Kyra Panagia. Griechenlandkrise: Selten wurde so anschaulich demonstriert, was unseren europäischen Machthabern wirklich wichtig ist: Geld, Wirtschaft und Eigeninteressen.
Unser Urlaub führte uns dieses Jahr nach Griechenland, genauer genommen auf die Insel Karpathos. Ein faszinierendes Eiland mit dem blausten Meer, den einsamsten Buchten und – BILD-Leser aufgepasst – absolut netten Griechen. Die Hellenen begegneten uns mit einer weit über das Geschäftliche hinaus gehenden Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die man fast schon freundschaftlich nennen kann. Interessante und interessierte Gespräche mit der Frau im Mini-Markt, dem Betreiber der Taverne im letzten Winkel der Insel oder dem Verkäufer im CD-Laden über das Reisen, das Mittelmeer, Kultur, Musik, Kunst, Lou Reed oder das Leben an sich.
Doch all das interessierte unser Umfeld von mäßig bekannt bis verwandt wenig, interessanter war das beinahe schon voyeuristisch zu nennende Interesse, wie uns Deutschen die von einem Staatsbankrott gebeutelten Griechen begegnet wären. Ein wenig hatte es den Anschein, wir wären nicht in Griechenland, sondern bei den Menschenfressern in Papua-Neuguinea, falls es dort solche gibt, gewesen. Und dann dauerte es meist nicht lange, bis wir von unserem jeweiligen Gegenüber mit politischem Einfünftelwissen überschüttet wurden. Der landläufige BILD- und Tageszeitungsleser ist nämlich der festgefrästen Meinung, die Griechen seien a) faul, b) selbst schuld und c) von einer nichtsnutzigen Regierung verzockt worden. Also das komplette Repertoire eines durchschnittlichen Lokalpolitikers, der ja auch schon mal gerne seinen unausgegorenen Senf zu Geschehnissen in der Welt meint abgeben zu müssen. Bei einigen Phrasendreschern stellten wir dabei ein wie sonst nur beim Wundstarrkrampf vorkommendes sardonisches Grinsen fest. Offensichtlich freute sich der ein oder andere Zeitgenosse dieser christlichen Wertegemeinschaft, wie es neulich noch ein Konservativling verbalsamierte, königlich darüber, dass die Griechen nun ihr Fett wegbekämen und künftig am Hungertuch nagen müssten. Dies sei deswegen gerechtfertigt, weil sie uns pausenlos finanziell benachteiligten Deutschen das Geld auf offener Straße aus den eh schon schmalsäumigen Portemonnaies klauten, um damit dann später auf unsere Kosten ein Leben in Saus und Braus, vor allem aber in sündhaftem Müßiggang zu führen. Als wir berichteten, dass unsere griechischen Freunde unglaublich fleißig seien (Ladenschlussgesetze kennt man in Hellas nicht) und dennoch mit ziemlich wenig Geld auskommen müssten, schien man uns des Hofverrats überführt zu haben. Waren wir deutsche Denunzianten, die im Schulterschluss mit Linken, Wirren und vermeintlich Uninformierten das heldenhafte und ausschließlich von christlichen Motiven geleitete Wirken von Merkel und Schäuble in Frage stellten?
Diskussionen mutierten zur Schmalspurkonversation auf Betonuntergrund mit Kaugummiverklebung. Man fühlte sich trotz stimmiger Argumentationen immer mehr in die Ecke gedrängt: Wie konnten wir die Griechen verteidigen und Solidarität mit der griechischen Bevölkerung bekunden, wo doch alle sagen, dass uns die Pleite-Griechen ins Verderben reißen? Die Menschen glauben eher an das, was hundertmal völlig falsch dargestellt wurde, als an Aussagen, die der Realität und Wahrheit näher kommen, aber das bisherige Denken in Frage stellen.
Beschäftigt man sich intensiv mit der Griechenlandkrise, wobei sich die Frage stellt, ob es sich wirklich um eine Krise handelt oder um eine humanistische Schweinerei erster Güte, so steht man ziemlich schnell vor einem unglaublichen Dilemma.
Denn bei einer Recherche in diesem kapitalistischem Mangrovensumpf stößt man nicht nur auf jede Menge Schlickboden nebst fiesen Stechmücken, sondern vor allem auf Verstrickungen und stinkende Verunreinigungen. Wir klickten uns durch diverse Dokumentationen im Internet, wälzten Zeitungen in Papier- und Onlineformat und versuchten die vielen Argumentationsstränge zu ordnen und zu sortieren. Ein wüstes Unterfangen, was uns Folgendes herleiten ließ: In politischen Äußerungen zur Griechenlandkrise gibt es kein umfassendes und an der Realität orientiertes Denken, sondern in dem von Schwarz bis Grün über Rot geäußerten Gestammel wimmelt es nur so vor Falschaussagen, Verfälschungen und populistischen Statements. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man diese Aussagen der Politiker Analysen aus den politikwissenschaftlichen und ökonomischen Bereichen gegenüberstellt. Sicherlich sind wissenschaftliche Ergebnisse nicht automatisch als neutral und richtig zu werten, doch immerhin macht sich das forschende Wesen die Mühe, Fakten auszuwerten und ein Problem, wie in diesem Fall die Krise, in ihrem ganzen Hergang aufzugliedern. So ist es einfach unwahr, wenn Frau Merkel Griechenland als alleinige Verursacher der Misere darstellt. Es ist erschütternd, wenn die historische Aufarbeitung zeigt, wie sich z.B. deutsche Firmen in vielfacher Milliardenhöhe nach 2002 wie in einem Selbstbedienungsladen getummelt haben, wohlwissend, dass eine Haushaltskonsolidierung der griechischen Regierung
nur über „schöpferische Buchhaltung“ gelungen ist, wie der frühere Wirtschaftsminister Giorgios Alogoskoufis in der FAZ beschrieb. Und wenn von all den finanziellen Hilfsprogrammen die Rede ist, die unsere karitative Kanzlerin in Kooperation mit einer selbstlosen Troika in Griechenland implantiert hat, so wird stets beflissentlich ausgelassen, dass das Geld ausschließlich in Banken investiert wurde und nicht in Projekte, die am Menschen selbst ansetzen. Davon, dass bei uns Germanen noch eine Summe von ca. 10 Milliarden Euro an Reperationszahlungen wegen Altlasten des Zweiten Weltkrieges offen steht, ist in diesen Tagen auf deutscher Seite keine Rede. Das wurde schon von Merkels Vorgängern erfolgreich geblockt. Je weiter man in diesen Sumpf vorstößt, kommt man zwar zu der Erkenntnis, dass Fehler auf beiden Seiten zu suchen sind, (diese Position wurde übrigens nur von der LINKEN stimmig dargestellt), doch betrachtet man einmal das Agieren der von uns demokratisch gewählten Regierung bei Tageslicht, so wird vor allem eins deutlich: Zu keinem Zeitpunkt geht es hier um demokratische, politische oder gar freundschaftliche Verbindungen zu einem europäischen Nachbarstaat, sondern zu jeder Zeit nur um kapitalistische Interessen, Macht und Eigensüchtigkeit. Das wundert einen auch nicht weiter, wenn man sich die Freunde und Co-Problemlöser der deutschen Regierung in der sogenannten Troika anschaut. So ist der Internationale Währungsfond IWF, vertreten von Christine Lagarde (die übrigens auch keine Steuern zahlt) durch seine menschenverachtende Politik nicht nur verantwortlich für die Ermordung von Millionen von Menschen durch gelenktes Verhungern (ich empfehle dazu das Buch von Jean Ziegler: „Wir lassen sie verhungern“), sondern schaffte es schon in Argentinien einen Staat auf Kosten der Armen und zu Gunsten profitgeiler Konzerne und des Industrieadels zu zertrümmern.
Merkel (Physikerin), Schäuble (Jurist) oder Gabriel (Lehrer) sind vermeintliche Volksvertreter, die an Niederträchtigkeit, Abscheulichkeit und Charakterlosigkeit kaum zu überbieten sind. All diese Widerwärtigkeiten werden von der Presse zum
Teil unreflektiert übernommen, einem blinden Populismus folgend massenkompatibel präsentiert und wie im Fall der BILD-Zeitung bis hin zur Volksverhetzung ausgeschlachtet. Der britische Ökonom, Politiker und Mathematiker John Maynard Keynes drückte es einmal sehr passend aus: „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“ Die Griechenlandkrise, wie immer sie auch ausgehen mag, zeigt beispielhaft, dass wir uns parteipolitisch längst von demokratischen Grundpfeilern in unserem Gesellschaftssystem verabschiedet haben. Die Lobbykratie hat Einzug gehalten und wird von uns in hündischer Unterwürfigkeit bedient.
Ein Bekannter meinte neulich, dass es genau drei Möglichkeiten gäbe, um die Krise zu überwinden. Ich kann mich an die Möglichkeiten nicht mehr erinnern, zudem ist es mir neu, dass es für eine Problemlösung nur drei Ansätze gibt. Es existiert das Vorurteil, die Griechen könnten nicht organisieren. In RP-Online wird dies als Missverständnis und zwar als ein deutsches Missverständnis enttarnt: Die Griechen organisieren anders und sind flexibel, was Pläne angeht. Sie sind Weltmeister darin, wenn etwas nicht „nach Plan“ läuft und finden abenteuerliche Lösungen, auf die in Deutschland niemand kommen würde. Unsere volle Solidarität gilt dem griechischen Volk und möge es der abenteuerlichen Lösungen viele geben.