel las, der zeigte, dass Horror-Filme (Obergruppe für Zombie-Filme) an der Wende von Jahrhunderten und vor allem Millennien (etwa von 1999 auf 2000) Horror-Filme häufiger als sonst produziert werden. Der Grund ist die Angst, Angst vor einer unvoraussehbaren Zukunft und ihren möglichen Katastrohen.
Ebenso wichtig ist ein philosophischer Grund: Filme, und mögen viele davon sehr unsinnig sein, verstärken unseren „Möglichkeitssinn“. Selbst unmögliche Dinge schärfen unsere Fantasie. Es gibt Bilder und Szenen in den Zombie-Filmen, die unsere „nach außen projizierten Vorstellungen“ (Robert Vaas, 2022) sind. Vaas meinte das von außerirdischen Wesen, sog. ETs. Es gilt aber auch für Wesen, die wir nicht für wirklich halten. Wir sollten aus Zombies lernen.
Wie kriegen wir das völlig Fremde in unsere Welt? Durch Fantasie und Mitgefühl?
- Woher kommen die Horror-Bilder?
Auf dem alten Friedhof in Freiburg (aber bei weitem nicht nur da) gibt es ein Grab, das ausgehoben wurde, als die Stadt vermutlich nach einer Pestwelle neue Gräber brauchte. Der Geselle eines Schmiedemeisters, so geht die Sage, hatte mit dessen Frau ein Verhältnis. Was dann passierte, weiß nicht einmal die Legende. Erst nach dem Aushub wurde das Skelett mit dem Nagel im Kopf entdeckt. War das ein Mord oder hat man einen Nagel durch den Kopf getrieben, um Wiederkehr des Toten und seine Rache zu vermeiden?
Man muss davon ausgehen, dass viele Menschen schon sehr früh einen skurrilen Eindruck hatten: Verstorbene, die etwa nicht wiederkommen sollten, weil sie böse waren oder andere, weil sie z.B. einen Mord begangen hatten, rächen wollten. Deswegen hinderte man Tote am Wiederkehren, indem man sie im Sarg festnagelte – vielleicht wie in der obigen Geschichte, das Verhältnis wurde erst später dazu erfunden – oder riesige Steine aufs Grab legte. Leider fand man so etwas öfter – der Beginn der Zombies?
Dann gibt es natürlich auch die Vampir-Tradition v.a. in Ungarn. Zu denken gibt einem, dass Vampire den Hals meist junger Frauen bevorzugten. Abwehrzauber hatte außer mit Knoblauch meist mit christlichen Symbolen zu tun. Vampire und andere Untote wurden oft vom christlichen Auferstehungsglauben bekämpft. Schlimm finde ich den theologischen Murks des Exorzismus, der den Glaubensinhalt zum Horrormachte.
Eine m.E. unchristliche Variante nimmt all diese Charakteristika auf und macht aus diesem Mix die Zombie-Kultur oder besser: eine Angst-Kultur. Warum Angst-Kultur? Diese angebliche Kultur ist gewissermaßen eine pervertierte Totentanz-Kultur. Der Totentanz im Mittelalter will Angstbewältigung, indem er zeigt, dass alle – von Bettelmann bis König – gleich sind und sterben. Zombies verbreiten Schrecken, also pervertierte Totentanz-Kultur.
- Das Fremde in uns
Egal ob Liaison oder Angst vor Rache (wie im ersten Beispiel), es geht um nicht kontrollierte Triebe, Libido und Aggression. Beides ist Teil von uns, aber es geht um Kontrolle, nicht um Ausmerzung. Leider geht die Krimi-Moral in »unserem« Fernsehen à la Tatort meist nur darum, dass das Böse in uns bestraft gehört. Wirklich?
Ganz anders schreibt der Jurist Ferdinand von Schirach seine Geschichten aus dem Alltag seiner Kanzlei. Er will das Verbrechen nicht verurteilen, also das Böse ausmerzen, sondern verstehen, damit es in uns leben kann, ohne sich und andere leiden zu lassen. Schaffen wir das?
Vor vielen Jahren – würde das heute auch noch passieren? – gab es folgende Szene. Jemand drückte einem Rollstuhlfahrer 10 € in die Hand und sagte: „Gönn dir mal ein Glas Bier oder zwei!“ Mitleid, an sich gut, kann diskriminierend sein. Das Problem: Das, was in einem anderen vor sich geht, ist nicht unser Ding. Was sagt uns das für Zombie-Filme?
Zombie-Literatur und -Filme verraten Angst in einer Verkleidung, die vielen von uns unverständlich ist. Tot ist tot und basta. Dass da doch einige sind, die das anders sehen, bleibt uns fremd. Wir müssen diese anderen verstehen. Wie weit reicht das Verstehen der anderen?
Aber da ist ein Rest für uns alle. Der Philosoph Jörg Noller meint, dass uns das Dunkle/Böse interessiert, auch wenn wir es ablehnen. „Als Grund dieses Interesses wird oft seine besondere Faszination genannt, […] eine eigentümliche Ambivalenz neugierig machender Anziehung und empörender Ablehnung.“ Mit den Zombies stecken wir in dieser Ambivalenz.
- Neue „Weltordnung“
In Antike und Mittelalter gab es – für alle Menschen damals gültig – eine verbindliche Weltordnung (Ptolemäus): Die Welt kreist um die Erde, sie ist der Mittelpunkt der Welt. Und dann kam die sog. Kopernikanische Wende: Die Erde kreist um die Sonne, sie verliert ihre alles beherrschende Stellung. Nikolaus Kopernikus (1473-1543) war der Astronom, der die bis dahin verbindliche Weltordnung auf den Kopf stellte. Eine verbindliche Weltordnung gab es nie wieder.
Mein bester Zombie-Film war »Das zweite Leben des Monsieur Alain« (Regie: Hervè Mimran von 2018). Dramatisch war, dass nichts mehr galt. „Ausruhen kann ich mich nach meinem Tod“, sagte er in seiner hohen Position. Selbst das ging daneben. Monsieur Alain lebte sein angstbesetztes Leben nach folgenden Devisen:
- Weg ohne Orientierung
- Riskantes Leben und Überleben
- Politikkritische Untertöne
- Beziehung ohne Regel
- Verlust einer Verarbeitung des Alltags
- Körperlicher Verfall
Nach einer durchzechten Nacht, will man sich waschen, schaut in den Spiegel und sagt: Kenn ich nicht, wasch ich nicht. Wenn man alt wird und in den Spiegel schaut, vergisst man das Waschen – und müffelt für die Jugend. Ist das so? In Zombie-Filmen ist das noch schlimmer. Zombies sind hässlich und alt, unaufhaltsamer Verfall des Menschlichen ist auf die Spitze getrieben.
Ob das in einer alternden Gesellschaft passend ist, mag dahingestellt sein, m.E. ist das nicht so. Aber etwas ist beunruhigend: Niemand will alt werden. Und Alter macht Angst, weil Funktionen abnehmen. Schmerzen kommen. Man „unsichtbar“ wird, d.h. anders wahrgenommen wird, als man ist. Nicht mehr attraktiv ist usw. Zombies zeigen – übertrieben vielleicht – ein Stück Wahrheit. Das System ist krank, das Zombies produziert, anstatt mit Angst konstruktiv umzugehen.
Nehmen wir ein Beispiel aus den Redewendungen der Verurteile über das Alter. Wenn jemand einen als Esel, Idiot, Betrüger usw. bezeichnet, kann man das nur toppen, indem man sagt: »alter« Esel, »alter« Idiot, »alter« Betrüger usw. Ist das Wort »alt« doch eine Art der Steigerung des Negativen, der Schatten der Jugendlichkeit, vielleicht sogar Symbol des Verfalls?
- Eve of Destruction oder Apokalypse Now?
“Eve of Destruction“ war vor 50 Jahren ein Protestsong von Barry McGuire. Der Text regte die amerikanische Welt auf. (Mit 18 im Vietnamkrieg getötet werden dürfen, aber kein Wahlrecht für Menschen mit 18.) Die politkritischen Inhalte waren damals laut, heute sind sie eher leise. Wie auch immer: Tod ist nahe (seit Putins Krieg mal wieder sehr deutlich), er macht uns Angst.
Der »Eve of Destruction« (deutsch: Vorabend der Vernichtung) wird gesteigert zur Apokalypse, zum Weltuntergang. »Apocalype now« ist ein Antikriegsfilm von Francis Coppola 1979. Beide „ergänzen“ sich.
In der biblischen Apokalypse – sie ist das Muster für alle Weltuntergangsszenarien – gab es wenigstens noch die Hoffnung auf Heil, heute ist das eher selten. Der Weltuntergang rückt nah und näher, und die Szene wird immer grässlicher. Zombies greifen das auf. Wir sind ungetröstet und unser Weg führt durch Dunkel, manchmal gesäumt von Untoten.
Resümee
Ich greife zurück auf die Gespenstergeschichten des Amerikanischen Schriftstellers Edgar Allain Poe (1809-49) – ich halte ihn trotz vieler Unterschiede für den Vater der Zombieliteratur. Hier eine kurze Beschreibung seines Essays »Die Maske des roten Todes«:
Diese Geschichte ist ein Bild. Die für unser Thema wichtigsten Bilder zähle ich auf:
- Hinter der Maske verbirgt sich das NICHTS, vor dem man sich fürchtet.
- Reichtum bringt nichts, auch Waffen und Macht bringen nichts.
- Menschen flüchten in die Angst vor dem Unheil.
Zwei Hintergründe sehe ich bei Poe, in denen ich die Zombiekultur wiederfinde:
- Machtlosigkeit des »American Dream« mit dem »pursuit of happiness« (deutsch: Streben nach Glück) der Einhaltung politischer Ordnung, dem Fortschrittsdenken, der Leistung usw. Es gibt auch das Gegenteil von Glüchlichsein.
- Individuen verschwinden, aber die Angst bleibt. Horror (etwa der lateinische Ausdruck aus der Philosophie »horror vacui« (deutsch: Angst vor der Leere) verschwindet nicht. Rettung aus dieser angstvollen Situation gibt es nicht.
Natürlich gibt es in Literatur und Film nachdenklich machende und unsinnige Erzeugnisse – wie immer. Aber ich sehe viele Motive, die uns intensiv beschäftigen. Zombies in Literatur und Film können sehr anregend sein, ohne dass wir sie in unser Leben einbauen. Denken wir an Poe: Angst prägt unser Leben – wie eine Maske, hinter der sich nichts steckt. Sind Zombies eine Maske des Nichts?