Massive Attack in Köln
Von Triphop und musikalischen Rauschzuständen

Im Februar 2016 gab im Kölner Palladium die Bristoler TripHop-Band Massive Attack eines ihrer wenigen Auftritte in Deutschland. Ein fulminantes Konzert, aber auch eine Kanonade an optischen Informationen über eine aus den Fugen geratene Welt. Ein Abend in einem Rauschzustand mit der Droge Musik.

 

Die Ende der 80er Jahre entstandene TripHop-Band Massive Attack aus dem englischen Bristol ist ein Phänomen. Obschon man sie als bekannteste und m.E. auch beste Band des Musikgenres Trip-Hop bezeichnen kann und viele Songs aufgrund ihrer Songstrukturen großen Wiedererkennungswert besitzen, sind die Musiker doch weitgehend unbekannt. Im Gegensatz zu manch anderer Band, in der kräftig dem Personenkult gefrönt wird, muss man bei Massive Attack wohl eher von einem Kollektiv sprechen. Spiegel Online schreibt dazu: „Und dann gibt es Fälle wie Massive Attack … deren unverwechselbarer Sound seit mehr als 25 Jahren die Szene prägt, während sich nur die wenigsten Menschen dazu ein Gesicht, geschweige denn mehrere, ins Gedächtnis rufen können – echte Fans ausgenommen.“ Massive Attack, das sind Daddy G“ Marshall und Robert „3D“ Del Naja als Masterminds, sowie Gastmusiker. Hier sind vor allem Shara Nelson (‚“Unfinished Sympathy“) und Elisabeth Frazer („Teardrop“) zu nennen, die mit ihren Stimmen dem Sound eine unverwechselbare Note geben. Bei dem Kölner Auftritt wurden die Stimmen von Martina Topley-Bird und Deborah Miller ersetzt. Außerdem mit dabei: Reggae-Legende Horace Andy, die Schotten Young Fathers und Sänger Azekel.

Massive Attack Köln 2016 (Foto M. Illhardt)
Massive Attack Köln 2016 (Foto M. Illhardt)

Ersten Kontakt mit der Musik dieser Ausnahmeband hatte ich vor gut 20 Jahren. Irgendwann lief der Song „Safe From Harm“ und ließ mich aufhorchen. Die Bass-, Gitarren und vor allem Schlagzeug-Anleihen von Billy Cobhams „Stratus“ waren unüberhörbar. Cobham und andere Vertreter des Jazz-Rocks gehörten lange Zeit zu meinen favorisierten musikalischen Wegbegleitern. Obschon ich mich heute musikalisch mehr dem Schwermetall verschrieben habe, verträgt sich diese Vorliebe problemlos mit der insgesamt doch poppigeren Note von Massive Attack. Doch ist das noch Pop? Trip-Hop versteht sich als eine Mischung aus HipHop ohne die zumeist obligatorischen Raps, sowie Versatzstücken aus dem Dub-Style, einer inzwischen stilübergreifenden Richtung mit Wurzeln im Reggae. Typisch für diese Mixtur sind elektronische Samples, atmosphärische Soundlandschaften, ein melancholischer Grundton, rhythmische Patterns, die Verwendung ungewöhnlicher und neuartiger Klänge sowie ein experimenteller Umgang mit Songstrukturen. „Sehr viel Wert wird auf die von Computern und Samples unterstützte Produktion gelegt. LoFi-Effekte (Vinylknistern, Netzbrummen und sonstiger Akustik-Schmutz) feiern ihr größtes Fest, weil die Musik genug Raum bietet, um diese Finessen auszukosten.“ (laut.de) Die so angewandten Strukturen erinnern in einigen Momenten an frühe Soundexperimente im Psychdelic Rock. Die Wurzeln des Trip-Hops sind vermutlich vielfältig. Weitere Vertreter dieses Genre sind Portishead, Terranova, Faithless und Tricky. Letzterer entstammt ebenfalls dem Künstlerkollektiv „The Wild Bunch“ und wirkte eine Weile bei Massive Attack mit.

Massive Attack Köln 2016 (2) (Foto M. Illhardt)
Massive Attack Köln 2016 (2) (Foto M. Illhardt)

Massive Attack, das bedeutet auch massive Parkprobleme in der Kölner Schanzenstraße, so dass wir mit einiger Verspätung das Palladium erreichen und nur noch die letzten zwei Minuten der Vorband Young Fathers mitbekommen. Allerdings überlässt die Hauptband den Musikern kurz vor Abschluss des Konzerts noch einmal die Bühne, was in dieser Art selten zu erleben ist. Vom ersten Ton an entsteht das Gefühl, in eine Soundwolke eingehüllt zu sein. Die gut abgemischte Musik wird zu keinem Moment zu einer schmerzhaften Attacke; die tiefen Dubbässe sind weniger in den Gehörgängen zu verorten, sondern dort wo sie hingehören: in der Magengegend. Mit nur kurzen und leider wenig verständlichen Zwischenmoderationen donnert nun ein Stück nach dem anderen ins Publikum: Eine schwere und zum Teil düstere Melange aus getragenen, schwerblütigen, dunkelmassiven Klängen. Ein klangliches Szenario aus fünf Alben in 25 Jahren. Überwältigend, wie ich finde und auch ein Seitenblick zu meiner Frau zeigt: Sie scheint sich in einem Rauschzustand wie nach der Einnahme einer halluzinogenen Droge zu befinden. Eben wie bei einem Trip! “Eine fulminante Klangkaskade“ textet am nächsten Tag die Kölner Rundschau. Ein Bekannter, dem wir später von dem Konzert erzählen, beschreibt Massive Attack´s Musik für sein Empfinden als langweilig und monoton. Doch in einer lauten und hektischen Zeit, in der wirtschaftlich, wie militärisch ein Dauerwachsein auf 24/7 anvisiert wird, um unser Funktionieren und Konsumieren rund um die Uhr zu gewährleisten, erscheint mir diese Musik der richtige Ausgleich zu sein. Um Gottes Willen jetzt keine Schrammelmusik mit gewollt hingerotzter Trivialität.

Doch an diesem Abend geht es nicht nur um die Musik und das Gefühl, ein Feierabendbad in einer brodelnden Klangmasse zu nehmen. Massive Attack, die schon immer kein politisches Blatt vor den Mund nahmen, fordern den Zuhörer auch mit optischen Eskapaden heraus. Die aufwändige digitale Lightshow ist nicht das übliche Farbgewitter, das man kennt, sondern eine bildliche Kakophonie, ein Informationsoverload. Oftmals wird die Wahrnehmung überfordert, wenn über riesige LED-Bildschirme Bilder und in Deutsch gehaltene Texte von Zerstörung und menschlichem Irrsinn gezeigt werden. Eine „Kanonade an Nachrichtenschnipsel“ wie es Ronald Krüger in der Kölner Rundschau schreibt. Vor allem die Flüchtlingskrise wird thematisch verarbeitet. Das verhaltene Klatschen einiger Zuschauer mag möglicherweise darauf hindeuten, dass man sich diesen Entladungen nicht entziehen kann und sich bei seiner eigenen politischen Incorrectness ertappt fühlt. Dass diese Lightshow, wie es in besagter Zeitung heißt, „…das Konzert überlagerte, anstatt es zu ergänzen“, können wir nicht bestätigen. Im Vordergrund stand die Aussage, nicht die Band. Wer, wenn nicht ein Künstler kann sich Verhör verschaffen, um das zurzeit in Deutschland gängige Primatenverhalten einer aus der Fasson geratenen faschistoiden Wutbürgerschaft anzuprangern.

Das Konzert von Massive Attack in Köln war nicht nur ein Hörerlebnis und dazu noch ein ganz besonderes, sondern auch eine Kampfansage. Massive Attack lässt sich militärisch verstehen, aber auch gesellschaftskritisch. Oder, um es im Kölnischen Dialekt auszudrücken: Arsch huh, Zäng ussenander!