Shaun Bythell betreibt in der schottischen Kleinstadt Wigtown die größte Second-Hand-Buchhandlung des Landes. In „Tagebuch eines Buchhändlers“ beschreibt er den nicht immer ganz paradiesischen Alltag im „Bookshop“.
Eine Art Buchempfehlung

Bücher haben bei mir keinen leichten Stand: Treffen sie – sagen wir – auf den ersten 30 Seiten nicht meinen Lesernerv, stelle ich sie in das freie Bücherregal meiner Stadt oder gebe ihnen eine 2. Chance, in dem ich sie zuhause in das Fach der ungelesenen Bücher einordne. Und dort kann es dauern, bis sie an der Reihe sind. So manche zweite Chance entpuppte sich sogar als Glücksgriff, da der Zeitpunkt des Lesens offenbar geeigneter war.
Dass ich das Buch „Tagebuch eines Buchhändlers“ tatsächlich bis zur letzten Seite gelesen habe, erscheint mir einigermaßen kurios, da ich bereits den Umschlag recht kitschig fand. Da ich hier kein Foto vom Cover präsentiere, versuche ich die Darstellung zu umschreiben: Man sieht ein blaues mehrstöckiges Haus, es scheint später Abend zu sein und jedes Fenster bis unters Dach ist beleuchtet. Und in jedem Fenster sieht man – was wohl – Bücher und Personen, die nach ihnen suchen oder in ihnen lesen. Belassen wir den visuellen Eindruck unter der Rubrik Geschmackssache. Jedenfalls musste ich an mit Glitzer versehene Adventskalender denken und die ertrage ich nur mit ausreichend viel Glühwein.
Ich habe das Buch gebraucht erworben, was zu seinem Inhalt passt. Ich las irgendwo von seiner Veröffentlichung und mich reizten drei Dinge:
- Die Geschichte spielt in Schottland.
- Ich finde Buchläden – und damit meine ich solche, die statt Tüddel vor allem Bücher verkaufen – einfach faszinierend und
- bei dem Protagonisten – dem Buchhändler Shaun Bythell – handelt es sich um einen eigensinnigen Kauz. Und eigensinnige Kauze kann es gar nicht genug geben; fremdsinnige Menschen, was ja wohl das Gegenteil von eigensinnig ist, gibt es schon genug. (Übrigens wurde mir der eigensinnige Kauz vor allem noch dadurch sympathischer, dass er einen Kindl erschoss und die sterblichen Überreste an eine Wand seiner Buchhandlung heftete.)
Die Handlung ist schnell erzählt und wäre eigentlich der nächste Grund, der unter normalen Umständen gegen das Zuende-Lesen des Buches sprechen würde: Es gibt nämlich keine richtige Handlung. Nicht umsonst heißt der Titel „Tagebuch…“ Die Second-Hand-Buchhandlung in der schottischen Kleinstadt Wigtown existiert wirklich und der Betreiber Bythell ebenfalls; er ist zugleich auch der Autor. Jeden Tag führt er Protokoll über An- und Verkäufe in dem größten Buchhandel des Landes und genau das verspricht nicht unbedingt das große Leseerlebnis. Ich zitiere den 26. Mai:
Online-Bestellungen: 6
Gefundene Bücher:5
Das allein wäre natürlich sterbenslangweilig, doch nun kommen die reizvollen Aspekte des Buches. Hier ein Auszug aus dem Klappentext:
„Was Sie als Kunde nicht sehen, sind die Probleme im Hintergrund, mit denen sich der Besitzer Shaun Bythell herumschlagen muss. In seinem »Tagebuch eines Buchhändlers« finden Sie alles: exzentrische Kunden, unhöfliche Angestellte und eine ständig leere Kasse, aber auch den Nervenkitzel eines unerwarteten antiquarischen Fundes und den Charme der Küstenkleinstadt Wigtown. Tauchen Sie ein in die Welt des Buchhandels und lassen Sie sich verzaubern!“
Wenn Bythell mit seinem Wagen über Land fährt, um in abgelegenen Cottages oder stattlichen Villen alte Buchbestände durchzusehen, die ihm zum Kauf angeboten wurden, dann entsteht bei mir durchaus die Vorstellung, ich säße neben ihm auf dem Beifahrersitz. Vielleicht würden wir anschließend gemeinsam über die schmale Ausbeute diskutieren oder über die eigenartigen Kunden lästern. Aber vor allem betrete ich in meiner Fantasie zusammen mit Shaun die mit Antiquitäten vollgestopften und nach Feuchtigkeit riechenden Räume, um in der hintersten Ecke einen bis unter die Decke gestapelten Bücherschatz zu heben. Das Finden von Büchern stellt für mich einen unglaublichen Reiz dar, weshalb ich kaum ein öffentliches Bücherregal auslassen kann. Bei all dieser Bücherfinderei bekäme ich zudem endlich eine Antwort auf meine Frage: Wer zum Teufel legt sich ganze Bücherreihen über Eisenbahnlinien oder Golfspielen zu? Voila, dort sind sie, die eigenwilligen Typen.
Lange Zeit stand in unserer recht umfangreichen Büchersammlung ein Spruch von Jorge Luis Borges:
„Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorstellt.“
Meine Frau und ich können diesen Satz nur zu gut nachvollziehen, steht doch auch unser Haus voll mit Büchern. By the way: Es ist keins über Eisenbahnen dabei! Beide träumten wir schon einmal unabhängig voneinander davon, ein Antiquariat in einem Café zu betreiben. Welche schöne Vorstellung! Doch nach der Lektüre von „Tagebuch eines Buchhändlers“ wird sowohl der Spruch von Borges, als auch unser gemeinsamer Traum relativiert. Wenn Bythell beschreibt, auf welche impertinente Weise einige Kunden in seinem Geschäft auftreten, so bekommt mein wachsender Verdacht, die menschliche Gesellschaft segelt peu à peu in einen Zustand kompletter Verblödung, neue Nahrung.
„Echte Büchernarren sind wahrlich ausgesprochen selten, wohingegen es eine riesige Gruppe von Leuten gibt, die sich für solche halten.“
Auch das ist ein grassierendes Phänomen der Neuzeit: So-als-ob-Menschen oder notorische Nörgler. Die Vorstellung, sie säßen in unserem Büchercafé, ist abschreckend. Es reicht schon, sie zufällig in der Stadt zu treffen.
Und noch etwas hat mir das Tagebuch von Bythell so lesenswert gemacht: Seine Kritik an Amazon. Die Größe des Unternehmens macht es kleineren oder mittleren Unternehmen unmöglich, mithalten zu können. Zudem, so Insider, ist es sozusagen das Ziel des Giganten, hinter sich für einen Zustand der kulturellen und wirtschaftlichen Verwüstung zu sorgen. Ich werde nie den traurigen Blick eines Buchhändlers in meiner Lieblingsbuchhandlung Lometsch in Kassel vergessen, der uns bei unserem letzten Besuch dort erzählte, den Laden lange nicht mehr aufrechterhalten zu können. Er nannte u.a. Amazon als Grund, aber auch die Eröffnung der Großbuchhandlung Thalia ganz in der Nähe. Und tatsächlich standen wir alsbald vor verschlossenen Türen. Ein Hoch auf das kapitalistische System! Ich denke, wer bei Amazon bestellt, kann auch gleich täglich die Schaufenster des lokalen Einzelhandels einwerfen, weshalb ich den Versandhändler schon immer boykottiert habe.
Auch ich schließe mit dem Satz, mit dem das britische Zeitungsmagazin „The Indipendent“ auf der Rückseite des Buches den potentiellen Lesern das Werk ans Herz legt:
„Und hier die wichtigste Botschaft dieses Buches: Unterstützen Sie ihren Buchhändler vor Ort.“
Shaun Bythell: Tagebuch eines Buchhändlers (2017). btb, München