„Zum zweiten Mal bevölkerten die „Alltagsmenschen“, menschelige Betonskulpturen der Wittener Künstlerin Christel Lechner, die Innenstadt Telgtes. Die Kunst ist vor allem „nett“, aber hat sich auch eine künstlerische Aussage?
Telgte. Wenn eine Ausstellung sich wiederholt, bedeutet dies entweder, dass den Organisatoren nichts Besseres eingefallen ist oder die Menschen nichts Anderes, vor allem künstlerisch Hochwertigeres, tolerieren. Dr. Detlef Thierig, ehemaliger Vorsitzender des Wittener Künstlerbundes, fordert von einem Kunstwerk im öffentlichen Raum, dass es den Betrachter aus dem Alltag reißt und einen bleibenden Wert für ihn hat. Genau das sei bei den Alltagsmenschen nicht der Fall, so seine Meinung.
Einen besonderen Darstellungswert hat die Schmunzelkunst von Lechner tatsächlich nicht, allerdings fanden die Passanten, Besucher und Fotoknipser die possierlichen Dickhäuter „schön“ oder „lustig“; ein Ausdruck, den sich vermutlich jeder Künstler für die Betrachtung seiner Kunst wünscht.
Mir erschließt sich allerdings bis heute nicht, was die Plastiken mit Alltag zu tun haben. Eine tatsächlich sehr vereinfachte und verschönte Darstellung des Themas, das sich mir im wirklichen Leben meistens anders darstellt, schaut man in die vielen Gesichter voller Hektik, Bitterkeit, Fremdenfeindlichkeit und Leere. Gezeigt werden meist übergewichtige Menschen älteren Lebensdatums. Jugendliche oder Menschen mit Migrationshintergrund scheint es im Betonleben Christel Lechners offenbar nicht zu geben. Meine Wahrnehmung von Gesellschaftsalltag ist tatsächlich eine andere.
Dennoch: Die Alltagsmenschen ziehen Menschen in die Stadt, weswegen sie auch als Pluspunkt für den Tourismus und die damit verbundene Wirtschaft der Stadt gewertet wurden. Ein sehr oberflächliches, aber sicherlich alltägliches Verständnis von Kunst. Kunst muss zuckersüß sein und am besten zum Ambiente ins Wartezimmer des Orthopäden passen. Oder eben in eine aufgeräumte Stadt, in der ansonsten gewagte, provokative oder aussagekräftige Kunst mit einem Shitstorm geahndet werden, was – wie im Fall des Totentanz am Heimathaus – mit bürgermeisterlicher Unterstützung zur Beendung der Ausstellung führt.
Bei aller Kritik oute ich mich dennoch, gerne Gäste durch die Telgter Straßen zu den Lächelwesen geführt zu haben; zudem die Gelegenheit, mit den Besuchern über Kunst, ihre Wirkung, ihren Sinn und Unsinn zu diskutieren. Und ein Gutes hat die Betrachtung ja nun auch: Die Erkenntnis, ein bisschen abnehmen zu müssen, um nicht eines Tages als Alltagsmensch zu enden.