Landleben wie in alter Zeit
Eine außergewöhnliche Zeitreise

 

Fiona Houston lebte ein Jahr lang wie ihre schottischen Vorfahren im Jahre 1792 (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fiona Houston lebte ein Jahr lang wie ihre schottischen Vorfahren im Jahre 1792 (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Ein Leben wie vor 200 Jahren – geht das heutzutage überhaupt noch? Und: Hält man das als Mensch, der an die Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts gewöhnt ist, ein ganzes Jahr lang durch? Die Engländerin Fiona J. Houston zeigt in ihrem Buch „Mein Cottage-Tagebuch – Landleben wie in alter Zeit: 1792“, dass ein Leben ohne elektrischen Strom, fließendes Wasser, Zentralheizung, Fernsehen, Auto, Telefon und Internet (fast) machbar ist.

 

Schon als Kind interessierte sich Fiona für die Vergangenheit und die „Menschen, die vor uns da waren“. Als sie als Erwachsene nach Schottland reiste, forschte sie nach, wie normale Menschen dort gelebt hatten, bevor die industrielle Revolution alles für immer veränderte. Sie untersuchte alte verfallene Bauernhäuser in den Highlands, durchforstete Trödelläden nach antiken Haushaltsgegenständen, las Bücher und verbrachte viele Stunden in Museen. Den letztendlichen Anstoß, ein Jahr lang wie ihre schottischen Vorfahren William und Anne Houston zu leben, gaben dann der Bericht „Not on the Label“ von Felicity Lawrence, einer Food-Journalistin der renommierten englischen Zeitung The Guardian, der die Machenschaften der Lebensmittelindustrie enthüllte, sowie Fionas Zorn auf die Wegwerfgesellschaft unserer heutigen Zeit. Sie wollte beweisen, dass sich die Menschen Ende des 18. Jahrhunderts besser ernährt und nachhaltiger gelebt hatten als diejenigen des 21. Jahrhunderts. Hinzu kam ihr Wunsch, einmal ohne jeglichen neuzeitlichen Komfort sowie moderne Kommunikationstechnik und dem damit verbundenen Druck zu leben. Sie vereinbarte mit der schottischen Zeitung The Herald einen monatlich erscheinenden Bericht über ihr Experiment und hoffte, dass diese Vereinbarung ihr helfen würde, an ihrem Vorhaben festzuhalten.

Anhand alter Quellen und mithilfe von Freunden rekonstruierte sie die Lebensbedingungen im ausgehenden 18. Jahrhundert. Ihr Vorbild war ihre Vorfahrin Anne Houston, eine Engländerin, die den Schotten William Houston geheiratet hatte, der in den 1790ern Schulmeister in einem Dorf namens Galloway war.

 

Das Wohnhaus: Aus einem alten Kuhstall wird ein bewohnbares Cottage

 

Fionas Cottage, zuvor als Kuhstall genutzt (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fionas Cottage, zuvor als Kuhstall genutzt (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Fiona lebt normalerweise in einem alten Pfarrhaus in der Nähe des schottischen Dorfs Innerleithen. Für ihr Experiment zog sie in einen ehemaligen Kuhstall nahe bei ihrem Haus. Da der Stall Fenster und einen Kamin besitzt, vermutete sie, dass er einst ein bewohntes Cottage gewesen sein musste.

Sie ließ das alte Cottage teilweise renovieren und umbauen, damit es authentisch wurde. Auf einen Boden aus gestampfter Erde, der damals üblich war, verzichtete sie allerdings aus praktischen Gründen, denn diese Böden waren im Sommer staubig und im Winter matschig. Obschon die Häuser der Schulmeister seinerzeit eher ärmlich waren und oft nur aus einem einzigen Raum bestanden, wäre es durchaus möglich gewesen, dass ein großzügiger Lehnherr einen gepflasterten Boden oder gar Fußbodendielen aus Holz, die die ersten Sägewerke damals herzustellen begannen, finanzierte.

 

Fionas Kastenbett (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fionas Kastenbett (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Fionas Mobiliar bestand aus einem Holztisch mit drei Stühlen, an dem sie aß, nähte und Briefe schrieb, sowie aus einem Kastenbett, welches ein Freund für sie zimmerte und das sie vor der Zugluft schützte, die durch die Außentür in den Raum drang. Zunächst verwendete sie eine Matratze, die mit Wollresten gefüllt war und jeden Tag gewendet werden musste. Mit der Zeit wurde Fiona etwas nachlässiger, was das Wenden betraf, so dass sie eines Tages mit Entsetzen feststellen musste, dass die Matratze an der Unterseite feucht war und Schimmel angesetzt hatte. Daraufhin füllte sie das Inlet der Matratze mit Stroh. Ihre Begeisterung über die warme und weiche Unterlage schwand allerdings nach ein paar Tagen, als sie bemerkte, dass Stroh relativ schnell flach gelegen ist.

Fiona recherchierte, dass ihre Vorfahrin Anne Houston wohl an einer erhöhten Feuerstelle gekocht haben musste; die Rauchfänge darüber waren üblicherweise aus Holz, was die Brandgefahr erhöhte. Um letzterer zu entgehen, entschied Fiona sich für einen alten Kochherd, der um 1860 hergestellt und ursprünglich mit Kohle beheizt wurde, auch wenn dieser nicht authentisch für die Zeit um 1792 war. Sie beheizte ihn mit Holz, welches sie tagtäglich hacken musste.

Natürlich gab es im 18. Jahrhundert noch keine Badezimmer mit den entsprechenden sanitären Einrichtungen. Fiona wusch sich im Waschbottich und benutzte ein Plumpsklo, das sich am Ende des auf ihrem Grundstück befindlichen Stallkomplexes befand. Die wöchentliche Leerung des Eimers unter dem Holzsitz gehörte nicht unbedingt zu ihren Lieblingspflichten. Nachts verwendete sie einen „Nachttopf“ (Eimer), der auf dem Komposthaufen ausgeleert wurde. Die schottische Bevölkerung handhabte die Entleerung von Darm und Blase seinerzeit wesentlich zwangloser: Im Winter ging man in den Kuhstall, der sich meist direkt an das Haus anschloss, und im Sommer nutzte man entweder einen Eimer oder erledigte seine Bedürfnisse im Freien.

 

Die Kleidung: Viele Schichten und ein gewöhnungsbedürftiges Naturfärbemittel

 

Fiona mit schwerem Holzkorb im Winter (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fiona mit schwerem Holzkorb im Winter (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Fiona wollte sich historisch authentisch kleiden und recherchierte monatelang darüber. Letztendlich entschied sie sich für ein Tageskleid nach der Mode der Fischerfrauen in Newhaven, da diese Tracht im 18. Jahrhundert weit verbreitet war. Sie bestand aus zwei bis drei Unterröcken, einer gestreiften Schürze und einem kurzen Wollkittel. Als Kopfbedeckung wählte sie die im Laufe der 1790er Jahre gerade in Mode gekommenen Musselinhauben im englischen Stil, die nicht mehr mit Bändern unter dem Kinn befestigt wurden und somit bequemer waren. Fiona lernte schnell die Vorteile dieser Hauben zu schätzen: Sie hielten den Kopf warm und schützten das Haar vor dem Rauch und Ruß der Feuerstelle im Haus.

Zu einem Konzert mit Musik aus dem 18. Jahrhundert im Nachbarort Peebles wollte sie unbedingt in einem stilechten Gewand erscheinen und nähte sich ein Kleid, das sie sich von einem Stich aus dem Jahre 1795 abgeguckt hatte. Da das fertige schneeweiße Kleid jedoch zu sehr nach einem Brautkleid aussah, beschloss sie, es zu färben. Ihr schwebte eine dezente Farbe vor, und eine Freundin empfahl ihr Flechten, die einige Wochen in abgestandenem Urin (!) gären mussten, bevor sie ausgekocht wurden. Mutig versenkte Fiona ihr kostbares Kleid in der erhitzten dunkelbraunen Urin-Flechten-Brühe. Sie erzählt, dass es eine schöne, blasse Milchkaffee-Farbe erhielt, aber so fürchterlich stank, dass sie es unzählige Male spülen und dafür entsprechend viele Eimer Wasser schleppen musste.

Authentizität erfordert halt gelegentlich das Überwinden gewisser Ekelgrenzen …

 

Die Ernährung: Frisch aus dem Garten, Wildmitbringsel und überfahrene Kaninchen

 

Seit über 20 Jahren bewirtschaftet Fiona einen großen Gemüsegarten, der sie auch während der Zeit ihres Experiments ernähren sollte. Sie besorgte sich Kataloge über alte Gemüsesorten, da sie nur Gemüse und Früchte verzehren wollte, die man auch Ende des 18. Jahrhunderts anbaute. Zu diesen gehörten beispielsweise Kohl, Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Pastinaken, Lauch, Steckrüben, Spinat, Erbsen, Rettich, Salat, Kürbis, Bohnen und Gurken sowie Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren, schwarze und rote Johannisbeeren und Pflaumen. In der kargen Zeit des Frühlings, als sie die meisten ihrer Vorräte, die sie noch im Jahr zuvor geerntet hatte, verbraucht hatte, pflückte sie auch vermehrt Wildkräuter wie Brennnesseln, Bärlauch, Weißdorn und Sauerampfer. Fleisch kam mit der Ausnahme von Speck nur dann auf den Tisch, wenn ihr ein Jäger aus dem Dorf oder Gäste etwas mitbrachten, wie Wildschweinkoteletts oder Ziegenbraten. Auch auf der Straße überfahrene Kaninchen oder Fasane landeten auf ihrem Teller. Weitere kulinarische Mitbringsel ihrer Freunde waren beispielsweise Fische wie Bücklinge und Forellen oder Lebensmittel wie Käse, Sahne, Chutney und exotische Früchte wie Orangen und Zitronen, die man damals in Schottland bereits kaufen konnte.

Fiona beim Mehlabmessen für Gerstenfladen (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fiona beim Mehlabmessen für Gerstenfladen (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Das Salär eines Schulmeisters der damaligen Zeit war ausgesprochen gering. Aus diesem Grund versuchte Fiona, möglichst wenige Lebensmittel zuzukaufen. Oft bekamen die Lehrer neben dem Gehalt auch einige Säcke Hafer- und Gerstenmehl. Fiona kaufte dieses vor Beginn ihres Experimentes und stellte daraus Porridge zum Frühstück und leckere Gerstenfladen her, die damals ein übliches Nahrungsmittel der schottischen Bevölkerung waren.

Sie hielt sich auch Hühner und hatte somit stets frische Eier zur Verfügung. Auf die Anschaffung einer Ziege verzichtete sie, da sie wusste, dass sie auch auf Reisen sein würde und die Versorgung sowie das tägliche Melken der Ziege nicht gewährleistet waren. Eine Milchkuh hätte sich ein Schulmeister im 18. Jahrhundert nicht leisten können, ebenso wenig wie ein Pferd. Milch und Käse sowie geringe Mengen von Gewürzen kaufte Fiona im Dorf, was einen Fußmarsch von 5 km bedeutete – bei Wind und Wetter über Hügel und Täler.

In ihrem Buch finden sich viele authentische Rezepte der damaligen Zeit, wie etwa Brennnesselsuppe, Bärlauchpaste, Geschmortes Kaninchen, Schottischer Fasan, Forelle in Tonerde gegart, Lauch-Kartoffel-Suppe, Geschmortes Wurzelgemüse und Eiercreme mit Dörrpflaumen.

 

Der Tagesablauf: Tägliche Pflichten in Haus und Garten, Besucher und triste Winterabende bei Kerzenschein

 

Am Neujahrsmorgen 2005 war Fiona in ihr fast authentisches Cottage gezogen. Üblicherweise stand sie in diesem Jahr beim ersten Tageslicht auf, schürte das Feuer oder musste es, wenn es ausgegangen war, wieder mit der Zunderbüchse in Gang bringen. Streichhölzer gab es zu jener Zeit noch nicht. Während sich das Wasser für ihren Kräutertee aus Zitronenmelisse, Pfefferminze oder Rosmarin langsam erwärmte, machte sie einen Spaziergang mit ihrem Hund (in Jeans und Gummistiefeln – ein Zugeständnis an die Gegenwart, da ihre Wollröcke bei nassem Wetter ewig zum Trocknen brauchten!) und verzehrte nach ihrer Rückkehr den bereits am Vorabend zubereiteten Porridge (Haferbrei), der nur noch aufgewärmt werden musste. Danach wusch sie sich mit heißem Wasser in einem großen Zuber aus Terracotta, was im Winter aufgrund der durchschnittlichen Temperatur von etwa 6 Grad Celsius in ihrem Cottage nicht gerade angenehm war, und zog die vielen Schichten ihrer Kleidung an, was zumeist länger andauerte. Dann erledigte sie die zeitraubende Hausarbeit wie Matratze lüften, Holz sammeln und hacken, Fladen backen, Wasser holen, Kochen, oder sie arbeitete im Garten oder empfing Besucher, von denen sie in diesem Jahr viele hatte, was aber wohl durchaus authentisch war, da sich damals die Leute oft gegenseitig besuchten. Es gab ja keine Ablenkung in Form von Fernsehen, Radio, Computerspielen und Internet.

Tagsüber gab es immer genügend zu tun, die Abende hingegen waren im Winter für Fiona eine Qual. Bei flackerndem Kerzenlicht zu nähen oder zu lesen war beinahe unmöglich. Hinzu kam, dass Kerzen damals teuer waren und man deshalb selbst mühselig Talgkerzen sowie Binsenlichter aus geschälten, getrockneten Binsen und Rindertalg herstellte (was Fiona auch tat), die allerdings weniger Licht gaben. Die häufig verwendeten, mit Wal- oder Dorschleberöl gefüllten Öllampen spendeten noch weniger Licht. Fiona verlegte sich auf das Herstellen eines Flickenteppichs aus Stoffresten – eine Arbeit, die man auch bei schwachem Licht ausführen konnte.

Heutzutage kann man sich dieses Lichtproblem kaum noch vorstellen. Wir wohnen in Häusern mit Elektrizitätsleitungen und brauchen bloß einen Schalter zu betätigen, um die Räume zu erhellen. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass es auf unserer Welt immer noch eine große Anzahl Menschen gibt, die so wie unsere eigenen Vorfahren leben, nämlich ohne Strom, Zentralheizung und fließendes Wasser.

Außer authentischen Binsenlichtern stellte Fiona auch Tinte für Federkiele zum Schreiben von Briefen her. Die zunächst von ihr verwendete Tinte aus Holunderbeeren verblasste sehr schnell, so dass sie häufig ihren Federkiel in das Tintenfass eintauchen musste und – da sie in dieser Art des Schreibens nicht geübt war – hässliche Kleckse auf dem damals üblichen rauen Papier hinterließ, das sie bei einer Papiermühle in Irland gekauft hatte. Sie fertigte dann Tinte aus Galläpfeln an, wobei es sich um die abgelegten, befruchteten Eier der Gallwespe handelt, die sich an bestimmten Eichenarten finden. In ihrem Buch beschreibt Fiona ausführlich die Zubereitung der (dokumentenechten!) Gallustinte sowie die nicht gerade einfache Herstellung von Federkielen, wozu man die äußersten fünf Federn der Flügel von Gänsen oder Truthähnen benötigte.

Ebenso ausführlich beschreibt sie einen beschwerlichen Waschtag und die aufwendige Herstellung von Seife. Für die Menschen der damaligen Zeit bedeutete es eine große Erleichterung, als man endlich in Fabriken produzierte Seife kaufen konnte.

Fiona mit einem der beiden geschenkten Gänseküken, die dann doch nicht im Kochtopf landeten, wie sie eigentlich geplant hatte (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Fiona mit einem der beiden geschenkten Gänseküken, die dann doch nicht im Kochtopf landeten, wie sie eigentlich geplant hatte (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Fiona unternahm auch zwei Reisen und erfuhr am eigenen Leib, wie beschwerlich das Reisen im 18. Jahrhundert in Schottland war. Befestigte Straßen gab es nur wenige, öffentliche Verkehrsmittel wie Postkutschen ebenso. Die einfachen Leute, die sich weder Pferd noch Kutsche leisten konnten, reisten „auf Schusters Rappen“, also zu Fuß. Das führte dann bei längeren Reisen häufig zu gewissen Unannehmlichkeiten wie Blasen an den Füßen oder fehlende Unterkünfte für die Nacht. So manch einer musste unter einer Hecke schlafen, was Fiona auch beinahe passiert wäre. Sie hatte jedoch immer Glück und konnte auf ihren Reisen bei Freunden oder Bekannten übernachten.

Fiona schreibt: „Fußmärsche mögen damals eine Notwendigkeit gewesen sein, für mich waren sie es inzwischen auch geworden. Ich genoss es zusehends, mich in Schrittgeschwindigkeit von einem Ort zum anderen zu bewegen. Dabei hat man Zeit zum Nachdenken, es tut Körper und Seele gut. Ich glaube, wenn die Leute wieder mehr zu Fuß gehen würden, gäbe es weniger Krankheiten.“ (Mein Cottage-Tagebuch, S.123)

 

Ausflüge in die Gegenwart

 

Auch wenn Fiona Houston sich bemühte, ihr Leben für ein Jahr den Gegebenheiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts anzupassen, so stellte sich dies letztendlich als nicht 100%ig umsetzbar heraus.

Zum einen hatte sie ja bereits ein Zugeständnis hinsichtlich ihres Kochherds gemacht, was sie allerdings später bereute, da sie fand, dass ihr Cottage dadurch im Inneren eher wie eine Kate des 19. Jahrhunderts wirkte.

Nach dem Aufstehen trug sie üblicherweise Jeans, wenn sie ihren Morgenspaziergang mit dem Hund unternahm und zog erst danach ihre umständliche Tracht an, die besonders im Winter aus vielen Schichten übereinander getragener Kleidung bestand, die allerdings auch nötig waren, da sie ansonsten bei den niedrigen Temperaturen erfroren wäre, wie sie schreibt. Gegen Ende ihres Experiments wurde sie, was das Wechseln der Kleidung betraf, etwas nachlässiger, so dass sie gelegentlich von überraschenden Besuchern in Jeans erwischt wurde.

Da der Herald von ihrer Idee, ihre Berichte in handschriftlicher Form zu schicken, nicht gerade begeistert war, sah sie sich genötigt, für diese ihren Computer zu benutzen, was in der kalten Jahreszeit auch bedeutete, dass sie während des Schreibens bzw. Tippens im warmen Pfarrhaus saß statt im eiskalten Cottage. Sie nutzte den Computer auch für E-Mails mit Freunden, die sie besuchen wollten, nachdem einige Freunde verärgert waren, weil sie Fiona nicht zuhause angetroffen hatten.

Einige unvermeidbare Reisen musste sie auch mit dem Auto, Bus oder Flugzeug erledigen, beispielsweise, als ihr erstes Enkelkind geboren wurde und sie dieses in Edinburgh besuchen wollte oder als sie zur Beerdigung ihrer Schwiegermutter nach Exeter flog.

 

Fionas Fazit:

 

„Ein Jahr ist seit dem Ende meines klösterlichen Lebens im Cottage vergangen. Meist blicke ich schwärmerisch auf die Zeit zurück, die ich fern der Durchschnittsgesellschaft verbracht habe. Deshalb wundert mich die Ungeduld der letzten Monate, die mir in meinem Tagebuch entgegenschlägt. Gleichzeitig spüre ich nach wie vor ein Gefühl der Befreiung. […]

Ich werde immer noch gefragt, ob ich diese Art zu leben überhaupt vermisse. Was mir nicht fehlt, sind die vielen Schals und Schichten, die ich im Winter tragen musste, um mich vor Regen und Wind zu schützen. Es war furchtbar mühsam, meine durchnässten Röcke und den Saum des Umhangs trocken zu bekommen. Deshalb ging ich bei Regen kaum vor die Türe. Ich bin davon überzeugt, dass sich meine Vorfahren ähnlich verhalten haben. Ich genieße es in vollen Zügen, ein heißes Bad nehmen zu können und in ein Bett mit Daunendecke und guter Matratze zu schlüpfen. Ich genieße es, Radio hören zu können und eine Opern-CD aufzulegen. … Es bereitet mir sogar Vergnügen, ans Telefon zu gehen und E-Mails zu schreiben. Ein Dasein ohne moderne Kommunikationsmittel zählte damals zu den größten Herausforderungen.“ (Mein Cottage-Tagebuch, S. 200f.)

Als Verlust nach Beendigung des Experiments empfindet sie vor allem die körperliche Bewegung (Holz hacken, Wassereimer über den Hof schleppen, Fußmärsche ins Dorf etc.). Sie geht nun länger mit ihrem Hund spazieren und fährt auch oft mit dem Fahrrad.

Als positiv hebt Fiona Houston hervor, dass das Experiment dazu beigetragen hat, dass sie ihr jetztiges Leben nachhaltiger gestaltet, beispielsweise weniger mit dem Auto fährt, Energiesparlampen verwendet und die mit Öl betriebene Zentralheizung nur anstellt, wenn sie Gäste hat. Sie besitzt einen Rayburn-Ofen, dessen Wärme für sie ausreicht, selbst wenn sie ihn auf niedriger Stufe laufen lässt. Im Sommer schaltet sie ihn komplett aus und kocht mit Propangas.

Was ihre Ernährung betrifft, so hat sie gelernt, alles zu verwerten, was sie in ihrem Garten kultiviert oder in der Natur sammelt und möglichst wenig einzukaufen, und wenn, dann saisonale Produkte und kein importiertes Gemüse und Obst. Das Experiment hat ihr aber auch gezeigt, wie sehr die Menschen im 18. Jahrhundert vom Wetter abhängig waren: Schlechtes Wetter und daraus resultierende schlechte Ernten bedeuteten häufig Nahrungsknappheit und Hunger.

 

Mein Fazit:

 

Buchcover (Copyright: Gerstenberg Verlag)
Buchcover (Copyright: Gerstenberg Verlag)

Fiona Houstons Cottage-Tagebuch ist ein wunderschön mit vielen Fotos und alten Illustrationen versehenes Buch, das absolut empfehlenswert ist für jeden, der sich mit dem Leben der Menschen in früherer Zeit beschäftigen möchte. Fionas Erfahrungen und Erlebnisse in Schottland lassen sich mit Sicherheit auch auf andere europäische Länder übertragen. Das Leben damals war hart und entbehrungsreich, aber auch nachhaltiger und langsamer (im positiven Sinne) als heute in unserer schnelllebigen Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Trotz der unvorhersehbaren Wetterverhältnisse ernährten sich die meisten Menschen in der Regel wesentlich gesünder von Produkten aus ihrem Garten und der freien Natur – im Gegensatz zu heute, wo die Lebensmittel oft kaum noch „Leben“ enthalten, sondern voller künstlicher Zusatzstoffe stecken oder aus der Massentierhaltung stammen, wo die Tiere vollgepumpt werden mit Antibiotika. Zudem bewegten sich die Menschen früher mehr, was ihrer Gesundheit zuträglich war. Heutzutage sitzen wir oft nur noch: im Büro am Schreibtisch, vor dem Computer oder abends vor dem Fernseher, was weder der Wirbelsäule noch dem Gewicht guttut.

Natürlich sollte man das Leben in früherer Zeit nicht idealisieren. Wie Fionas Buch zeigt, war das Leben hart und es gab in der Folge viele wichtige Erfindungen und Verbesserungen, die das Leben der Menschen vereinfacht und erheblich erleichtert haben (wie fließendes Wasser, Elektrizität, Zentralheizung, öffentliche Verkehrsmittel, moderne Kommunikationsmittel u.a.).

Fionas Buch enthält interessantes Wissen über alte Techniken, authentische Kochrezepte, praktische Tipps für Haus und Garten sowie viele Naturbeobachtungen im Wechsel der Jahreszeiten.

Stall aus dem 19. Jh. (Foto: Birgit Hartmeyer)
Stall aus dem 19. Jh. (Foto: Birgit Hartmeyer)

Beim Lesen hatte ich mehrfach das Gefühl: Das will ich auch mal machen! Einen alten Stall und genügend Fläche für einen großen Gemüsegarten hätte ich sogar … sowie einen Herdenschutzhund (Maremmano), der dann die Schafe bewachen könnte, die ich mir anschaffen würde …

Andererseits: Fionas Beschreibung des Lebens in ihrem eiskalten Cottage im Winter ist ziemlich abschreckend, – und fast völlig auf moderne Kommunikationsmittel verzichten? Für eine gewisse Zeit ginge das wohl, aber ein ganzes Jahr lang, das würde ich mir dann doch nicht zutrauen.

Umso mehr bewundere ich Fiona Houston, die 12 Monate lang – obwohl es ihr am Ende immer schwerer fiel – mit nur wenigen Ausnahmen wie eine Schulmeistersgattin im ausgehenden 18. Jahrhundert gelebt hat.

 

 

Fiona J. Houston, Mein Cottage-Tagebuch – Landleben wie in alter Zeit: 1792, Gerstenberg Verlag, 2013 (broschierte Ausgabe; die gebundene Ausgabe erschien 2010 unter dem Titel Mit Haube und Hacke – Landleben wie in alter Zeit: 1792 im Gerstenberg Verlag; Originaltitel: The Garden Cottage Diaries – My Year in the Eighteenth Century, 2009 bei Saraband (Scotland) Ltd. erschienen)

 

Information des Gerstenberg Verlags zur Autorin:

Fiona J. Houston ist Erziehungswissenschaftlerin, Museumspädagogin, Journalistin, Großmutter und Verfechterin einer nachhaltigen Lebensweise. Die leidenschaftliche Gärtnerin ernährt sich seit 20 Jahren von den Früchten des eigenen Gartens. Die Geschichte ihrer Ahnen hat sie seit jeher fasziniert.

 

Die Fotos aus dem Innenteil des Buches wurden mir freundlicherweise vom Gerstenberg Verlag zur Verfügung gestellt (www.gerstenberg-verlag.de).