Der Diätenwahn
Weg mit dem Speck - oder auch nicht

Der Neujahrsvorsatz: Abnehmen! (Copyright: Birgit Hartmeyer)
Der Neujahrsvorsatz: Abnehmen! (Copyright: Birgit Hartmeyer)

Alle Jahre wieder, kaum dass das alte Jahr verklungen ist und das neue begonnen hat, boomt der Diätenmarkt. Keine Frauenzeitschrift, die nicht den einen oder anderen Abnehmtipp parat hat, kein Boulevardblatt ohne vollmundige Schlagzeile wie „10 kg weniger in 3 Tagen“ und kaum eine Werbepause im TV ohne einen Spot für ein Diätshake. Bei so vielen guten Tipps müsste unser Volk doch rank und schlank sein, sollte man meinen. Ist es aber nicht. Da stellt sich natürlich die Frage: Warum nicht?

 

Was Fast Food, industriell gefertigte Podukte, Weißmehl und DIÄTEN (!) aus uns machen (Copyright: Birgit Hartmeyer)
Was Fast Food, industriell gefertigte Produkte, Weißmehl und DIÄTEN (!) aus uns machen (Copyright: Birgit Hartmeyer)

Eigentlich wissen die meisten von uns, dass Diäten in der Regel nicht viel bringen. Sicher, mit ein bisschen Disziplin nimmt man das ein oder andere Kilo ab, doch genauso schnell ist es auch wieder drauf. Gerne mit Zuschlag nach dem Motto „Darf’s noch ein bisschen mehr sein?“ Also 3 kg Verlust und 4 wieder drauf! Das nennt man dann im Volksmund Jojo-Effekt. Es hat sich auch schon herumgesprochen, dass man zunächst eher Wasser und Muskelmasse verliert statt Fett, welches sich hartnäckig weigert, seine kuschlige Behausung zu verlassen. Wenn man wieder zunimmt, dann ist das Fett allerdings an vorderster Front dabei. Also im schlimmsten Fall: 2 kg Wasser und 1 kg Muskelmasse verlieren und 4 kg Fett wieder drauf. Betrübliche Aussichten für jeden Abnehmwilligen.

Nichtsdestotrotz: Kaum ist der letzte Silvesterböller am Nachthimmel verpufft, werden die guten Vorsätze fürs neue Jahr notiert, und ganz oben steht oft das unschöne und mit hässlichen Assoziationen verbundene Wörtchen DIÄT. Manche sind auch etwas spezifischer und nennen eine genaue Kilozahl, also 10 kg abnehmen oder, wie bei mir im letzten Jahr, 25 (!) kg Moppelspeck weg. (Ob ich’s geschafft habe, verrate ich am Ende des Artikels.) Ganz Pingelige geben die Kleidergröße an (wahlweise Gr. 36 oder 38) oder das Wunschgewicht (unrealistische Erwartungen à la 55 kg bei einem Ausgangsgewicht von 100 kg sind nicht gerade selten).

 

So viele Diäten ... (Copyright: Birgit Hartmeyer)
So viele Diäten … (Copyright: Birgit Hartmeyer)

Der Markt, auf dem sich die unterschiedlichsten Diäten tummeln, ist riesig. Und sehr gewinnbringend – für die Erfinder von Diäten und die Verkäufer von Diätprodukten. Für die Abnehmwilligen ist er eher verwirrend. Bei der einen Diät wird das Eiweiß in den Himmel gelobt und die Kohlenhydrate verteufelt, bei der nächsten ist es genau umgekehrt. Mal soll Apfelessig und Wasser helfen, dann wieder Zwieback und Orangen oder Kohlsuppe. Der Abnehmerfolg ist hier garantiert, denn nach spätestens 2 Tagen hat man das Zeug so satt, dass man gar nichts mehr isst. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man entnervt alles hinschmeißt und den alten Gelüsten frönt, die einen erst haben übergewichtig werden lassen.

 

Die Diätenerfinder sind sehr kreativ, das muss man ihnen lassen. Da gibt es z.B. den glykämischen Index (GI) und davon abgeleitet die Glyx-Diät. Das Dumme daran ist nur, dass man als Otto Normaldiäter bei vielen Lebensmitteln den GI gar nicht kennt. Genial ist auch das Schlank-im-Schlaf-Konzept. Ja, das wollen wir alle: keine Einschränkungen, aber dennoch abnehmen. Man schläft abends ein und wacht morgens mit 2 kg weniger wieder auf. Toll! Eine Freundin war völlig begeistert von dieser kräftig beworbenen Diät – genutzt hat es nichts, jedenfalls nicht auf Dauer. Eine andere hat die Atkins Diät gemacht, bei der man fast ausschließlich Eiweiß und Fette isst. Nach ein paar Tagen, so sagt sie, hinterließ sie bei allem, was sie anfasste, Fettspuren. Das viele Fett, das sie zu sich nahm (nicht die Fettpolster in ihrem Körper, wohlgemerkt!), bahnte sich seinen Weg durch sämtliche Hautporen nach außen. Igitt!

 

Der Diätenwahn (Copyright: Birgit Hartmeyer)
Der Diätenwahn (Copyright: Birgit Hartmeyer)

Viele Übergewichtige, die Modediäten eher skeptisch beäugen oder komplett bescheuert finden, schwören auf FdH = Friss die Hälfte. Damit nimmt man ab, ohne Frage. Doch sobald man wieder „normal“ isst, nimmt man alles wieder zu. Ohne eine Ernährungsumstellung lässt sich eben das abgenommene Gewicht nicht halten. Eine Weisheit, die die meisten von uns allerdings immer noch verdrängen. Weight Watchers verspricht da mit einem ausgeklügelten Point-System Abhilfe (jeder Teilnehmer darf einen zuvor für ihn festgelegten täglichen Point-Wert nicht überschreiten). Immerhin: Für die meisten Gemüse und Früchte werden keine Points berechnet und in den Kursen bekommt man Infos über eine gesunde, vollwertige Ernährung. ABER: Fast Food und industriell hergestellte Nahrungsmittel sind weiterhin erlaubt. Letztendlich lernt man nicht, seine Ernährung langfristig in gesündere Bahnen zu lenken. Und mal ehrlich: Wollen Sie Ihr Leben lang Punkte zählen? Hinzu kommt, dass die Produktwerbung bei WW offenbar immer aggressiver wird. Meine Schwägerin, eigentlich ein WW-Fan und sogar Gold-Mitglied, erzählte letztens, sie sei bei einem WW-Treffen gewesen und die Hälfte der Zeit habe nur aus Produktwerbung bestanden.

Ja, mit Diätprodukten lässt sich gut verdienen. Proteinshakes in den verschiedensten Geschmacksrichtungen, spezielle Diät-Fertiggerichte, Diätschokoriegel, Diätgummibärchen, Diätchips usw. usf. Die Shakes hat man nach spätestens einer Woche satt, und Riegel & Co. sind genauso ungesund wie ihre Kollegen aus dem Supermarkt, dafür aber teurer.

 

Wir essen und essen ... und wundern uns dann über die Folgen: Adipositas, Verdauungsbeschwerden, Sodbrennen, Allergien, Arthrose, Migräne, Schlafstörungen, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall ... (Foto: Birgit Hartmeyer)
Wir essen und essen … und wundern uns dann über die Folgen: Adipositas, Verdauungsbeschwerden, Sodbrennen, Allergien, Arthrose, Migräne, Schlafstörungen, Diabetes, Herzinfarkt, Schlaganfall … (Foto: Birgit Hartmeyer)

Eine wesentlich billigere Alternative wäre das gute, alte Kalorienzählen. Man braucht bloß eine Kalorientabelle und rechnet brav jeden Tag seine verzehrten Kalorien zusammen, die natürlich eine vorher gesetzte Obergrenze nicht überschreiten dürfen. Praktischerweise wird ja auch auf vielen käuflich erwerbbaren Produkten die Kalorienmenge angegeben. Das Problem dabei ist, dass man heute weiß: Kalorie ist nicht gleich Kalorie. Industriezucker = leere Kalorien, Apfel = nährstoffhaltige Kalorien. Natürlich nimmt man ab, wenn man seine Kalorienzufuhr drastisch herunterfährt, sagen wir mal auf 1000 oder gar 500 kcal. Aber ob das Abnehmen dann wirklich gesund ist? Hängt sehr davon ab, was man isst, denke ich. Trotzdem: 1000 oder gar nur 500 kcal scheinen mir doch zu wenig zu sein, um alle wichtigen Nährstoffe wie Eiweiße, Kohlenhydrate, Fette, Mineralstoffe, Spurenelemente, Vitamine usw. in ausreichender Menge zu bekommen. Und nach der tollen Abnahme, wenn die Kalorienzufuhr wieder erhöht wird, nehmen die meisten erneut zu und bringen nach spätestens 2 Jahren (eher früher) wieder ihr altes Gewicht auf die Waage bzw. noch mehr. Das kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen. Ich habe Kalorien reduziert und viele verschiedene Diäten ausprobiert. Genutzt hat es nur kurzfristig.

Und jetzt? Beantwortung der Frage vom Anfang: Nein, die geplanten 25 kg habe ich nicht abgenommen. Mein Kleiderschrank ist immer noch voller Klamotten, die nicht passen. Ich könnte einen Second-Hand-Laden aufmachen: Von Größe 38 bis 46 habe ich jede Menge wunderschöner und zu 95 Prozent kaum oder gar nicht getragener Kleidung anzubieten (ich gehöre zu den optimistischen Menschen, die sich Kleidungsstücke eine Nummer kleiner kaufen in der Hoffnung noch „hineinzuwachsen“).

 

Ernährungsbedingte Krankheiten (Copyright: Birgit Hartmeyer)
Ernährungsbedingte Krankheiten (Copyright: Birgit Hartmeyer)

Aber noch gebe ich nicht auf. Ich verschließe die Ohren, wenn eine gute Freundin predigt, man solle sich so annehmen, wie man sei. Begehrenswertes, kurviges Vollweib! Lustvolle Rubensfigur! Nein danke, nichts für mich. Denn es ist nicht nur das überschüssige Fett, das stört. Schleichend kommen diverse Krankheiten hinzu, die erwiesenermaßen ernährungsbedingt sind, wie Diabetes, Arteriosklerose, Schlaganfall, Herzinfarkt und vielleicht sogar Krebs. Übergewicht ist nun mal ungesund. Und es ist auch nicht schön! Basta!

 

Was also tun?

Bleibt die vielgepriesene Ernährungsumstellung: mehr Gemüse (vor allem als Rohkost und viel grünes Blattgemüse), mehr Obst (zuckerarme Früchte bevorzugen, wie z.B. Beeren), weniger Zucker in jeglicher Form, weniger Salz, keine industriell gefertigten Produkte, weniger Alkohol, weniger gesättigte (tierische) Fette und dafür mehr pflanzliche Fette, außerdem weniger (oder bestenfalls gar kein) tierisches Eiweiß und dafür mehr pflanzliche Proteine (Nüsse, Hülsenfrüchte u.a.) und vor allem kein Fastfood. So einfach und so unspektakulär, aber für viele von uns eine echte Herausforderung. Pommes – Nein! Burger – Nein! Sahnetorte – Nein! Kekse – Nein! Schokolade – Nur mit hohem Kakaoanteil! Verzicht auf allen Ebenen?  Da sträuben sich einem doch die Nackenhaare!

 

Gesund und lecker! (Foto: Birgit Hartmeyer)
Gesund und lecker! (Foto: Birgit Hartmeyer)

Aber wenn man mal genau überlegt, dann gibt es unsere heutige typisch westliche Ernährungsform erst seit ca. 50, 60 Jahren. Und in eben genau diesem Zeitraum haben auch die sogenannten Zivilisationskrankheiten zugenommen. Unsere Groß- und Urgroßeltern aßen keine Pommes, sondern Kartoffeln. Sie kannten keinen BigMac, sondern genossen ihren selbst zubereiteten Sonntagsbraten (Fleisch gab es nicht an jedem Tag!). Sie verzehrten Gemüse aus dem eigenen Garten oder vom Markt, keine Fertiggerichte, die man nur schnell in die Mikrowelle oder den Backofen schieben muss und die zig Zusatzstoffe (Farb- und Konservierungstoffe, Säuerungsmittel, Antioxidantien, Emulgatoren, Geschmacksverstärker u.a.) enthalten, die so gar nicht gesund sind. Irgendetwas läuft in unserer Gesellschaft gewaltig falsch. Die mächtige Nahrungsmittelindustrie gibt dank ausgeklügelter Werbestrategien und gefaketer wissenschaftlicher Studien den Ton an und wir Verbraucher folgen brav. Und wenn wir dann dick und rund und krank geworden sind, dann kommt die Diätindustrie daher und verspricht uns Besserung dank des supertollen XY-Shakes, dank dieser und jener angeblich wahnsinnig erfolgreichen Diät. Und wir fallen immer wieder darauf herein. Trotz besseren Wissens. Ein wahrer Teufelskreis!

Ich ziehe die Konsequenzen: Auf meiner Vorsatzliste steht in diesem Jahr nicht mehr Abnehmen an oberster Stelle, sondern GESUNDE ERNÄHRUNG. Ich werde Ende des Jahres berichten, wie es gelaufen ist. Und ob ich dabei abgenommen habe. Versprochen!