“Camping ist der Zustand, in dem der Mensch seine eigene Verwahrlosung als Erholung empfindet.” (aus dem Album “Live – die Erste!”, K.E.C. International (rough trade) – Frank-Markus Barwasser). Oder: Visionen der egalitären Art.
Hotels sind nicht mein Ding. Das liegt weniger daran, dass ich nicht weiß, wer vorher sein verschwitztes Haupt auf meinem Kopfkissen gebettet hat, sondern vielmehr daran, dass ich keine Lust habe, morgens beim Frühstück Nagelpilzbefall an mit den unvermeidlichen Flipflops ausgestatteten Füßen des Nachbarn bewundern oder die Streitgespräche geschlechtsreifer Großstädter im Paarungsalter mitanhören zu müssen. Ich habe morgens beim Frühstück gerne meine Ruhe. Außerdem erinnern mich die meisten Hotelzimmer – selbst die teuren – an trostlose Reihenhaussiedlungen mit Kieseinfassung im Vorgarten.
Ferienhäuser und -wohnungen ergaben eine Weile eine mehr als nette Alternative, aber seit einem dreiviertel Jahr sind meine Frau und ich zu den frühen Wurzeln zurückgekehrt und haben uns ein Wohnmobil gegönnt, das von Campinggegner gerne als Wohndose oder Rammelbüchse bezeichnet wird. Im Gegensatz zu der früheren Selfmadeversion im VW-Bus verfügt das neue rollende Hotel über eine Menge Annehmlichkeiten, die selbst bei einfacheren Ausführungen das Mobilhome zum beräderten Castle werden lassen.
Allerdings hatte ich im Eifer des wiederaufkeimenden Freiheitsrausches eine mit Wohnmobilen unmittelbar in Verbindung stehende Tatsache ausgeblendet: Campingplätze. Während ich seinerzeit meinen bunt angemalten Bulli dort parkte, wo es mir passend erschien, was bis auf wenige Kontakte mit der örtlichen Ordnungsmacht problemlos verlief, wird es heute immer weniger gern gesehen, wild zu campen. Diese Entwicklung ist u.a. den Mobilisten selbst zu verdanken, da so mancher Vertreter dieser Spezies seinen Standplatz in einer Weise verließ, die eher an einen Vandaleneinfall, als an naturfreundliches Verhalten (was ja Camper gerne für sich in Anspruch nehmen) denken ließ.
Man muss bei den Campingplätzen drei Varianten unterscheiden: a) der oftmals militärisch geführte Rummelplatz mit überbordenden Animationsangeboten, b) der zumeist landschaftlich schön gelegene, inhabergeführte Kleincampingplatz und c) die Dauercampereinrichtung mit unzähligen gehissten Deutschlandfahnen und grauenhaften Nippes im umzäunten Vorgarten. Wir präferieren die B-Variante.
Um uns mit der neuen Übernachtungsweise anzufreunden, lenkten wir das Mobil in die begrenzten Weiten des benachbarten Teutoburger Waldes. Der dort angesteuerte Campingplatz gehörte zur Sorte C, d.h. hier hausten ausnahmslos Dauercamper. Für Urlauber bzw. Touristen, die auch schon mal gerne auf den Schildern der eigens ausgewiesenen Flächen ohne o geschrieben werden, gibt es eigene Territorien. Dauercamper verbuchen für sich in der Regel, die einzig wahren Desperados unter den Hotelflüchtern zu sein. Allerdings scheinen die Verbarrikadierungen ihrer Wohnbuchten eher auf eine ausgeprägte Angst vor der Freiheit hinzuweisen.
Auf dem besagten Campingplatz im Teuto stellten wir denn auch sehr bald fest, offenbar die einzigen Zugereisten zu sein. Wie im wahren Leben, dachte ich, wo ja auch schon mal Zugezogene von der gesamten Dorfgemeinschaft geschasst werden, weil man hier in einem tiefergelegten Verständnis von sozialer Interaktion lebt. Der Platz, auf dem wir uns für eine Nacht einquartiert hatten, war ein idyllisches Plätzchen unter altem Baumbestand und weit entfernt von zivilisatorischen Lärmquellen wie Autobahn oder Bundesstraßen. Doch dann tauchten die ersten Dauercampingeinrichtungen auf, die jegliche bisher gepflegten Vorurteile übertrafen: Da waren ganze Areale von der Dame des inzwischen eingegrünten Wohnwagens eingehäkelt oder bestrickt worden, im dazugehörenden Garten standen Zwergmutationen wie nach einer Atomkraftwerkkatastrophe und ein selbst gemaltes Schild kündigten Marmeladenverkauf aus eigener Produktion an. Schmunzeln musste ich bei der Ankündigung „heute Abend Bingo“, hatte ich dieses Lottospiel längst für ausgestorben gehalten.
Es ist ja nur für eine Nacht, dachte ich, doch dann näherte sich das Elend auf zwei Beinen in Form unseres temporären Campingnachbarn: Ein älterer, äußerst umleibter Mann in einer Jogginghose, die sich vermutlich – könnte sie denken – an ihre letzte Wäsche nicht mehr erinnerte. Übrigens der Ehegatte der Marmeladenkocherin, die sich bereits neugierig – hier passierte ja sonst wenig Ungewöhnliches – hinter der die Parzelle abgrenzende Thujahecke positioniert hatte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber der Nachbar bot sich auf freundliche Weise an, sich um unsere Stromleitung zu kümmern, da das Öffnen der maroden Elektrokästen nicht zwingend selbsterklärend sei. So kniete er unter Ächzen und Stöhnen auf dem Boden, um unseren Stecker zu positionieren. Er musterte unser Wohnmobil, kam zu einem positiven Ergebnis und zeigte sich sehr gesprächig. Vermutlich hätte er auch keine Einwände gehabt, auf ein gemeinsames Bierchen unter unserer Markise Platz zu nehmen, was sich allerdings vereiteln ließ.
Beinah hätte ich schon alle meine Bedenken bezüglicher der ganz eigenen Charme von Campingplätzen im Allgemeinen und Dauercampingplätzen im Speziellen über Bord geworfen, wären da nicht die Toilettenanlagen gewesen, die sich wie Bollwerke gegen den sich aufdrängenden positiven Eindruck stellten. Während wir später in England wahre Körperpflegetempel kennenlernten, erinnerten die sanitären Anlagen dieses Platzes eher an Versuchseinrichtungen für seltene Pilzkulturen unter erschwerten Bedingungen. Es existierte zwar anscheinend eine regelmäßige Reinigung (was nicht bedeutete, dass sie täglich stattfand), allerdings offensichtlich nur punktuell und somit nicht flächendeckend. Manche Toiletten, gemeint sind die zumeist aus Keramik bestehenden Sitzgarnituren, verfügten über eine Patina, die ganze Fäkalhistorien zu erzählen wussten. Immer wieder musste ich später solche Orte der Niederkunft auffinden, bei denen sich der Eindruck aufdrängte, die jeweiligen Kübelhocker hielten die vorhandenen Klobürsten für bösen Vodoozauber, bei deren Nutzung unweigerlich die Hand abfällt oder bei lebendigen Leibe abzufaulen droht.
Dass es sich bei den Scheißhausbeschmutzern um erwachsene Männer und Frauen handelt, ist kaum nachvollziehbar. So richtig scheint mir das mit der deutschen Wertekultur nicht kompatibel zu sein. Und auch bei der Waschbecken- oder Duschenbenutzung scheint man frei nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ vorzugehen. Ein Campingbetreiber eines gepflegten Platzes im Oberbayrischen erzählte mir, dass sich vor einiger Zeit Camper über beschmutzte Toiletten mit der Bemerkung, man solle doch etwas mehr auf die Kinder achtgeben, aufgeregt hätten. Auf die Antwort, es seien zurzeit gar keine Kinder auf dem Platz, schien man in ungläubige Schockstarre zu verfallen.
Doch dann, wenn es gerade mal wieder mit unappetitlichen Dingen zugegangen ist, tuen sich plötzliche menschliche Welten auf, die den Glauben an das anarchistische Gute im Homo Sapiens beflügeln können. Immer wieder stoßen wir auf Hilfsbereitschaft, man wird auch als Langhaariger freundlich gegrüßt und die guten Ausflugstipps gibt’s gleich gratis dazu. Der alte Herr am Ammersee, der gerade seinen kaputten Zaun reparierte, erzählte mir von seiner verstorbenen Frau und berichtete von den Machenschaften der hiesigen Behörden, deren Herz für Camper offensichtlich auf Knieniveau hängt. Ich sagte dem alten Herrn, dass man Behörden reglementieren müsse, da sie ja schließlich einzig und allein für uns da seien. Von einer Amtszimmerbesetzung träumte ich ja schon immer. Seitdem grüßte er bei jeder Begegnung, hatte einen flotten Spruch inklusive Wetterzustandsbericht auf den Lippen, genauso wie die alte Dame vom Riesenmobil gegenüber, die schon mal auf einen Smalltalk vorbeischneite und sich mit den örtlichen Restaurationen bestens auskannte.
Und dann und wann huschte eine junge Schönheit mit Dreadlocks und einem hübschen Lächeln über den Platz. Das sind die Momente, in denen ich denke, wäre nicht der Campingplatz der geeignete Ort für die Gründung von egalitären Gesellschaften? Freiheit, Gleichheit, Brüderlich- und Schwesterlichkeit in der Campingkolonie? Ich öffne eine Flasche Bier. Der Typ rechts neben uns nickt rüber und hebt seine Flasche zum Gruße. Wenn nicht hier, wo dann?