Country Lanes Of Life
Richtiges Miteinander auf englischen Schmalspurstraßen

Wer sich in sozialer Interaktion ausprobieren möchte und hier bei sich noch Nachholbedarf spürt, dem sei das Befahren von country lanes in England wärmstens ans Herz gelegt.

Single track road (Foto Arnold Illhardt)
Single track road (Foto Arnold Illhardt)

Die Ankündigung, mit dem Auto Urlaub in England machen zu wollen, löst bei vielen Zuhörern zwar zunächst positive Reaktionen aus, womit sich so mancher als heimlicher Rosamunde-Pilcher-Film-Gucker outet und vorübergehend ganz Great Britain auf Cornwall reduziert wird, doch dann folgen stehenden Fußes oder auch sitzenden Hinterns prompt die drei großen Bedenken: Wetter, Linksfahren und Essen. Um diese unausrottbaren Einwürfe gleich zu Beginn aus der Welt zu schaffen: Auch in England kennt man herrlichste Sonnentage, das Linksfahren macht absoluten Spaß und das Essen in Restaurants oberhalb der Fish-And-Chips-Liga ist zehnmal besser als die Touristenmenüs in – sagen wir – Italien oder Griechenland.

Doch kommen wir zu einer britischen Spezialität, die auf der einen Seite die Anglophobie noch weiter anheizen könnte, auf der anderer Seite allerdings geradezu philosophische Qualitäten beinhaltet: Die Country Lanes (auch single-track-road genannt) bzw. ihr Befahren. Zur Erklärung: Country Lanes sind superschmale Landstraßen, die von der Breite her mal knapp ein Fahrzeug durchschnittlicher Maße (bei den Riesenautos für verkappte Großwildjäger, den sogenannten SUV´s wird´s da schon brenzliger) zulassen. Da der gemeine Engländer obendrein nun mal auf die reichhaltige und flächendeckende Anpflanzung von Hecken steht, ist ergänzend die Übersichtlichkeit im wahrsten Sinne gleich Null. Kommt einem

Country Lane (Foto Marion Illhardt)
Country Lane (Foto Marion Illhardt)

auf diesen Schmalspurstraßen nun ein Fahrzeug entgegen, womit man logischerweise rechnen muss, so gibt es genau drei Möglichkeiten, um einem Crash, der wiederum so gut wie nie vorkommt, aus dem Wege zu gehen: 1. Man fährt, falls gerade zufällig passend, langsam und selbstredend grüßend nebeneinander vorbei, 2. man setzt zurück bis zur nächsten Haltebucht (lay-by), die etwa alle 200 Meter aus dem Nichts auftaucht oder 3. der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs übernimmt das Rückwärtsfahren und überlässt einem, sobald es möglich ist, die Weiterfahrt.

Die Sache wird besonders spaßig, wenn es sich bei dem verkehrsbedingten Interaktionsfahrzeug um einen Bus oder einen LKW (die dort aber eigentlich nicht fahren sollen) handelt. Damit die Aktion funktioniert, sind wiederum drei Maßnahmen notwendig: 1. Freundlichkeit, 2. Augenkontakt und 3. Lichthupe, Winken oder anderes Gestikulieren. Aller guter Dinge sind drei und somit sind auch hier wiederum drei wesentliche Erfahrungswerte zu benennen: 1. man gewöhnt sich dran, 2. es funktioniert immer und 3. man möchte irgendwann nicht mehr drauf verzichten. Nach jeder erfolgreichen Transaktion winkt man sich zu, wahlweise mit einem Finger (der coole Fahrer), mit Handgruß (der Normalfahrer) oder

Country Lane Wales (Foto Marion Illhardt)
Country Lane Wales (Foto Marion Illhardt)

unter Einsatz der gesamten Oberkörpermuskulatur (ältere Damen). Und nun kommt die Philosophie ins Spiel. Man möge doch einmal bedenken, wann einem im Leben eine so reichhaltige Chance menschlicher Interaktionen geboten wird, in der man sein komplettes Arsenal an sozialpsychologischen Fähigkeiten zum Einsatz bringen kann und damit das Miteinander im Sozialgefüge als funktionierende und genussbringende Entität erlebt. In einem Zeitalter, in dem Egoismus, animalische Machtspiele, Gleichgültigkeit, rechtspopulistische Einbahnstraßenmentalität und ein Aneinander-Vorbeileben das Miteinander bestimmen, ist das Befahren von Country Lanes geradezu ein Biotop für maximale Zwischenmenschlichkeit und soziale Verantwortung. Also wenn es nach mir ginge, würde ich nur noch über Country Lanes von A nach B fahren, deren Einrichtung hier in Deutschland vermutlich vom vierspurgeilen ADAC mit Massendemonstrationen und Anketten an Autobahnbrücken ruckzuck unterbunden würde.

Country Lane England (Foto Marion Illhardt)
Country Lane England (Foto Marion Illhardt)

Eine englische Be- oder besser Absonderlichkeit bleibt schlussendlich allerdings doch noch ein unlösbares Geheimnis: Ich meine nicht den Brexit, sondern die beim englischen Frühstück servierte Sättigungsbeilage, namens Würstchen. Diese angebratenen Analogfleischwürmer sind komplett geschmacksneutral, sehen grauselig aus und niemand weiß so genau, woraus sie bestehen. Wobei, wenn ich es mir genau überlege, will ich das auch gar nicht so genau wissen.