Arnold: Maike, was sollte man über deine Person wissen?
Maike: Ich bin im Juni diesen Jahres 18 Jahre alt geworden. Aktuell mache ich Abitur mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Biologie und werde dieses voraussichtlich 2025 abschließen.
Arnold: Du hast mir mal erzählt, dass es schon immer ein großer Traum von dir war, nach Finnland zu reisen. Mich hat das überrascht, da junge Menschen zumeist andere Ziele angegeben, die sie unbedingt mal besuchen wollen: Australien, Amerika oder die Malediven. Wie ist bei dir dieser Reisewunsch entstanden?
Maike: So ganz genau weiß ich das tatsächlich gar nicht mehr, aber ich glaube, es fing an, als ich mich ca. 2019 intensiver mit Politik beschäftigte. Dabei ist recht schnell aufgefallen, dass in Finnland einiges besser läuft als in Deutschland. Das Schulsystem ist zum Beispiel besser, und auch die Frauenquote in der Regierung ist deutlich höher. Außerdem finde ich die Natur dort wunderschön. Ich komme mit Kälte ohnehin besser klar als mit Hitze. Und ich dachte mir, dass Finnland irgendetwas Besonderes haben muss, wenn dort so viele gute Metalbands herkommen. Dem wollte ich auf den Grund gehen.
Wer sich etwas mit Finnland beschäftigt, wird schnell auf den Begriff „Sisu“ stoßen. Dabei handelt es sich um eine Art Beschreibung der finnischen Mentalität. Man kann den Begriff am ehesten mit „Beharrlichkeit“ oder „Unnachgiebigkeit“ übersetzen. Das Miteinander in Finnland wird oft als eher distanziert beschrieben: Man redet nicht viel miteinander. Wenn man nichts zu sagen hat, sagt man auch nichts. Dieses Miteinander und finnische Lebensgefühl wollte ich selbst einmal hautnah erleben.
So hat sich der Wunsch, nach Finnland zu reisen, immer weiter gefestigt und wurde immer präsenter in meinen Gedanken.
Arnold: Was ebenfalls ungewöhnlich ist: Du bist alleine nach Finnland aufgebrochen. Hatte das einen bestimmten Grund und wie hat Dein Umfeld darauf reagiert?
Maike: Ich hatte in meinem Leben oft Probleme damit, Freundschaften zu knüpfen, die mir das gegeben haben, was ich mir wirklich erhofft und was ich wirklich gebraucht habe. In den letzten Monaten habe ich durch viel Selbstreflexion und mehr Offenheit für neue Erfahrungen gemerkt, dass ich bei bestimmten Aktivitäten alleine oft so viel mehr Spaß habe als mit Freunden, die eher andere Interessen haben oder meine Leidenschaft für bestimmte Dinge nicht richtig verstehen oder teilen können oder wollen.
So habe ich angefangen, mir zuzutrauen, Dinge alleine zu machen, die ich sonst gar nicht gemacht hätte. Ich habe schnell gemerkt, dass das meine Lebensqualität immens verbessert hat und habe diese Vorgehensweise schnell weiter ausgeweitet. Als ich dann die Möglichkeit bekommen habe, diese Reise anzutreten, war mir sofort klar, dass ich das alleine machen würde. Ich wollte mich komplett frei fühlen, alles, was ich mache, für mich machen und keine Kompromisse eingehen müssen.
Man kann vielleicht auch sagen, dass ich mir damit den ultimativen Beweis geliefert habe, dass ich mit Selbstvertrauen viel mehr erreichen kann, als ich mir vorher zugetraut habe. Außerdem hatte ich die Vorstellung, durch das Alleinreisen entspannter in ungewohnten Situationen zu werden und mehr Selbstsicherheit zu erlangen.
Ich bin mir sicher, dass die Reise mit Freunden zusammen auch sehr schön und bereichernd gewesen wäre, jedoch grundsätzlich anders und nicht das, was ich in diesem Moment erleben wollte und gebraucht habe.
Arnold: Beschreibe einmal deine Route nach und durch Finnland! Hast Du bestimmte Prioritäten gesetzt? Und wie lange warst Du unterwegs?
Maike: Meine Eltern haben mich von meiner Heimatstadt Lüdenscheid nach Hagen gefahren. Von dort ging mein erster Zug nach Hannover und dann weiter nach Hamburg, der letzten Station in Deutschland. Von Hamburg bin ich mit dem Nachtzug siebeneinhalb Stunden nach Malmö, Schweden, gefahren. Von dort ging es in 14 Stunden nach Umeà, das liegt schon weiter nördlich in Schweden.
In Umeà habe ich eine Nacht in einem Airbnb übernachtet, da mein Anschlusszug erst acht Stunden später am nächsten Morgen kam. Von Umeà ging es mit dem Zug nach Boden, ebenfalls in Schweden. Von dort aus fuhr ich nach Haparanda, zur schwedisch-finnischen Grenze. Ab hier ging es vorerst mit dem Bus weiter. Dieser brachte mich über die Grenze nach Kemi, dem ersten Halt in Finnland! Von Kemi fuhr ich eine Stunde mit dem vorerst letzten Zug nach Rovaniemi, meinem ersten längeren Aufenthalt auf der Reise.
Ich bin am Freitagnachmittag in Lüdenscheid losgefahren und zwei Nächte später, am Sonntagabend, in Rovaniemi angekommen. Dort blieb ich eine Woche. Nach dieser Woche ging es mit dem Reisebus etwa eine Stunde weiter Richtung Norden zum Käyrämojärvi. Von der Bushaltestelle musste ich noch eine Stunde durch den Wald zu meiner Hütte am See laufen, in der ich mich ebenfalls eine Woche aufhielt.
Nach dieser Woche ging es zurück mit dem Bus nach Rovaniemi und am selben Tag mit dem Nachtzug etwas über zwölf Stunden von Rovaniemi im Norden Finnlands nach Helsinki ganz im Süden, meinem letzten längeren Aufenthaltsort der Reise.
Die Heimreise verkürzte ich dann etwas, indem ich die Fähre nahm, die in 31 Stunden von Helsinki nach Travemünde fährt. Von Travemünde fuhr ich spät abends mit dem Bus zum Lübecker Hauptbahnhof und wartete dort ab ca. 23 Uhr auf den Zug nach Hamburg, der um 4:40 Uhr kam. Von Hamburg ging es dann nach Hagen und schließlich zurück nach Lüdenscheid.
Insgesamt war ich ca. 84 Stunden alleine in Zügen, Bussen und auf der Fähre. Die Wartezeiten dazwischen kommen noch dazu. Ich habe im Vorfeld versucht, die Reise so zu planen, dass ich möglichst kurze Zeit nachts an Bahnhöfen warten musste. Ansonsten habe ich darauf geachtet, dass die Züge im Interrail-Passnetzwerk enthalten sind.
Arnold: Was war dein erster Eindruck, als du in Finnland Boden unter den Füßen hattest?
Maike: Mein erster Halt in Finnland war am Bahnhof in Kemi. Dort gab es ein kleines, nettes Café, in dem ich meine Wartezeit verbracht habe. Alle dort waren sehr nett. Mich hat überrascht, wie gut die meisten Finnen Englisch sprechen. Außerdem war die Auswahl an veganen Speisen und Getränken größer, und es wird wirklich alles mit Karte gezahlt – Bargeld ist oft nicht so gern gesehen. Sonst war auf den ersten Blick nicht so viel anders als hier, außer der Sprache natürlich.
Arnold: Finnland ist laut World Happiness Report 23 das glücklichste Land der Welt. Auf der anderen Seite existiert dort ein starker Rechtsruck verbunden mit einem ausgeprägten Alltagsrassismus. Wie geht das zusammen und wie waren Deine Erfahrungen?
Maike: Leider spüren wir momentan in ganz Europa und auch darüber hinaus einen starken Rechtsruck. Davor ist Finnland leider ebenfalls nicht sicher. Das Wählen rechter Parteien ist eigentlich immer ein Symptom von Unsicherheit. Aktuell gibt es viele Faktoren, die die Menschen überall verunsichern, sei es beispielsweise die Klimakrise, der Krieg in der Ukraine oder der Krieg im Nahen Osten. Viele neigen dazu, rechts zu wählen und auf die einfachen populistischen „Lösungen“ komplexer Probleme hereinzufallen, sobald sie mit der Realität überfordert sind. Das geht Hand in Hand mit dem Rassismus. Für viele Menschen ist es einfacher, Menschen mit anderer Herkunft für all das verantwortlich zu machen, was sie unzufrieden macht. Gerade Menschen mit dunkler Hautfarbe sind dabei ein einfaches Feindbild, von dem sich Weiße leicht abgrenzen können.
Mir ist aufgefallen, dass die Menschen dort, wo es ihnen eigentlich noch am besten geht, schnell für rechts entscheiden, sobald die Möglichkeit besteht, dass sie ihre Privilegien zum Wohle der Allgemeinheit zurückschrauben müssten. Sei das im Allgemeinen die Bevölkerung auf dem Land im Kontext Deutschland oder die Finnen im Kontext Europa.
Deshalb funktioniert es trotzdem, dass die Finnen das glücklichste Land der Welt sind und gleichzeitig das zweitrassistischste Land in Europa (laut der Studie „Being Black in the EU“ der „European Union Agency for Fundamental Rights“ aus 2019).
Während meiner Reise habe ich in Bezug auf offensichtlichen Rassismus nicht viel direkt mitbekommen. Die Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, waren eher meiner politischen Gesinnung entsprechend. Mir ist jedoch aufgefallen, dass die Lieferanten der verschiedenen Lieferservices für Essen ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund waren. Ich kann mir das nur so erklären, dass die Unternehmen nicht direkt die Menschen anstellen, sondern dies durch Subunternehmen erledigen lassen. So können sie Geld sparen, doch am Ende leiden die Fahrer darunter. Da es Menschen mit Migrationshintergrund auch in Finnland oft schwer haben, aufgrund der rassistischen Überzeugungen vieler Arbeitgeber gute Jobs zu finden, sind die Anstellungen bei solchen Subunternehmen oft die einzige Möglichkeit.
Arnold: Ich las irgendwo, dass Finnen keine oberflächlichen Menschen, sondern sehr offen und sozial sind. Wie hast Du die Menschen dort bei Deinen Begegnungen erlebt?
Maike: Interessant, ich habe eher den Eindruck, dass über Finnen als eher distanziert und sehr verschwiegen berichtet wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen tatsächlich eher für sich sind und nur etwas sagen, wenn sie auch tatsächlich etwas zu sagen haben. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass jeder sehr hilfsbereit ist und man sich in den meisten Fällen auf den anderen verlassen kann.
Es kommt natürlich auch immer darauf an, in welchem Kontext man jemanden trifft. Ich glaube, dass die Menschen in der Bubble, in der ich mich meistens bewege, eh eher offen und sozial sind. Daher hatte ich den Eindruck, dass das die verbreitetere Form ist.
Ich habe mich aber auch mit einer Einheimischen unterhalten, die mir berichtete, dass diese verschlossene, distanzierte Art eher üblich ist. Ich denke, da ist der Unterschied zwischen dem Leben in der Stadt und auf dem Land auch nochmal sehr groß. Meistens hatte ich eh eher mit Menschen in einem Dienstleistungskontext zu tun. Daher war der Umgang dort natürlich offener, da ich Kundin war. Bei den Gelegenheiten, bei denen ich mich länger mit Menschen unterhalten habe, ohne dass ein Dienstleistungskontext bestand, hatte ich das Gefühl, dass diese sehr offen, freundlich und an einem sinnvollen und respektvollen Austausch interessiert waren.
Das lag aber wahrscheinlich auch an der Bubble, in der dies stattfand.
Arnold: 75 Prozent der Oberfläche des Landes ist mit Wäldern bedeckt. Du hast einige Tage allein in den Wäldern verbracht. Wie waren deine Erfahrungen mit dem Alleinsein und wie hast du das Eintauchen in so viel Natur für dich erlebt?
Maike: Während meines einwöchigen Aufenthalts in der Hütte am Käyrämöjärvi habe ich auf viele komfortable Luxusgüter verzichtet. Ich hatte weder Strom noch fließend Wasser und habe bewusst auf mein Handy verzichtet. Ich hatte einen Kamin, mit dem ich die Hütte warmhalten konnte, und einen kleinen Gasherd zum Kochen.
Sowohl das Wasser als auch die Lebensmittel habe ich von der Tankstelle gekauft und dann eine Stunde zu Fuß zur Hütte gebracht. Für mich war diese Zeit sehr schön und entspannend. Ich konnte komplett herunterfahren. Da meine einzigen Aufgaben Essen und Feuer machen waren, konnte ich mich sehr fallen lassen und entspannen. Jeglicher gesellschaftliche Druck war für eine Woche verschwunden. Für mich selbst war das Allein- und Abgeschottetsein kein Problem. Im späteren Austausch mit anderen habe ich jedoch gemerkt, dass viele extreme Probleme damit hätten, alleine zu sein. Daher glaube ich, dass man sich wirklich darauf einlassen können muss und den richtigen mentalen Zustand braucht, um so eine Erfahrung als angenehm oder bereichernd zu erleben.
Arnold In manchen Ländern merkt man sofort, dass man sich in einer ganz anderen Kultur befindet. Wie waren Deine Eindrücke bezüglich finnischer Kultur und was hat dich besonders fasziniert?
Maike: Im Allgemeinen hatte ich das Gefühl, dass Finnen mehr Wert auf Autonomie legen und generell lockerer sind. Trotzdem wird in Finnland viel Wert auf die Privatsphäre gelegt, und es wird sich selten ungefragt in das Leben anderer eingemischt. Das hängt natürlich auch davon ab, in welchen Kreisen man sich bewegt.
Ein großer Unterschied ist natürlich die Saunakultur, die in Finnland extrem ausgeprägt und fest verankert ist. Mich hat zuerst die Offenheit fasziniert, die mir in Gesprächen entgegengebracht wurde, da ich eher mit Verschlossenheit gerechnet hätte. Ich habe mich in Finnland in der Öffentlichkeit tatsächlich wohler gefühlt als in Deutschland. In Finnland hatte ich den Eindruck, dass es die Menschen weniger interessiert, welchen Kleidungsstil man hat, und dass auch eher Auffällige besser akzeptiert werden als in Deutschland. Aber auch das hängt sicherlich von der Region ab.
Arnold: Ich weiß, dass Du ein Fan von hartem Metalsound bist. Viele berühmte Bands dieses Genres stammen aus Finnland. Gab es diesbezüglich Berührungspunkte und hast Du eine Erklärung, warum diese Musik ausgerechnet in Finnland bzw. Skandinavien allgemein so viel Zuspruch erfährt?
Maike: Berührungspunkte mit Metal hatte ich auf jeden Fall. An meinem letzten Abend in Helsinki war ich bei einem Konzert von Arch Enemy und In Flames mit Support von Soilwork. Es sind jedoch keine finnischen, sondern schwedische Bands. Alle drei Bands machen Symphonic Death Metal.
Neben mir saßen zwei Männer, die Soilwork sehr gut fanden und zwischendurch immer wieder mit den Bandmitgliedern interagierten. Am Ende des Soilwork-Konzerts wollten die Bandmitglieder Plektren zu den beiden Männern werfen. Eines ist jedoch unter den Sitz gefallen, was die beiden nicht bemerkt haben. Ich habe das Plektrum dann aufgehoben und einem der beiden gegeben. So sind wir ins Gespräch gekommen und haben uns über Musik und ein paar andere Themen ausgetauscht. Wir haben immer noch sporadischen Kontakt über Instagram und tauschen uns über Musik aus.
Ich hätte mich an dem Abend sehr über ein Plektrum von Arch Enemy gefreut, das ich jedoch nicht bekommen habe. Lustigerweise fuhr ein Teil der Arch Enemy Crew mit derselben Fähre wie ich. Beim Abendessen auf der Fähre gab mir ein Crewmitglied dann ein Arch Enemy Plektrum von der Tour, da er mich aufgrund des Merchs, das ich anhatte, zuordnen konnte. Er war sehr nett und hat mir damit eine unglaubliche Freude bereitet.
Ich habe mich auch mit zwei anderen, die ich in Helsinki kennengelernt habe, über finnischen Metal und vor allem über Nightwish und Apocalyptica unterhalten. Allgemein habe ich in Helsinki viele Menschen mit Metal-Shirts gesehen. Das Thema ist also bei vielen gut geeignet, um ein Gespräch zu starten und Gemeinsamkeiten zu finden.
Eine wirkliche Erklärung für den vermehrten Zuspruch von Metal in Finnland habe ich ehrlich gesagt nicht. Vor ein paar Jahren hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass Metal oft komplexer ist als beispielsweise Pop und es in Skandinavien und Finnland vielleicht einfach mehr Menschen gibt, die einen höheren Anspruch an Musik haben und somit eher Metal hören. Das kann man aber so allgemein nicht sagen, da Metal nicht gleich Metal ist und es bei Musik primär um das Gefühl geht, das vermittelt wird. Eine mögliche Erklärung ist, dass die finnischen Winter kalt und dunkel sind – das könnte in eher düsterer Musik besser verarbeitet werden.
Außerdem hat Metal oftmals eine empowernde Wirkung, was in solchen Zeiten sicherlich hilfreich ist. Ich habe auch einmal die Theorie gehört, dass die Finnen aufgrund ihrer geschichtlichen Hintergründe das Gefühl kennen, nicht über ihr eigenes Schicksal bestimmen zu können, und sich diese Fähigkeit irgendwann mühsam erkämpfen mussten. Im übertragenen Sinne sprechen viele Metalheads auch oft über dieses Gefühl und verarbeiten es in ihrer Musik.
Arnold: Lappland wird als letzte ungezähmte Wildnis Europas bezeichnet. Wie wirkt eine solche tiefe Natürlichkeit auf einen Menschen, der vor allem Zivilisation gewohnt ist?
Maike: Wirkliche Urwälder gibt es leider auch in Finnland kaum, da muss man eher in Richtung der russischen Grenze fahren. Finnland ist von der Forstwirtschaft geprägt, und die meisten Wälder sind kultiviert. Trotzdem wirkt die Natur oft unberührt und, wie du es gesagt hast, tief natürlich. Da ich ja direkt von der Hütte nach Helsinki gefahren bin, habe ich den extremen Kontrast noch deutlicher gespürt: von der einsamen Hütte in die Großstadt.
Mich hat das vor allem gelehrt, dass sowohl das eine als auch das andere seine Vorzüge hat und man für seinen persönlichen Alltag versuchen kann, von beidem das Beste beizubehalten.
Arnold: Denke ich an Finnland, so fällt mir eine eher ursprüngliche Architektur ein, doch ist das skandinavische Land auch bekannt für eine sehr moderne Bauweise, vor allem in Helsinki. Was ist Dir in den Städten aufgefallen?
(M) Architektonisch ist vor allem Helsinki etwas Besonderes. In den Straßen gab es viele ältere Gebäude, schön mit Stuck und Malereien verziert, jedoch ist Helsinki auch bekannt für seine moderne Architektur. Meiner Meinung nach hat die Stadt es sehr gut geschafft, den Charme der alten Gebäude mit der Moderne und neu gebauten Gebäuden zu kombinieren. Ich persönlich bin eigentlich kein großer Fan moderner Architektur, jedoch fand ich Helsinki sehr ansprechend – durch die zwar moderne Architektur, die aber trotzdem nicht seelenlos wirkte. Ich hatte eher das Gefühl, dass eine gute Balance zwischen Alt und Neu gefunden wurde, die der Stadt Charme verleiht und sie trotzdem modern wirken lässt.
Arnold: Gab es ein ganz besonderes Erlebnis oder Ereignis bei der Reise?
(M) Auf jeden Fall! Es gab viele ganz besondere Momente, aber einer ist mir noch besonders präsent in Erinnerung. An meinem letzten Freitag in Helsinki habe ich zwei sehr nette Menschen kennengelernt, mit denen ich mich gut verstanden habe. Nachdem wir einen schönen Abend verbracht hatten, unterhielten sich die beiden kurz auf Finnisch. Danach fragten sie mich, ob ich Lust hätte, mit ihnen in eine bestimmte Sauna zu gehen und dort den Abend ausklingen zu lassen. Nach kurzem Überlegen dachte ich mir: „Warum eigentlich nicht?“ – und stimmte zu.
Wir sind dann zusammen zur Sompasauna in Helsinki gefahren. Auf dem Weg dorthin erklärten sie mir, dass es sich um eine anarchistische Sauna handelt. Ich konnte mir darunter erst einmal gar nichts vorstellen und war sehr gespannt. Als wir an einem dunklen Parkplatz ankamen und ausstiegen, sah ich in einigen Metern Entfernung schwach mit Lichterketten beleuchtete Holzhütten. Wir gingen zu einer Bank mit Kleiderhaken und machten uns fertig für die Sauna. Die Atmosphäre war ganz besonders. Es war ruhig, und an einem Klavier saß ein Mann, der eine sehr schöne, ruhige Melodie spielte. An den Dächern einiger Hütten waren Lichterketten befestigt, die den Bereich gerade so weit beleuchteten, dass man alle Umrisse erkennen konnte. Auf einer Seite führte eine Treppe in das kalte Wasser einer Bucht.
Es gab insgesamt drei Saunen: eine sehr heiße, eine etwas kühlere und die am wenigsten heiße, die auch Touristensauna genannt wurde. Wir gingen zuerst in die mittlere und anschließend eine Runde ins kalte Wasser. Das Gefühl war unbeschreiblich. Zuerst zieht sich alles zusammen, und du denkst, du kannst dich kaum bewegen. Dann wird alles ganz klar, und man fühlt sich extrem präsent im Moment.
Als ich aus dem Wasser stieg, fühlte ich mich einfach nur lebendig. Ich spürte mich selbst und meinen Körper. Selbst die kalte Luft empfand ich nicht als unangenehm, und obwohl es nur knapp über 0 °C war, habe ich nicht gefroren. Einer der beiden meinte dann, dass sie mir nun zeigen würden, wie heiß eine „wahre“ finnische Sauna ist. Wir gingen in die heißeste der drei Saunen. Er erklärte mir, wie ich mich verhalten sollte, falls es zu heiß werden würde. Ich genoss jede Sekunde dort, auch wenn es zunehmend heißer und schwerer auszuhalten war. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Atmen schwieriger wurde, und ich ging hinaus. Ich atmete kurz durch und ging erneut ins Wasser. Ich fühlte mich extrem lebendig und vollkommen mit dem Moment verbunden. Zum Abschluss gingen wir noch in die kühlste Sauna und dann ein letztes Mal kurz ins Wasser. Anschließend zogen wir uns an, holten etwas zu essen, und ich wurde nach Hause gefahren.
An diesen Abend denke ich sehr oft und sehr gerne zurück, weil die Stimmung so besonders und das Gefühl so intensiv war. Ich bin unendlich dankbar, diese Erfahrung gemacht und diese Menschen getroffen zu haben.
Arnold: Würdest du anderen jungen Menschen das Land weiterempfehlen? Wenn ja, warum?
Maike: Ja! In Finnland gibt es für jeden Geschmack etwas. Egal, ob man nach außergewöhnlichen Erfahrungen sucht, sich bilden möchte, die Natur entdecken, sich selbst finden oder – so wie ich – alles machen möchte: In Finnland hat man dazu die Möglichkeit.
Dadurch, dass Finnland ein europäisches Land ist, gibt es viele Rahmen-bedingungen, die Ähnlichkeit zu Deutschland haben, wie zum Beispiel das Bezahlen mit dem Euro. Allerdings ist das Lebensgefühl ein ganz anderes.
Das gibt einem die Möglichkeit, in einem sicheren Umfeld trotzdem über sich hinauszuwachsen und seine Grenzen zu erkunden.
Arnold: Was würdest du bei einem zweiten Besuch Finnlands anders machen?
Maike: Ich würde mir im Vorfeld eine Kreditkarte zulegen, da viele Aktivitäten in Lappland nur mit einer Kreditkarte gebucht werden können. Ansonsten war meine Herangehensweise für mich optimal. Ich habe versucht, nichts Konkretes zu erwarten, außer einer bereichernden Erfahrung. Den Rest habe ich einfach auf mich zukommen lassen. Genau so würde ich es wieder machen.
Arnold: Vielen Dank für deinen Bericht.
Maike: Vielen Dank, dass ich meine Erfahrungen hier teilen durfte.