SLAPP – Juristische Einschüchterung
Wie juristischer Machtmissbrauch funktioniert

Immer häufiger werden journalistisch tätige Personen durch horrende Strafen – sogenannte SLAPP-Klagen – unter Druck gesetzt, um sie mundtot zu machen. Ein Vorgang, der nicht nur der Demokratie und der freien Presse schadet, sondern auch der Vertrauenswürdigkeit der Justiz. Politisch passiert in Deutschland wenig bis gar nichts, dabei wird es höchste Zeit, drastische Gegenmaßnahmen zu fordern.

Juristische Einschüchterung (Foto Pixabay - Bearbeitung Arnold Illhardt)
Juristische Einschüchterung (Foto Pixabay – Bearbeitung Arnold Illhardt)

Seit geraumer Zeit beobachte ich in der kritischen Presse, aber auch über journalistische Fachgruppen oder entsprechende Gewerkschaften (z.B. ver.di) sogenannte SLAPP-Klagen. Mir war dieser Begriff vorher selbst nicht vertraut und auch in Gesprächen mit Menschen, die durchaus beobachtend und reflektiert mit gegenwärtigen Gesellschaftsprozessen umgehen, musste ich feststellen, dass sie von diesem Thema bedauerlicherweise bislang nichts gehört haben. Auch wenn inzwischen viel über diesen Vorgang berichtet und auch klargestellt wurde, möchte ich mich ebenfalls dazu äußeren – frei nach dem Motto: Es wurde schon viel gesagt, aber noch nicht von allen. In diesem Fall geht es mir darum, keine Gelegenheit auszulassen, darauf hinzuweisen, dass dieser undemokratische und wie ich finde – gesetzeswidrige – Vorgang aus der Welt geschafft und Gegenmaßnahmen eingefordert werden.

Zur Erinnerung: Die Judikative (rechtsprechende Gewalt) gehört zu der Grundlagentrias eines demokratischen Staates. Die beiden anderen Bereiche sind die Legislative (gesetzgebende Gewalt) und die Exekutive (ausführende Gewalt). Warum für dieses System der Ausdruck Gewalt gewählt wurde, hat einen sehr unangenehmen Beigeschmack, soll aber vermutlich die Wichtigkeit untermauern. Somit ist natürlich das rechtsprechende Part unserer Staatsform auch klaren Regeln unterworfen, wobei auch hier Einspruch erhoben werden muss: Sind die Regeln wirklich klar oder warum gibt es so viele Schlupflöcher, Auslegungen und wie in diesem Artikel angesprochen Zuwiderhandlungen? (u.a. 1)

Zu einer solchen Zuwiderhandlung möchte ich mich aus unterschiedlichen Gründen äußeren. Die Rede ist von den sogenannten SLAPP-Klagen. Da englische Begriffe den tatsächlichen Hintergrund häufig verwässern, möchte ich im weiteren Verlauf von juristischer Einschüchterung sprechen, da m. E. so die Problematik eines Missbrauchs rechtlicher Schritte besser deutlich wird.

Die Abkürzung SLAPP steht für Strategic Lawsuits Against Public Participation und bedeutet wörtlich „strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (1)“. Darunter zu verstehen sind…

„missbräuchliche rechtliche Schritte …, die kritische Stimmen einschüchtern und von unerwünschter Berichterstattung abschrecken sollen. Das reicht von Abmahnungen bis hin zu teuren, zeitaufwändigen und nervenaufreibenden Gerichtsverfahren: Unternehmen, ressourcenstarke Einzelpersonen sowie unethisch handelnde politische Akteure setzen so juristische Mittel missbräuchlich zur Abschreckung kritischer Öffentlichkeit ein. (2)“

Mein eindringlicher Hinweis auf und Protest gegen eine wie auch immer geartete juristische Einschüchterung hat mehrere Gründe:

  • Als Mitbürger, der mit seinen Möglichkeiten versucht, die Demokratie aktiv zu unterstützen (ich sehe mich als „Radikaldemokrat“), sind mir systematische Einschüchterungen durch juristische Bereiche nicht egal, da sie m. E. unserem Staatssystem einen massiven Schaden zufügen. Daher müssen sie mit allen Mitteln aufgedeckt und beendet werden.
  • Auch wenn QUERZEIT keine große Website ist, möchte ich als Koordinationsredakteur des Kultur- und Gesellschaftsblogs dazu beitragen, die journalistische Freiheit der Berichterstattung in Deutschland und Europa zu schützen. QUERZEIT bietet u.a. kritische Artikel, die sich vor allem durch eine sehr persönliche und nicht vorgegebene, da unabhängige Berichterstattung auszeichnet. Wann erhalten wir den ersten Maulkorb?
  • Zudem sehe ich aus meiner Perspektive als Psychologe negative Aspekte (dazu später), die bislang in den mir vorliegenden Artikeln nicht oder nur unzureichend thematisiert wurden.
  • Aus meinen Darstellungen ergaben sich für mich bestimmte Forderungen, die mir leider in anderen Publikationen zu kurz kamen.

„Ein prominentes Beispiel ist der Aktionskünstler Tobias Rosswog. Gegen ihn reichten VW und Wolfgang Porsche persönlich Klagen ein, weil er im Impressum einer satirischen Website über das Unternehmen stand. Der Medienanwalt Christian Scherz forderte in einer Klage zunächst 350.000 Euro. Beide Klagen wurden aber zurückgezogen … (3)“, denn, wie Rosswog auf seiner Homepage schreibt, war seine Aktion von der Kunstfreiheit gedeckt. Tobias Rosswog ist eine bekannte Person und ein Verfahren gegen ihn – dass weiß die Justiz – würde viel Staub aufwirbeln und schlussendlich dem Kläger (Porsche) wenig zuträglich sein. Aber warum war es überhaupt möglich, eine so hohe Summe anzusetzen? Eine Mischung aus Willkür, Machtmissbrauch und Freuden der Pflicht?

Doch viel häufiger sind es nicht Berühmtheiten, auf die juristisch „gefeuert“ wird, sondern Journalistinnen/Journalisten kleinerer Zeitschriften oder des digitalen Journalismus. Werden z.B. Politiker (zumeist aus dem rechten Spektrum) vermeintlich diskreditiert bzw. über investigativen Journalismus bestimmte Vergehen öffentlich gemacht, so finden sich in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland zahlreiche Kanzleien, die mit Kusshand gegen solche Schreiber*innen zu Feld ziehen. Nicht selten werden 5 –  6stellige Summen eingesetzt, mit denen der oder die Angeklagte bestraft werden soll. Da drängt sich unbedingt der Eindruck auf, dass das Hüten der Gesetze und Rechte nicht aus einem juristischen Grundanliegen vonstattengeht, sondern eher aus rein monetären Beweggründen.

So berichtete der Deutschlandfunk:

„Für ihre Schreiben an Redaktionen (ebenfalls) bundesweit bekannt ist die Kanzlei von Ralf Höcker. Der Kölner Anwalt wirbt mit der nach ihm benannten „Rufwächter“-Methode, dass er also das Image einer Person beschützen könne. … Bei einer Medientagung in der Schweiz hielt Höcker Anfang 2017 einen Vortrag unter der Überschrift „Wie man Journalisten mit Peitsche und Kavallerie in Schach hält (4).“

Was ist das für ein demokratisches Weltbild? Ist das juristischer Humor oder muss man sich daran gewöhnen, dass die politische Einstellung in diesem Berufsfeld in denkwürdige politische Richtungen verläuft?

Ziele der juristischen Einschüchterung sind:

die Au­to­r*in­nen

  • mundtot zu machen,
  • finanziell und psychisch unter Druck zu setzen,
  • vor künftigen Meinungsäußerungen abzuschrecken,
  • die Berichterstattung zu behindern,
  • zu diskreditieren.
SLAPP-Klagen (Foto und Bearbeitung Arnold Illhardt)
SLAPP-Klagen (Foto und Bearbeitung Arnold Illhardt)

Bei solchen undemokratischen und – wie ich finde – völlig unprofessionellen Prozessen ist kaum mehr etwas von einer Recht-/Gesetzmäßigkeit zu erkennen und es stellt sich unweigerlich die Frage: Wieviel Beliebigkeit und Willkür ist im deutschen/europäischen Rechtssystem möglich? In einem Artikel wurde von der deutlich geäußerten Abneigung einer Rechtsanwaltspraxis gegen linke Journalisten berichtet. Die SLAPP-Klage schien den Verantwortlichen durchaus Vergnügen zu bereiten. Doch was hat das noch mit einer unabhängigen RECHTsprechung zu tun?

Ein vergleichender Einschub aus meinem eigenen Berufsbereich:

Bevor ich Ende letzten Jahres in den Ruhestand ging, habe ich fast drei Jahrzehnte in einer großen Fachklinik als Kinder- und Jugendpsychologe gearbeitet. Mit dieser Tätigkeit unterlag ich wie alle Psychologinnen/Psychologen einer bestimmten Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen, die z.B. besagt, auf der Grundlage der ethischen Grundsätze zu arbeiten oder die Freiheit und das Ansehen des Berufs der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Öffentlichkeit zu wahren und zu befördern. Im Grunde ist es traurig, dass es solcher Ordnungen bedarf, da sie – für mich – eine gewisse Selbstverständlichkeit darstellen. Vor etwa 20 Jahren erschien bei mir ein Vater, ein äußerst wohlhabender und einflussreicher Geschäftsmann. In einem längeren Gespräch versuchte er mich dahingehend zu beeinflussen, seine Frau als psychisch auffällig zu diagnostizieren, um das ihr zugesprochene Sorgerecht für das gemeinsame Kind übertragen zu bekommen. Ich bat ihn damals, mein Büro zu verlassen und machte diesen Vorfall bei der Ehefrau offen. Das Ende vom Lied: ich wurde als unfähiger Psychologe diskreditiert (was aber auch keinen Erfolg brachte). Heute verwundert es mich, dass er daraus keine Klage abgeleitet hat; geldgierige Juristinnen oder Juristen hätte es sicherlich zahlreich gegeben, die sich diesem Fall angenommen hätten! Aber was wäre passiert, wenn ich mich hätte verleiten lassen, GEGEN die Berufsregeln zu arbeiten? Wäre es aufgefallen, hätte mich das vermutlich meinen Job gekostet. Würde ich ein ähnliches Vorgehen bei einer Kollegin/einem Kollegen beobachten, hätte dies spürbare Folgen, da ich mich deutlich gegen diese Therapeutin/diesen Therapeuten positionieren würde. Das hat nichts mit Anschwärzen zu tun, sondern vielmehr damit, sich an ethischen Grundlagen zu orientieren.

Natürlich gibt es auch im Rechtswesen eine Ethik, die aus einer Reihe von Richtlinien und Regeln besteht, „die das Verhalten von Rechtsanwälten, Richtern und anderen juristischen Fachkräften leiten. Diese Grundsätze sollen sicherstellen, dass juristische Fachkräfte ihre Aufgaben mit Integrität, Kompetenz und Fairness ausüben. (5)“ Kernbereiche dieser Ethik sind

  • Schutz der Rechtsstaatlichkeit
  • Schutz der Rechte der Bürger
  • Erhaltung des öffentlichen Vertrauens (5)

Dabei unterliegen juristische Fachkräfte ethischen Grundsätzen wie Integrität, Unabhängigkeit, Kompetenz, Fairness und Verschwiegenheit (ebenfalls 5). Gleicht man diese Grundsätze mit dem Vorgehen der SLAPP-Klagen ab, so kommen einem mehr als nur Zweifel, ob die jeweilige juristische Person, die mit diesen Mitteln arbeitet, für ihren Beruf tatsächlich Kompetenz besitzt. Ich möchte mit einer solchen Person im Falle einer juristischen Notwendigkeit nichts zu tun haben. Privat übrigens auch nicht!

Es kann nicht sein, dass eine Juristin/ein Jurist sich kaufen lässt, um beispielsweise freien Journalismus mit horrenden Geldforderungen zum Schweigen zu bringen. Was ist der nächste Schritt: Verbot der freien Presse? Aalglatte Berichterstattung nach Wunsch des jeweils regierenden Politsystems? Gefängnis wegen unerwünschter Berichterstattung? Vermutlich verfügt keine journalistisch tätige Person über sechsstellige Geldsummen, um eine SLAPP-Klage begleichen zu können. Was bedeutet ein solcher Prozess gesundheitlich für eine Person in einer solchen Bestrafungsmaßnahme? Als Psychologe tippe ich auf Traumatisierungsprozesse, die – so der Eindruck – auch gewollt sind.

Das SLAPP-System hat aber noch ganz andere Folgen, die möglicherweise nicht bedacht wurden (jedenfalls fielen sie mir in der bisherigen Berichterstattung nicht auf!) Bei jedem Beruf schwingen bestimmte Assoziationen mit. Bei einer Ärztin/einem Arzt denkt man an eine Person, die medizinische Expertise und Menschlichkeit miteinander verbindet. Aus solchen Assoziationen, aber auch Erfahrungen und neuerdings Austausch in sozialen Medien ergeben sich schlussendlich bestimmte Konstrukte, die bei einem Arztbesuch eine wichtige Rolle spielen. Konstrukte sind für jeden Mensch wichtig, um „Landkarten“ auf dem Weg durch die Komplexität nutzen zu können. Genauso existiert auch bei Juristen ein Laienkonstrukt, in dem Gerechtigkeit, Unabhängigkeit, aber auch Ausgewogenheit bedeutsam sind. Juristinnen und Juristen sollten somit Gesetze achten und die Rechte der Mandantinnen und Mandanten wahren. Doch genau hier sehe ich eine psychologisch begründete Gefahr: Berichte über juristischen Machtmissbrauch negativieren den Berufsstand und führen zu einer ungünstigen (um es mal vorsichtig auszudrücken) Voreingenommenheit. Der umgangssprachlich gerne benutzte Begriff des „Rechtsverdrehers“ bekommt damit deutlich Aufwind. Schon jetzt haben viele Menschen Probleme, eine juristische Person aufzusuchen, weil der „Paragrafendschungel“ oft wenig nachvollziehbar erscheint. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass eine juristische Person Gesetze missbraucht oder sich nicht an vorgegebene Grundsätze hält, wird sich diese Problematik deutlich verschlimmern. Juristinnen oder Juristen, die von SLAPP-Klagen Gebrauch machen, fügen ihrem Berufsstand, aber auch der Demokratie mehr Schaden zu, als dem Volk möglicherweise bewusst ist.

Für mich stellt sich schlussendlich die Frage: Was passiert mit juristischen Personen, die von SLAPP-Praktiken Gebrauch machen? Warum duldet man solche Personen? Auf der Plattform Juraforum heißt es:

„Es ist wichtig zu betonen, dass der Umgang mit SLAPP-Klagen nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung darstellt. Die Verteidigung der Meinungsfreiheit und der demokratischen Teilhabe erfordert kollektive Anstrengungen und die Unterstützung eines breiten Spektrums von Akteuren. (6)“

In einem Artikel im SPIEGEL (Juni 25) kann man nachlesen:

„Die Bundesregierung will sogenannte Einschüchterungsklagen erschweren. Gemeint sind unbegründete Klagen, die darauf abzielen, missliebige Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung zu unterdrücken – zum Beispiel von Journalisten, Wissenschaftlern oder Nichtregierungsorganisationen. Einen Gesetzentwurf zur Umsetzung entsprechender EU-Regelungen veröffentlichte das Bundesjustizministerium (7).“

Wenn die Bundesregierung dieses Thema genauso mit Verve bearbeitet, wie Tierschutz, Klimaschutz oder Friedenssicherung sehe ich Tiefschwarz um eine Umsetzung. Im aktuellen Bundestag sind 109 von 735 Abgeordneten (14,8%) Juristinnen oder Juristen oder wie ein früherer, zudem fürchterlicher Chefarzt in einer Klinik zu sagen pflegte: „Ein kluger Fuchs scheißt selten in den eigenen Bau!“ Ich möchte den Tatbestand einer SLAPP-Klage nicht als Kavaliersdelikt bagatellisiert wissen, sondern diesbezüglich weitergehende Maßnahmen anregen. Ich fordere daher bei solchen Vergehen den Entzug jeglicher Zulassungen bei entsprechenden Anwältinnen und Anwälten, da m.E. gegen berufsrechtliche Regeln oder Gesetze – massiv – verstoßen wurde. Es kann nicht sein, dass sich ein Berufsbereich eine eigene Blase bastelt, in der er schalten und walten kann, wie es ihm beliebt.

Zu guter Letzt: Freier Journalismus bedeutet nicht, jeden Unfug schreiben zu können oder Unwahrheiten zu publizieren. Aber freier Journalismus und auch aufdeckender Journalismus sind Grundpfeiler einer gelebten Demokratie, mit der ja gerne allseits kokettiert wird. Entweder man nimmt diese Staatsform ernst und beachtet die wichtigen Grundregeln, oder man lässt es sein. Doch dann ist es keine Demokratie mehr, sondern ein erbärmlicher Willkürstaat.

Quellen:

  1. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/rechtsstaat-351/511411/die-idee-der-rechtsstaatlichkeit/
  2. ttps://taz.de/Tag-der-Pressefreiheit-2025/!6078763/
  3. Ann-Kathrin Leclere: „Mundtot geklagt“ Wochentaz 29.3. – 4.4.25
  4. https://www.deutschlandfunk.de/juristen-gegen-journalisten-wenn-anwaelte-redaktionen-100.html
  5. https://www.esela.eu/ethik-im-rechtswesen-aufrechterhaltung-der-beruflichen-integritaet-und-wahrung-der-rechtsstaatlichkeit/
  6. SLAPP Klagen und Schutz ᐅ Definition und Beispiele
  7. SLAPP: Bundesregierung will Einschüchterungsklagen teurer machen – DER SPIEGEL