Sicher, es ist mir bewusst: Man soll nicht so viel von sich preisgeben. Man liest es allerorts, sogar in der Apothekenrundschau. Und was dort steht, stimmt immer. Wenn ich z.B. kundtue, dass mir momentan, aber auch schon länger Parteien tierisch auf den Sack und nicht nur auf diesen gehen, könnte man mich a) für ordinär und b) für parteiverdrossen halten. Man will ja eigentlich beides nicht sein, jedenfalls nicht öffentlich. Aber – und das ist neu – es ist mir eigentlich auch egal, ob es jemand weiß oder nicht. Eigentlich deutet unausgesprochen immer auch auf ein Uneigentlich hin. Also? Meine moralische Sozialisation lehrte mich, wenigstens des guten Tons wegen Fassade zu zeigen. Fassade ist das halbe Leben, auch wenn’s dahinter reichlich bröckelt und rieselt. Aber soll ich mal was sagen? Ich finde Fassaden mit zunehmenden Alter nicht nur dämlich, sondern auch überflüssig. Der letzte Stinker weiß doch, dass Fassaden trügen.
Ich besuchte heute eher unfreiwillig den Münsteraner Weihnachtsmarkt. Hunderte Buden mit in den Adventshimmel stinkender Fassade, wobei nicht das reichgeschmückte Oberteil, sondern das Weihnachtsgetue untenrum gemeint ist. Nach 50m Vollbad in einer glühweinverhagelten und bezipfelmützten Menschenmenge, brach ich die Aktion ab. Einige Zeitgenossen mit glasigen Augen mussten vom Glühwein kotzen, ich beinah von diesem Getue. Von dieser Analogweihnachtlerei. Dabei war ich gerade dabei, mich mit Weihnachten anzufreunden. Mental!
Ich halte das mit zunehmenden Alter einfach nicht mehr aus und frage mich gerade, was schlimmer ist: AfD-Demonstranten oder Weihnachtsmarktbesucher. Beide sind auf Dauer unerträglich!Schon auf dem Parkplatz ging es mit der Unerträglichkeit los und uns stach der Aufkleber am Auto eines Nebenparkers, seines Zeichens Jäger (er sah auch so aus), ins Auge. Jäger sind Tierschützer oder so ähnlich, war dort zu lesen. Der Jäger musste unsere kritischen Blicke gespürt haben. Er schaute so blutrünstig. Mein Verhältnis zu Jägern war schon immer ein gespaltenes. Liegt wohl daran, dass mich so ein Tierschützer mal fast über den Haufen geschossen hätte. Später schlendere ich an bärtigen Koranverschenkern vorbei. Warum müssen Menschen ihre Glaubenspsychosen ständig öffentlich machen? Das nervte mich bei den Zeugen Jehovas immer schon. Mir kam die Idee, mich mit einem Mickymaus-Heft in die Fußgängerzone zu stellen. Micky ist – glaube ich jedenfalls – auch schon tot. Tot sein macht sich in gewisser Weise immer gut, außer man ist es selbst, aber dann stört es einen ja auch nur noch rudimentär. Manche Tote leben länger und manche wirken im Leben schon tot. Sogar mausetot.
Auf facebook postete heute jemand mir Unbekanntes, dass wir wieder wir selbst werden/sein sollten, anstatt etwas zu werden/sein, was man uns vorgibt, sein zu sollen. Weg mit Fahnen, Plakaten, Wappen und dem ganzen Käse, und einfach ich sein. Mein Reden! Menschen bezahlen fürs Ich-sein viel Geld, z.B. in Selbsterfahrungskursen mit oder ohne Baumkontakt, um dann anschließend ein schlechtes Gewissen zu haben, wirklich man oder frau selbst zu sein. Dabei hatte ich mir heute überlegt, doch in die Politik zu gehen. Allerdings müsste die Partei noch gebacken werden. Die Chance wäre dann größer, Seehofer ein Bein zu stellen oder ihm ein Durchfallmittel ins Bier zu schütten. Der trinkt doch vermutlich auch im Dienst; klingt jedenfalls so. Die AfD soll ja mächtig erstarkt sein, munkelt man. Sollte die Partei der rassistischen Fahnenschwenker in den Bundestag kommen, könnte ich, wenn ich auf der Bundestagstoilette neben einem pinkle, ihm unauffällig Juckpulver auf den Schwanz streuen. Das war jetzt übrigens pure Fassade. Meine Fantasien sind durchaus fieserer Natur. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, woran man einen AfDler erkennt? Die sehen ja erst einmal total normal aus – eben stinklangweilig. Aber vielleicht hängt ja hinten aus der Tasche eine Deutschlandfahne raus, dann geht’s mit der Früherkennung. Und der Björn Höcke hat bestimmt ein Arierzeichen auf dem Ärmel. Da würde allerdings Juckpulver nicht ausreichen, da muss schon Ätznatron ran.
Vor ein paar Wochen war ich noch selbst im Bundestag. Es ist ein bisschen wie in der Affenabteilung im Zoo oder irgendwie auch wie im Tierheim. Manche Politiker, die ich traf, sehen auf den ersten Blick harmlos, wenn nicht sogar niedlich aus, aber wehe man lässt sie raus. Dann entpuppen sich als üble Wadenbeißer. Seehofer – finde ich – hat etwas hyänenhaftes. Vermutlich frisst der auch rohes Fleisch. Ich frage mich ständig, ob Politiker eigentlich wissen, dass es außerhalb des Bundestages eine Art Normalleben gibt, so mit richtigen Menschen, Hundehaufen und verspäteten Bundesbahnen. Sie wirken nämlich nicht so, weil sie immer Dinge sagen und zu allem Überfluss machen, die eigentlich keiner will!
Heute las ich in der Wahrheitspresse, dass beim Neujahrsempfang in Telgte Klaus Kinkel auftritt. Gottchen, dachte ich, den gibt´s ja auch noch. Musste bei Wikipedia erst einmal recherchieren, wie der aussieht. Dass er bei der FDP war, ist ja klar, weil er von so einer Sparkasse gesponsert wird und die FDP vor allem Geld gut findet. Komischerweise sind die bei der FDP meistens Rechtswissenschaftler, was die Sache auch nicht spannender macht.
Ich widme mich jetzt Weihnachten. Man soll ja so kurz vor dem neuen Jahr mal arbeitsmäßig runterfahren und sich auf die eigentlichen Dinge besinnen. Kleiner Scherz!