Ein Interview mit der Kunsttherapeutin Petra Schürmann über ihre Ausstellung in der Stadtbücherei Warendorf mit Flüchtlingen – Kindern und Erwachsenen – unter dem Motto: Flüchtlinge malen über ihre (Flucht)-Erlebnisse.
Petra Schürmann ist Kunsttherapeutin und arbeitet freiberuflich in Warendorf (KunstWerkStatt Brede 7, 48231 Warendorf). Sie arbeitet mit Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen auch außerhalb ihrer Praxis (Projekttage, Hausbesuche etc.). Regelmäßige Fortbildungen in kommunikativen, pädagogischen und künstlerischen Arbeitsschwerpunkten gehören zu ihrem beruflichen Selbstbild. Regelmäßige Supervision ist für sie Qualitätsstandard.
Projektbeschreibung
Seit den Sommerferien malen in meiner Praxis Menschen, die auf der Flucht waren. Sie sind hier in Warendorf angekommen und versuchen sich, trotz ihrer schlimmen Erfahrungen, zu integrieren.
Obschon wir uns zunächst nicht in der gleichen Sprache unterhalten konnten, habe ich viel von ihnen erfahren. Sie haben zum Teil unsagbares Leid erfahren und viele Kinder haben Wege kennengelernt, die für sie viel zu schwer zu verarbeiten sind. Immer wieder malten sie Geschichten, verwarfen sie wieder, malten sie anders und waren doch sehr tief mit ihrer Geschichte verbunden. Es entstand eine Stille, die mich sehr ergriffen hat. Nachdem das Bild fertig war, kam von dem Teilnehmer ein Nicken, er zeigte mit dem Finger auf das was er erlebt hat und schaute mich traurig und fragend an. Ich habe verstanden. Es waren schlimme Zeiten, Der Weg war lang, das Erlebte war furchtbar.
Nach dem Gestalten von Erlebtem, entstanden bunte, blühende Bilder. Es wurden viele Blumen gemalt, die sie lange nicht mehr gesehen haben, zu dunkel war der Weg. Nach den vielen Wochen der gemeinsamen Aktivität wurde die Sprache bunter, die Menschen unterhielten sich in ihrer eigenen Sprache und dann auch in Deutsch. Wir lachten gemeinsam.
Tief beeindruckt bin ich immer noch, dass Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammen kommen und ganz friedlich singen, malen, nähen und sich liebevoll begegnen.
Petra Schürmann
Marion Illhardt (MI): Petra, dieser Text oben stammt von dir. Um ihn besser verstehen zu können, habe ich eine Frage: Was versteht man genau unter Kunsttherapie und wie arbeitet eigentlich eine Kunsttherapeutin?
Petra Schürmann (PS): Kunsttherapie arbeitet nicht über die Sprache. Sie fördert die Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt über die Sinne wahrzunehmen und zu begreifen. Sie setzt an einem Grundbedürfnis an, sich gestalterisch auszudrücken und mit sich selber während der Gestaltung in Kontakt zu treten. Die Farb- und Formqualitäten werden mit eigenem Erleben und mit persönlichen Lebensmotiven verbunden. Nach der Gestaltung des Bildes kann über das Betrachten eine sinnvolle Wandlung entstehen. Hierbei können Selbstheilungskräfte und Veränderungsprozesse frei gesetzt werden.
In der Kunsttherapie muss man nicht malen können. Hier geht es um einen direkten Ausdruck von Gefühlen, Konflikten etc. durch Farben und Formen.
Es gibt verschiedene Ansätze in der Kunsttherapie zu arbeiten. Manche Therapeuten geben ein Thema vor. Bei mir in der Praxis darf jeder malen, was er will. Wichtig ist, dass Teilnehmer und ich über das jeweilige Bild eine Beziehung aufnehmen. Wir schauen uns alle Werke nacheinander an und reden dann darüber. Ich lege großen Wert darauf zu erfahren, wie das Bild entstanden ist. Aus welcher Stimmung heraus ging der Maler an die Arbeit? Gab es Störungen, z.B. dass der Teilnehmer eigentlich eine andere Farbe verwenden wollte, aber aus irgendeinem Grund davon abgekommen ist? Die Antworten können ein guter Einstieg sein, über seine Befindlichkeit zu reden. Meist erkennt man sie auf dem Papier wieder. Ein Bild kann der Türöffner zur Seele sein. Die Betroffenen drücken etwas aus, können es aber nicht verbal formulieren. So finden sich nicht nur Ängste und Hemmungen, sondern auch Träume und geheime Hoffnungen in den Werken wieder.
In meiner Praxis stehen viele Materialien zur Verfügung (Papier, Farben, Stifte) und die Teilnehmer fangen einfach an, sich mit den Farben anzufreunden. Es wird ausprobiert, Blumen gemalt, Tiere, Menschen, Strichmännchen und plötzlich entstehen Bilder, die sie im Kopf haben. Bilder, der Flucht, der Wege und des Erlebten.
Nach diesen Bildern entstand oft eine Stille, ein Erinnern und anschließend ein Austausch. „Wo kommt ihr her, was habt ihr erlebt?“ Es wurde lebendig, es wurde geweint und Trauer wurde sichtbar. Es entstand ein Nähe unter den Beteiligten.
MI: Wie ist es zu dieser Ausstellung in der Warendorfer Stadtbücherei gekommen? War es Deine Idee und bist Du mit diesem Projekt an die Stadt Warendorf herangetreten?
PS: Da die Stadt Warendorf die Flüchtlinge zu mir eingeladen hatte, haben die Flüchtlinge selbst den Vorschlag gemacht, die von ihnen gemalten Bilder auszustellen. Sie wollten der Stadt Warendorf zeigen, was sie erlebt haben, denn in der deutschen Sprache konnten sie sich nicht ausdrücken. Die Stadt hat daraufhin die Stadtbücherei angesprochen, die sofort bereit war Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen.
MI: Ich kann mir vorstellen, dass es gar nicht einfach war, die „Künstler“ für dieses Vorhaben zu animieren, sicherlich stellten sie sich Hilfe für die Bewältigung des Erlebten anders vor. Konnten sie den Sinn hinter dieser Absicht sehen, nämlich dass es ihnen helfen könnte?
PS: Die Absicht haben sie schnell verstanden, da sie die Idee mit der Ausstellung hatten und nach ihren Bildern ein ausführlicher Austausch und eine liebevolle Annahme entstanden sind. Ich konnte ihnen durch mein Verhalten zeigen, dass ich sie in ihrem Erleben und in ihrer Trauer verstehen kann und sie hier in Sicherheit sind.
MI: Ich benutzte in meiner letzten Frage bewusst den Konjunktiv „könnte“: Fühlten sich alle Beteiligten nach dieser Aktion befreit oder musstest Du feststellen, dass bei einigen das Gesehene/Erlebte noch sehr tief festsitzt.
PS: Das Erleben war nach dem einmaligen Malen und Gesprächen nicht verarbeitet, doch sind viele wieder gekommen und es entstanden neue Gespräche, neue Bilder und wir haben einen sehr intensiven Kontakt zueinander bekommen. Durch diese Nähe und das Angenommen werden haben viele Beteiligte ihre Erlebnisse nicht vergessen, allerdings wurden viele andere Dinge wichtiger. So brachten sie oft Dokumente, Bilder und Briefe mit, die wir besprachen und ich ihnen auch helfen konnte, sie zu verstehen.
MI: Was ist/war die Brücke, um Zugang zu den Flüchtlingen zu finden? Was war der ausschlaggebende Impuls, um die Verbindung zu ihnen herzustellen?
PS: Mich hat diese Völkerwanderung und Vertreibung sehr erschreckt und ich kann mitfühlen, was Kinder, Frauen und Männer auf so einer Flucht erleben. Durch meine Arbeit mit meinen angenommen Kindern habe ich erfahren, was es bedeuten kann, einmal von seiner gewohnten Umgebung weg zu müssen. Ein Trauma beginnt ja schon bei dem Entschluss, seine Heimat verlassen zu wollen oder zu müssen.
Ich habe zudem auch Fortbildungen und Vorträge über Fluchterlebnisse und Traumatisierung besucht und mich informiert, was ich mit meiner Form der Kunsttherapie bewirken kann.
MI: Man sagt, Malen ist etwas Befreiendes. Daher wird Kunst vielfach in der Therapie eingesetzt. Aber hast Du nicht Bedenken gehabt, dass dieses Malen von Erlebtem einen Triggereffekt auslösen könnte?
PS: Ich habe mich darauf eingestellt, dass etwas triggern kann und war vorbereitet. Einmal ist ein Zug, die Bahnlinie läuft vor meiner Praxis her, vorbei gefahren und eine Frau hat sich furchtbar erschreckt. Sie wurde durch die Geräusche der Bahn getriggert, konnte es auch erzählen. Ich habe sie in den Arm genommen und ihr gezeigt, dass sie hier sicher ist. Sie konnte dies auch gut annehmen.
MI: Kinder malen, das ist einfach so. Bei einem ausgestellten Bild vermuteten wir sofort, dass die Künstlerin aus Afrika stammt. Du bestätigtest es uns auch später. Malen Kinder/Jugendliche aus den Flüchtlingsregionen anders, nutzen sie andere Farbtöne oder Symbole?
PS: Es sind viele Bilder aus ihrer Heimat entstanden. So wie es mal war. Besonders viel wurden Flaggen aus ihrer Heimat gemalt und gegenüber die Flagge von Deutschland gestellt. Hier sollte die Freundschaft zu Deutschland deutlich gemacht werden. Manchmal haben die Kinder mit sehr dunklen Farben gemalt, sie wurden jedoch mit der Zeit immer bunter. Symbole, wie z.B. eine Friedenstaube aus Syrien, wurden in einigen Bildern gemalt, um zu zeigen, wie wichtig den Jugendlichen der Frieden in ihrem Heimatland ist. Die jungen Männer wollten bewusst nicht in den Krieg ziehen.
MI: In einem Artikel von mir auf Querzeit geht es um „Heimat“ als eine Bezeichnung für einen Ort und ein Gefühl. Und darum, was Heimat für uns bedeutet und was wir empfinden, wenn wir sie verlassen müssen. Ich habe in diesem Artikel den Bogen zu den heutigen Vertriebenen geschlagen. Was für einen Eindruck hast Du in Gesprächen mit deinen Schützlingen gewonnen? Überwiegt das Gefühl hier in Deutschland in Sicherheit zu sein mehr als der Verlust von Familie und Freunden?
PS: Ich glaube, für die Familien, die ihre Verwandten in ihrem unsicheren Heimatland zurück lassen mussten, ist die Heimat noch in ihrem Land. Sie fühlen sich hier erstmal in Sicherheit und genießen diese Sicherheit. Gehen gerne zur Schule, wollen unbedingt schnell die deutsche Sprache erlernen und einen guten Beruf ausführen. Sie haben aber über ihre Handys, die sehr wichtig sind, Kontakt zu ihren Verwandten. Der Verlust, Familie und Freunde zurück gelassen zu haben, wird sie noch lange begleiten. Wie gesagt, ein Trauma fängt bei der Vorbereitung des Weggehens an.
MI: Du hast uns bei den einzelnen Bildern erzählt, wer es gemalt hat und uns auf Fotos auch diese Personen gezeigt. Was mich sehr beeindruckt hat war, dass eine vollständige Familie, Vater, Mutter und drei Kinder, teilgenommen haben. Ist das nicht etwas ganz Besonderes in diesen Kulturkreisen?
PS: Ja, das glaube ich auch. Ich bin davon überzeugt, dass ihnen die Annahme hier und das gemeinsame Erleben ein Zusammenhalt gab. Sie alle brauchten diese Wärme, die sie in der Praxis von mir und den anderen bekommen haben. Sie fühlten sich willkommen und angenommen.
MI: Malen ist in der Therapie ein sehr intimer Prozess. Wie gehen die Künstler, die kleinen und die großen, damit um, plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen, um dort ihre Werke zu präsentieren und vielleicht auch Fragen hierzu zu beantworten?
PS: Für die Künstler ist die Ausstellung wichtig. Sie konnten bei der Eröffnung selber ihre Bilder vorstellen und erzählen, was sie erlebt haben. Sie wollten es allen mitteilen. Bei der Vorstellung entstand eine ganz intensive Stille. Die Zuhörer waren sehr mitfühlend und beeindruckt.
MI: Wie erlebst Du die Arbeit mit den Flüchtlingen? In Deinem Einleitungstext schreibst Du, dass die Flüchtlinge liebevoll miteinander umgehen. Selbst dann, wenn sie aus verschiedenen Kulturkreisen kommen?
PS: Ja, das sind sie. Sie gehen ganz ohne Vorurteile aufeinander zu. Ich habe auch eine große Gruppe von Frauen, die in den verschiedenen Räumen nähen, malen, stricken und häkeln. Da sind auch viele Frauen aus Sri Lanka, die schon einige Jahre in Warendorf leben. Sie gehen alle mit viel Respekt miteinander um und zeigen ihre eigenen Kenntnisse gerne. Es wird viel gelacht und gesungen.
MI: Wie wird es weitergehen? Gibt es nun mehrere derartige Projekte mit Flüchtlingen, oder werden einige Beteiligte weitermachen, vielleicht weil sie eine verborgene kreative Begabung entdeckt haben?
PS: Es gibt ein Frauenprojekt bei dem jede Frau mitmachen darf, auch deutsche Frauen. Jeden Mittwoch findet ein Malprojekt statt, auch mit deutschen Kindern. Hier darf gemalt werden, was sie sich wünschen. Ich unterstütze sie gerne in ihrer Kreativität.
Einzelne Künstler kommen mit ihrer Idee auch zu mir und wir versuchen diese Ideen umzusetzen. Sie haben in ihrem Heimatland schon Skulpturen hergestellt, die alle zerstört sind, aber auf ihrem Handy zu sehen sind.
In den Osterferien werde ich z.B. mit den Jugendlichen gemeinsam ins Kino gehen.
(Da alle Bilder gerahmt waren, sind auf vielen Fotos Spiegelungen zu sehen.)