Die Politik benutzt in Krisen der Gesellschaft Experten aus der Wissenschaft. Auf Grund deren Beratung sollen politische Entscheidungen eine tragfähige Grundlage bekommen. Ich habe erhebliche Zweifel.
Wir brauchen politische Entscheidungen, vor allem in Krisen. Dann werden Experten bestimmt, aber nicht gewählt. Das ist unser Problem, weil wir Bürger nicht mitbestimmen, oft nicht einmal verstehen können. Klar: Diese Entscheidungen müssen Hand und Fuß haben, und dafür brauchen wir Experten. Helfen sie wirklich beim Entscheiden? Schließlich haben wir doch das Parlament und die Landespolitiker.
Deutschland hat auf Krisenmodus geschaltet. Laut einer Umfrage plädieren die Bürger (1.596 Befragte) für folgende Demokratieformen:
In dieser Umfrage ist die direkte Demokratie am häufigsten gewählt worden, am zweithäufigsten die Expertokratie. Direkte Demokratie scheint mir auch sehr vernünftig. Aber das gute Abschneiden der Expertokratie macht mir Kummer. Einerseits finde ich es schlecht, wenn die Politiker die sog. Experten übergehen ohne transparent zu machen, warum sie das tun. Andererseits müssen Politiker die Interessen des Volkes (statt Volk ist das leider fast immer ihre Partei) beachten, die Experten nur ihre Wissenschaft. Deswegen ist die Zusammenarbeit zwischen Politikern und Experten sehr problematisch. Erst wenn man sie anders gestaltet als bisher, ist sie eine neue Art der demokratischen Regierung. Aber das machen wir später.
Was sind die Themen der Politik, für die man Beratung durch Experten braucht(e)?
Kümmern wir uns in diesem Aufsatz nur um die beiden Szenarien: Corona und Klimawandel. Corona wählen wir, weil die Pandemie mehr oder weniger zuende ist, wir aber immer noch mit den Auswirkungen zurechtkommen müssen. Klimawandel wählen wir, weil wir akut damit leben müssen, aber eine ganz andere Art von Expertenberatung mitmachen.
- Corona
Mein Buch über Corona hatte den Titel: Ruin des Zusammenlebens. Die in Berlin und den 16 Bundesländern ernannten Expertenräte (scherzhaft genannt „Kronrat“) sorgten für virologische und epidemiologische Expertise. Neben Exminister Spahn, später Minister Lauterbach gab es in Vertretung des kompletten Expertenrates: die Professoren Wieler und Drosten. Was lernen wir daraus? Ein Experte, zumindest ein medienwirksamer, sollte einen Professorentitel haben. Sprechen Wieler und Drosten für das gesamten Team mit vielen Experten (auch aus nicht medizinischen Disziplinen und warum nur gerade die beiden?
Ein paar Einzelheiten: Prof. Drosten hat wohl von einer amerikanischen Kollegin einen tollen Artikel gelesen, in der bei der spanischen Grippe (1918-22), mit dem gleichen Virustyp wie bei Corona, die Schulen nicht geschlossen wurden, was die Virusepidemie damals verschlimmerte. Drosten riet für sofortige Schulschließung. Heute wissen wir (leider erst nach den schlimmen Phasen von Corona), dass Schulschließung ein großer Fehler war. Heute sieht man Drosten nicht mehr, höchstens sanierungsbedürftige Schulen.
Auch der RKI-Chef Prof. Wieler hatte eine Philosophie, die nicht dem Ansinnen des Gesundheitsministeriums entsprach, egal ob mit CDU- oder SPD-Minister. Wieler vertrat laut einem Interview der SZ das One-Health-Konzept (= Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt). Leider spürte man das überhaupt nicht. Als er seine Rolle im Kronrat (wieder laut Interview der SZ) aufgab, bezeichnet er sich als Papagei, der nachplapperte, was die anderen hören wollten. Schämte er sich?
- Klimawandel
Das Klima hat sich gewaltig geändert. Einer der vielen Aspekte des Klimawandels ist die Art des Heizens und des Autofahrens wegen des CO2– Ausstoßes. Energieverzicht auf fossile Brennstoffe ist eine Option, auf die es keine Alternative gibt. Probleme des Klimawandels anzugehen, ist seit ca. 70 Jahren eine Herausforderung. Jetzt greift man diese Option auf – endlich, es wird höchste Zeit.
Streit entfachte sich in Deutschlands Kellern. Womit heizt man? Was kostet das dann, wenn Gas und Öl teurer, weil knapper werden? Wann und zu welchen Kosten muss man die alte Heizung (und eventuell noch mehr) umrüsten? Das Gesetz sollte verabschiedet werden, aber jetzt wird es nach der Sommerpause verabschiedet (oder eher verhandelt bzw. korrigiert, meint die Opposition). Als ob wir Zeit in Hülle und Fülle hätten. (K)Ein Problem. Überlebensprobleme werden zu Finanzproblemen. Könnte man nicht gleich das Überleben der Deutschen Bank übergeben? Jetzt sind die Experten dran.
Ein Schelm, wer Böses denkt. Ich denke an einen Schlaganfall. Der tritt ein, wenn ein Blutgefäß (meist im Gehirn) verstopft ist und das Gehirn oder Teile davon nicht mehr mit Blut versorgt werden. Wer nicht innerhalb von wenigen (meist 3) Stunden in eine Strokeunit (spezielle neurologische Intensivstation für solche Patienten) eingeliefert wird, muss mit schlimm(st)en Folgen rechnen.
Klimawandel kann man wohl mit einer solchen Krankheit vergleichen, weil er Teile des Lebens brach liegen lässt und die damit verbundene Lebensqualität ausradiert. Dazu einige Beispiele:
- Starkregen überfordert die bisherige Kanalisation. Neue Kosten?
- Pro Jahr mehr als 5.000 Hitzetote allein in Deutschland. Müssen wir mit mehr Toten rechnen?
- Krankenhäuser sollen Klimaanlagen bekommen. Wer zahlt das?
- Begrünung in Städten dient der Kühlung. Zurzeit wird das selten – leider nicht einmal in Dörfern und kleineren Städten – probiert.
- Waldbrände geraten außer Kontrolle und bedrohen v.a. Menschen, die an Rändern der Städte leben.
Sind die Experten diesmal besser als bei Corona? Weiß ich nicht, immerhin wurden sie seit Jahrzehnten überhört. Diesmal hat sich die UN darum gekümmert, die den Weltklimarat, den IPCC (= International Panel on Climate Change) etabliert hat. Deren Experten sind nicht einfach Wissenschaftler, sondern sind zusammengesetzt als Gremium, das auch sehr praktische Probleme berät und (Klima-)Folgenabschätzung betreibt. Unser einziges Problem ist, dass der IPCC nicht zuständig ist für die Politik des entsprechenden Landes, also auch nicht für Deutschland.
Fazit
Der Titel meines Aufsatzes heißt „die sogenannten Experten“. Warum „sogenannt“? Nicht, weil ich sie veralbern will. Wir brauchen sie, aber bisher und in ihrer bisherigen Organisation sind sie unbrauchbar. Darum die folgenden Grundsätze:
- Experten dürfen nicht einfach herangezogen werden
Krisenbewältigung ohne Experten ist keine hinreichende Lösung, wenn man nicht ausreichende Informationen über das Handlungsproblem hat. Ihre Aufgabe ist ähnlich die der Schöffen. Die werden auch nicht einfach herangezogen, sondern erklären sich bereit und ihre Eignung wird vom Gericht überprüft. Dieses Verfahren wird in der Politikberatung nicht angewandt.
Zu diesem Problem las ich in der Süddeutschen Zeitung von Christina Berndt einen interessanten Artikel und darin die schöne Anmerkung:
„Forschende sind gezwungen, sich öffentlich zu äußern, selbst wenn sie es gar nicht wollen oder vielleicht auch nicht so gut können“.
- Was ist die Kompetenz der Experten?
Ein Satz, der einem runtergeht wie Brandy: Ein Experte weiß von immer weniger immer mehr, bis er am Ende von nichts alles weiß. Natürlich ist das komisch. Aber in diesem komischen Satz steckt auch etwas Sinnvolles: Ein Experte ist erst dann ein Experte, wenn er sich voll und ganz auf einen Gegenstand der Wissenschaft konzentriert und alles anwendungsbezogene Drum und Dran (sog. Umstände) außer Acht lässt. Hier ein Zitat aus einem Aufsatz des Kommunikationswissenschaftlers Walter Reese-Schäfer:
- Besetzung eines Expertengremiums
Ein Gremium braucht wissenschaftlich ausgerichtete und generalisierende Experten, und nur ein gemeinsames Urteil ist hilfreich für politische Entscheidungen. Deswegen muss ein solches Gremium von praktisch und theoretisch denkenden Personen zusammengesetzt sein. Sie müssen die Machbarkeit, die Transparenz und die Sinnhaftigkeit eines Beschlusses widerspiegeln.
Ein sehr wichtiger Punkt bei der Besetzung solch eines Gremiums ist die Einstellung der Experten. Nicht nur die sollten vertreten sein, die zum Mainstream der wissenschaftlichen Annahmen gehören, sondern auch deren Kritiker. Ist das nicht so, könnte man die Experten auch draußen lassen. Das eigentlich traurige Bild von Prof. Wielers Abschied spricht Bände.
Am Schluss noch eine wichtige Anmerkung, die zum Coronaproblem gedacht ist. Sie lässt sich aber leicht auf das Problem der Experten insgesamt übertragen.
Von der FÖG (= Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft) der Universität Zürich wurden Erhebungen nach Corona erhoben. Die Medien bekamen akzeptable Werte, leider nicht die Experten. Bemängelt wurde, dass es keine Vielfalt der Expertenmeinungen gab, sondern nur die Starexperten kamen zu Worte. Dazu zählt auch der zweite Punkt der FÖG: Experten vermittelten keine kritische Distanz. Meinungsbildung von uns Laien gibt es also nicht.