So ein Scheiß
Notdürftige Betrachtungen

Sicherlich: Man muss nicht über jeden Scheiß schreiben. Aber dort, wo der Kaiser zu Fuß hingeht, lauert so manches Mysterium und so macht es durchaus Sinn, sich in die Niederungen menschlicher Bedürfnisse zu begeben.

Wer schon einmal im Freien am Fuße eines Birkenstammes mit oder ohne Erdaushub sein Geschäft erledigt hat (welch prätentiöser Ausdruck), der weiß das Wasserklosett zu schätzen. Zwar mögen sich bei dem ein oder anderen Zeitgenossen beim Entledigen unter freiem Himmel naturselige Gefühle eingestellt haben, aber die Mückenstiche an dem, der wilden Natur blank ausgesetzten Hinterteil nebst körperlicher Nachbarschaft, lassen dieses Naturspektakel zumeist zu einem nachhaltigen – da der Erinnerung noch Tag später bewussten – Erlebnis werden.

Schwarzes Schaf (Foto A. Illhardt)
Schwarzes Schaf (Foto A. Illhardt)

Dieses birkenumwobene Präludium, bestehend aus 49 Wörtern, wirft zwei existentielle Fragen auf: 1. Muss man eigentlich über jeden Scheiß schreiben und 2. Warum so viel Aufwand für ein fragwürdiges Thema? Eine mögliche Antwort liegt vielleicht in der Tatsache begründet, dass wir zwar dutzende Male das Wörtchen Scheiße bemühen und mit dem Wiederaufbäumen des deutschen und internationalen Rechtsradikalismus das Denken jener Zeitgenossen mit genau diesem Exkrement, sogar in tautologischer Form (= braune Scheiße) assoziieren, sich aber in den deutschen Arztpraxen Menschen der Moderne zieren, Urin- oder noch schlimmer – Stuhlproben dem kritischen Auge der Arzthelferin zu präsentieren. Kaka ist bääh! Es kann gut sein, dass jene Fäkalverweigerer die gleichen sind, die sich vor dem heimischen Bildschirm über Witze a la „kommt ein Mann mit Durchfall zum Arzt“ schier weg schimmelig lachen. Wir sind also mit diesem Thema noch lange nicht durch. Das ist – wie gesagt – nur eine Antwort. Eine andere wäre: Ich kam auf die Idee, als ich in meinem letzten Urlaub auf der Toilettenanlage eines Campingplatzes vor mich hinbrütete. Da kommt man schon mal auf Gedanken; frei nach der Maxime: Wenn du dich unten entleerst, schaffst du oben Platz für Neues. Der Autor dieser philosophischen Ausschweifungen ist – wie in den meisten Fällen – nicht bekannt. Ich übernehme aber alle Verantwortung.

Mut zur Lücke (Foto A. Illhardt)
Mut zur Lücke (Foto A. Illhardt)

Doch eins nach dem anderen. Meine Sozialisation mit dieser anrüchigen Materie war eine im wahrsten Sinne kreuzbrave: Zuhause wurde darüber nicht geredet und beim Besuch des stillen Örtchens abgeschlossen – am besten zweimal. Nicht umsonst sprach man ganz früher, bevor ich in der Lage war, die Schlotte nutzen zu können, von Heimlichkeit oder heimlichen Gemach. Ich habe den Brauch des Abschließens anfangs übernommen, fand ihn aber von Anfang an eigenartig: Nichts ist uns Menschen – mal abgesehen vom Atmen und sonstigem lebenserhaltenden Prozessen – naturgegebener, als der Besuch auf dem WC, was ja wiederum die Abkürzung von Wasserklosett ist. Meine Eltern hatten diesbezüglich so ihre Marotten und so durfte man unter Androhung endlosen In-der-Hölle-Schmorens auf keinen Fall von Klo sprechen. Toilette war ok, aber Klo untersagt. Als ich als Kind bei einem Restaurantbesuch mit meinen Eltern einen holländischen Kellner fragte, wo denn hier die Toilette sei, schaute er mich eine Weile fragend, weil nicht verstehend an, bis es aus ihm herausplatzte: Ach, du meinst das Scheißhaus!

Und da kommen wir zu einem nächsten Problem, das die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Thematik zu einem dringenden Muss macht: Wie redet man über die Frage des abschließenden Verdauungsprozesses? Notdurft klingt genauso beknackt wie kacken, scheißen oder Aa-machen. Vor allem ist mir bei letzteren Variante nie so richtig klar gewesen, was es mit dem Doppel-A auf sich hat? Rutschen wir hier peux-a-peux in tiefenpsychologische Betrachtungen über die vermeintlich existierende Analphase?

WC Bayrische Brandung (Foto A. Illhardt)
WC Bayrische Brandung (Foto A. Illhardt)

Als ich dem Dunstkreis der elterlichen Verantwortung entschwand und mich persönlichkeitspsychologisch verselbständigte, beschloss ich alsbald, diesem Getue beim Entleeren den Garaus zu machen und ließ von diesem Moment an nicht nur die Tür zum Ort des von Winden umwehten Loslassens unabgeschlossen, sondern fand auch, dass es ein Platz sei, um den man viel mehr Aufheben machen müsste, als bisher gewohnt. Wo kann man dermaßen gut in Ruhe nachdenken, die Seele und – was sonst noch frei flottiert – baumeln lassen? Nicht umsonst spricht man ja auch in Akademikerkreisen vom locus vivendi. Ab sofort lagerte ich neben der Brille (häh?), durch die man erst abschließend schaut, die aktuelle Ausgabe der Konkret, diverse Comics oder den schon etwas zerschundene Gedichteband von Gottfried Benn. Später feierte ich mal bei einer Bochumer WG eine entgleisende Party und fand den Ort der tiefergelegten Bedürfnisse umrahmt von Bücherregalen. Man kann alles übertreiben; diese Lösung (es gab übrigens im kompletten Haus Bücherregale – es lebten hier vor allem Lehrer) mag ja für den hier wohnenden Klobesucher die Lebensqualität verbessern, auf Partys sind von Büchern eingerahmte Wasserklosetts die Hölle, was an den enormen Wartezeiten für die Davorstehenden liegt. Übrigens gestaltete ich in einem Anfall von sich in alle Lebensbereiche ausbreitendem Revoluzzertum mein erstes eigenes Klo in einer abbruchreifen Altbauwohnung einer Männer-WG auf meine ganz eigene Weise um: Ich strich es mit roter Lackfarbe, die sich auch auf den karierten Fliesen des Raumes ausbreitete und nannte das so entstandene Kunstwerk frei nach Dali „menstruierendes Klo“. Der Titel gefiel offenbar nur mir selbst, nicht aber der sich hin und wieder hier einfindenden Damenwelt. Der Abbruch des kompletten Hauses führte wohl dazu, dass dieses künstlerische Objekt der Nachwelt nicht erhalten blieb.

Locus Vivendi (Foto A. Illhardt)
Locus Vivendi (Foto A. Illhardt)

Mit meinen ersten Reisen in den Süden im klapprigen VW-Bus machte ich in Frankreich erstmalig Bekanntschaft mit dem Hockklo. Rührig ist die Beschreibung dafür auf Wikipedia: „Als eine Hocktoilette (ugs. auch Hockklo, manchmal Stehklo) wird eine Toilette bezeichnet, die zur Defäkation eine Hocke erfordert.“ Die Hocke wiederum erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, die vor allem bei Menschen mit Knieproblemen, wie ich sie zur Zeit beklagen kann, zu akrobatischen Einlagen führt, muss man doch gleichzeitig aufpassen dass man sich die runtergelassenen Hosen nicht defäkiert. Übrigens ergibt sich beim Hocken eine ganz neue Perspektive der Unerhabenheit. Einen Vorteil hat diese Variante des „Machens“: Man kann nicht automatisch die Türen bekritzeln und so bleiben einem in der Regel auf diesen Toiletten die hirnlosen Hinterlassenschaften geistiger Art wie blöde Witze, Telefonnummern für Quickies oder erigierte Schniedelwutze vor sich aufspreizenden Vulven erspart. Schade wiederum ist es um die Sprüche mit Tiefsinn.

Ebenfalls in Frankreich lernte ich Aborte – auch so ein Wort – kennen, die von magisch-technischer Beschaffenheit waren. Bevor man es sich zum Abführen gemütlich machen konnte, setzte sich ein Automatismus in Gang, der die Sitzgarnitur desinfizierte und säuberte. Die gesamte Toilettenbrille verschwand in der Wand, um kurz darauf gestriegelt wieder zum Vorschein zu kommen. Ich staunte nicht schlecht, zudem war ich froh, diesen Vorgang vor dem Niedersitzen bemerkt zu haben. In diesem Zusammenhang machte ich bzw. meine damalige Freundin im Land der langen Brote und starken, filterlosen Zigaretten eine ganz neue Erfahrung. Als ich mein dringliches Geschäft auf einem öffentlichen Null-Null erledigt hatte, ließ ich meiner Liebsten die Tür offen, dachte ich doch, so eine zusätzliche Nutzungsgebühr sparen zu können. Ich war jung und brauchte das Geld! Was ich aber nicht bedacht hatte: Der moderne Lokus dachte nicht mit, sondern sah sich in dem Verschließen der Tür aufgefordert, den kompletten Raum (nicht nur die Brille) zu säubern. Es verwundert darum kaum, dass meine Freundin mit lautem Kreischen und Fluchen den Ort der Säuberung fluchtartig verließ. Ihren nahtodähnlichen Erlebnissen war zu entnehmen, dass aus allen erdenklichen Ecken und Rohren mit Wasser geschossen wurde, um das Örtchen wieder blitzblank zu machen. Das sind so Momente, in den gut abzuwägen ist: Erst trösten, dann lachen oder umgekehrt?

Leitkultur Sauberkeit (Foto A. Illhardt)
Leitkultur Sauberkeit (Foto A. Illhardt)

Apropos Sauberkeit: Von je her wird sowohl der Ort des „Abschüsselns“ als auch das „Groß- und Kleinmachen“ selbst mit der Assoziation des Reinigens in Verbindung gebracht. Dummerweise führt die Erledigung des besagten Geschäfts zwar zur wohltuenden Säuberung des Darms oder wahlweise der Blase, sorgt aber im Anschluss zu einer Verunreinigung des externen Entleerungsinstrumentariums. Der moderne Mensch hat neben dem Toilettenpapier in diversen Härtegraden (ein anderes Thema) und sogar Duftnoten Chemikalien entwickelt, die a) desinfizieren und b) geruchsneutralisierend wirken sollen. Manche Mittel haben eine derartige durchschlagende Wirkung, dass man bei der Anwendung Vorsicht walten lassen muss, um sich beim Vorbeikleckern keine Löcher in den Schuh zu ätzen. Bei uns Deutschen gehört ja die Sauberkeit sozusagen zur nationalen Leitkultur. Das Auto, das Haar, die Bulthaupküche und natürlich das hauseigene Bad nebst Keramikabteilung – alles muss prick und glänzend sein. Wer allerdings schon mal auf einem Autobahnparkplatz Zwischenstopp eingelegt hat, um die Retirade aufzusuchen, wird spätestens hier (wenn nicht schon vorher) an der Leitkultur zweifeln. Ich bin nicht sehr zimperlich und habe in meinem früheren Krankenpflegerleben schon so manche exkrementale Entgleisung erlebt, aber was in den Autobahn-WCs dem sehenden Auge und der riechenden Nase dargeboten wird, grenzt an mittelalterliche Bedingungen zur Blütezeit der Pest. Natürlich sind daran polnische LKW-Fahrer Schuld, werden nun die Deutschpatrioten einwenden. In einer strammdeutschen Kneipe, in der ich früher hin und wieder aus familiären Gründen verweilen musste, wurde das Klo – laut Wirtin – teilweise dermaßen verdreckt, dass sie am liebsten zwei Paar Gummihandschuhe bei der Reinigung angezogen hätte. Und Willi (Name verändert), ein Saubermann und Kirchenvornesitzer erster Güte, erwischte ich mal beim Extravorbeipinkeln (Er war zu diesem Zeitpunkt erst beim dritten Bier). Man möchte nicht wissen, was in der Kindheit solcher teutonischen Picobellosimulanten falsch gelaufen ist.

Traute Nachbarschaft (Foto A. Illhardt)
Traute Nachbarschaft (Foto A. Illhardt)

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels befinde ich mich wiederum in Frankreich, sitze unter einem Baum dessen Namen ich nicht kenne, aus dem aber ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich wohl fühlenden Zikaden zu hören ist und schreibe über all diesen Scheiß. Ich vergaß somit noch die Sonne als Motiv für das Thema. Campingplätze (ich ließ mich an anderer Stelle schon einmal darüber aus: siehe https://querzeit.org/gesellschaft/parallelwelt-campingplatz) bieten ja nun jede Menge Gelegenheit, noch einen Gesichtspunkt im Zusammenhang mit dem Latrinisieren zu erwähnen. Während man zuhause ja in der Regel mit sich und seinen Ausscheidungen allein ist, hockt man auf den Sanitäranlagen der Campingplätze zumeist in fröhlicher Runde nur durch nicht schalldichte Wände auf den oftmals brillenlosen Keramikkübeln. Hier lassen sich die reinsten Persönlichkeits- und Verhaltensstudien anstellen. So gibt es beispielsweise neben stillen Brütern Zeitgenossen, die schamlos und unverhohlen dem Ausdruck Donnerbalken alle Ehren machen. Was da so zischt, pfeift, prasselt und eben donnert macht jedem metallverarbeitendem Großbetrieb mit Eisenstanz- und pressanlagen Konkurrenz. Man muss hier wieder lernen, sich so zu entfalten, wie es der Moment erfordert. Es heißt ja nicht umsonst Notdurft und nicht Durft. Es stellt sich also die Frage: Mitdonnern, Aufschieben oder warten bis man beim Klang der Spülung in der Nachbarstallung die eigenen Geräusche vertuschen kann. Letzteres funktioniert ja nur klanglich, nicht aber was die olfaktorischen Aspekte des Vorgangs anbetrifft. Beim Betreten einer der Boxen drängt sich unweigerlich der Gedanke auf: Man hat in den letzten 57 Jahren noch längst nicht alles erlebt.

Im Auge des Betrachers (Foto A. Illhardt)
Im Auge des Betrachers (Foto A. Illhardt)

Schlussbetrachtung! Es befindet sich ja alles in einer einzigen großen Veränderung. Inzwischen bemüht sich Amazon, auch Nahrungsmittel online an den Mann oder die Frau zu bringen. Es stellt sich somit die Frage, wann der Onlineriese sich auch dieses Geschäft unter den Nagel reißt. Oder wird es gar eines Tages ganz neue stille Orte geben, die alleine schon deshalb ihren Namen verdienen, weil uns – vielleicht über Verpuffung, chemische Fermentierung oder sonstige Zauberei – die Defäkation erspart bleibt bzw. klammheimlich vollzogen wird? Ganz ehrlich: Hier bin ich ganz Puritaner. Lasst mich mit meinem Scheiß allein.