Wenn Politiker einfach unreflektiert abnicken, was ihnen ein Städte- und Kreisbund vorgekaut präsentiert, dann bekommt man einen ungefähren Einblick, wie repräsentative Demokratie funktioniert! Wann wird eigentlich Denken, vor allem Selbstdenken als Zugangsvoraussetzung für Politiker gefordert?
Zu Zeiten, in denen ich noch unter dem Hoheitsanspruch des Elternhauses lebte, erfolgte auf eine Aussage a la „Achim hat das auch getan“ die todsichere, wie gleichzeitig entmachtende Entgegnung: „Springst du auch von der Brücke, wenn Achim das sagt?“ Merkwürdigerweise verlor diese im Grunde vernünftige Einstellung der Erziehungsberichtigten automatisch dann ihre Gültigkeit, wenn höhere Mächte wie Politik oder Kirche im Spiel waren. So wurde meine Verweigerung des Tötungsdienst beim Militär als Entscheidung aus einer Selbstwirksamkeit heraus nicht anerkannt: „Springt ihr auch von der Brücke, wenn es der Verteidigungsminister anordnet, liebe Eltern?“
Nun ist es ja eigentlich ein Zeichen des hochgepriesenen, aber bei nur wenigen erreichten Erwachsenwerdens, eigen- und selbständig zu denken und zu handeln. Und zwar nach den Möglichkeiten eines kognitiven Vermögens, was natürlich nicht jedem gleichermaßen gegeben ist. Dabei kann es nicht schaden, sein Denken und Handeln auf der Basis eines Kant´schen Kategorischen Imperativs fußen zu lassen: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Nun gibt es natürlich Unmengen an gefährlichen Klippen, an denen sich die Wellen des Selbstdenkens und –entscheidens brechen können: Nicht immer ist der Arbeitgeber einverstanden mit dem, was der Untergebene denkt, auch wenn es zehnmal richtig ist. Und auch in unserer freiheitlich demokratischen Staatsform ist es in den wenigsten Fällen erwünscht, wenn das einfache Volk anderer Meinung ist, als es die gekrönten oder – in diesem Fall – gewählten Häupter für richtig empfinden.
Ich gebe zu, das ist ein wenig allgemein gehalten und obendrein typischer Populismus. Nehmen wir also ein aktuelles Beispiel. Wir leben in einer Zeit, in der das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP) heiß diskutiert wird. Da gibt es die, die sich aufregen, weil es so ungefähr das Dämlichste ist, was sich vermeintlich gebildete und obendrein studierte Lobbyisten und Politiker ausdenken können. Und es gibt Leute, die sich über Leute aufregen, die sich über diese dämlichen Lobbyisten und Politiker – ob mit oder ohne Hochschulstudium – erhitzen. Natürlich stellt sich hier die Frage, wer liegt hier richtig? Sind es die Verantwortlichen, die mit Lobpreisungen von vereinfachten Handelsbedingungen, einer Steigerung der Arbeitsplätze oder – was ja immer zieht – allgemeinem Wachstum ihr TTIP unters unwissende Volk bringen wollen? Oder haben die Recht, die eine Zersetzung der Demokratie, eine übermäßige Machtstellung der Banken und Konzerne, sowie eine Senkung der zahlreichen Umwelt- und Kulturstandards, die hier in Deutschland hart erkämpft werden mussten (weil es ja auch hier schon früher Leute gab, die sich über die aufregten, die sich darüber aufregten), wie böse Menetekel an die Wände graffitieren?
Inzwischen haben sich namhafte Wissenschaftler, Politiker und Intellektuelle zu Wort gemeldet und es wird immer deutlicher, es handelt sich bei der Kritik an TTIP nicht um bösen Antiamerikanismus, nicht um staatsfeindlichen Aktivismus oder einfach typisches Dagegensein der natürlich völlig unerfahrenen politischen Heißsporne, die in ihrem universitären Dasein einfach viel zu viel freie Zeit haben und besser ihre Seminare besuchen sollten. Auf einem Plakat bei einer Anti-TTIP-Demonstration las ich den Satz: TTIP ist böse! Nein, nicht TTIP ist böse, sondern Menschen, die die Meinungsfreiheit und demokratischen Errungenschaften dem krakenhaften und krankhaften Gebaren von Banken und Konzernen opfern, sind böse. Und wenn eine Frau Merkel betont, dass eine Ratifizierung der TTIP-Grundlagen lieber heute als morgen passieren sollte, ohne sich dabei in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise kritisch zu äußern, sollte man sich fragen, ob diese Frau, die ansonsten ja vor allem durch Mundhalten und Aussitzen auffällt, sich noch tatsächlich auf dem Boden der demokratischen Grundordnung befindet. Es ist ja nachvollziehbar, dass ein Großteil der Wähler diese Künstlerin der Routentechnik wählt, denn Merkel macht genau das vor, was den größten Teil des Volkes vor allem auszeichnet: Nichts!
In meiner Heimatstadt Telgte hat vor einiger Zeit die CDU gemeinsam mit der FDP einstimmig das Thema TTIP von der Tagesordnung einer Stadtratssitzung gekippt, blind den Empfehlung des Städte- und Kreisbundes NRW folgend. Man wundert sichdarüber natürlich nicht, denn die CDU ist sozusagen die politische Vollendung einer deutschen Autoritätshörigkeit, Gleichschaltung und Angepasstheit. Ebenso wenig wundert man sich über die FDP, die selbst widerlichste Schachzüge eines ungebremsten Kapitalismus schnuckelig findet. Machen sich diese Parteien keine Sorgen um unsere Demokratie? Ist ihnen unsere hart erkämpfte Umweltpolitik Schnuppe? Können sie mit der Tatsache leben, dass durch eine Paralleljustiz, wie bei den Schiedsgerichten gegeben, unser Rechtssystem ausgehebelt wird? Glauben sie wirklich alles, was da von der im Geheimen tagenden Lobby an der Politik vorbei verhandelt wird? Bei beiden Parteien ist nicht einmal ein homöopathischer Anteil von Kritik zu spüren, plappern sie doch unreflektiert und in dumpfer Parteihörigkeit nach, was ihnen vorher mundgerecht vorgekaut worden ist.
Wann wird eigentlich Denken, vor allem Selbstdenken als Zugangsvoraussetzung für Politiker gefordert?