Glück hat viele Facetten. Wir konzentrieren uns hier auf das Glück des endlosen Konsumierens und das Glück des faszinierenden Augenblicks. Beispiele finden wir in Filmen. Zur Präzisierung stelle ich einige Leitlinien zur Diskussion.
Für 1800 € fuhr ein Bildzeitungsredakteur in 3 Tagen um die Welt und prahlte damit in seinem Blatt. Der Soziologieprofessor Welzer – er muss das lesen – schrieb darüber (in National Geographic) und machte dessen Geschreibsel lächerlich. Natürlich fiel einem sofort der utopische Roman von Jules Verne („In 80 Tagen um die Welt“) ein. Welcher Zeitvorsprung, aus 80 wurden 3 Tage. Was ist laut BILD das Glück an der günstigen Weltreise? 1) Es kostete wenig, 2) es ging unerwartet schnell, 3) der Sitzabstand einer asiatischen Airline betrug nur 73 cm, 4) die Reise war risikoarm … – Ist das Glück? Eher nicht, weil
- viele Fragen ausgeblendet wurden (wie: Kerosinverbrauch ohne Grund? Wer bezahlt? Bildet Reisen?)
- keine Zeit für einen Eindruck der Städte und Landschaften blieb und
- keine Begegnung mit fremden Menschen (nach dem Motto: Hier kannste futtern / wie bei Muttern) stattfand.
Bedingung von Glück, von dem wir hier sprechen, ist das, was wir haben bzw. erwerben. Um glücklich zu sein, brauchen wir immer mehr, Glück scheint wie eine Droge (Marx: “Opium für das Volk“). Ist Glück etwa Sache des durchgedrehten Hyperkonsums? Eine Art Stimulanz für die Konsumgesellschaft? Etwas stimmt da nicht. Kehrseite: Das, was wir haben, können wir auch verlieren. Dann wird aus Glück manchmal sogar Trauer.
Dagegen steht der Kinofilm „Weit – Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ (Filmpreis: „Kinophänomen des Jahres 2017“). Die Handlung knapp zusammengefasst: Ein Freiburger Paar brauchte über 3 Jahre, um die ganze Welt per Autostopp zu bereisen. Einzige Ausnahmen: Fliegen über die Ozeane und Kauf eines VW-Busses, als das Paar in Mexiko ein Kind bekam. Mitgenommen haben sie nur das, was sie (notfalls durch unwegiges Gelände) tragen konnten und eine Kamera. Ergebnis: Wunderbare Kontakte mit fremden Menschen, Welt er-fahren, Staunen können, aktiv sein, Fremde wagen, mit wenigen Dingen zufrieden sein, Leben mit dem Risiko von Kidnapping, Unfällen usw.
Kümmern wir uns nicht zu viel um das „was“! Es gibt viele Augenblicke, die einen glücklich machen: Begegnung, Freundschaft, Beziehung (von Sex bis gemeinsame Aktivität), Eindrücke aus der Natur, Genesung, Befreiung, Überleben usw. Glück kann man nicht machen bzw. herstellen, geschweige denn: kaufen. Ist es nicht vielmehr der geschenkte überwältigende Augenblick?
Halten wir diese beiden Geschichten nebeneinander, die von der BILD-Zeitung und die vom Film. Dann sieht man den Unterschied:
Beeindruckend sind die Tierbilder von Franz Marc. Als wir in Kochel am See diese Bilder sahen, kamen wir ins Nachdenken. Sind sie für alle Tiere typisch? Und wenn ja, warum malt er das? Sagt das etwas über den Menschen? Die Tiere, die er malte, kennen weder Vergangenheit noch Zukunft. Sie leben jetzt. Das Runde symbolisiert Schlafen, Harmonie, wunschloses Glück… Gemalt hat er sie als Kontrastfolie, als Bewusstmachen des „paradise lost“. Ging die Idee vom Glück wirklich verloren?
Wenn meine Frau, die oft schlecht einschläft, dann ins Wohnzimmer geht, um zu lesen, spürt sie neben sich den schlafenden Hund, spürt dessen Ruhe, das Bei-sich-selber-sein, das Ganz-loslassen-können, das Nicht-Kontrollieren-Müssen … Das alles fehlt uns und steckt an. Wie schön ist das alles.
Der Psychologe Watzlawik verfasste eine „Anleitung zum Unglücklichsein“. Für mich beeindruckend war sein Kapitel über die Falle der zwei geschenkten Hemden. Zieht man Hemd 1 zuerst an, findet der Schenkende, dass Hemd 2 nicht so gut angekommen ist. Zieht man Hemd 2 zuerst an, befürchtet der Schenkende, dass Hemd 1 nicht gut angekommen ist. Enttäuschung alias Unglück sind vorprogrammiert. Natürlich kommt niemand außer meinen Eltern auf die Idee, zwei Hemden zu schenken. Geht es beim Schenken um das Glück dessen, der beschenkt wird, oder um Dinge, weil uns nichts Besseres einfällt?
Versuchen wir erst gar nicht eine Definition, nur ein paar Linien, die verstehen helfen.
1. Gleichzeitigkeit von individuellen und sozialen Interessen
1964 wurde auf einem Weltraumflug erstmals ein Bild von der Erde nach Hause gefunkt. Ein beeindruckendes Bild. Für den Astronauten war es ein glücklicher Moment, den er mit allen Menschen teilen wollte. Natürlich war das Glück, auch wenn bald unbeantwortbare Fragen kamen: Wofür das alles? Wem hilft das?
Wichtige Fragen! Typisch, dass man Glück mitteilen, um nicht zu sagen: teilen will. Immer kommen zwei Dinge zusammen. Und nur dann kann das Glück gelingen.
a. Perspektive des Individuellen
Autonomie ist ein Prinzip, das uns bestimmt, aber immer öfter umgangen wird. Autonomie, übersetzt einfach Sich-selber-Gesetze-geben, ist Grundgesetz in allen Bereichen des Zusammenlebens. Autonomie heißt: Man braucht niemanden, der einem sagt, was glücklich macht. Nur wenn ich selber angesprochen bin, kann ich selber ganz dahinterstehen – allein so kann Glück gelingen.
b. Soziale Verantwortung
Damit Autonomie nicht in eine Art Egoismus entgleist, muss die soziale Verantwortung dazukommen. Die entsprechenden Prinzipien, z.B. in allen Wissenschaftskodizes, umfassen Fairness, Schadensvermeidung und Sorge. Nur der Nutzen für Andere macht die Autonomie sinnvoll und macht glücklich.
2. Unendlichkeit der Dinge
Ein ziemlich alter Film „Der Postmann“ (Original: Il Postino) von Michael Radford (1994) macht diese hintergründige Dimension der Dinge deutlich. In diesem Film kommt Pablo Neruda, linker Schriftsteller aus Chile, auf die Insel Procida im Golf von Neapel ins Exil. Soweit die Tatsachen. Jetzt zum Filminhalt: Der Postangestellte Mario bringt Neruda Briefe aus aller Herren Länder unter anderem viele Liebesbriefe. Der Postmann hätte gern auch so viel Erfolg bei den Frauen und besonders bei der einen. Mario und Neruda freunden sich an. Mario erzählt ihm, dass er in die Tochter des Gastwirtes, Beatrice, verliebt ist und gerne so schreiben möchte wie Neruda. Er schreibt dessen Antwort auf einen Liebesbrief ab und schickt das an seine geliebte Beatrice – mit Erfolg. Neruda sagt ihm, dass das Geheimnis eines guten Satzes die Metapher ist. Metapher bedeutet, ein herkömmliches Ding oder Wesen – im Fall des Postmanns Beatrice – hebt mit einem meist schönen Ausdruck oder Bild auf eine andere meist noch schönere Ebene. Das Erscheinen der Geliebten wird dann zum Sonnenaufgang. Mario kommt bei einer kommunistischen Demonstration (auch eine Idee Nerudas) um. Neruda besucht Beatrice nach Marios Tod und erfährt die Bedeutung dieses scheinbar glücklosen Lebens.
Alles hat eine tiefe Bedeutung. Wenn man dahinter steigt, versteht man sie als Helfer für unseren Alltag, sie machen etwas mit uns – aber was? Wenn wir das rausbekommen, kann es Glück machen.
3. Glück – ein Traum
Goethe legte Doktor Faustus die oft missverstanden Verse, gerichtet an Mephisto, in den Mund:
Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!
Warum missverstanden? Es geht nicht um die Diskreditierung des schönen Augenblicks und des Glücks. Es geht um das Stehenbleiben, weil man das Schöne auspressen will, bis nichts mehr drin ist.
Das blieb mir als sehr wichtig in Erinnerung. Der Marxist und Ex-DDR-Philosoph Ernst Bloch hat diese Textpassage zum Ausgangspunkt gemacht: Goethes Augenblick ist nicht für den genussreichen Moment, meint Bloch. Er ist eine Art Utopie. Der schöne Augenblick trägt Hoffnung in sich. Er ist nur eine Idee und widerspricht der Realität, aber kommt ihr nahe, weil er retten kann. Zum Bild: Der jüdische Maler, der sich mit dem Bootsmann identifiziert, hofft auf Rettung im belgischen Exil. Leider wurde Nussbaum 1945 in Auschwitz ermordet. Aber im Augenblick träumte er von Rettung. Wenn er nicht verraten worden wäre … Glück ist ein rettender Traum.