Buchempfehlung des Klassikers von Henry Beston “Das Haus am Rand der Welt”, Beston gilt als einer der führenden Vertreter des Nature Writing
„Östlich der Küste Nordamerikas und ihr vorgelagert, etwa dreißig Meilen und mehr vom Gestade Massachusetts entfernt, erhebt sich aus dem offenen Atlantik der verbliebene Rest eines alten und untergegangenen Landes.“ (Zitat aus “Das Haus am Rand der Welt”)
Zwei Wochen sollten es sein, die Henry Beston in seinem Haus in der Nähe von Eastham auf der Halbinsel Cape Cod verbringen wollte, doch als die Zeit vorbei war, konnte er sich nicht von Haus, Strand und Meer trennen. Die Landschaft nahm ihn so sehr gefangen, dass er tatsächlich ein Jahr hier verbrachte und so jede Jahreszeit erleben konnte und sich sorgfältig jede Begebenheit der Natur, z.B. die vielfältigen Geräusche der Wellen, wie sie an den Strand rollen, die unterschiedlichsten Farben des Himmels oder die vielen Arten der Vögel, die hier Station machten auf ihrer Reise in den Norden oder Süden, notierte. Tiere, die hier ihren Lebensraum auf Cape Cod wählten, finden sich in seinen Notizen ebenfalls wieder, aber auch die Farbe des Meeres war für ihn unbedingt erwähnenswert.
„Für die Farben des Strandes von Eastham einen Namen oder eine Umschreibung zu finden ist keine leichte Aufgabe. Zudem variiert der Ton je nach Tages- und Jahreszeit. Der eine Freund nennt ihn Gelb, das ins Braune tendiert, eine anderer vergleicht ihn mit roher Seide. Welche Farben solche Beschreibungen vor dem Auge des Lesers auch immer entstehen lassen mögen, es bleibt festzuhalten, dass der Farbton des Sandes an einem Junitag so warm und satt ist, wie man ihn sich nur vorstellen kann. Spät am Nachmittag legt sich ein zarter Hauch von Violett auf den Strand und das unmittelbar angrenzende Wasser.“ (Zitat aus “Das Haus am Rand der Welt”)
Ich habe dieses Buch unlängst gelesen, weil mich seit jeher Landschaftsbeschreibungen und Reiseberichte interessieren und ich sie auch selbst gerne verfasse. Zudem gilt der Autor zu einem führenden Vertreter des „Nature Writing“ und das hat mich außerordentlich neugierig gemacht.
Entscheidend für mich ein Buch weiterzulesen, ist zumeist der erste Satz. Entsteht vor meinem geistigen Auge sofort eine Szenerie, entfaltet sich die Landschaftskulisse mit ihrem Farbenspektrum, hat mich das Buch gewonnen. So auch dieses Buch von Henry Beston.
Wie armselig sind wir Menschen doch oftmals darin, ein Erlebnis in der Natur zu beschreiben und wiederzugeben, dass der Leser oder Zuhörer den Eindruck hat, diese Situation zu hören, zu sehen, zu riechen oder zu schmecken und/oder feine Nuancen in Tönen oder Farben wahrzunehmen. Z.B. beschreibt Henry Beston den Verlauf der Wellen wie sie an den Strand ausrollen mit ihren jeweiligen spezifischen Tönen. Das letzte Ausrollen einer Welle, bereits verschwindend klein, benennt er mit einem „zischenden Sieden“. Es ist der punktgenaue Ton, ich hörte diesen letzten Lebensakt der Welle während ich es las, weit weg vom Meer! Selten habe ich ein Buch gelesen, in dem die Landschaft so eindeutig, so klar und detailliert beschrieben wurde. Es war ein Genuss das Beschriebene unmittelbar mitzuerleben und damit auch „mitwahrzunehmen“.
In einer Zeit, in der durch all die Oberflächlichkeit die Sinne zu verkümmern drohen, hat es der Mensch verlernt, die Natur mit allen ihren Facetten wahrzunehmen, sie elementar zu erleben und aufzunehmen, sich anspruchslos in ihr zu verpflanzen, auszuliefern um mit ihr zu leben.
Während ich diese Empfehlung schreibe, weilen wir eine ganze Zeit im Wendland. Wir stehen hier mit unserem Wohnmobil direkt neben der Nemitzer Heide. Des Abends verlegen wir unseren Sitzplatz in den Wald und lauschen dem Wind, wie er die Blätter der Bäume rauschen lässt und dem Knarren der Kiefern, wenn sie sich beugen. Dazu das Rufen des Kuckucks und das Hämmern des Spechtes, nehmen den Geruch des warmen Waldbodens war und fühlen uns beschenkt und befreit.
Dieses Buch von Henry Beston hat mich außerordentlich beeindruckt und mich nachhaltig beeinflusst.
„Die Natur ist Teil unserer Menschheit, und ohne ein gewisses Bewusstsein für dieses göttliche Geheimnis hört der Mensch auf Mensch zu sein.“ (Henry Beston)
Henry Beston (1.Juni 1888 – 15. April 1968) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Naturforscher und wurde bekannt als Autor dieses Buches.
Die Originalausgabe wurde erstmals im Jahre 1928 unter dem Titel „The Outermost House: A Year of Life on the Great Beach of Cape Cod“ von Doubleday an Company, LLC, New York veröffentlicht.
Die mir vorliegende Ausgabe ist bei der Büchergilde Gutenberg Verlagsges. mbH, Frankfurt am Main, Zürich, Wien, erschienen. www.buechergilde.de.
Mit freundlicher Genehmigung des mareverlags, Hamburg.
Einbandgestaltung: Katja Holst, Frankfurt am Main
Das Cover wurde mir freundlicherweise für diesen Artikel zur Verfügung gestellt.