Anerkennung
Ein menschliches Grundbedürfnis

Anerkennung und Bestätigung sind Grundbedürfnisse, für die manche Menschen zeitlebens kämpfen und sogar ihre Gesundheit ruinieren: Egal ob im Beruf oder im Alltag. Leider erleben viele eher das Gegenteil und Anerkennung scheint offensichtlich zumeist nur dann vorzuliegen, wenn keiner meckert. Nicht selten führt diese Frustration zur Depression.

 

Hawthorne-Effekt und schwarze Pädagogik

Anerkennung1 (Foto Arnold Illhardt)
Anerkennung1 (Foto Arnold Illhardt)

Als sogenannter Hawthorne-Effekt ging ein Phänomen in die Lehrbücher der Methodenlehre ein, das bis heute von großer Bedeutung ist, möglicherweise – betrachtet man die Realität – aber in Vergessenheit geraten ist. Zwischen 1924 und 1933 wurden unter der Leitung von Fritz Roethlisberger und John Dickson Untersuchungen in der Hawthorne-Fabrik der Western Electric Company in Chicago (USA) durchgeführt. Ziel dieser Studien, die im Auftrag des National Research Council und der amerikanischen Elektrizitätsindustrie durchgeführt wurden, war es, die Arbeitsleistung der Angestellten zu steigern. Während der Untersuchungen und Befragungen der Mitarbeiter fiel ein interessanter Begleiteffekt auf: Allein die Tatsache, dass man sich für die Arbeiter interessierte und sie im Fokus der Analysen standen, führte dazu, dass sich die Arbeitsleistungen schlagartig änderten und sogar noch nach Beendigung der Studien anhielten. Endlich bekamen die Arbeiter Anerkennung für ihre schwere Tätigkeit, doch genau das war in dem zu der Zeit vorherrschenden Taylorismus, bei dem ausschließlich Leistung und Profitmaximierung, nicht das Zwischenmenschliche ausschlaggebend war, nicht vorgesehen. Für die damals entstehende Human-Relations-Bewegung im angelsächsischen Raum war dies Öl auf den Mühlen, denn hier hatte man schon lange erkannt, dass vor allem soziale Interaktionen zwischen den Mitarbeitern selbst und zwischen Mitarbeitern und Führungskräften die eigentliche Triebfeder für eine gute Arbeitsleistung sind.

Während meiner früheren Lehrtätigkeit als Psychologe bei der Oberstufenklasse einer Krankenpflegeschule kam ich mit den Auszubildenden ins Gespräch. Sie klagten dabei über das Vorgehen der leitenden Schulschwester, die ihnen bei jeder Gelegenheit vorwarf, nichts zu können und „der unmotivierteste Haufen, der ihr je unter die Augen gekommen sei“, zu sein. Diese schwarze Pädagogik der Nonne führte zu Angst und unsicherem Verhalten, zumal die Klasse nicht besser oder schlechter als die vorherigen Ausbildungsgänge war, die sich übrigens die gleichen Vorwürfe anhören mussten. Auf meine Frage, was sie sich stattdessen wünschten, erhielt ich unisono die Antwort: Anerkennung. „Es würde uns anstacheln, wenn sie (die Schulschwester) zum Ausdruck bringen würde, dass sie an uns glaubt!“ Leider ist das Mittel der Einschüchterung und des Autoritätsmissbrauch Gang und Gebe in vielen Lehrbetrieben: Die dort verantwortlichen Ausbilder scheinen sich offenbar nur mit den Inhalten des jeweiligen Fachgebietes auszukennen, sind aber als Pädagogen eine totale Fehlbesetzung.

Bei der Betrachtung beider Beispiele überkommt mich eine traurige Grundstimmung, obliegt doch den Schlüssen eine gewisse Logik: Was, wenn nicht Anerkennung, ist das mentale Grundbedürfnis oder die Triebfeder der Menschen – egal ob im Alltag oder in der Arbeitswelt? „Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden“, sagt Joachim Bauer, Medizinprofessor aus Freiburg, der seit Jahren den Wunsch nach Anerkennung erforscht(1). In unzähligen Therapiestunden mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen meiner Tätigkeit als Psychologe in einer großen Klinik zieht sich das Thema Anerkennung wie ein roter Faden durch die verschiedenen Psychodynamiken der jungen Patienten. Oft ist diese mangelnde Bestätigung ihres Verhaltens und Tuns Grundlage für psychosomatische Erkrankungen. Natürlich soll man nichts loben, was nicht lobenswert ist, aber um wie viel besser ging es so manchem jungen Menschen, wenn man ihm auch nur ein Quäntchen mehr Anerkennung zuteilwerden ließe. Gerechtfertigte Aussagen wie: „Du schaffst das“, „ich glaube an dich“ oder „toll, wie du das gemeistert hast“ können Wunder wirken und den Empfänger dieser Botschaften mehr voranbringen, als durch das Leistungsdenken eines durch und durch kapital- und wachstumsorientierten Überbaus.

Irrationale Autorität sieht Anerkennung nicht vor

Anerkennung 2 (Foto Arnold Illhardt)

Menschen, von denen wir Anerkennung erwarten, stehen häufig in ihrer Funktion als Eltern, Vorgesetzte oder Lehrer in einem gewissen Machtverhältnis zu uns und üben damit Autorität aus. Der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm beschrieb zwei Ausrichtungen von Autorität: „Rationale Autorität beruht auf der Gleichheit desjenigen, der die Autorität besitzt und dessen, der sich ihr unterstellt. Beide unterscheiden sich lediglich im Grad des Wissens oder in der Befähigung auf einem bestimmten Gebiet. Irrationale Autorität beruht ihrer Natur nach auf Ungleichheit und das heißt gleichzeitig, auf einem Wertunterschied.“ (2) Nach Fromm tendiert das Charakteristische der rationalen Autorität dahin, dass es sich nicht „auf die emotionalen Faktoren von Unterwerfung und Masochismus…“ gründet, „sondern auf die realistische Anerkennung der Kompetenz eines Menschen etwa in seinem Beruf.“ (3) Das grundlegende Bedürfnis nach Anerkennung wurde bereits von Siegmund Freud als Sekundärtrieb bezeichnet. Und auch Karl Marx sah die Wichtigkeit der Anerkennung darin, dass wir unseren Profit vor allem deshalb machen, um das Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen.

Ich habe in zahlreichen Kliniken erlebt, wie Chefärzte, ausgestattet mit einer gravierenden Persönlichkeitsstörung, ihre Untergebenen geknechtet haben und sie immer noch knechten, weil sie der unumstößlichen Ansicht waren/sind – man würde ihnen durchaus reflektierteres Denken zutrauen – , Erfolg, Leistung und Wachstum ließen sich ausschließlich über Druck, Unterwerfung und Autoritätsgehabe regeln. Auf einer Abteilung in einem Münsteraner Krankenhaus, wo ich damals in meiner früheren Profession als Krankenpfleger arbeitete, ließen sich junge Assistenzärzte von mir vor der Chefarztvisite Beruhigungsmittel geben, um so das Übermenschverhalten des leitenden Mediziners überstehen zu können. Sein Lieblingsausspruch: Mit solchen Versagern wie euch kann ich die Straße pflastern! Leider wiederholte sich auch hier, was unzählige Male auch in anderen Bereichen passiert: Niemand setzte sich zu Wehr! Aus Angst vor Repressalien!

Anerkennung am Arbeitsplatz entsteht nicht nur durch eine angemessene (was ist das schon?) Bezahlung am Monatsende, sondern auch durch aufbauende Kommentare, durch die Übertragung von Verantwortung oder die Ausstattung des Tätigkeitsumfelds mit entsprechenden Werkzeugen oder Arbeitsgeräten (z.B. gute Beleuchtung, PC´s etc.). Warum muss man bei Großraumbüros eigentlich an Massentierhaltung denken? Muss ich als Angestellter ständig darum kämpfen, diesbezüglich Verbesserungen zu erreichen, führt dies zwangsläufig zu der Erkenntnis, nicht wahrgenommen zu werden.

Als ich anfing, über Anerkennung zu recherchieren und eigene Erfahrungen zusammenzutragen, fiel mir auf, dass es verhältnismäßig wenig Literatur speziell über dieses Thema gibt. Sicherlich, neben großen Themen wie Wachstum oder Profitmaximierung wirkt das Problem der Anerkennung wie ein kleines Pflänzchen am Wegesrand, das sich so gerade eben in der sie umgebenden Betonödnis behaupten kann. Und ich imaginiere förmlich die Vertreter des ungebremsten Wachstums in ihrem krawattierten Autoritätsdünkel, wie sie sich lächerlich machen: Anerkennung? Ja, wirft denn das überhaupt Profit ab?

Anerkennung im Alltag

Natürlich spielt Anerkennung nicht nur im Berufsleben eine Rolle; hier steht sie nur besonders im Fokus, da wir nicht nur unsere Lebenszeit für die Tätigkeit einsetzen oder gar opfern, sondern zum Teil auch unter Bedingungen arbeiten, die der Gesundheit wenig zuträglich sind. Dafür hätte man wenigstens neben dem monatlichen Gehalt Bestätigung, Lob oder eben Anerkennung. Doch diese zwischenmenschlichen Prozesse sind – wie eingangs erwähnt – auch im familiären Miteinander oder in der Partnerschaft von immenser Bedeutung. Die Menschen haben eigens Gedenktage eingeführt, an denen Anerkennung in strukturierter Form und industriell vermarktet zum Einsatz kommen: Mutter- und Vatertag oder Valentinstag. Und sogar die Posthum-Anerkennung wird durch Feiertage wie Allerseelen künstlich in Erinnerung gerufen. Sind wir Menschen tatsächlich nicht in der Lage, spontan, aus uns heraus und weil es uns ein Anliegen ist, dem Familienmitglied oder dem Partner in welcher Form auch immer Anerkennung zu schenken? Einfach so, ohne Aufforderung durch den lokalen Blumenladen?

Dieter Bohlen und der Rest der medialen Verblödungsindustrie sind die Blaupause für eine gesellschaftliche Seuche der Neuzeit: Statt Anerkennung geht es um Ausgrenzung, Public Mobbing und Runtermachen. Der blaue Daumen bei facebook ist zur Analoganerkennung geworden. Wenn ich schon woanders keine Bestätigung ernte, bekomme ich hier wenigstens Zustimmung für ein lustiges Katzenvideo oder ein nettes Urlaubsbild von mir selbst. Aber auch für Hasstexte, politische Rundumschläge oder menschenverachtende Kommentare erhalte ich die ansonsten mangelnde Anerkennung. Die seit Jahren in Deutschland und Europa grassierende neue Pestilenz des Rechtsradikalismus ist möglicherweise nichts anderes als eine Selbsthilfegruppe sozial enttäuschter und vom Leben gebeutelter Menschen auf der Suche nach Anerkennung.

Wenn die Anerkennung ausbleibt

Bei der Auseinandersetzung mit eigenen Erlebnissen, Erfahrungen und Einsichten bezüglich Prozessen wie Burnout, aber auch in aktuellen Fachartikeln zu diesem Thema stößt man immer wieder – wenn auch beiläufig – auf den Begriff Anerkennung. Menschen verzweifeln an ihrer Tätigkeit, weil sie keine Anerkennung erfahren, weil diejenigen, die ihnen diese geben könnten, nicht dazu in der Lage sind, oder weil man die Tätigkeit für selbstverständlich oder – noch schlimmer – für nicht weiter bedeutungsvoll hält. Warum sollte man die Reinigungskraft loben? Was hat der Mann von der Müllabfuhr davon, wenn wir uns bei ihm bedanken? Wieso sollten wir der Sprechstundenhilfe sagen, dass sie für die Praxis wichtig ist? Wie oben umschrieben, ist Anerkennung nicht nur ein arbeitstechnisches Thema, sondern Grundlage jeder Paarbeziehung, Familienstruktur oder Vereinszugehörigkeit. Bleibt die Anerkennung aus, entsteht bei der betreffenden Person ein zunehmendes Gefühl der Leere, Bedeutungslosigkeit oder Traurigkeit. Nicht selten sind wahlweise depressive Episoden, oder eben Burnout-Syndrome das Ergebnis.

In diesem Zusammenhang gibt es den Ausdruck „fishing for compliments“, was „das Herauslocken einer positiven Reaktion, eines Lobes durch auffallend bescheidene oder negative Selbstdarstellung“ (4) bedeutet. Diese Definition macht bereits deutlich, wie das Fischen nach Anerkennung aussehen kann:

  1. Durch immer mehr Anstrengung, Selbstüberforderung und Arbeiten am Limit;
  2. Durch eine imposante Erscheinung, Übertreibung oder Prahlerei.

Doch erschreckend groß ist die Gruppe derjenigen, die sich aufgegeben haben, nur noch funktionieren und die innere Kündigung – egal ob im Beruf, oder in der Partnerschaft! – mit sich herumtragen. Um die Frage von oben zu beantworten: Nein, das wirft keinen Profit ab. Im Gegenteil!

Fazit

Anerkennung bzw. das Streben danach ist meines Erachtens nicht nur ein Sekundärtrieb, wie Freud es ausdrückte, sondern sollte eine Beförderung auf die Stufe der Primärtriebe erfahren. Wenn man beobachtet, wie Kinder oder Jugendliche aufblühen, wenn man ihnen berechtigte Anerkennung gibt und sie als ernstzunehmende Person behandelt, kommt man zwangsläufig zu dem Resultat, welch hohen Stellenwert Anerkennung hat. Und ein weiterer Schluss dieser Überlegung ist, wie wenig soziale Intelligenz jene besitzen, die solche Bestätigung oder Beachtung verweigern.

Anerkennung 3 (Foto Arnold Illhardt)
Anerkennung 3 (Foto Arnold Illhardt)

Als ich mir selbst bewusst wurde, wie sehr ich Anerkennung hinterherhechelte und wie krank mich das machte, keine oder nur wenig zu erfahren, führte dies zu einem interessanten Umdenken: Ich schämte mich förmlich, mich abhängig von vermeintlichen Obrigkeiten gemacht zu haben. Welcher Mensch – außer er ist aus Gründen einer schweren Intelligenzminderung oder einer geistigen Behinderung nicht anders in der Lage – braucht eine ihn maßregelnde Person? Man bedenke, dass vermeintliche Chefs oder Vorgesetzte keine Chefs oder Vorgesetzte wären, gäbe es nicht die Personen, die ihnen die Funktion ermöglichen. Jeder ist gleich wichtig in dem Arbeitsgetriebe. Ich lernte, für mich nur noch rationale Autoritäten zu akzeptieren und mir selbst Anerkennung auszusprechen, sowohl für kleinere, als auch für größere Aufgaben, die ich zu meiner Zufriedenheit durchgeführt hatte. Was nutzte mir die Anerkennung von einer Leitungsperson, die gar keine Ahnung von meiner Tätigkeit hat? Wäre es nicht viel wichtiger, mir selbst gegenüber mehr Wohlwollen zu zeigen und mich selbst anzuerkennen?

Dieser Ansatz einer gedanklichen Umstrukturierung mag nicht jedem aus sich selbst heraus gelingen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, sich zu hinterfragen, warum der Aspekt einer Anerkennung eine möglicherweise so große Rolle spielt und von wem man tatsächlich Anerkennung erwartet. Vor allem gilt es zu erkennen, inwieweit man sich in einen Leistungsteufelskreis begibt: Ich möchte Anerkennung –> also leiste ich mehr als ich muss –> bekomme ich weiterhin keine Anerkennung, erhöhe ich meine Schlagzahl usw. Befinde ich mich bereits in einem solchen Dilemma, ist es ratsam, eine Psychotherapie aufzusuchen, um hier die eigene Dynamik erkennen zu lernen. Oftmals entsteht ein Aha-Effekt erst im Gespräch. Aber wer therapiert eigentlich den Führungsbereich? In den wenigsten Fällen verfügen Vorgesetzte, Chefs etc. über eine Grundausbildung in der Führung von Mitarbeitern. Und ob hier Grundannahmen eines Human-Relation- Ansatzes vermittelt werden, wage ich zu bezweifeln. Übrigens kam ich auf einer Party mit dem Chef einer großen Firma ins Gespräch, der den Abend – zu meinem Nachsehen – als Therapieeinheit nutzte. Seine Anklage: Es gab niemand in seinem Betrieb, der ihn lobte und ihm positive Rückmeldungen gab.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der vor allem eine ausgeprägte Ich-Haltung, verbunden mit viel Ellbogeneinsatz und materialistischem Denken herrscht. Und „herrscht“ bedeutet, dass diese Vorgänge tonangebend sind. Da hat natürlich ein Ansatz, der die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Fokus rückt, wenig Bedeutung. Aber dass ein solches Miteinander unser Leben bestimmt, liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir es unterstützen und mitgestalten. Wünscht man sich Anerkennung, wäre es vielleicht auch ratsam, mal selbst damit anzufangen. Fast niemand bemerkt von sich aus das Verdienst eines anderen, meinte der französische Schriftsteller Jean de La Bruyère. Neulich wurde ich von einer wildfremden Frau auf meine Jacke angesprochen, die ihr sehr gefiel. Ich bedankte mich und gab das Lob an meine Schwiegermutter weiter, die sie genäht hatte. Zweimal Anerkennung auf einen Streich. So kann´s gehen!

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  1. Aus: Katrin Zeug: Süchtig nach Anerkennung. In ZEIT Wissen Nr. 4/2013 https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/04/psychologie-soziale-anerkennung
  2. (1947a: Psychoanalyse und Ethik. Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie, in: Erich-Fromm-Gesamtausgabe (GA) Band II, S.11)
  3. https://fromm-online.org/autoritaet/
  4. https://www.duden.de/rechtschreibung/Fishing_for_Compliments