Löcher sind wie Politik: Sie sind da, wo etwas nicht ist. Oder war es umgekehrt? Eigentlich keine Satire.
In grauer, grauer Vorzeit hatten ein paar findige, wie windige Zeitgenossen eine geniale Gesellschaftsidee. Ihnen war aufgefallen, dass die meisten Menschen zu blöde waren, ein Loch in die Erde zu graben. Deswegen, so der Plan, mussten ein paar stattliche und anerkannte Personen her, die es vortrefflich verstanden, zumindest so zu tun, als könnten sie die dicksten Löcher buddeln. Das gemeine Volk war überglücklich und froh, fortan nicht mehr selbst Hand anlegen zu müssen. Man nannte diese Geschäftsidee Politik, was ja so viel wie “Dinge, die die Stadt betreffen” bedeutet, was wiederum ungemein selbstlos und edelmenschlich klingt. Mit einem Affenzahn verbreitete sich dieser brillante Gedanke um den ganzen Globus. Es zeigte sich aber alsbald, dass es ganz unterschiedliche Ansichten über das Buddeln von Löchern gab: die einen setzten sich für runde Löcher ein, andere für eckige, manche hielten tiefe Löcher für das non plus ultra, während wieder andere gar nicht erst mit dem Buddeln anfingen, sondern nur endlos darüber diskutierten. Es gab sogar welche, die hielten sich selbst für die Inkarnation des Loches. Aber ganz egal, wie lochlos oder löchrig ihre Philosophie war, es fanden sich immer irgendwelche Hohlbürger, die den Unfug gut fanden und der jeweiligen Politikrichtung ihre Stimme und somit auch ihr Vertrauen schenkten. Man nannte diese Richtungen später Parteien und diejenigen, die die jeweilige Lochhaftigkeit vertraten, Politiker.
Letztere stellten irgendwann fest, dass sie eigentlich tun und machen konnten, was sie wollten, selbst wenn die Löcher so tief waren, dass sie anderen das Wasser abgruben, was eigentlich unlochgemäß war. Auch ist es bis heute den Parteien schlussendlich egal, ob nun Löcher gebuddelt werden oder nicht: Hauptsache, man kann die Löcher der anderen schlecht machen oder bestenfalls noch im Vorbuddelstadium im Keim ersticken lassen. Und so kommt in der Regel, aber auch außerhalb bei aller Politisiererei meist nichts wirklich Produktives heraus, auch wenn grade ein bestimmtes Lochkonzept dringend erforderlich ist. Gut, manchmal murren die Menschen deswegen, schlimmstenfalls organisieren sie sogar Demonstrationen oder schmieren Worte wie “Drecksloch” an Häuserwände, aber das sind meist nur leere Drohungen. Die meisten Menschen denken eben: Besser ein So-als-ob-Loch, als dass ich es selbst graben muss. Außerdem traut sich niemand zu sagen, Parteien seien doof und gehörten abgeschafft, weil das sozusagen der Anfang vom berühmten Ende wäre und zwangsläufig alle Löcher in Schutt und Asche legen würde. Denkt man jedenfalls! Also toleriert man jedes Loch, auch wenn es in Wirklichkeit gar keins ist.
Hinzu kommt, dass sich die Politiker mit der Zeit eine Geheimsprache zugelegt haben, die niemand richtig versteht, außer man hat politische Lochlehre studiert. Wollen Politiker beispielsweise zum Ausdruck bringen, dass ein Loch zu groß sei, so sagen sie nicht einfach, “das Loch ist zu groß”, sondern schwurbulieren Sätze wie: “die Lochhaftigkeit besagter Subjekte umfasst inzwischen eine groteske Bodenlosigkeit, die dringend vernünftiger Regulationsmechanismen bedarf.” Da niemand zugeben mag, dass er nichts, aber auch gar nichts verstanden hat, wird auch grundsätzlich nicht nachgefragt. Und käme man auf die aberwitzige Idee, doch zu fragen, so bereut man dies nach kürzester Zeit, weil die Antwort meist noch schwurbeliger klingt als die Aussage selbst. Und so können Politiker im Grunde Löcher bohren, wie und wo sie wollen. Und in dieser gewaltigen Blase des Nicht-mehr-verstanden-Werdens herrscht natürlich das Gesetz des ungezügelten Krebsgeschwürs: Um von dem dicken Kuchen des unnützen Löcherbuddelns möglichst viele Stücke abzubekommen, entstanden unzählige Ministerien, Abteilungen, Behörden, Gremien, Institute, Parlamente, Zirkel und Vereinigungen und lobpriesen sich gegenseitig in brüderlicher Großlöchrigkeit. Der reinste Moloch! Im Grunde sind die ganzen Einrichtungen vor allem dafür da, um im Wege zu stehen und die Bürger vom Selbstbuddeln abzuhalten. Aber es gibt sie trotzdem, was bis heute eines der großen Rätsel der Politik darstellt.
Da alles so schön unübersichtlich ist, dauerte es nicht lange, bis sich namhafte Lochindustrielle und -bänker bei den Politikern meldeten, um völlig uneigen- und selbstredend gemeinnützige Angebote zu machen. Also zum Beispiel schlugen sie vor, im Falle eines Nichtzustandekommens von bestimmten Löchern, eine Parteispende in – sagen wir – 6stelliger Höhe zu tätigen oder mit den Politikern mal richtig die Sau aus dem Loch zu lassen. Da konnte natürlich niemand so richtig und vernehmlich Nein sagen. Warum auch! Ob nun gebuddelt wird oder nicht, interessiert letztendlich Niemanden, außer vielleicht ein paar gesellschaftskritische (man nannte es früher auch links sein) Zeitungen. Aber die echauffieren sich eh über alles Mögliche, weswegen sie keiner richtig lieb hat. Und wenn´s mal richtig brenzlig für die Politiker wird, sagen sie einfach “wir müssen ernsthaft das Procedere der momentanen Lochbuddelei auf Nachhaltigkeit prüfen und dies eingehend auch im Bundeslochrat diskutieren”, was alle beschwichtigt und die komischen Zeitungen verdammt alt aussehen lässt.
Irgendwann war die ganze Republik, was sag ich, die ganze Welt voller Löcher, Halblöcher und Quasilöcher, so dass alle dachten, auch die, denen das Denken bisher erspart blieb, es wäre lochpolitisch alles gesagt und getan. Und wenn auch nur so als ob. Manche Löcher fingen sogar an, halbwegs Sinn zu machen. Da meldete sich sozusagen aus dem Nichts die Anti-Lochpartei, die alle Löcher infrage stellte und meinte, dass dieses Lochhafte völkisch verderblich sei. Zudem sei es an der Zeit, mal den ganzen „Lochscheißladen“ (O-Ton) hochgehen zu lassen. Was sie stattdessen machen wollten, sagten sie zwar nicht, aber es langte allemal, dass viele politeuphorisch entrückt „Es reicht“ oder „Mut zur Lochlosigkeit“ brüllten! Die Anti-Lochbürger krochen aus ihren…ääähm Löchern, rannten auf die Straßen und riefen in jedes hingehaltene Mikrofon: Ich bin zwar kein Anti-Lochler, aber das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Auch hielten sie Plakate hoch, auf denen z.B. „Löcher müssen weg“ stand. Dass die neue, im Grunde aber alte Anti-Loch-Partei selbst den ganzen Tag damit beschäftigt war, Löcher zu buddeln oder es zu mindestens versuchte, interessierte schlussendlich keine Sau. Um mit Tucholsky zu enden: Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Aber das bringt uns politisch auch nicht weiter.
Siehe auch https://de.wiktionary.org/wiki/L%C3%B6cher