Menschenfresser sind Produkte der krankhaften Phantasie der „Kultur“beutelnationen. Sie teilen – im Sinne von „aufteilen“, „zerteilen“ usw. Die Menschenfresser heißen heute PEGIDA, AfD oder verstecken sich hinter Programmen etablierter Parteien. Macht Teilen den Menschen aus?
„Deutsche einzuladen ist angenehm. Sie kommen pünktlich, essen wenig und fragen neugierig nach dem Rezept. Ein guter arabischer Koch kann aber gar nicht die Entstehung eines Gerichts, das er gezaubert hat, knapp und verständlich beschreiben. Er fängt bei seiner Großmutter an und endet bei lauter Gewürzen, die kein Mensch kennt, weil sie nur in seinem Dorf wachsen und ihr Name für keinen Botaniker ins Deutsche zu übersetzen ist. Die Kochzeit folgt Gewohnheiten aus dem Mittelalter, als man noch keine Armbanduhren hatte und die Stunden genüsslich vergeudete. Ein unscheinbarerer Brei braucht nicht selten zwei Tage Vorbereitung, und das unbeeindruckt von aller Hektik.“
Das schrieb Rafik Schami, geboren 1946 in Damaskus, nach Deutschland ausgewandert und sehr engagiert in der Migrantenkultur, insbesondere für syrische Kinder mit vielen Ehrungen und Preisen. Er verfasste neben seinen Büchern in verschiedenen deutschen und schweizerischen Wochenzeitungen witzige Kolumnen. Übrigens, als geborener Syrer regte er sich über die Fremdenversteher in den Zeitungen auf, die ihn über Fremdenprobleme belehren wollten.
Worauf kommt es an, ungeachtet der Übertreibungen und Klischees? Auf Regeln der Angepasstheit, erzählte Erklärungen, Umgang mit Zeit, Diktat der Hektik. Wenn wir den Umgang damit, das Fremde in uns und in unserer Umgebung, nicht schaffen, handeln wir uns lauter Probleme ein.
Derzeit hat man den Eindruck, dass bezüglich der Migrations- und Asylpolitik alles daneben geht und trotz des Engagements der Ehrenamtlichen der Spalt zwischen den Einheimischen und den Fremden eher zunimmt. Brennende Flüchtlingsheime, Debatten über Obergrenzen, Integrationsstrategien usw., aber keine Lösungen. Das Problem ist nicht, ob es um Begriffe wie Flüchtlinge oder Migranten geht, das Problem ist Umgang mit dem Fremden. Politik heißt aber nicht nur, andere zu verstehen, in der Politik versteht man meist nur die eigene Parteilinie. Stattdessen geht es auch um eine andere Perspektive: Sich selbst und seine Einstellung zu Fremden zu verstehen. Verstehen ist natürlich die Grundbedingung für eine vernünftige Politik, und die scheint es zurzeit nicht zu geben.
Warum? Eine vernünftige Migrations- und Asylpolitik muss auch beachten, dass wir mit Aspekten von uns selbst umgehen müssen. Aspekte in uns selbst sind natürlich Neid, Eifersucht, Angst und ähnliche Reaktionen, auf der anderen Seite, vor allem wenn man voller Enthusiasmus, aber unkritisch an die Sache herangeht: Hypermoral, Selbstüberschätzung usw. Eine realistische Einschätzung unseres Problems mit den Fremden gelingt dann nicht mehr. Interessant, aber widerlich ist die Gesetzgebung der EU zur Sicherung der Außengrenzen. Frontex, jetzt ein Amt der EU, führt ab Januar 2017 sog. Stresstests (wie einst bei den zusammengebrochenen Banken) durch, um zu prüfen „wie gut ein Land erhöhtem Migrationsdruck … standhalten könnte“ (NZZ vom 1.10. 2016). Wieder einmal keine Rede davon, was Fremdheit mit uns macht und dass Migrationsdruck auch Migrationschance ist. Es geht wie immer um Parteidoktrin (so stümperhaft sie auch sein mag) – nicht um das viel Wichtigere: Was hilft womit wem warum?
Wie gefährlich Scheinlösungen sind, war mir nie so recht klar geworden, aber jetzt habe ich es begriffen. Scheinlösungen verfehlen eine Lösung. Eine US-amerikanische Islamlehrerin resümierte in einem Interview. „Selbst wenn Trump [mit seiner überheblichen Androhung, Muslime aus den USA zu vertreiben] im November nicht gewinnt: Der Hass, den er entfesselt hat, wird nicht mehr weggehen.“ (NZZ vom 1.10.2016). Warum soll das nicht auch hierzulande so sein? Hass gibt es ja genug.
Eine – gemeinsame (!) – Lösung ist extrem wichtig. Die einen tun etwas, und die andere auch. Nur das führt zu einer gemeinsamen Lösung. Die zurzeit gültige Integrationsregel ist keine gemeinsame Regel. Bisher gilt: Die „anderen“ müssen etwas tun, „wir“ zahlen. Ist das Gemeinsamkeit? Hier einige Hinweise und Ideen aus aktueller Literatur. Sind diese Hinweise und Ideen Stützen, die ein ganzes Gebäude tragen? Meines Erachtens ja. Wenn sie nicht da wären (und vieles spricht dafür), würde das ganze Gebäude einstürzen. Die Architektur ist nur ein Bild, Ideen brauchen Stützen.
Der „Mensch im Futteral“
Das ist ein häufiges und wichtiges Thema bei dem russischen Erzähler Anton Tschechow. Er schreibt in ‚die Dame mit dem Hündchen‘: „sich zurückziehen und auf seinem Gut zu verstecken – das ist kein Leben, das ist Egoismus, Faulheit … Der Mensch braucht […] den ganzen Erdkreis […], wo er alle Eigenarten und Besonderheiten seines freien Geistes uneingeschränkt entwickeln kann.“ Nicht nur Spießigkeit und das Fehlen eines ausreichenden Entfaltungsraums sind die Konsequenz, sondern auch die Tatsache, dass die Mitmenschen dieses Menschen im Futteral zu Komplizen, also selber zu Menschen im Futteral werden. Sie verschließen sich dem Fremden. Flucht und Migration zu behindern und unter Verdacht zu stellen bedeutet selber Gefangener seiner Scholle zu bleiben und Angst vor Mobilität zu entwickeln.
Noch einmal zum Migrationsthema: Der russische Arzt Tschechow lebte eine Zeit und starb im deutschen Badenweiler.
Die Welt besitzen?
Gehört Deutschland den Deutschen? Wer sind die Deutschen überhaupt? Ein Zitat von Cees Noteboom (Roman „Schiffstagebuch“): „Die Welt gehört anderen, du darfst sie dir ansehen, um sie besser zu verstehen – oder um dich selbst besser zu verstehen -, aber du kannst diese Welt nicht werden“. Wenn man über nationale Grenzen hinausgeht, dann muss Distanz der Lebenswelten respektiert werden.
Die sehr verbreitete Integrationsideologie trifft daneben, wenn sie auf Assimilation und Sprachkurse setzt und Momente der Fremdheit in der Begegnung der Kulturen beseitigen will. Natürlich dürfen auch Flüchtlinge und Migranten nicht erwarten – und tun es meist auch nicht -, dass sie im Schlaraffenland angekommen sind. Was sie aber mit Recht erwarten, ist Heimat, und Heimat ist keine geographische, sondern eine mitmenschliche Vokabel.
Noteboom bezeichnet die Begegnung der Welten als etwas, das uns selber verstehen hilft.
Heimat und ihre Voraussetzung
Die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin (2004) Elfriede Jelinek betitelt ihr Theaterstück „Totenauberg“, statt Todtnauberg, wo der sehr umstrittene Freiburger Philosophieprofessor Martin Heidegger seine Skihütte hatte, Seminarabschlussfeiern veranstaltet, Studenten/innen aus dem Norden Skilaufen beibrachte, aber auch der erste Führer-Rektor der Freiburger Uni in der NS-Zeit wurde. Nicht moralische Entrüstung predigt sie, sondern den Satz: Heimat ist und bedingt Fremde.
Jelinek wagt sogar die Sentenz: „Wir wollen der Fremde sein und über uns hinausgehoben werden, uns verlängern ins Unbekannte… Es könnte ja jeder daheim bleiben, um sich dort die Fremde zu schaffen, aber nein, wir müssen fort, um uns ein Zuhause zu schaffen.“ Und sie folgert: “Einmal werden diese Fremden selber Wirte für Neues werden müssen“.
Aber was soll der Nobelpreis, wenn doch keiner auf ihn achtet?
Beschränkung des Lebens
Einer der wesentlichsten Momente im modernen Leben ist die Mobilität, die Grenzen überschreitet und Fixierung auf eigene Grenzen als Begrenztheit und Beschränkung empfindet. Der französische Dichter Baudelaire (in dem Gedichtband: Blumen des Bösen) kennt die Sicherheit, aber auch das Elend der eigenen Grenzen, z.B. die Sehnsucht nach Weite und Überschreiten der bürgerlichen Ordnung. Der Dichter lässt insgesamt Grenzen – nicht nur die geographischen – verschwimmen, so etwa die Grenze zwischen Gut und Böse, auch das Nichtwissen des Zieles, die Utopie der Sehnsucht usw. Wer an Grenzen gebunden bleibt, ist wie Baudelairs Grille, an denen die Bohémiens vorbeiziehen. „Am Grunde ihres Sandlochs sieht die Grille sie vorbeiziehen, und lauter klingt ihr Lied“. Über das Fremde der Bohémiens zu erschrecken, bedeutet, dass ihm die Hoffnung finster und aus ihr Angst wird.
Resümee
Versuchen wir, die Anfangsfrage zu beantworten: Gehören Kulturkontakte, die Begegnung mit dem Fremden, zum Menschsein? Sicher ja. Zuletzt fand ich einen wichtigen Ausdruck bei dem Pariser Philosophen Jaques Derrida (1930-2004): „Beziehung zu dem ganz Anderen“ trägt das Menschsein. Der „ganz Andere“ steht also im Zentrum er prägt Menschsein. Jemand , der ganz anders ist, etwa so, wie es Rafik Schami beschreiben hat, begegnet mir, gibt mir etwas, braucht meine Hilfe oder nur meine Akzeptanz, dann und nur dann komme ich aus der Belanglosigkeit der Duodezfigur heraus. Allzu leicht wird aus der verbreiteten Abwehr des Bösen Abwehr des Anderen, des Fremden. Kontaktabwehr ist unsere Falle.
Unsere vier Literaten belegen das. Kontakt mit dem Fremden ist notwendig, sonst verkümmern wir und verlieren – so seltsam das klingt – unsere Heimat.
Das ist alles andere als das übliche Kommunikationsgesülze von „Einigkeit und Recht und Freiheit“, es ist viel komplizierter, als man denkt. Es beginnt sicher da, wo jemand über etwas nachdenkt, was ganz anders ist als das, was er üblicherweise als richtig anerkennt. Alternativen zulassen wäre ein weiterer Schritt, auch wenn Angela Merkel von angeblich Alternativlosem – es gibt immer Alternativen! – in der Politik redet. Erst wenn diese Fundamente gelegt sind, kann man auch einen Fremden akzeptieren.
Die Politik in Deutschland und in der gesamten EU ist weitestgehend anders gestrickt. Sie funktioniert nach dem alten Kinder-Auszähl-Vers:
„Wer fürchtet sich vorm schwarzen Manne? Niemand!
Wenn er aber kommt? Dann laufen wir.“
Funktioniert unsere Politik auf Kinder-Niveau? Darf Angst regieren? Eine Kehrtwende wäre dringend nötig. Kontakt mit Fremden/Fremdem ist Basis. Wer Kontakt reduziert, macht die Basis kaputt.