Leben wie Gott in Frankreich
Erinnerungen an das Schöner-leben

Wer wie Gott in Frankreich lebt, führt ein zufriedenes und genussreiches Leben. Die Redewendung ist vermutlich im späten 18. Jahrhundert entstanden. Es gibt viele Argumente dagegen. Mag sein, aber es gibt viele Argumente gegen Askese. Also doch – zumindest gelegentlich – leben wie Gott in Frankreich? Eine religionskritische Metapher mit Witz.

Was dagegenspricht sind ernährungsmedizinische Empfehlungen. Ich kann mir den Witz nicht verkneifen. Im SWR-Fernsehen (also im Bereich Freiburg i.Br.) gibt es allwöchentlich eine Sendung namens „Die Ernährungs-Docs“ – Doc = englische Abkürzung von Doktor bzw. Arzt, aber nicht DOC = besondere Weine in Italien, Spanien und Portugal. Da sind wir schon beim Thema. Lebensqualität umfasst natürlich beides: Biologie und Genuss, alias Verdauen versus Genießen.

Irgendwie hängen Genuss und Gott zusammen, auch wenn das komisch, aber lustig klingt. Klar: Gott isst nicht. Komisch, als Corona kam, kauften die Deutschen Klopapier – wer isst, geht aufs WC –, aber die Franzosen blieben – trotz WC – beim Kaufen von Rotwein. Selbst Gott fühlte sich da wohler, sagt man. Genießen-können ist jenseits der Biologie. Auch wenn die Biologen unter uns Schnappatmung bekommen.

  1. À la Baguette …

Ich höre gern den Radiosender France Musique, weil er fast den ganzen Tag klassische Musik spielt Jedes Stück wird kurz kommentiert, und oft gesagt, wer da alles mitwirkt, unter anderem „à la Baguette … (N.N.)“. Zuerst dachte ich: Selbst bei klassischer Musik essen die Musiker Baguette? Endlich begriff ich, dass „Baguette“ so viel heißt wie „Dirigierstab. Und weil das französische Brot wie ein Stab aussieht, hat es das Wort vom Dirigierstab übernommen. So kann man sich täuschen als deutscher Gourmet (bzw. Gourmand (= Viel-Esser)! Wahrscheinlich war der Dirigierstab früher, sagen wir: entstanden im Frühbarock) ein wirkliches Kulturobjekt. Das Baguette auch.

Was würden die deutschen Ernährungs-Docs dazu sagen? Zum Teufel mit dem Baguette wegen der Darmprobleme! Lebensqualität ist dahin, wenn man nur das Mehl wichtig findet und auf Kultur verzichtet. Sagen wir so: Brot ist mehr als man denkt. Brot kann wie Musik sein?

  1. Saint Honoré

Die Saint-Honoré-Torte ist ein exquisites Meisterwerk der französischen Patisserie, benannt nach dem Schutzpatron der Bäcker und Konditoren.

Da schlugen wir (meine Frau und ich) zu, als wir nach dem Besuch einer alten Kirche vor einer Patisserie standen. Machen wir ein Mysterium daraus: Leben wie Gott in Frankreich, wahrscheinlich hat uns Gott zugeflüstert (oder auch nicht), dass Frankreich den Menschen Köstlichkeiten bietet. Also nichts wie rein zum Schutzpatron der Bäcker und Konditoren bzw. zu deren Torte.

Einmal wie Gott in Frankreich. Einmal schlemmen und Gott in Frankreich spielen.

  1. Genuss der Kids

Was wir auch beobachtet haben, dass in Restaurants den Kindern keine Gerichte á la Räuber Hotzenplotz offerierten. Muss man die Kinder mit Pommes frites usw. abspeisen? Kinder bekommen das, was die anderen auch bekommen. Sie nehmen Teil an der Gruppe und wollen dazugehören. Spielsachen für Kinder bei Tisch sind sehr selten. Warum?

Das geht nur, wenn man mit den Kindern zusammen Essen genießt und sie an der Kommunikation teilnehmen lässt. Genießen und Kommunizieren sind das A und O des Speisens, und das will gelernt sein – vor allem: früh genug gelernt sein. Ich denke nicht an Geschäftsessen und Menüs für Deal Makers.

  1. So’n Käse! Aber nicht in Frankreich

Charles De Gaule hat gesagt:

  • „Wie kann man ein Land regieren, das mehr Käsesorten als Tage im Jahr hat.“

In Deutschland braucht man, wie de Gaule recht hat, die Ampel zum Regieren. Was dem einen der Käse, ist dem anderen seine Ampel.

Als wir in Freiburg vor Jahren Besuch von einem Bekannten aus Münster bekamen und der Münsteraner Gouda kaufen wollte, schüttelte der Verkäufer im sog. Fressgässle in Freiburg den Kopf: Den führen wir hier nicht, wir bevorzugen französischen Käse. Armer Münsteraner mit seinem Käse-Reinfall. Aber beim Schampus „trafen“ wir uns wieder beim Genuss

Guter Käse ist nicht nur eine Frage des Geldes (das muss ich hier anmerken). Auch im Intermarché (einem sehr bekannten Discounter) gibt es Käse zu erschwinglichen Preisen, der oft nach wirklichem Käse mit Reifungsgraden schmeckt – natürlich gibt es auch ziemlich teuren, manchmal auch ein Hochgenuss.

  1. Champagner, für den deutsche Erfinder nach Frankreich kamen

Champagner ist meist sehr teuer, der billige schmeckt mir wie Altöl, und der teure ist mir zu teuer. Darum verzichte ich darauf, und gebe mich mit Crement zufrieden. Übrigens, nur in einem streng begrenzten Gebiet Frankreichs, der Champagne, dürfen Winzer ihre Tropfen Champagner nennen. Dazu kommen noch einige andere Kriterien wie Liegedauer, Anzahl der Rebsorten usw. Darüber hinaus muss ein französischer Winzer in der Champagne ganze 160 Kilogramm Weintrauben verwenden, um 102 Liter Most zu gewinnen. Dass hiervon jedoch nur knapp 83 Liter – die „Cuvée“ – als besonders hochwertig gelten, verringert die Produktionsmengen automatisch.

Aber das Interessanteste ist, dass die meisten Hersteller von Champagner aus Deutschland kamen wie Heidsiek, Krug, Mumm, Deutz, Koch, Bollinger usw. Sind also die Deutschen die besseren Feinschmecker? Da bin ich nicht sicher. Wer guten Geschmack hat, zieht nach Frankreich. Chandon et Moet,1745 von Claude Moet gegründet, der aus einer deutschen Familie stammt und dann in Frankreich geadelt wurde, stieg zu einem der Marktführer auf. Dom Pérignon, ebenfalls eine Edelmarke, wurde nach einem Mönch benannt, der die sog. Champagner-Methode erfand.

Wieder einmal ist Frankreich die Region, in der „Gott zu Hause ist“, wenn man so sagen darf. By the way: Auch die Briten haben den Franzosen beim Vertrieb des Champagners geholfen, selbst James Bond genoss Dom Pérignon. Auch wenn das lange vor dem Brexit war: Gott blieb in Frankreich.

  1. Ein verdrängtes Lebenskonzept?

Sicher hat der alte Spruch „Leben wie Gott in Frankreich“ nichts mit Geographie zu tun. Er basiert auch ein wenig auf Atheismus, als ob Gott Genießen favorisieren würde. Hinter dem Spruch verbirgt sich etwas anderes:

  • Genuss geht vor jeder Art von Nahrungsaufnahme.
  • Genuss ist ein Lebenskonzept.
  • Leben ohne Genießen ist ein vertanes Leben.
  • Hat Genießen einen Hauch des Himmlischen?

Dieser Vorrang des Genießens spiegelt sich in dem Spruch „Leben wie Gott in Frankreich“. Können wir das: Genuss zu unserem Vorrecht machen? Geographie spielt dabei keine Rolle (gemäß dem alten Witz: Er studierte Geographie und sie kannte auch keine Grenzen). Beides gehört zum Genießen: Grenzen einhalten, aber auch Grenzen überschreiten.

Als ich aus meinem Beruf ausschied, bekam ich eine Fahrt nach Marseille geschenkt. Zur Vorbereitung auf diese Fahrt lasen meine Frau und ich u.a. Krimis von Jean-Claude Izzo, die alle in Marseille spielten. Er schrieb: „Woher man auch kommt, in Marseille ist man zu Hause.“ Ich denke: Genießen kann man und muss man auch zu Hause können – egal ob in Frankreich oder Deutschland.