Ich bin empört und wütend, sehr empört und wütend!
Vor etwa drei Monaten wurde bekannt, dass Verkehrsminister Scheuer für sein ‘Projekt Autobahnmaut’ rechtlich bindende Verträge mit privaten Konzernen abgeschlossen hatte bevor feststand, ob die Einführung der Maut rechtlich zulässig ist. Nun fordern die Konzerne, logisch, Schadenersatz in geschätzter Höhe von 500 bis 1000 Millionen Euro. Nein, nicht von ihm, sie wollen das Geld von uns, den Steuerzahlern. Geld, das dringend für die Ärmsten im Land gebraucht würde, z. B. für Kinder, für Obdachlose, für mehr soziale Gerechtigkeit, für Kranken- und Altenpflege, für Bildung.
Diese Verträge können nicht versehentlich abgeschlossen worden sein, denn Scheuer wusste wie wir alle, dass der Europäische Gerichtshof noch nicht entschieden hatte. Und der Amtseid? Bedeutet das Ablegen eines Amtseides so viel wie das Rauschen der Linde? Hätte irgendein Bürger, eine Mitarbeiterin einer Firma dasselbe getan, wäre die fristlose Kündigung am selben Tag erfolgt und ein Strafverfahren würde nicht auf sich warten lassen wegen eigenmächtiger Geschäfte zum Schaden Dritter. Wir alle würden in vergleichbarem Fall schadensersatzpflichtig gemacht und dürften bis zur Begleichung der Schuld für den Rest unseres Lebens von Hartz IV leben. Das lächerlich Erste, das Mindeste, das bei weitem nicht Ausreichende wäre die Entlassung des Mannes aus dem Amt. Und? Nichts! (Dass dieser Herr von selbst zurückträte, würde, nun ja, so etwas wie Schamgefühl voraussetzen.)
In diesem Zusammenhang passt die Meldung auf Spiegel online vom 3.9.2019 („Dieselfahrverbote. EuGH verhandelt über Zwangshaft gegen deutsche Politiker“) wie die Faust auf’s Auge. In der Bundesrepublik Deutschland können Landesminister tatsächlich seit sieben Jahren Gerichtsurteile missachten. Wir sprechen über Politiker, die einen Amtseid geleistet haben, und für die Gerichtsurteile ganz offensichtlich nicht die gleichen Konsequenzen haben wie für Bürger*innen, die kein öffentliches Amt bekleiden. Von Gerichten verhängte Zwangsgelder wurden nicht etwa von den nicht rechtstreuen Politikern persönlich gezahlt, sondern von der Staatskasse, und zwar praktischerweise gleich wieder in die Staatskasse! Da das deutsche Recht, so heißt es, auch bei Nichtbefolgung rechtskräftiger Urteile weder Zwangsgeld noch Zwangshaft für Amtsträger vorsehe, soll nun der Europäische Gerichtshof darüber nachdenken, wie sich der Rechtsstaat auch bei Politikern durchsetzen lässt.
Und dann sind da noch die Hohenzollern. Das ist die Familie des Kaisers, der ungezählte junge Männer im Weltkrieg verheizte und deren Mitglieder den Nazis in den Sattel halfen und es dabei auch mal bis zum SA-Obergruppenführer brachten. Diese Hohenzollern fordern nun „nach Art einer … Kaperfahrtgemeinschaft“ (FAZ v. 15.7.2019) vom Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg Schlösser und Kunstwerke „zurück“, insgesamt mehrere tausend Objekte, darunter auch Schloss Cecilienhof, das kürzlich mit über zehn Millionen Euro aus Steuermitteln renoviert wurde. Sind die Hohenzollern gerade obdachlos und brauchen deshalb ihr redlich erarbeitetes Häuschen zurück? Gier und Schamlosigkeit dieser Leute sind nicht wirklich überraschend. Sie hätten auch gern – warum nicht? – Mitsprache bei Ausstellungen und Veröffentlichungen zur preußischen Geschichte, um ihre eigenen „Vorstellungen“ einzubringen.
Der Brandenburger Finanzminister Görke (Die Linke) will zwar eine Gerichtsentscheidung, aber die maßgeblichen Politiker in Bund und Ländern führen „streng geheime Verhandlungen“ (Tagesspiegel v. 13.7.2019), in denen den Hochwohlgeborenen bereits Zugeständnisse in Form eines Vergleichsangebotes gemacht wurden. Zugeständnisse und Vergleich? Man traut seinen Ohren nicht. Früher hätte es geheißen, angesichts von Kinderarmut und fehlenden Mitteln für Investitionen in die Zukunft passe es nicht in die „politische Landschaft“, solchen Leuten auch nur einen Silberlöffel nachzuwerfen. Heute passt anscheinend sehr viel in die Landschaft. Der Skandal ruft geradezu nach einem öffentlichen Aufschrei, der verhindert, dass sich die Hohenzollern erneut verschaffen, was ihnen noch nie gehören durfte.
In welchem Land leben wir eigentlich …? Wie abgestumpft sind wir – und die Medien – eigentlich schon, dass wir angesichts der Heuchelei von Politikern, die anderen Orts gern auf „rechtsfreie Zonen“ verweisen, zur Tagesordnung übergehen? Der Scherzbold, der den Satz erfand, vor dem Gesetz seien alle gleich, könnte damit auch in der ‘heute SHOW’ auftreten. Angesichts der Rechtsbrüche von Politikern, der Privilegierung der Reichen und des Schröpfens aller anderen muss der beschönigende Begriff Politik-“Verdrossenheit“ längst „Empörung“ heißen. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken und es stinkt gewaltig, mir jedenfalls.
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