Nur wenn man über etwas lachen kann, steckt etwas Ernstes dahinter Manchmal lacht man über Pannen in der Beziehung, manchmal ist man bestürzt über unerkannte Fallen, gelegentlich enttäuscht. Hilft Fairness? Wenn ja, was ist das?
Beziehung ist ein Paket von Glücklichsein, aber auch von Schwierigkeiten, Glücklichsein zu bewahren. Mit anderen Worten: Beziehung ist ein Sammelsurium von Fallen, Frust, aber auch von Fairness. Zwei schlimme Erlebnisse zu Beginn unserer Ehe. Meine Frau legte großen Wert auf Sport und einige andere Dinge. Skifahren, geht zusammen. Wir machten einige Skikurse. Aber dann kam die erste Pleite. Sie war gut, ich war schlecht, sie im obersten Kurs, ich im untersten. Als ich im dritten Kurs war, ich träumte schon von Olympia. Aber dann kam die zweite Panne. Mein Skilehrer brachte mich wieder in den unteren Kurs mit der Bemerkung: „Das ist Sepp, er kommt aus einem Rennteam, aber es hapert an der Haltung“. Als wir am Ende der Woche gemeinsam Ski fahren wollten, kam die nächste Panne. Der Hang, den wir ausgesucht haben, war für meine Frau zu leicht und für mich zu schwer. Ich hatte mich überschätzt und rutschte den Hang runter wie ein lungenkranker Eisbär. Gott sei Dank bin ich bei der Wissenschaft geblieben.
Beziehung könnte, meinte ich, einfach und schön sein. Aber sie war, dort wo sie am schönsten war, ein Problem. Alle, die in einer Beziehung leben, haben einen großen Vorteil. Ihr Leben wird bedeutungsvoll. Dazu ein Satz von Wilhelm Genazino («Ein Regenschirm für diesen Tag») zu diesem Thema: „Meine Existenzlosigkeit geht zurück, ich habe keine Lust mehr, mein Leben zu belauern. Ich höre auf, der blinde Passagier meines eigenen Lebens zu sein“.
Beziehungen sind keineswegs leicht, sind keine Art Naturbegabung. Ein Blick in die Statistik. Beziehung, von wegen Naturbegabung, eher ein Zerfall der Fähigkeit, sich und andere glücklich zu machen. Mich beelendet die Zahl der Morde bei Eheleuten, also bei Menschen mit Routinebeziehung. Laut Google wurden 2019 117 Frauen und 38 Männer von ihren Partnern – bei insgesamt 246 Morden – getötet. Das ist etwas mehr als die Hälfte, also eher worst case. Etwa ein Drittel aller Ehen wird geschieden. Viele eheähnlichen Beziehungen wollen dieses Trennungsdrama umgehen. Aber was hilft uns, solche und ähnliche Katastrophen zu vermeiden?
- Kompromisse
Einen Kompromiss zusammenschmieden scheint nicht beziehungstypisch zu sein. Man denkt eher an Politik oder vielleicht an Basar. Die Redewendung vom «faulen Kompromiss» sagt alles. Aber m.E. sind Kompromisse niemals faul. Kompromisse verhindern Extreme, stärken Beziehungen, weil sie Gemeinsamkeit hochhalten, die im Alltag zu scheitern droht, aber auch die eigenen Werte nicht verrät.
In einem Sketch von Loriot sagte die Frau zu ihrem Mann: „Du tust eben nicht, was dir Spaß macht“. Weiß ich, was mir Spaß macht? Meist weiß ich, was mir Angst macht. Das ist eine schlimme Gemengelage. Angst verdirbt Spaß. Typisch Sozialisation: Mir macht Spaß, was mir Spaß machen soll. Der innere Widerspruch ist sehr verbreitet: Man will, was man soll? Und das wird anscheinend zum Prinzip der Beziehung.
Der Mann soll tun, was ihm Spaß macht, heißt es oft. Warum soll die Frau nicht auch das tun, was ihr Spaß macht? Das Mann-Frau-Klischee verhindert das. Nur das, was dem einen so wichtig ist wie dem anderen, kann die Basis für faire Gesetze sein, schrieb Immanuel Kant. Philosophie hin oder her. Kompromisse sind sehr oft der Beginn einer guten Beziehung.
- Keine Besserwisserei
Etwas besser wissen als andere begegnet einem leider oft – gerade auch als Wichtigtuerei in Zeiten unserer Pandemie. Etwas besser zu wissen beruht oftmals nicht auf Fakten, sondern ist eine Demonstration der Überlegenheit. Überprüfung von Fakten, neudeutsch als Faktencheck bezeichnet, ist alles andere als einfach. Noch schwerer ist Akzeptanz bzw. Ablehnung von Überlegenheit. Oder sogar eine Diskussion ohne Behauptungen, die man nicht überprüfen kann. Die kann man nicht ablehnen, höchstens mit Rebellion.
Von Bertrand Arthur Russel (englischer Philosoph, Mathematiker und Logiker) stammen einige Bemerkungen über Liberalität. Einige würden lieber sterben, meint er, als nachdenken. Besserwisserei ist für ihn ein Gräuel, heißt es in seinen berühmten 10 Geboten des Liberalismus, weil „die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel“. Und die letzte Empfehlung: „Blicke nicht neidisch auf das Glücklichsein derer, die im Paradies der Dummen leben; denn nur ein Dummer meint, dass es Glücklichsein ist“.
Besserwisserei ist der Tod von Verschiedenheit. Verschiedenheit ist aber der Hintergrund einer Beziehung. Und Beziehung ist der Griff durch die Mauer der Verschiedenheit.
- Rollenklischees vermeiden
Alltagsfrust entsteht oft durch Gewohnheit, eine der üblichen Quellen der Moral. Da ist z.B. ein Klischee. Gewöhnung macht Regeln, deren Einhaltung oft als wichtig und darum als moralisch angesehen wird. Aber es macht die schönste Beziehung kaputt. Das Frau-Mann-Klischee z.B. halten manche für moralisch aufgeladen, ist dabei aber reine Gewohnheit. Zur Zeit verschiebt sich das (siehe Bertelsmann-Studien) zugunsten der Frau. Nähere Analysen zeigen, dass Befragungen vor und zu Beginn der Ehe faire Beziehungen verheißen, im Alltag sind die Ergebnisse ziemlich anders. Das Problem ist die Rollenaufteilung im Alltag. Die kann Beziehungen zerstören.
Da ist auch noch das Problem der Freundschaft. Weil Freundschaft nicht definierbar ist, gibt es keine Statistiken. Freundschaft basiert nicht auf Rollenaufteilung, hat aber andere Probleme zu bewältigen wie Vorurteile, Klischees, Respekt verschiedener Ansichten, gemeinsame Reisen oder sogar gemeinsame Unternehmen von Freunden usw.
Frust nimmt zu, wenn die Rollen repressiv aufgeteilt sind. Der eine tut, was er will, der andere muss tun, was er nicht will, er wird gleichsam zum Ausputzer der Unterlassungen. Die Situation ist von Ungerechtigkeit geprägt. Scheitern der Beziehung ist programmiert.
- Fairness
Kann es eine Beziehung geben, in der unterschiedliche Ansichten akzeptiert werden? Genau das ist das Problem: In Punkt 2 schrieb ich über den Griff durch die Mauer der Verschiedenheit. So ein Griff wäre die Fairness. Sie übervorteilt niemanden.
Eine unfaire Situation bringt viele zum Schweigen. Nichts fällt einem eint, was weiterhilft. Jeder Rat führt in immer tiefere Ratlosigkeit des anderen. Warum? Ratlosigkeit ist Hilflosigkeit, und die endet in Wut und wirkliche Aggression. Gottfried Keller schrieb einen Roman über einen Jungen, der Maler werden wollte. Ein Verwandter riet seiner Mutter davon ab. Sie sinnierte: „Rat ist Draht“. Draht ist in der Schweiz ein Bild für „eingezäunte Weiden“. Und das ist ein seltsamer Widerspruch: Weide ist Fülle, Einzäunung ist Begrenzung. Einzäunung zerstört Beziehung.
Immer tiefer reicht die Ratlosigkeit. Man fürchtet, seine Position aufgeben zu müssen, um die Beziehung zu retten. Aber das wäre eine Art Konkurs. Vorher kommen viele kleine Schritte: Man muss wissen, was einen ärgert, worin der Konflikt besteht, ob und wie man überhaupt eine Lösung des Konflikts will, welche Lösungen man akzeptiert. Erst dann kommt die Sensibilität für Fairness.
Übrigens, man darf eins nicht vergessen: Aggression ist nicht immer das Ende der Fairness, sie hat zwei Seiten: die Verletzung des anderen, aber auch eine Art Hilfeschrei, ein verstecktes Aufeinander-Zugehen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen (ad-/aggredi), zu Deutsch: herangehen. Aggression ist oft in Not geratene Beziehung.
- Blockt Autonomie Beziehung?
Wer blockiert eigentlich die Autonomie? Das sind doch wir selber. In Loriots Sketch sind es beide, die den anderen nicht den sein lassen, der er sein will. Das gilt natürlich für alle Partner in der Beziehung. In seinem Roman «Zeitlupe» schrieb John Maxwell Coetzee „Werden Sie wesentlich, Paul. Leben Sie wie ein Held. Seien Sie eine Hauptfigur. Wozu sonst leben?“
Denken wir an ein Beziehungsproblem, das allzu oft ein schleichendes Ende einleitet. Etwa: SIE meint, der Schulabschluss des Kindes sei nicht so wichtig wie ein glückliches Leben, ER meint dagegen, der Schulabschluss sei extrem wichtig für das Vorankommen. Heißt Autonomie recht haben? Nein. Autonomie heißt: dem anderen – etwa im Falle des Kindes mit dem Schulproblem – Freiraum schaffen, ihren/seinen Weg zu finden. Auch ein Leben ohne Schulabschluss kann ein glückliches Leben werden. Aber bitte keine Klischees!
Der Begriff Autonomie kommt aus dem antiken Griechenland, wenn ein Stadtstaat wie z.B. die Bürgerschaft von Athen damals stark genug war, sich selber Gesetze zu geben. Übertragen wir diesen alten Begriff auf unseren Beziehungsalltag: Autonomie bedeutet, dass man der sein kann, der man sein will, und auch die Verantwortung für das tragen muss, wofür er sich entscheidet.
Mein Vorschlag für einen Ausweg
Aus der kaputten Beziehung herauskommen geht nur, wenn man auf den anderen zugeht. Der letzte Satz in Jean-Paul Sartres Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“ heisst: „Die Hölle – das ist der andere“. Verständlich, Sartre dichtet einen Raum, in dem zwei Männer (einer homosexuell, der andere bisexuell) und eine Frau eingeschlossen sind. Beziehung geht daneben. In der Lebensgeschichte des Philosophen gab es viele Gründe, in der Beziehung die Hölle zu sehen. Vielleicht war er deswegen für die sog. Freie Liebe.
Dem Philosophen geht es um die Unvereinbarkeit von Existenz und Rolle. Existenz will Freiheit, Rolle schränkt sie ein. Das ist ein Problem, das wir lösen müssen, sonst zerbricht Beziehung. Mal ehrlich, kann man sich eine Welt ohne Beziehung vorstellen. Ich nicht.
Und vor allem: Wir dürfen keine Gesellschaft und keine Beziehung zur geschlossenen Gesellschaft oder Beziehung werden lassen.
Wenn ich ein Bisschen in Sartres Werkstatt schaue, entdeckte ich bei ihm ein paar – durchaus kritische – Regeln der Beziehung:
- Immer in Freiheit leben
- Die eigene Wahrheit und die des anderen frei legen
- Ehrlich sein
- Festgefahrene Regeln umstoßen
- Warmherzigkeit (Liebe) zum anderen herstellen
Die Hölle ist die entgleiste Beziehung.